Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 257/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 455/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Hepatitis C als Berufskrankheit bei Arzthelferin
I. Der Bescheid der Beklagten vom 18. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2014 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Hepatitis C-Infektion der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nummer 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Feststellung einer Hepatitis C-Infektion als Berufskrankheit (BK) nach Nummer 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK 3101), also Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.
Die 1969 geborene Klägerin absolvierte von September 1985 bis August 1987 eine Ausbildung zur Arzthelferin und war seitdem als solche bzw. als medizinische Fachangestellte (MFA) in verschiedenen Arztpraxen tätig, unterbrochen von Kindererziehungszeiten zwischen Juni 1993 und 2000. Anlässlich des Wechsels des Arbeitgebers wurde am 19. August 2013 im Rahmen der Einstellungsuntersuchung eine akute und chronische Hepatitis C festgestellt.
Diese Infektion wurde der Beklagten im August 2013 als Verdacht auf eine Berufskrankheit angezeigt. Im Zuge ihrer Ermittlungen holte die Beklagte verschiedene Auskünfte bei den bisherigen Arbeitgebern der Klägerin ein. Darin wurde auch ausgeführt, die Klägerin habe sich im Rahmen von Blutentnahmen öfter mal eine Stichverletzung zugezogen. Die Klägerin selbst gab dazu an, sie habe die üblichen Arzthelferinnentätigkeiten wie Blutabnahmen, Verbände, Büroarbeit, EKG und Patientenbetreuung erledigt. Beschwerden habe sie keine; Ehemann und Kinder seien ebenfalls getestet worden, ohne dass eine Hepatitis C feststellbar gewesen sei.
Der Gewerbearzt hielt in seiner Stellungnahme vom 13. Januar 2014 die medizinischen und arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK 3101 für gegeben und empfahl die Anerkennung als Berufskrankheit. Auf nochmalige Anfrage der Beklagten teilte er unter dem 12. Februar 2014 mit, die Klägerin sei seit 1985 in verschiedenen Arztpraxen tätig und dabei auch mit Blutabnahmen beschäftigt gewesen. Diese Tätigkeit gehe mit der Möglichkeit von Nadelstichverletzungen einher, zumal in früheren Zeiten die Schutzmaßnahmen mangelhaft gewesen seien. Verbandbücher zu führen, sei nicht üblich gewesen und Stichverletzungen als normales Berufsrisiko angesehen worden. Es handle sich also um eine Tätigkeit mit erhöhtem Infektionsrisiko. Die Infektion könne schon lange bestehen, da sie lange Jahre inapparent verlaufen könne.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18. März 2014 dennoch die Anerkennung als BK 3101 ab, weil die Klägerin als MFA keiner besonderen Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen sei. Auch eine konkrete Infektionsquelle habe nicht ermittelt werden können. Zwar habe sie die üblichen Arzthelferinnentätigkeiten ausgeübt, konkrete Stichverletzungen seien aber nicht dokumentiert. Ein besonderes Infektionsrisiko bezüglich Hepatitis C sei nur bei bestimmten Tätigkeiten im Gesundheitsbereich gegeben wie z.B. in Operationseinheiten, Notaufnahmen, zahnärztlichen Behandlungseinheiten, Dialyseeinrichtungen oder Krankenhausstationen mit frisch operierten Patienten mit Blutungen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2014 zurückgewiesen. Dabei wurde noch ergänzt, dass hinsichtlich der beruflichen Tätigkeiten der Klägerin kein besonders erhöhtes Risiko feststellbar gewesen sei. Dieses bestehe nur bei regelmäßigen und häufigen Tätigkeiten mit Verletzungsrisiko oder Blutinokulation. Auf die Tätigkeiten bei Kinder- und Frauenärzten treffe das nicht zu.
Dagegen hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 28. August 2014 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Die Klägerin habe alle mit dem Berufsbild der Arzthelferin bzw. MFA verbundenen Tätigkeiten verrichtet, namentlich Wundversorgung, Blutabnahmen, Entsorgung von Spritzen und Kanülen. Sie habe Umgang mit kranken und infizierten Patienten gehabt und auch Kontakt mit mehreren an Hepatitis C erkrankten Patienten. Damit liege eine deutlich erhöhte Ansteckungsgefahr vor.
Die Beklagte hat ihre Argumentation, weshalb keine besonders erhöhte Infektionsgefahr bezüglich Hepatitis C vorgelegen habe, weiter vertieft.
Für die Klägerin wird beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom 18. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2014 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Hepatitis C-Infektion der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nummer 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat Anspruch auf die Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), dass die im August 2013 bei ihr festgestellte Hepatitis C-Infektion eine Berufskrankheit nach Nummer 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist. Der anderslautende Bescheid der Beklagten vom 18. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2014 ist damit aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt wird.
Nach § 7 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Grundlage für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und einer in der Anlage 1 zur BKV aufgeführten Krankheit. Demnach muss eine in der Anlage 1 zur BKV aufgeführte Krankheit vorliegen, die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet.
Im Streit steht hier die Feststellung der in Nummer 3101 der Anlage 1 zur BKV als Berufskrankheit bezeichneten "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war".
Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt im Einzelfall - unbeschadet einzelner Modifikationen bei bestimmten Berufskrankheiten - voraus, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinn des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, d. h. nach vernünftiger Abwägung aller Umstände müssen die auf die berufliche Verursachung der Krankheit deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann (vgl. Bundessozialgericht - BSG - in SozR 2200 § 548 Nr. 38; Urteil vom 2. April 2009, B 2 U 7/08 R). Hierbei trägt der Kläger die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d. h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008, B 2 U 10/07 R).
Bei der Feststellung einer BK 3101 tritt aufgrund der Nachweisschwierigkeit eines konkreten Infektionsvorgangs die Infektionsgefahr an die Stelle der Einwirkungen, die entsprechend den Anforderungen an das Merkmal der Einwirkungen im Vollbeweis nachzuweisen ist. Liegen eine durch die versicherte Tätigkeit bedingte besonders erhöhte Infektionsgefahr und die Infektionskrankheit vor, nimmt der Verordnungsgeber typisierend an, dass die Infektion während und wegen der Gefahrenlage erfolgte und die Krankheit wesentlich verursacht hat. Der Zeitpunkt der Infektion muss jedoch in den Zeitraum der Ausübung der gefährdenden Arbeitsvorgänge fallen. Zudem ist der - unterstellte - Ursachenzusammenhang nicht anzunehmen, wenn ein anderes, dem privaten Lebensbereich zuzuordnendes Infektionsrisiko die Erkrankung verursacht hat (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2009, B 2 U 30/07 R).
Ob im Einzelfall eine erhöhte Infektionsgefahr gegeben ist, hängt davon ab, ob der Versicherte durch seine versicherte Tätigkeit einer Infektionsgefahr in besonderem Maße ausgesetzt war. Die besondere Gefahrenexposition kann sich aufgrund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit, nämlich des Personenkreises oder der Objekte, mit oder an denen zu arbeiten ist, und der Übertragungsgefährlichkeit der ausgeübten Verrichtungen ergeben, die sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit und nach der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährlichen Handlungen bestimmt.
Der Grad der Durchseuchung ist hinsichtlich der kontaktierten Personen als auch der Objekte festzustellen, mit oder an denen zu arbeiten ist. Lässt sich das Ausmaß der Durchseuchung nicht aufklären, kann aber das Vorliegen eines Krankheitserregers im Arbeitsumfeld nicht ausgeschlossen werden, ist vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung auszugehen. Die Bestimmung der mit der versicherten Tätigkeit verbundenen Übertragungsgefahr richtet sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen.
Die Durchseuchung des Arbeitsumfeldes auf der einen und die Übertragungsgefahr der versicherten Verrichtungen auf der anderen Seite stehen in einer Wechselbeziehung zueinander. An den Grad der Durchseuchung können umso niedrigere Anforderungen gestellt werden, je gefährdender die spezifischen Arbeitsbedingungen sind. Je weniger hingegen die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko der Infektion behaftet sind, umso mehr erlangt das Ausmaß der Durchseuchung an Bedeutung. Allerdings muss zumindest die Möglichkeit einer Infektion bestehen.
Entscheidend ist letztlich immer die Gesamtwürdigung der das Arbeitsumfeld und die versicherte Tätigkeit betreffenden beiden Risikobereiche unter Berücksichtigung des spezifischen Übertragungsmodus und Verbreitungsgrades der jeweiligen Infektionskrankheit (siehe zum Ganzen: BSG, Urteile vom 2. April 2009, B 2 U 30/07 R und B 2 U 7/08 R; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S.703 ff.).
Nach diesen Grundsätzen ergibt sich hier, dass sich die Klägerin aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit mit Hepatitis C infiziert hat.
Die Hepatitis C-Infektion der Klägerin wurde im August 2013 festgestellt. Das steht für das Gericht fest aufgrund der am 19. August 2013 durchgeführten Blutuntersuchung.
Aus den Stellungnahmen des Gewerbearztes vom 13. Januar 2014 und vom 12. Februar 2014 ergibt sich für das Gericht außerdem, dass eine Infektion der Klägerin mit Hepatitis C im Rahmen ihrer versicherten beruflichen Tätigkeiten als Arzthelferin/MFA nicht ausgeschlossen ist. Der Gewerbearzt hat dies explizit ausgeführt und auf die lange inapparent verlaufende Infektion verwiesen.
Ferner ist auch keine außerberufliche Ursache für die Ansteckung mit dem Virus wahrscheinlich. Es ist keine - wie auch immer geartete - diesbezügliche Ursache ersichtlich.
Offen bleibt - und kann bleiben, wann und wo genau sich die Klägerin infiziert hat. Denn für das Gericht ist nachgewiesen, dass die Klägerin bei ihrer Tätigkeit als Arzthelferin/MFA einer besonders erhöhten Ansteckungsgefahr mit Hepatitis C ausgesetzt war. Anders als die Beklagte meint lag im Arbeitsumfeld der Klägerin nicht nur eine Prävalenz für diese Infektion vor, wie sie in der Normalbevölkerung auch anzunehmen ist. Das Infektionsrisiko lag vielmehr deutlich darüber. Das ist zum einen schon anzunehmen, weil die Klägerin einen Beruf ausgeübt hat, der zu dem von der BK 3101 tatbestandlich erfassten Tätigkeitssektor "Gesundheitsdienst" zu zählen ist. Darunter sind nach allgemeinem Verständnis auch die Tätigkeiten von Arzthelferinnen/MFA zu verstehen, wie auch die Zuständigkeit der Beklagten für die versicherten Tätigkeiten der Klägerin deutlich macht. Mit der Schaffung der BK 3101 ist nach dem Wortlaut dieser Norm der Verordnungsgeber davon ausgegangen, dass eine besondere Infektionsgefahr besteht, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig ist. Nur bezüglich sonstiger Tätigkeiten ist im Einzelfall zu entscheiden, ob ein ähnlich erhöhtes Risiko besteht. Dass hinsichtlich der im Gesundheitswesen Tätigen eine gegenüber der Normalbevölkerung erheblich erhöhte Ansteckungsgefahr vorliegt, war nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zudem Voraussetzung für die Aufnahme als sogenannte Listen-Berufskrankheit. Etwas anders könnte nur dann angenommen werden, wenn bei der Klägerin eine deutliche Abweichung in der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit bestanden hätte. Eine solche ist aber nicht dargetan oder sonst ersichtlich. Vielmehr hat der klägerische Vortrag, auch in der mündlichen Verhandlung, sowie die von der Beklagten eingeholten Auskünfte ergeben, dass die Klägerin nicht nur etwa Schriftverkehr oder telefonische Patientenkontakte erledigt hat, sondern sie war auch z.B. mit Blutabnahmen betraut.
Darüber hinaus hat der Gewerbearzt ausgeführt, dass die Tätigkeit der Klägerin seit 1985 mit der Möglichkeit von Nadelstichverletzungen einherging und vor allem früher die Schutzmaßnahmen mangelhaft gewesen seien. Verbandbücher zu führen sei nicht üblich gewesen und Stichverletzungen als normales Berufsrisiko angesehen worden. Es handle sich also um eine Tätigkeit mit erhöhtem Infektionsrisiko. Darauf lässt sich in den Augen des Gerichts - eigenständig neben der oben erwähnten Argumentation - ebenfalls die Annahme stützen, dass die Klägerin einem besonderen Ansteckungsrisiko mit Hepatitis C ausgesetzt war. Insbesondere kannte der Gewerbearzt die Einwände der Beklagten und ihre Argumentation, dass nur bei bestimmten Tätigkeiten im Gesundheitswesen ein besonders erhöhtes Infektionsrisiko anzunehmen sei. Dennoch hat er nachvollziehbar und schlüssig begründet, weshalb er aus fachlicher Sicht dies anders beurteilt. Eine fachlich begründete Auseinandersetzung damit hat die Beklagte nicht vorgewiesen, sondern sich lediglich auf Kommentierungen bzw. Ausführungen des Bundessozialgerichts und deren Interpretation gestützt. Für das Gericht genügt das nicht, um die fachliche Beurteilung durch den Gewerbearzt ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
Daher ist der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Feststellung einer Hepatitis C-Infektion als Berufskrankheit (BK) nach Nummer 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK 3101), also Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.
Die 1969 geborene Klägerin absolvierte von September 1985 bis August 1987 eine Ausbildung zur Arzthelferin und war seitdem als solche bzw. als medizinische Fachangestellte (MFA) in verschiedenen Arztpraxen tätig, unterbrochen von Kindererziehungszeiten zwischen Juni 1993 und 2000. Anlässlich des Wechsels des Arbeitgebers wurde am 19. August 2013 im Rahmen der Einstellungsuntersuchung eine akute und chronische Hepatitis C festgestellt.
Diese Infektion wurde der Beklagten im August 2013 als Verdacht auf eine Berufskrankheit angezeigt. Im Zuge ihrer Ermittlungen holte die Beklagte verschiedene Auskünfte bei den bisherigen Arbeitgebern der Klägerin ein. Darin wurde auch ausgeführt, die Klägerin habe sich im Rahmen von Blutentnahmen öfter mal eine Stichverletzung zugezogen. Die Klägerin selbst gab dazu an, sie habe die üblichen Arzthelferinnentätigkeiten wie Blutabnahmen, Verbände, Büroarbeit, EKG und Patientenbetreuung erledigt. Beschwerden habe sie keine; Ehemann und Kinder seien ebenfalls getestet worden, ohne dass eine Hepatitis C feststellbar gewesen sei.
Der Gewerbearzt hielt in seiner Stellungnahme vom 13. Januar 2014 die medizinischen und arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK 3101 für gegeben und empfahl die Anerkennung als Berufskrankheit. Auf nochmalige Anfrage der Beklagten teilte er unter dem 12. Februar 2014 mit, die Klägerin sei seit 1985 in verschiedenen Arztpraxen tätig und dabei auch mit Blutabnahmen beschäftigt gewesen. Diese Tätigkeit gehe mit der Möglichkeit von Nadelstichverletzungen einher, zumal in früheren Zeiten die Schutzmaßnahmen mangelhaft gewesen seien. Verbandbücher zu führen, sei nicht üblich gewesen und Stichverletzungen als normales Berufsrisiko angesehen worden. Es handle sich also um eine Tätigkeit mit erhöhtem Infektionsrisiko. Die Infektion könne schon lange bestehen, da sie lange Jahre inapparent verlaufen könne.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18. März 2014 dennoch die Anerkennung als BK 3101 ab, weil die Klägerin als MFA keiner besonderen Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen sei. Auch eine konkrete Infektionsquelle habe nicht ermittelt werden können. Zwar habe sie die üblichen Arzthelferinnentätigkeiten ausgeübt, konkrete Stichverletzungen seien aber nicht dokumentiert. Ein besonderes Infektionsrisiko bezüglich Hepatitis C sei nur bei bestimmten Tätigkeiten im Gesundheitsbereich gegeben wie z.B. in Operationseinheiten, Notaufnahmen, zahnärztlichen Behandlungseinheiten, Dialyseeinrichtungen oder Krankenhausstationen mit frisch operierten Patienten mit Blutungen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2014 zurückgewiesen. Dabei wurde noch ergänzt, dass hinsichtlich der beruflichen Tätigkeiten der Klägerin kein besonders erhöhtes Risiko feststellbar gewesen sei. Dieses bestehe nur bei regelmäßigen und häufigen Tätigkeiten mit Verletzungsrisiko oder Blutinokulation. Auf die Tätigkeiten bei Kinder- und Frauenärzten treffe das nicht zu.
Dagegen hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 28. August 2014 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Die Klägerin habe alle mit dem Berufsbild der Arzthelferin bzw. MFA verbundenen Tätigkeiten verrichtet, namentlich Wundversorgung, Blutabnahmen, Entsorgung von Spritzen und Kanülen. Sie habe Umgang mit kranken und infizierten Patienten gehabt und auch Kontakt mit mehreren an Hepatitis C erkrankten Patienten. Damit liege eine deutlich erhöhte Ansteckungsgefahr vor.
Die Beklagte hat ihre Argumentation, weshalb keine besonders erhöhte Infektionsgefahr bezüglich Hepatitis C vorgelegen habe, weiter vertieft.
Für die Klägerin wird beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom 18. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2014 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Hepatitis C-Infektion der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nummer 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat Anspruch auf die Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), dass die im August 2013 bei ihr festgestellte Hepatitis C-Infektion eine Berufskrankheit nach Nummer 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist. Der anderslautende Bescheid der Beklagten vom 18. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2014 ist damit aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt wird.
Nach § 7 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Grundlage für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und einer in der Anlage 1 zur BKV aufgeführten Krankheit. Demnach muss eine in der Anlage 1 zur BKV aufgeführte Krankheit vorliegen, die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet.
Im Streit steht hier die Feststellung der in Nummer 3101 der Anlage 1 zur BKV als Berufskrankheit bezeichneten "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war".
Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt im Einzelfall - unbeschadet einzelner Modifikationen bei bestimmten Berufskrankheiten - voraus, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinn des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, d. h. nach vernünftiger Abwägung aller Umstände müssen die auf die berufliche Verursachung der Krankheit deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann (vgl. Bundessozialgericht - BSG - in SozR 2200 § 548 Nr. 38; Urteil vom 2. April 2009, B 2 U 7/08 R). Hierbei trägt der Kläger die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d. h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008, B 2 U 10/07 R).
Bei der Feststellung einer BK 3101 tritt aufgrund der Nachweisschwierigkeit eines konkreten Infektionsvorgangs die Infektionsgefahr an die Stelle der Einwirkungen, die entsprechend den Anforderungen an das Merkmal der Einwirkungen im Vollbeweis nachzuweisen ist. Liegen eine durch die versicherte Tätigkeit bedingte besonders erhöhte Infektionsgefahr und die Infektionskrankheit vor, nimmt der Verordnungsgeber typisierend an, dass die Infektion während und wegen der Gefahrenlage erfolgte und die Krankheit wesentlich verursacht hat. Der Zeitpunkt der Infektion muss jedoch in den Zeitraum der Ausübung der gefährdenden Arbeitsvorgänge fallen. Zudem ist der - unterstellte - Ursachenzusammenhang nicht anzunehmen, wenn ein anderes, dem privaten Lebensbereich zuzuordnendes Infektionsrisiko die Erkrankung verursacht hat (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2009, B 2 U 30/07 R).
Ob im Einzelfall eine erhöhte Infektionsgefahr gegeben ist, hängt davon ab, ob der Versicherte durch seine versicherte Tätigkeit einer Infektionsgefahr in besonderem Maße ausgesetzt war. Die besondere Gefahrenexposition kann sich aufgrund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit, nämlich des Personenkreises oder der Objekte, mit oder an denen zu arbeiten ist, und der Übertragungsgefährlichkeit der ausgeübten Verrichtungen ergeben, die sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit und nach der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährlichen Handlungen bestimmt.
Der Grad der Durchseuchung ist hinsichtlich der kontaktierten Personen als auch der Objekte festzustellen, mit oder an denen zu arbeiten ist. Lässt sich das Ausmaß der Durchseuchung nicht aufklären, kann aber das Vorliegen eines Krankheitserregers im Arbeitsumfeld nicht ausgeschlossen werden, ist vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung auszugehen. Die Bestimmung der mit der versicherten Tätigkeit verbundenen Übertragungsgefahr richtet sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen.
Die Durchseuchung des Arbeitsumfeldes auf der einen und die Übertragungsgefahr der versicherten Verrichtungen auf der anderen Seite stehen in einer Wechselbeziehung zueinander. An den Grad der Durchseuchung können umso niedrigere Anforderungen gestellt werden, je gefährdender die spezifischen Arbeitsbedingungen sind. Je weniger hingegen die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko der Infektion behaftet sind, umso mehr erlangt das Ausmaß der Durchseuchung an Bedeutung. Allerdings muss zumindest die Möglichkeit einer Infektion bestehen.
Entscheidend ist letztlich immer die Gesamtwürdigung der das Arbeitsumfeld und die versicherte Tätigkeit betreffenden beiden Risikobereiche unter Berücksichtigung des spezifischen Übertragungsmodus und Verbreitungsgrades der jeweiligen Infektionskrankheit (siehe zum Ganzen: BSG, Urteile vom 2. April 2009, B 2 U 30/07 R und B 2 U 7/08 R; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S.703 ff.).
Nach diesen Grundsätzen ergibt sich hier, dass sich die Klägerin aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit mit Hepatitis C infiziert hat.
Die Hepatitis C-Infektion der Klägerin wurde im August 2013 festgestellt. Das steht für das Gericht fest aufgrund der am 19. August 2013 durchgeführten Blutuntersuchung.
Aus den Stellungnahmen des Gewerbearztes vom 13. Januar 2014 und vom 12. Februar 2014 ergibt sich für das Gericht außerdem, dass eine Infektion der Klägerin mit Hepatitis C im Rahmen ihrer versicherten beruflichen Tätigkeiten als Arzthelferin/MFA nicht ausgeschlossen ist. Der Gewerbearzt hat dies explizit ausgeführt und auf die lange inapparent verlaufende Infektion verwiesen.
Ferner ist auch keine außerberufliche Ursache für die Ansteckung mit dem Virus wahrscheinlich. Es ist keine - wie auch immer geartete - diesbezügliche Ursache ersichtlich.
Offen bleibt - und kann bleiben, wann und wo genau sich die Klägerin infiziert hat. Denn für das Gericht ist nachgewiesen, dass die Klägerin bei ihrer Tätigkeit als Arzthelferin/MFA einer besonders erhöhten Ansteckungsgefahr mit Hepatitis C ausgesetzt war. Anders als die Beklagte meint lag im Arbeitsumfeld der Klägerin nicht nur eine Prävalenz für diese Infektion vor, wie sie in der Normalbevölkerung auch anzunehmen ist. Das Infektionsrisiko lag vielmehr deutlich darüber. Das ist zum einen schon anzunehmen, weil die Klägerin einen Beruf ausgeübt hat, der zu dem von der BK 3101 tatbestandlich erfassten Tätigkeitssektor "Gesundheitsdienst" zu zählen ist. Darunter sind nach allgemeinem Verständnis auch die Tätigkeiten von Arzthelferinnen/MFA zu verstehen, wie auch die Zuständigkeit der Beklagten für die versicherten Tätigkeiten der Klägerin deutlich macht. Mit der Schaffung der BK 3101 ist nach dem Wortlaut dieser Norm der Verordnungsgeber davon ausgegangen, dass eine besondere Infektionsgefahr besteht, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig ist. Nur bezüglich sonstiger Tätigkeiten ist im Einzelfall zu entscheiden, ob ein ähnlich erhöhtes Risiko besteht. Dass hinsichtlich der im Gesundheitswesen Tätigen eine gegenüber der Normalbevölkerung erheblich erhöhte Ansteckungsgefahr vorliegt, war nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zudem Voraussetzung für die Aufnahme als sogenannte Listen-Berufskrankheit. Etwas anders könnte nur dann angenommen werden, wenn bei der Klägerin eine deutliche Abweichung in der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit bestanden hätte. Eine solche ist aber nicht dargetan oder sonst ersichtlich. Vielmehr hat der klägerische Vortrag, auch in der mündlichen Verhandlung, sowie die von der Beklagten eingeholten Auskünfte ergeben, dass die Klägerin nicht nur etwa Schriftverkehr oder telefonische Patientenkontakte erledigt hat, sondern sie war auch z.B. mit Blutabnahmen betraut.
Darüber hinaus hat der Gewerbearzt ausgeführt, dass die Tätigkeit der Klägerin seit 1985 mit der Möglichkeit von Nadelstichverletzungen einherging und vor allem früher die Schutzmaßnahmen mangelhaft gewesen seien. Verbandbücher zu führen sei nicht üblich gewesen und Stichverletzungen als normales Berufsrisiko angesehen worden. Es handle sich also um eine Tätigkeit mit erhöhtem Infektionsrisiko. Darauf lässt sich in den Augen des Gerichts - eigenständig neben der oben erwähnten Argumentation - ebenfalls die Annahme stützen, dass die Klägerin einem besonderen Ansteckungsrisiko mit Hepatitis C ausgesetzt war. Insbesondere kannte der Gewerbearzt die Einwände der Beklagten und ihre Argumentation, dass nur bei bestimmten Tätigkeiten im Gesundheitswesen ein besonders erhöhtes Infektionsrisiko anzunehmen sei. Dennoch hat er nachvollziehbar und schlüssig begründet, weshalb er aus fachlicher Sicht dies anders beurteilt. Eine fachlich begründete Auseinandersetzung damit hat die Beklagte nicht vorgewiesen, sondern sich lediglich auf Kommentierungen bzw. Ausführungen des Bundessozialgerichts und deren Interpretation gestützt. Für das Gericht genügt das nicht, um die fachliche Beurteilung durch den Gewerbearzt ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
Daher ist der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
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