L 6 U 2808/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 1626/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 2808/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 29. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellung eines Ereignisses als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die 1956 geborene Klägerin ist Krankenschwester und in der W. G. beschäftigt. Am 11.01.2010 gegen 16:00 Uhr befuhr sie mit ihrer Tochter als Beifahrerin, die sie zur Musikstunde bringen wollte, in einem Audi mit Vorderradantrieb die schneebedeckte, eisglatte, weder geräumte noch gestreute Dr. P. in G., in der sie wohnt, eine verkehrsberuhigte Spielstraße ohne Gehweg. Vor ihr stand der Mercedes des Beigeladenen quer und blockierte die Straße, da er wegen eines entgegenkommenden Fahrzeugs hatte anhalten müssen und nunmehr wegen Eisglätte nicht anfahren konnte. Fahrerin des Fahrzeugs des Beigeladenen war dessen Ehefrau, die Zeugin H ... Auch rückwärts konnte die Klägerin wegen der Schneeglätte und des Gefälles der Straße nicht ausweichen. Die Klägerin sagte daraufhin telefonisch die Musikstunde ab. Sie nahm eine Gummimatte aus ihrem Pkw und legte diese mit Hilfe des Zeugen L. unter ein Hinterrad des Mercedes, der daraufhin weiterfahren konnte. Beim Zurückbringen der Gummimatte stürzte die Klägerin und zog sich - wie später festgestellt wurde - einen Schienbeinkopfimpressionsbruch am rechten Bein zu. Sie war beinahe vier Monate arbeitsunfähig und kann keinen Nachdienst mehr machen.

Nachdem die Haftpflichtversicherung des Beigeladenen Schadensersatzansprüche abgelehnt hatte, zeigte die Klägerin gegenüber der Beklagten das Schadensereignis als Versicherungsfall an. Die Klägerin gab an, sie habe auch eine Gefahr für ihre im Auto sitzende Tochter gesehen, weil das Fahrzeug des Beigeladenen drohte, weiter zurück zu rutschen.

Mit Bescheid vom 21.01.2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 11.01.2010 als Versicherungsfall ab. Arbeitsunfall sei nach § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) ein Unfall, den eine nach § 2 SGB VII versicherte Person infolge einer versicherten Tätigkeit erleide. Die Klägerin sei zum Unfallzeitpunkt nicht versicherte Person im Sinne des Gesetzes gewesen. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII seien Personen gesetzlich unfallversichert, die wie ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherter tätig würden. Dies gelte auch bei vorübergehender Tätigkeit. Erforderlich sei jedoch eine ernstliche, dem fremden Unternehmen dienende Tätigkeit, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könne, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stünden. Die Verrichtung müsse nach Art und Umständen einer solchen Tätigkeit ähneln. Dies könne nicht losgelöst von den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen beurteilt werden. Kurzfristige Verrichtungen schlössen eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit nicht von vornherein aus. Es bestehe aber kein Unfallversicherungsschutz, wenn es sich um einen aufgrund der Situation selbstverständlichen Hilfsdienst handele oder die zum Unfall führende Verrichtung als Erfüllung gesellschaftlicher - nicht rechtlicher - Verpflichtungen anzusehen sei oder die Tätigkeit des Verletzten persönliche Gründe habe. Der vorrangige Beweggrund der Klägerin sei gewesen, die Fahrt mit ihrer Tochter fortsetzen zu können. Die Tätigkeit habe daher im eigenen Interesse gelegen. Das Unterlegen der Gummimatte habe allenfalls einige Minuten gedauert und könne daher nicht als arbeitnehmerähnliche Tätigkeit betrachtet werden, sondern als unversicherte kurze Handreichung. Versicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII sei ebenfalls zu verneinen, da sie nicht bei einem Unglücksfall, gemeiner Gefahr oder Not Hilfe geleistet habe oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit gerettet habe. Es habe sich lediglich um eine Art Pannenhilfe gehandelt. Eine akute Gefahrensituation habe bei dem liegengebliebenen Fahrzeug in einer Seitenstraße nicht bestanden.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2012 zurück. § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII setze eine erhebliche Gefahrenlage voraus, die zum Unfallzeitpunkt bestanden oder unmittelbar gedroht habe. Es müsse eine ungewöhnliche Gefahrenlage bestanden haben, die ohne sofortiges Eingreifen einen erheblichen Schaden an Personen oder bedeutenden Sachwerten nach sich ziehe, eine allgemeine gefährliche Situation genüge nicht. Bei Einzelbetrachtung der konkreten Gefahrenlage müsse diese objektiv dazu geeignet sein, eine Rettungshandlung auszulösen. Das Ausmaß der Gefährdung der beteiligten Verkehrsteilnehmer sei von großer Bedeutung. Das querstehende Fahrzeug habe die Straße blockiert, ansonsten aber keine akute Gefahr für die Fahrerin oder andere in diesem Bereich befindliche Personen dargestellt. Da der Unfallbereich eine verkehrsberuhigte Nebenstraße sei, habe auch für andere Verkehrsteilnehmer keine unmittelbare Gefahr bestanden. Nachfolgende Autos wie das der Klägerin hätten lediglich nicht weiterfahren können. Es liege auch keine Pannenhilfe nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII vor. Gesetzlich unfallversichert seien danach Personen, die vorübergehend wie Arbeitnehmer tätig würden. Das nur wenige Minuten dauernde Unterlegen der Gummimatte als kurze Handreichung könne nicht als arbeitnehmerähnliche Tätigkeit betrachtet werden. Auch genüge nicht, dass die unfallbringende Tätigkeit einer anderen Person nützlich gewesen sei; notwendig sei, dass der Handelnde auch subjektiv ein Geschäft des anderen habe besorgen, also fremdnützig habe tätig sein wollen. Verfolge der Handelnde in Wirklichkeit wesentlich eigene Angelegenheiten, stehe er nicht unter Versicherungsschutz. Vorrangiger Beweggrund der Klägerin sei gewesen, die Fahrt mit ihrem Kind fortsetzen zu können. Sie habe daher vorrangig in ihrem eigenen Interesse gehandelt.

Die Klägerin hat am 18.05.2012 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, das BSG habe bereits 1976 (Urteil vom 31.03.1976 - B 2 RO 133/75) entschieden, dass derjenige, der versuche, einen liegengebliebenen Pkw in Gang zu bringen, wie ein Versicherter tätig werde. Das Handeln sei fremdnützig gewesen. Das liegengebliebene Fahrzeug habe kein schweres Verkehrshindernis gebildet. Das Wegräumen der Anfahrhilfe zähle zur versicherten Tätigkeit.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Das Wegräumen der eigenen Gummimatte sei nicht Besorgen des Geschäfts eines anderen. Die Klägerin habe die Gummimatte wohl auch benötigt, um selbst wieder anfahren zu können.

In der mündlichen Verhandlung hat das SG die Klägerin angehört. Die Beteiligten haben daraufhin den Vortrag der Klägerin unstreitig gestellt und auf die Vernehmung der anwesenden Zeugen verzichtet. Das SG hat mit Urteil vom 29.05.2013 den Bescheid vom 21.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 11.01.2010 als Versicherungsfall festzustellen. Das SG hat zur Urteilsbegründung ausgeführt, das streitige Ereignis stelle einen Versicherungsfall dar. Versicherungsschutz bestehe sowohl gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII als auch gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Zwar gehe gemäß § 135 Abs. 1 SGB VII eine Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 grundsätzlich der Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII vor. Die Beklagte sei aber gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII für Personen, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII versichert seien zuständig, wie auch gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII für Personen, die wie Beschäftigte für nicht gewerbsmäßige Halter von Fahrzeugen tätig würden. Die Kammer sei zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin bei einem Unglücksfall Hilfe geleistet habe. Im Interesse der uneigennützig Handelnden seien keine hohen Anforderungen an den Begriff des Unglücksfalls zu stellen. Hinsichtlich der Erheblichkeit von Personenschäden seien nur Bagatellschäden ausgenommen. Der Unglücksfall müsse noch nicht eingetreten sein; der unmittelbar drohende Eintritt genüge. Der Unglücksfall sei erst dann beendet, wenn der auf der Straße liegengebliebene Pkw den übrigen Verkehr nicht mehr gefährde, wobei eine sog. Auffahrgefahr ausreiche. Nach allgemeiner Meinung seien auch Sachschäden einbezogen. Der Begriff des Unglücksfalls sei erfüllt, denn durch den querstehenden Pkw habe Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer gedroht, da diese auf glatter, schneebedeckter Straße mit Gefälle gezwungen gewesen seien zu stoppen und ggf. auszuweichen. Die Klägerin habe auch Hilfe geleistet. Sie habe nicht im Eigeninteresse gehandelt, denn ihre privaten und persönlichen Motive hätten nicht im Vordergrund gestanden. Selbst eine gemischte Tätigkeit schließe den Versicherungsschutz nicht aus, wenn mindestens wesentlich auch dem Dritten geholfen werde. Die Klägerin habe auch subjektiv mit Hilfsgedanken gehandelt. Das Fahrzeug der Klägerin sei nicht unmittelbar am Unfallgeschehen beteiligt gewesen, der Klägerin sei es nicht in erster Linie darum gegangen, ihren eigenen Pkw vor Sachschäden zu schützen. Nach der Rechtsprechung des BSG sei nicht allein der unmittelbare Vorgang der Beseitigung der Gefahr oder des Abwendens von Störungen gesetzlich unfallversichert, sondern auch der Weg in den und aus dem Gefahrenbereich. Der zurückgelegte Weg zum und vom Ort der Gefahr und die Hilfeleistung selbst bildeten einen einheitlichen Lebensvorgang. Die Klägerin sei daher auch beim Zurückbringen der Fußmatte versichert gewesen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Klägerin bei ihrer Hilfeleistung auch als Wie-Beschäftigte versichert. Gerade die Pannenhilfe sei nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII geschützt. Nach § 2 Abs. 2 SGB VII sei auch eine geringfügige und kurze Hilfe versichert, auch die Hilfe beim Manövrieren eines Kfz. Es genüge, dass die Hilfeleistung etwaige Arbeiten erleichtere oder beschleunige, sie müsse nicht unentbehrlich sein. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Hilfeleistung nicht nur ganz geringfügig gewesen, sondern von wirtschaftlichem Wert. Die Dauer der Hilfeleistung habe keine eigenständige Bedeutung und müsse nicht erheblich sein. Grundsätzlich genüge das Anschieben eines Pkw oder Herausziehen eines im Sand steckengebliebenen Wagens. Die Hilfeleistung der Klägerin sei über wenige Augenblicke hinausgegangen und habe nicht im Vorübergehen verrichtet werden können.

Gegen das ihr am 14.06.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.07.2013 Berufung bei dem Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Das SG habe den Sachverhalt nicht zutreffend festgestellt und rechtlich gewürdigt. Der Zeuge L. habe im Bericht vom 15.03.2010 angegeben, auch der Klägerin Anfahrhilfe mit der Gummimatte gegeben zu habe, so dass sie aus eigenen Motiven auf dem Weg zu ihrem Pkw gewesen sei. Für das Vorliegen der Wie-Beschäftigung sei die Einvernahme des Zeugen L. erforderlich. Die Klägerin habe sich nicht auf dem Weg zu der Gefahrenzone, sondern, um ihr Kfz mit der Gummimatte in Gang zu setzen, befunden. Die Schlussfolgerung des SG, an den Unglücksfall seien keine hohen Anforderungen zu stellen, sei falsch. Der vom BSG mit Urteil vom 15.06.2010 entschiedene Fall des eingeschlossenen sechsjährigen Kindes lasse diesen Schluss nicht zu. Im Übrigen hat die Beklagte die Ausführungen aus den angegriffenen Bescheiden wiederholt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 29. Mai 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für richtig. Die Beklagte selbst habe das Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG unstreitig gestellt und auf die Vernehmung der geladenen Zeugen verzichtet.

Der ehemalige Berichterstatter hat in nicht öffentlicher Sitzung am 19.03.2014 die Klägerin gehört und die Zeugen H., W., B., L. und E. vernommen. Der Zeuge L. hat bekundet, er habe, nachdem der Mercedes weitergefahren sei, die Gummimatte hinter das Hinterrad des Audis gelegt, dann aber festgestellt, dass dieser Vorderradantrieb habe, die Gummimatte dann hinter das Vorderrad gelegt, worauf die Klägerin habe weiterfahren können. Er habe die Gummimatte danach auch für sein Auto benutzt. Auf die Niederschrift vom 19.03.2014 wird Bezug genommen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Senatsakte, die SG-Akte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte das Ereignis vom 11.01.2010 als Arbeitsunfall anerkennt. Das SG hat daher zu Recht den Bescheid vom 21.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2012 aufgehoben und die Beklagte zu einer entsprechenden Feststellung verurteilt.

Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2 der Vorschrift). Ein Arbeitsunfall setzt danach Folgendes voraus: Eine Verrichtung des Verletzten zur Zeit des Unfalls (genauer: davor) muss den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Diese Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dieses Unfallereignis muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten wesentlich mitverursacht haben (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2012 - B 2 U 7/11 R).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin hat zur Zeit des Unfalls als Hilfeleistende im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 13a Alt. 2 SGB VII eine versicherte Tätigkeit verrichtet. Diese Verrichtung hat ihren Sturz auf eisglatter Fahrbahn, also das Unfallereignis, und dieses hat den Schienbeinkopfimpressionsbruch am rechten Bein wesentlich verursacht. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln des Verletzten, das seiner Art nach von Dritten beobachtbar und zumindest auch auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist (sog. objektivierte Handlungstendenz, vgl. BSG a. a O.). Mit ihrem Handeln, dem Zur-Verfügung-Stellen der Gummimatte und Verbringen zum liegengebliebenen Fahrzeug des Beigeladenen, hat sie den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a Alt, 2 SGB VII sind Personen, die bei gemeiner Gefahr Hilfe leisten, kraft Gesetzes versichert. Die Vorschrift entspricht § 539 Abs. 1 Nr. 9a Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. Der Tatbestand der versicherten Tätigkeit der Hilfeleistung bei gemeiner Gefahr ist nicht auf Hilfeleistungen begrenzt, deren Unterlassen nach § 323c Strafgesetzbuch (StGB) mit Strafe bedroht ist. Gesetzlich unfallversichert ist nicht nur jede vom Handlungszwang des § 323c StGB umfasste, sondern auch jede erforderliche Hilfeleistung, falls objektiv eine gemeine Gefahr vorliegt (BSG, Urteil vom 27.03.2012 - B 2 U 7/11 R).

Eine gemeine Gefahr besteht, wenn aufgrund der objektiv gegebenen Umstände zu erwarten ist, dass ohne sofortiges Eingreifen eine erhebliche Schädigung von Personen oder bedeutenden Sachwerten eintreten wird (BSG, a. a. O.). Eine gemeine Gefahr ist gegeben, wenn sie der Allgemeinheit droht. Das ist bereits dann der Fall, wenn sie in einem Bereich droht, der der Allgemeinheit zugänglich ist, wobei es genügt, dass nur eine einzige Person in diesen Bereich gerät oder gefährdet erscheint (BSG, Urteil vom 29.09.1992 - 2 RU 44/91). Eine solche Gefahr war entgegen der Ansicht der Beklagten für die Straßenverkehrsteilnehmer durch den auf der Fahrbahn liegengebliebenen Pkw des Beigeladenen gegeben. Zwar handelt es sich bei der Dr. P. in G. um eine verkehrsberuhigte Spielstraße ohne Fußgängerweg. Sie ist aber für den fließenden Verkehr geöffnet und unstreitig bestand am 10.01.2010 Schnee- und Eisglätte, die Straße war nicht geräumt oder gestreut. Fahrzeuge, die auf der Fahrbahn liegen geblieben sind, stellen insbesondere bei Vorliegen besonderer Witterungsbedingungen, die die Gefahr erhöhen, wie Straßenglätte, generell eine gemeine Gefahr dar (BSG, Urteil vom 29.09.1992 - 2 RU 44/91; BSG, Urteil vom 26.06.1986 - 2 RU 47/85). Dies steht nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des BSG vom 25.01.1973 (2 RU 55/71), da hier ein auf einem Feldweg stehender Pkw abgeschleppt werden sollte, das Stehenbleiben des Pkw dort aber gerade nicht für andere Verkehrsteilnehmer zu einer Gefahr führte. Der auf der Fahrbahn liegengebliebene Pkw des Beigeladenen verursachte die Gefahr von Auffahrunfällen, was mit erheblichen Sach- und möglicherweise Personenschäden weiterer Verkehrsteilnehmer verbunden war, verstärkt noch angesichts der Tatsache, dass die Straße keinen Fußweg hat und somit auch Fußgänger erheblich gefährdet waren. Die Verrichtung der Klägerin war eine erforderliche Hilfeleistung, mit der die Gefahr auch tatsächlich abgewendet werden konnte. Denn aufgrund der von der Klägerin herbeigebrachten und unter dem Pkw des Beigeladenen platzierten Gummimatte war es der Zeugin Haussmann-Georgiou möglich, das Fahrzeug des Beigeladenen fort zu bewegen. Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz bestand auch noch bei dem Sturz der Klägerin auf dem Rückweg zu ihrem Fahrzeug weiter. Gesetzlich unfallversichert nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a Alt. 2 SGB VII ist nicht allein der unmittelbare Vorgang der Beseitigung der Gefahr oder des Abwendens von Störungen hieraus. Die versicherte Hilfeleistung erfasst vielmehr auch den Weg in den und aus dem Gefahrenbereich, der zur Gefahrenbeseitigung zurückgelegt wird. Der zurückgelegte Weg zum und vom Ort der unmittelbaren Gefahr sowie die Hilfe selbst bilden einen einheitlichen Lebensvorgang (BSG, Urteil vom 27.03.2012 - B 2 U 7/11 R). Der Versicherungsschutz endet erst zu dem Zeitpunkt, in dem der Helfer sich wieder in Sicherheit befindet, er in seine Ausgangssituation vor Beginn der Hilfeleistung zurückgekehrt ist oder andere Tendenzen als die der Hilfeleistung verfolgt (BSG, Urteil vom 15.06.2010 - B 2 U 12/09 R).

Der Sturz der Klägerin erfolgte, bevor sie wieder in ihr Fahrzeug einsteigen konnte, mithin vor Erlangen der Ausgangsposition. Dass die Verrichtung zum Zeitpunkt des Unfalls eine andere Tendenz hatte, als wieder in das eigene Fahrzeug einzusteigen, ist auch durch die Zeugenvernehmung nicht erwiesen. Zwar hat der Zeuge L. bekundet, er habe anschließend die Gummimatte unter das Fahrzeug der Klägerin gelegt, um dieser Anfahrhilfe zu leisten. Zum einen hat die Klägerin selbst dies aber im gesamten Verfahren bestritten und darauf hingewiesen, dass ihr Audi wegen des Vorderradantriebs keine Probleme mit dem Anfahren auf glatter Fahrbahn habe. Zum anderen hat auch im Falle einer solchen Hilfeleistung des Zeugen L. die Handlungstendenz der Klägerin darin bestanden, zu ihrem Fahrzeug zurückzugehen, um die Fahrt fortzusetzen.

Die Klägerin stand auch nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII unter Versicherungsschutz, weil sie wie eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherte tätig geworden ist. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII setzt voraus, dass es sich um eine mehr oder weniger vorübergehende, ernstliche, dem in Betracht kommenden fremden Unternehmen zu dienen bestimmende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert handelt, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und ungeachtet des Beweggrundes für den Entschluss, tätig zu werden, unter solchen Umständen tatsächlich geleistet wird, dass sie einer Tätigkeit auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist (BSG, Urteil vom 28.05.1957 - 2 RU 150/55 - juris; BSG, Urteil vom 13.12.1984 - 2 RU 79/83 - juris; BSG, Urteil vom 05.07.2005 - B 2 U 22/04 R - juris).

Insbesondere sind Personen wie Beschäftigte gesetzlich unfallversichert, die dem Halter eines Kraftfahrzeuges bei der Behebung einer Panne helfen. Nicht erforderlich ist, dass ein Abhängigkeitsverhältnis vorliegt. Auch die Beweggründe der Helfenden für ihr Eingreifen sind nicht wesentlich, denn es kommt im Allgemeinen nicht auf den Beweggrund an, welcher jemand veranlasst, wie ein versicherter Beschäftigter tätig zu werden. Der Versicherungsschutz ist also grundsätzlich auch bei sogenannten Gefälligkeitsleistungen nicht ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 28.05.1957 - 2 RU 150/55 - juris; BSG, Urteil vom 07.03.1969 - 2 RU 181/65 - juris; BSG, Urteil vom 25.01.1973 - 2 RU 55/71 - juris; BSG, Urteil vom 25.01.1973 - 2 RU 216/72 - juris; BSG, Urteil vom 30.04.1979 - 8a RU 38/78 - juris; BSG, Urteil vom 13.12.1984 - 2 RU 79/83 - juris). Mithin kann vorliegend offen bleiben, ob die Klägerin ihre Gummimatte zum Flottmachen des Fahrzeugs des Beigeladenen auch deshalb zur Verfügung stellte, um selbst ihre Fahrt fortsetzen zu können. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, so wäre dieser innere Beweggrund vor dem Hintergrund, dass ihre Tätigkeit zumindest auch dem Zweck diente, das Fahrzeug des Beigeladenen in Schwung zu bringen, unschädlich, zumal die Klägerin bereits die Musikstunde abgesagt hatte und daher für sie kein besonderes Eilbedürfnis bestand.

Gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ist jeder nicht gewerbsmäßige Fahrzeughalter Unternehmer im oben genannten Sinne. Die Tätigkeit kommt vor allem der gesamten fahrzeughaltenden Bevölkerung zugute, liegt also in einer Art öffentlichen Interesse und soll nach § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII beitragsfrei versichert sein (Ricke in Kasseler Kommentar, SGB VII, § 128 Rdnr. 4). Die Hilfeleistung der Klägerin ist auch als eine ernstliche, vorübergehende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert zu qualifizieren. Wirtschaftlich ist nicht im Sinne von erwerbswirtschaftlich gemeint, der Zweck der Tätigkeit kann auch rein ideeller Natur sein (BSG, Urteil vom 12.07.1979 - 2 RU 23/78 - juris; BSG, Urteil vom 28.05.1957 - 2 RU 150/55 - juris). Es genügt ein menschliches Verhalten, das wirtschaftlich als Arbeit gewertet werden kann und nicht ohne jeden wirtschaftlichen Wert ist (Kruschinsky in Becker/Burchardt/Krasney/ Kruschinsky, SGB VII, § 2 Rdnr. 812 f.). Dass das Zur-Verfügung-Stellen der Gummimatte durch die Klägerin vorliegend eine nach Lage des Falles förderliche Tätigkeit und keine völlig unsinnige Verrichtung gewesen ist, die einen, wenn auch geringen, wirtschaftlichen Wert hatte, ist schon deshalb offenkundig, weil erst hierdurch das Fahrzeug des Beigeladenen fortbewegt werden konnte. Die Hilfeleistung der Klägerin war des Weiteren dazu bestimmt, einem fremden Unternehmen zu dienen, nämlich der Ermöglichung der Weiterfahrt des Fahrzeugs des Beigeladenen. Die daneben bestehenden weiteren Beweggründe und Handlungstendenzen sind nicht entscheidungserheblich. Soweit die Beklagte insoweit auf die Entscheidung des BSG vom 05.07.2005 (B 2 U 22/04 R) verwiesen und geltend gemacht hat, der Versicherungsschutz sei dort abgelehnt worden, wenn die Tätigkeit in Wirklichkeit wesentlich eigene Angelegenheiten ausführt, hat sie die entsprechende Passage des genannten Urteils nur unvollständig zitiert. Ein Versicherungsschutz wird dort nämlich nur für den Fall ausgeschlossen, dass eine Person mit einem Verhalten wesentlich allein eigene Angelegenheiten verfolgt (juris Rdnr. 13). Dies ist vorliegend nicht ersichtlich.

Auch war die Tätigkeit nicht wegen des geringen Umfangs eine reine unversicherte Handlangertätigkeit. Es genügt, dass die verrichtete Tätigkeit einen, wenn auch noch so geringen, wirtschaftlichen Wert hat (Kruschinsky a. a. O.) und als förderlich anzusehende Tätigkeit einzuschätzen ist. Da bei der Beurteilung maßgeblich auf das beabsichtigte Gesamtvorhaben - hier Flottmachen des Fahrzeugs des Beigeladenen - abzustellen ist, ist es rechtsunerheblich, welchen Wert die einzelne unfallbringende Handreichung - hier das Zur-Verfügung-Stellen der Gummimatte - hatte und welche Zeitdauer damit verbunden war (Kruschinsky, a.a.O., Rndr. 816, 817). Völlig geringfügige Tätigkeiten sind aus dem Versicherungsschutz nur dann auszuscheiden, wenn eine Wertung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass es sich zum Beispiel um eine auch nach ihrem Umfang und ihrer Art dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zuzurechnende Gefälligkeitsleistung beispielsweise im Rahmen eines Nachbarschaftsverhältnisses handelt (Kruschinsky, a.a.O., Rndr. 847, 858, 862). Anhaltspunkte für eine solche Beziehung zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen bestehen vorliegend nicht. Nach alledem stellt sich die Sachlage vorliegend so dar, dass das Zur Verfügung Stellen der Gummimatte notwendige Voraussetzung für das Flottmachen des Fahrzeugs des Beigeladenen und damit für ihn von wirtschaftlichem Wert war. Eine völlig geringfügige nicht dem Unfallversicherungsschutz unterfallende Gefälligkeitsleistung liegt damit nicht vor. Deshalb kann vorliegend offen bleiben, ob die Hilfeleistung der Klägerin sich darin erschöpfte, die Gummimatte aus ihrem Fahrzeug zu holen und zur Pannenhilfe zur Verfügung zu stellen, oder ob sie selbst die Gummimatte hinter den Hinterreifen des Fahrzeugs des Beigeladenen legte und dieses Fahrzeug auch noch anschob.

Da somit das Zur-Verfügung-Stellen der Gummimatte unter Versicherungsschutz stand, war auch der Rückweg zum eigenen Fahrzeug, bei dem es zum Sturz der Klägerin kam, versichert. Ob die Klägerin dabei die Gummimatte in der Hand hatte oder nicht, ist ohne rechtlichen Belang. Selbst wenn auch ihrem Fahrzeug mittels Benutzung der Gummimatte das Anfahren ermöglicht worden sein sollte, so ist auch von dem dies bestätigenden Zeugen L. nicht bezeugt worden, dass die Klägerin beim Zurücklaufen zu ihrem Fahrzeug eine diesbezügliche Kenntnis oder gar Motivation hatte.

Da die Beklagte gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII für Personen zuständig ist, die wie Beschäftigte für nicht gewerbstätige Halter von Fahrzeugen tätig werden, und gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII für nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII versicherte Personen, kommt der Frage eines Vorrangverhältnisses keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.

Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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