S 14 KR 373/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 373/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2011 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin mit einer myoelektrischen Unterarmprothese mit I-Limb-Puls-Hand zu versorgen.

2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Unterarmprothese mit "I-Limb-Puls-Hand" rechts.

Bei der 1958 geborenen Klägerin besteht eine angeborene Fehlbildung des rechten Armes. Ihr fehlt die rechte Hand und es besteht lediglich ein Unterarmstumpf. Im Alter von 12 Jahren wurde die Klägerin erstmals mit einer myoelektrischen Armprothese versorgt, die über Elektroden an der Innenseite des Schaftes Muskelbewegungen erkennt und in Steuerungsimpulse umsetzt. Derzeit ist die Klägerin mit einer myoelektrischen Armprothese mit DMC-Hand (DMC: Dynamic Mode Control) und einer Schmuckprothese versorgt.

Die Klägerin war in Teilzeit im Bürgeramt der Stadt ZP. angestellt, dort für längere Zeit zur Pflege der zwischenzeitlich verstorbenen Mutter beurlaubt worden, und schied zum 1.11.2011 aus dem Arbeitsleben aus.

Am 4.10.2010 wurde der Klägerin von ihrem Hausarzt eine myoelektrische Unterarmprothese "I-Limb" für die rechte Hand verschrieben. Unter Vorlage dieser Verschreibung stellte die Klägerin, die bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert ist, am 25.10.2010 einen Antrag auf Versorgung mit dem ihr verschriebenen Hilfsmittel. Mit dem Antrag vorgelegt wurden zwei Kostenvoranschläge von Orthopädietechnik-Händlern, die eine Versorgung mit der I-Limp-Prothese zum Preis von 29.249,96 EUR bzw. 33.415,58 EUR anboten.

Am 13.12.2010 lehnte die Beklagte die beantragte Versorgung telefonisch und mit Bescheid vom 21.12.2010 schriftlich gegenüber der Klägerin und gegenüber dem Orthopädiehaus XY Orthopädietechnik ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Rentenversicherungsträger vorrangig zuständig sei, weil die Prothese vorrangig am Arbeitsplatz genutzt werden solle. Eine DMC-Prothesenhand oder ein vergleichbares Modell sei zweckmäßig und ausreichend.

In ihrem am 28.12.2010 eingelegten Widerspruch trug die Klägerin vor, es habe noch überhaupt keine medizinische Sachverhaltsermittlung stattgefunden. Es bestehe ein Anspruch auf Kostenübernahme, weil im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs durch Hilfsmittel eine Optimalversorgung geschuldet sei.

Hierauf holte die Beklagte ein Gutachten des MDK ein. Der Arzt für Orthopädie-Rheumatologe, Physikalische und rehabilitative Medizin, Sozialmedizin Dr. F sowie der Orthopädie-Mechaniker-Meister Q kamen nach körperlicher Untersuchung der Klägerin am 6.4.2011 in ihrem Gutachten vom 21.3.2011 [sic], freigegeben am 12.4.2011, zu dem Ergebnis, dass sich die Notwendigkeit einer Versorgung mit der I-Limb Hand sozialmedizinisch nicht begründen lasse.

Die Klägerin sei derzeit mit einer myoelektrischen Armprothese versorgt, die defekt sei und ausgetauscht werden müsse. Eine Reparatur sei nicht mehr wirtschaftlich ausführbar. Daher werde die Neuanfertigung einer myoelektrischen Armprothese empfohlen. Die von der Klägerin aufgeführten Gebrauchsvorteile der I-Limb-Hand, wie die Bedienung des PCs am Arbeitsplatz oder die Durchführung der Pflege der Mutter, begründeten nicht die Ausstattung mit einer solchen Prothesenhand. Bereiche der beruflichen Tätigkeit fielen nicht mehr in den Leistungsbereich der GKV. Zudem seien myoelektrisch gesteuerte Prothesenhände grundsätzlich nicht zum Ergreifen von Menschen oder Tieren ausgelegt. Die mögliche Verletzungsgefahr sei zu hoch. Daher lasse sich die hier beantragte I-Limb-Hand auch nicht zur Pflege der Mutter oder zur Betreuung der Enkelin einsetzen. Um die von der Klägerin gewünschte Verbesserung der Greiffunktion zu erreichen, müsse nicht zwangsläufig eine I-Limb-Hand zur Anwendung kommen. Vom Hersteller XY werde zum Beispiel eine sogenannte Sensorhand angeboten, bei der sich die Greifkraft durch den Nutzer regulieren lasse. Das Ergreifen von empfindlichen oder schweren Gegenständen sei damit deutlich besser möglich als mit der derzeitigen Versorgung. Im Gegensatz zur hier beantragten I-Limb-Hand sei die Anschaffung einer Sensorhand um ein Vielfaches kostengünstiger und werde für die Klägerin eine ausreichende zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung im Rahmen der GKV Leistungen darstellen. Es werde die Neuanfertigung einer myoelektrischen Armprothese mit Verwendung einer Sensorspeed-Hand empfohlen. Eine sozialmedizinisch begründbare Notwendigkeit der Bereitstellung einer I-Limb-Hand bestehe nicht.

Hierauf wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK mit Widerspruchsbescheid vom 19.7.2011 zurück. In dem Widerspruchsbescheid heißt es außerdem, dass die Beklagte ein Vergleichsangebot kalkuliert habe. Danach könne die Beklagte die Versorgung der Klägerin mit einer Unterarmprothese inklusive Speed-Hand und Zubehör in Höhe bis maximal 12.059,78 EUR übernehmen.

Mit ihrer am 22.7.2011 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor, sie habe Anspruch auf die streitgegenständliche Versorgung gemäß §§ 27, 33 SGB V. Soweit die Wiederherstellung einer Körperfunktion durch ein Hilfsmittel betroffen sei, handele sich bis nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts um sogenannten unmittelbaren Behinderungsausgleich. Der Leistungsanspruch des Versicherten beziehe sich hierbei auf eine Wiederherstellung der Körperfunktion im Sinne eines Gleichziehens mit einem gesunden Menschen. Bei der streitgegenständlichen Hand handele es sich um eine Armprothese, welche die Klägerin in die Lage versetzen solle, eine Greifbewegung zu vollführen. Dies sei eine körperliche Grundfunktion, die von der Beklagten zu ersetzen sei. Die Rechtsauffassung der Beklagten, andere Kostenträger seien zuständig, verfange in zweierlei Hinsicht nicht. Erstens: Leite der zuerst angegangene Kostenträger im Falle eines Rehabilitationsanspruchs eines behinderten Menschen einen Antrag nicht binnen zwei Wochen weiter, so bleibe er zuständig. Das gelte sogar dann, wenn materiell-rechtlich der Leistungsanspruch gegenüber einem anderen Kostenträger bestehen würde, § 14 SGB IX. Die Beklagte bleibe insoweit jedenfalls zuständig. Zweitens: Bei Rehabilitationshilfsmitteln handele es sich um Hilfsmittel die, die ausschließlich und nur für bestimmte berufliche Tätigkeiten benutzt würden. Es sei also unerheblich, ob ein Hilfsmittel, welches der medizinischen Rehabilitation diene (Wiederherstellung der körperlichen Grundfunktion) am Arbeitsplatz ausgenutzt werde. Die Beklagte bleibe zuständiger Kostenträger.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer myoelektrischen Unterarmprothese mit I Limb-Puls-Hand zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, dass die Versorgung mit einer I-Limb-Hand sich sozialmedizinisch nicht begründen lassen lasse. Die Klägerin werde mit einer myoelektrischen Armprothese mit Verwendung einer Sensorspeed-Hand ausreichend versorgt.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Hausarztes Dr. D. und des Orthopäden Dr. E ... Mit Beweisanordnung vom 12.7.2012 wurde ein orthopädisches Gutachten bei Dr. A. in Auftrag gegeben, das dieser am 19.12.2012 nach Untersuchung der Klägerin am 4.12.2012 erstattet hat. Der Sachverständige kommt darin zu der Einschätzung, dass die I-Limb-Hand Vorteile im automatischen Nachgreifen in der Griffkraft und in der Handnutzung habe. Allerdings erfordere das Erlernen der Griffmuster ein zeitintensives Training. Im Ergebnis sieht Dr. A. keine sozialmedizinisch begründbare Notwendigkeit zur Bereitstellung einer I-Limb-Hand unter Würdigung des individuellen Falles.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 21.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.7.2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Gemäß § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 die Versorgung mit Hilfsmitteln. Nach § 33 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Einer Handprothese, also auch die I-Limb-Hand, ist weder ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens noch ist sie nach § 34 Abs. 4 SGB V durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit ausgeschlossen.

Nach § 33 Abs. 1 S. 4 SGB V umfasst der Anspruch auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Im vorliegenden Fall geht es um eine Ersatzbeschaffung für die unstreitig defekte und zu ersetzende myoelektrische Hand der Klägerin.

Die Leistungsablehnung der Beklagten ist rechtswidrig, weil die beantragte I-Limb-Hand zum Behinderungsausgleich erforderlich ist. Dieser in § 33 Abs. 1 S 1 SGB V als 3. Variante genannte und hier allein in Betracht kommende Zweck eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels hat nach der Rechtsprechung des BSG (zuletzt Urteil vom 21.3.2013, B 3 KR 3/12 R, juris Rn. 12 ff. m.w.N.) zweierlei Bedeutung.

Im Vordergrund einer Hilfsmittelversorgung steht zumeist der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis. Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist. Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (vgl. § 33 Abs. 1 S. 5 SGB V und § 31 Abs. 3 SGB IX).

Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog. mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Rahmen ist die GKV allerdings nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig. Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums.

Dem Gegenstand nach besteht für den unmittelbaren ebenso wie für den mittelbaren Behinderungsausgleich ein Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch ein Anspruch auf Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist; andernfalls sind die Mehrkosten gemäß § 33 Abs 1 S 5 SGB V (ebenso § 31 Abs 3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Die Krankenkassen haben auch nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken.

Das Greifen gehört zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Der Antrag auf Versorgung mit einer myoelektrischen Armprothese mit I-Limb-Hand betrifft einen unmittelbaren Behinderungsausgleich hinsichtlich der bei der Klägerin ausgefallenen Körperfunktion "Greifen mit der rechten Hand". Der Sachverständige Dr. A. kommt in seinem Gutachten zu der Einschätzung, die von der Klägerin beantragte I Limb-Hand erlaube es, durch verschiedene Griffmuster mehrere Griffe durchzuführen. Der Daumen sei bei dieser Prothese manuell frei positionierbar und die Finger 2-5 könnten umschließend greifen, so dass diese Hand filigrane Aktivitäten unterstütze. Das Erlernen der Griffmuster erfordere ein zeitintensives Training. Die Sensor-Speed-Hand zeichne sich durch eine sehr hohe Griffkraft und eine proportionale Steuerbarkeit (langsames Öffnen, schnelles Öffnen) aus. Die Muster seien eher einfach. Es werde ein Dreipunktgriff mit den Fingern 1-3, die Finger 4-5 seien passiv, möglich. Ein Sender in der Hand könne die Griffkraft steuern und damit das Verrutschen eines Gegenstandes in der Hand minimieren. Die Hand sei eher robust, aber auch einfach in der Steuerung. Die myoelektrische I-Limb-Hand verfüge im direkten Vergleich über Vorteile im automatischen Nachgreifen, in der Griffkraft und insgesamt in der Handnutzung.

Nach diesen Feststellungen des Sachverständigen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass das beantragte Hilfsmittel über nicht unwesentliche Gebrauchsvorteile gegenüber dem von der Beklagten angebotenen Hilfsmittel verfügt. Da bei dem unmittelbaren Behinderungsausgleich das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts gilt, kann die Klägerin nicht auf ein Hilfsmittel verwiesen werden, dass die Greiffunktion weniger der Greiffunktion eines nicht behinderten Menschen angleicht als ein beantragtes Hilfsmittel.

Die weiteren Ausführungen des Sachverständigen, dass "bei der zwischenzeitlich durch Berufsaufgabe nicht mehr durchgeführten Pflege der zwischenzeitlich verstorbenen Mutter der Klägerin" vermutlich ein ausreichender Trainingserfolg nicht sicher anzunehmen sei und der Klägerin filigrane Aktivitäten auch nicht zwingend abverlangt würden, verkennen den Prüfungsmaßstab, wie er vom Bundessozialgericht zum unmittelbaren Behinderungsausgleich formuliert wurde.

Ob die Klägerin an einem PC-Arbeitsplatz arbeitet, ob sie, wie vor dem Versterben der Mutter, Pflegetätigkeiten ausführt, ob sie in mehr oder weniger großem Umfang ihre Enkel betreut, hat mit der Frage eines Anspruchs auf eine Hilfsmittelversorgung im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs nach dem SGB V nichts zu tun. Ausschließlich berufliche und arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile sind für die Hilfsmittelversorgung nach dem SGB V grundsätzlich unbeachtlich (BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, juris Rn. 17). Vorliegend geht es um eine möglichst weitgehende Angleichung der Greiffunktion der Klägerin an das normale Greifen eines nichtbehinderten Menschen im Alltag. Nach den Feststellungen des Sachverständigen hat das beantragte Hilfsmittel wegen der Möglichkeit, Gegenstände zu umgreifen, wesentliche Gebrauchsvorteile für die Klägerin. Die Vorteile des Hilfsmittels beschränken sich nicht etwa auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik. Zwar hatte die Klägerin Dr. A. gegenüber angegeben, dass sie überwiegend bzw. häufiger die Schmuckprothese trage. Auch stellte der Sachverständige fest, dass die I Limb-Hand am Anwender natürlicher aussehe (wohl im Vergleich zu der vorhandenen myoelektrischen Armprothese). Jedoch beschränken sich die Vorteile der I-Limb-Hand eben nicht hierauf.

Es liegt auch kein Fall vor, in dem der Antragsteller, der zum Zwecke des unmittelbaren Behinderungsausgleichs schon mit einem voll funktionsfähigen Hilfsmittel versorgt ist, nun ein dem gleichen Zweck dienendes, aber technisch verbessertes oder aufwändiger ausgestattetes Hilfsmittel beansprucht (dazu BSG, Urteil vom 21.3.2013, B 3 KR 3/12 R, juris Rn. 21 ff. – Sportprothese zusätzlich zur normalen Lauf- und Badeprothese). Die Klägerin ist derzeit nur mit nicht mehr funktionstüchtigen Hilfsmitteln (defekte myoelektrische Armprothese und Schmuckprothese mit gebrochenen Fingern) versorgt, so dass sie für die Ersatzbeschaffung einen Anspruch auf das Hilfsmittel hat, dass die Greiffunktion am besten der Greiffunktion des nichtbehinderten Menschen angleicht.

Der Aussage des Sachverständigen Dr, A., es stehe dahin, ob ein guter Trainingserfolg und eine umfängliche Nutzung der I-Limb-Hand überhaupt zu erreichen wäre, kann die Kammer nichts für die Entscheidung Erhebliches entnehmen. Zwar heißt es im Gutachten des MDK vom 21.3.2011 (Freigabe am 12.4.2011), die vorhandene Armprothese zeige kaum Abnutzungsspuren. Hieraus kann aber für die Versorgung mit einer I-Limb-Hand nicht geschlossen werden, die Klägerin werde den Gebrauch mangels Trainingseinsatzes nicht erlernen und die Prothese letztlich nicht nutzen. Denn zum einen stellte der MDK fest, dass die derzeit vorhandene myoelektrische Prothese nur noch grenzwertig passgerecht und defekt sei, so dass sie schon aus diesem Gründen von der Klägerin wohl wenig benutzt und die Schmuckprothese vorgezogen wurde. Zum anderen haben sich für die Kammer keine Anhaltspunkte ergeben, dass die Klägerin aufgrund ihrer Persönlichkeit, ihre Alters oder wegen gesundheitlicher Einschränkungen nicht in der Lage wäre, den Gebrauch einer I-Limb-Hand zu trainieren.

Wegen des nicht unwesentlichen Gebrauchsvorteils im Alltagsleben des beantragten gegenüber dem von der Beklagten angebotenen Hilfsmittel kommt es nach den Maßstäben des Bundessozialgerichts zum unmittelbaren Behinderungsausgleich nicht darauf an, dass das beantragte Hilfsmittel teurer ist. Die Ausführungen des Sachverständigen hierzu gehen fehl. Denn die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (vgl. § 33 Abs. 1 S. 5 SGB V und § 31 Abs. 3 SGB IX). Mangels Gleichwertigkeit der beantragten und der angebotenen Versorgung ist die I-Limb-Hand, wenn auch teurer, so doch nicht unwirtschaftlich.

Über einen möglichen Anspruch nach dem SGB VI, für den die Beklagte mangels Weiterleitung des Antrags nach § 14 SGB IX selbst zuständig geworden wäre, hat diese nicht entschieden. Dies ist vorliegend unschädlich, da ein Anspruch nach dem SGB V zu bejahen ist und die Klägerin nicht ausschließlich berufliche und arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile der I-Limb-Hand geltend macht, so dass ein Anspruch gegen den insoweit hier allein in Betracht kommenden Leistungsträger gesetzliche Rentenversicherung ausscheidet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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