L 11 EG 2375/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 EG 1590/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 EG 2375/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.07.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die teilweise Aufhebung einer Bewilligung von Elterngeld.

Die 1982 geborene, verheiratete Klägerin ist Mutter der 2010 geborenen M. (im Folgenden: M). Vor der Geburt erzielte die Klägerin im Zeitraum 01.06.2009 bis 31.05.2010 aus nichtselbstständiger Tätigkeit Einkommen iHv 29.456,71 EUR brutto, nach Abzug von Steuern, Sozialversicherung und Werbungskosten monatlich 1.471,72 EUR. Ab 02.06.2010 erhielt die Klägerin Mutterschaftsgeld nebst Arbeitgeberzuschuss.

Am 10.08.2010 beantragte die Klägerin Elterngeld für den 3. bis 12. Lebensmonat von M (06.09.2010 bis 05.07.2011). Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 24.08.2010 zunächst Elterngeld für den 3. Lebensmonat iHv 887,45 EUR und für den 4. bis 12. Lebensmonat iHv 986,05 EUR monatlich.

Mit weiterem Bescheid vom 24.01.2011 hob die Beklagte die Bewilligung gestützt auf § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) teilweise auf ab dem 8. Lebensmonat (ab 06.02.2011) und senkte die monatliche Leistung auf 956,62 EUR ab. Aufgrund einer Änderung des § 2 Abs 2 Satz 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) müsse der Elterngeldanspruch geändert werden. Elterngeld werde grundsätzlich iHv 67% des maßgeblichen Erwerbseinkommens gezahlt. Sei das maßgeblich Einkommen vor Geburt des Kindes höher als 1.200 EUR, werde der Bemessungssatz nunmehr verringert auf bis zu 65%. Aufgrund des vorgeburtlichen Einkommens von 1.471,72 EUR betrage die Ersatzrate hier 65%.

Den Widerspruch der Klägerin vom 08.02.2011 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2011 zurück. Die Änderung des BEEG zum 01.01.2011 stelle eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse iSv § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X dar, weswegen die bisherige Bewilligung für die Zukunft anzupassen gewesen sei. Für die Vergangenheit bleibe es bei den bewilligten Beträgen.

Hiergegen richtet sich die am 15.03.2011 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Die Absenkung der Bemessungsgröße von 67% auf 65% sei nicht wesentlich. Es gelte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Hierbei sei zu beachten, dass der überwiegende Zeit der Bezugsdauer bereits verstrichen gewesen sei. Die Beklagte sei nicht befugt, bei jeder wesentlichen Änderung eine Totalrevision des ursprünglichen Verwaltungsakts durchzuführen. Die Änderung, auch wenn sie wesentlich sein sollte, müsse von gewisser Dauer sein. Dies sei angesichts der bereits verstrichenen Leistungsmonate nicht der Fall. Eine Rückwirkung habe der Gesetzgeber nicht angeordnet, so dass sich insgesamt der gesetzgeberische Wille erkennen lasse, bereits bestandskräftig entschiedene Fälle keiner Änderung zu unterwerfen.

Mit Urteil vom 18.07.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht die Bewilligung des Elterngelds ab dem 06.02.2011 teilweise aufgehoben und die monatlichen Leistungen um 29,43 EUR herabgesetzt, da in den rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die Gesetzesänderung erfasse auch laufende Fälle und nicht nur Elterngeldansprüche, die im Zusammenhang mit Geburten ab 01.01.2011 entstünden. Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht liege hierin nicht.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 23.07.2012 zugestellte Urteil richtet sich die vom SG zugelassene und am 09.08.2012 eingelegte Berufung der Klägerin. Mit Beschluss vom 30.08.2012 ist das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. Am 28.05.2014 hat die Klägerin das Verfahren wieder angerufen. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 04.09.2013 (B 10 EG 6/12 R) entschieden habe, dass vorliegend eine zulässige unechte Rückwirkung vorliege, werde das zwar zu akzeptieren sein. Es liege jedoch ein gewichtiger Unterschied zu dem vom BSG entschiedenen Fall vor, denn dort sei eine teilweise Aufhebung des Ausgangsbescheids für die Vergangenheit erfolgt, hier sei der Bescheid vom 24.08.2010 gerade nicht teilweise aufgehoben worden. Gerade in Fällen der unechten Rückwirkung sei jedoch bereits in formaler Hinsicht die teilweise Aufhebung des Ausgangsbescheids zwingende Voraussetzung. Es lasse sich nicht erkennen, wann, wo und wie hier eine teilweise Aufhebung für die Vergangenheit stattgefunden haben solle.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.07.2012 und den Änderungsbescheid der Beklagten vom 24.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.02.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Begründung für die Weiterführung der Berufung erschließe sich ihr nicht. Sowohl in dem vom BSG entschiedenen Fall als auch bei der Klägerin sei das ursprünglich bewilligte Elterngeld gemäß § 48 SGB X für die Zukunft reduziert worden. Der Änderungsbescheid vom 24.01.2011 widerlege die klägerische Auffassung eindeutig, in diesem Bescheid sei das Elterngeld ab dem 8. Lebensmonat von 986,05 EUR auf 956,62 EUR reduziert und somit in dieser Höhe aufgehoben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

Die gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist aufgrund der Zulassung der Berufung durch das SG nach §§ 143, 144 Abs 3 SGG statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin wendet sich mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) gegen die teilweise Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung (Bescheid vom 24.08.2010) in Höhe von monatlich 986,05 EUR für den Zeitraum 06.02. bis 05.07.2011 auf nunmehr 956,62 EUR. Der angefochtene Bescheid vom 24.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.02.2011 ist jedoch rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Recht die frühere Bewilligung teilweise mit Wirkung ab 06.02.2011 aufgehoben.

In formeller Hinsicht ist der angefochtene Verwaltungsakt nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zwar vor Erlass des Bescheids vom 24.01.2011 die erforderliche Anhörung der Klägerin nicht durchgeführt (§ 24 Abs 1 SGB X), dies ist nach § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X jedoch unbeachtlich, weil die Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden ist.

Rechtsgrundlage für die mit Bescheid vom 24.01.2011 erfolgte teilweise Aufhebung des Elterngeldanspruchs ab 06.02.2011 ist § 48 SGB X. Nach Abs 1 Satz 1 der Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Bewilligungsbescheid vom 24.08.2010 stellt einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar, denn er erschöpft sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage, sondern begründet einen Anspruch auf Elterngeld für einen mehrmonatigen Bezugszeitraum mit monatlichen Auszahlungen (vgl BSG 04.09.2013, B 10 EG 11/12 R, juris). Durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 (HBeglG 2011 vom 09.12.2010, BGBl I 1885) ist in den rechtlichen Verhältnissen, die bei der Bewilligung mit Bescheid vom 24.08.2010 noch vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten.

Der Anspruch der Klägerin auf Elterngeld richtet sich nach den am 01.01.2007 in Kraft getretenen Vorschriften des BEEG (Gesetz vom 05.12.2006, BGBl I 2748). Nach § 1 Abs 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Nr 1), mit seinem Kind in einem Haushalt lebt (Nr 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr 4). Die Klägerin hatte im hier streitigen Bezugszeitraum vom 06.02. bis 05.07.2011 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, lebte mit der am 06.07.2010 geborenen M in einem Haushalt, betreute und erzog sie; sie übte während des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit von mehr als 30 Stunden aus (§ 1 Abs 6 BEEG).

Die hier allein streitige Höhe des Elterngeldes richtete sich zunächst nach § 2 BEEG idF vom 28.03.2009 (BGBl I 634). Nach Abs 1 der Vorschrift wird Elterngeld iHv 67% des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Unter Berücksichtigung dieser Vorschrift hat die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 24.08.2010 auch für den hier streitigen Zeitraum 06.02. bis 05.07.2011 zunächst monatlich 986,05 EUR bewilligt.

§ 2 Abs 2 BEEG ist durch Art 14 Nr 2 Buchst b HBeglG 2011 mit Wirkung zum 01.01.2011 folgender Satz 2 angefügt worden: In den Fällen, in denen das durchschnittlich erzielte monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höher als 1.200 EUR war, sinkt der Prozentsatz von 67% um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die das maßgebliche Einkommen den Betrag von 1.200 EUR überschreitet, auf bis zu 65%.

Diese Rechtsänderung ist zum 01.01.2011 in Kraft getreten und damit nach dem Erlass des Bescheids vom 24.08.2010. Sie ist für den Anspruch der Klägerin auch wesentlich, da angesichts des vorgeburtlichen Einkommens von monatlich 1.471,72 EUR der Bemessungssatz von 65% maßgeblich ist. Nach den nunmehr vorliegenden Rechtsverhältnissen hätte der Bewilligungsbescheid vom 24.08.2010 der Höhe nach nicht mehr ergehen dürfen (vgl BSG 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, SozR 4-7837 § 2 Nr 24).

§ 2 Abs 2 Satz 2 BEEG nF ist auch auf laufende Leistungsfälle anzuwenden. Eine Übergangsregelung enthält das HBeglG 2011 nicht. Die im Gesetzgebungsverfahren vom Bundesrat favorisierte Stichtagsregelung abhängig von dem Geburtstag des Kindes (BR-Drucks 532/10 S 6f) wurde von der Bundesregierung unter Hinweis auf Haushaltserfordernisse und die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Neuverschuldung abgelehnt (BT-Drucks 17/3361 S 4) und ist nicht Gesetz geworden. Die Frage des zeitlichen Anwendungsbereiches der Neuregelungen war damit Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens und ist in der Weise beantwortet worden, dass die Gesetzesänderung ab ihrem Inkrafttreten auch laufende Leistungsfälle erfassen solle (BSG 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R und B 10 EG 11/12 R aaO). Auch der Gesetzeszweck, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, spricht für eine Anwendung auf laufende Leistungsfälle. In der Gesetzesbegründung wurde ausdrücklich ausgeführt, dass insoweit der Bereich der Familienleistungen nicht ausgespart werden könne, um das Sparziel zu erreichen (BT-Drucks 17/3030 S 27 und S 47).

Die Voraussetzungen für eine teilweise Aufhebung der Elterngeldbewilligung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X sind damit erfüllt. Angesichts des Erlasses des Aufhebungsbescheids im Januar 2011 tritt die Zukunftswirkung erst mit dem Beginn des Lebensmonats des Kindes ein, der auf die Bekanntgabe der Aufhebungsentscheidung folgt. Der Vortrag der Klägerin, es fehle hier an einer Aufhebungsentscheidung ist nicht nachvollziehbar, denn eine teilweise Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung ist mit Bescheid vom 24.01.2011 unzweifelhaft erfolgt und zwar mit Wirkung für die Zukunft. Sofern die Klägerin der Auffassung sein sollte, eine Aufhebung könne hier nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit vorliegen, entspricht dies nicht der gesetzlichen Regelung in § 48 SGB X. Die Änderung mit Wirkung für die Zukunft ist in § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X zwingend vorgesehen in Fällen wesentlicher Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse. Der vom BSG entschiedene Fall (B 10 EG 6/12 R) betraf eine völlig parallele Fallkonstellation ebenfalls mit einer teilweisen Aufhebung für die Zukunft.

Die Änderung des Bemessungssatzes für Elterngeld auch für laufende Leistungsfälle verstößt nicht gegen die rechtsstaatlichen Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (Art 20 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 GG) und auch nicht gegen Grundrechte der Klägerin insbesondere aus Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG oder Art 14 Abs 1 GG. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BSG an (04.09.2013, B 10 EG 6/12 R und B 10 EG 11/12 R, aaO; vgl auch Senatsurteil vom 18.03.2014, L 11 EG 1512/12).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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