L 4 AS 444/14 BER

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 29 AS 3447/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 444/14 BER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II erfasst auch EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht; also insbesondere solche, die keine Arbeit haben und auch nicht aktiv danach suchen.

2. Europarechtlich bestehen keine Bedenken gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, soweit EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht betroffen sind. Das ist mit der EuGH-Entscheidung vom 11.11.2014 (C-333/13 „Dano“) nunmehr geklärt. Der Senat gibt insoweit seine bisherige Rechtsprechung einer Folgenabwägung auf.

3. Nicht zu entscheiden war über die europarechtliche Vereinbarkeit von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II hinsichtlich solcher EU-Bürger, die ein materielles Aufenthaltsrecht aufgrund Arbeitssuche besitzen.

4. Als britischer Staatsbürger genießt der Antragsteller die Rechte aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen. Hinsichtlich von Ansprüchen nach dem SGB II hat die Bundesrepublik hier einen Vorbehalt erklärt; das schließt mögliche Leistungsansprüchen nach dem SGB XII allerdings nicht aus.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 7. November 2014 eingelegte Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 2014 ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

In der Sache bleibt die Beschwerde ohne Erfolg. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, auch dem Antragsteller zu 1), der b. Staatsangehöriger ist, vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren. Zwar dürfte er die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen. Er ist jedoch nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergeben kann. Insbesondere ist er nicht als niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) anzusehen (dazu 1.). Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II setzt nicht voraus, dass der betreffende EU-Bürger sich tatsächlich und aktiv auf Arbeitssuche in Deutschland befindet (dazu 2.). Die Regelung des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II steht – jedenfalls hinsichtlich der EU-Bürger, die wie hier keine relevante wirtschaftliche Betätigung in Deutschland entfalten und sich auch nicht zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union (dazu 3.). Auch aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (vom 11.12.1953 – EFA –) kann der Antragsteller zu 1) keine Leistungsansprüche nach dem SGB II herleiten, da die Bundesrepublik insoweit einen Vorbehalt erklärt hat (dazu 4.). Es verbleibt aber die Möglichkeit, Leistungsansprüche nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bzw. nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geltend zu machen (5.).

1. Der Antragsteller zu 1) kann kein anderes Aufenthaltsrecht als den Aufenthalt zur Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU in Anspruch nehmen. Insbesondere das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU dürfte dem Antragsteller zu 1) nicht zustehen, da er nach dem bisherigen Sachstand in diesem Eilverfahren nicht als niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Insoweit ist darauf abzustellen, ob er eine unter die europarechtliche Niederlassungsfreiheit (Art. 49 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV –) fallende Tätigkeit ausübt.

Auf die Niederlassungsfreiheit kann sich berufen, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit ausübt (EuGH, Urteil vom 25.07.1991 – C-221/89). Maßgeblich ist die Möglichkeit, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen (EuGH, Urteil vom 11.3.2010 – C-384/08). Die Teilnahme am Wirtschaftsleben wiederum impliziert eine ernstzunehmende Gewinnerzielungsabsicht, die sich in einer Umsetzung des verfolgten Ziels nach außen erkennbar manifestieren muss. Insoweit kann zwar keine Tätigkeit mit einem bestimmten, an innerstaatlichen Vorschriften zu bemessenden Mindesteinkommen verlangt werden, jedoch muss es sich um eine Tätigkeit mit relevantem ökonomischem Effekt handeln. Eine nur untergeordnete oder unwesentliche wirtschaftliche Betätigung genügt deshalb nicht, wenngleich auch nicht zu verlangen sein dürfte, dass die Einkünfte so hoch sein müssen, dass sie allein für den Lebensunterhalt auskömmlich sind (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3.11.1995 – 18 B 815/94; OVG Bremen, Beschluss vom 21.6.2010 – 1 B 137/10; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 3.8.2012 – L 11 AS 39/12 B ER; Hailbronner, AuslR, Stand April 2013, § 2 FreizügG Rn. 50, 52).

Die von dem Antragsteller zu 1) dargelegte Tätigkeit als Tontechniker, die er nach Einreise im Februar 2014 erst im September 2014 aufgenommen haben will, genügt diesen an eine niedergelassene selbständige Erwerbstätigkeit zu stellenden Anforderungen nicht, da sie bei summarischer Prüfung im Hinblick auf den zeitlichen Arbeitseinsatz und die Höhe des Einkommens lediglich als untergeordnet und unwesentlich einzustufen ist. Der Antragsteller zu 1) hat seit September 2014 nach seinem Vorbringen höchstens einen Tag pro Monat als Tontechniker gearbeitet und dabei nur etwa die Hälfte des Regelbedarfs verdient. Nach den vorgelegten Rechnungen und Quittungen für Barzahlungen hat der Antragsteller zu 1) im Monat September lediglich acht Stunden gearbeitet und hierfür Bruttoeinnahmen von 200 Euro erhalten. Im Monat Oktober war er ausweislich der vorgelegten Rechnung sogar nur vier Stunden für 100 Euro tätig, wobei diese Rechnung nicht einmal als eindeutiger Beleg für eine Erwerbstätigkeit zu werten ist, weil sie an seine Lebensgefährtin gerichtet ist und auch keine Quittung für eine erfolgte Barzahlung beigefügt wurde. Für den Monat November ergibt sich aus einer Rechnung mit entsprechender Quittung nur eine acht Stunden dauernde Tätigkeit mit einer Entlohnung in Höhe von 200 Euro.

Im Übrigen erfordert eine der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit unterfallende selbständige Tätigkeit auch die Errichtung einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit (vgl. EuGH, Urteil vom 25.7.1991, a.a.O.). Erforderlich ist eine organisatorisch verfestigte Existenz, z.B. durch Anmietung eines Raumes oder anderweitiger organisatorischer Strukturen, mittels derer dauerhaft entgeltliche Leistungen erbracht werden können (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2.7.2012 – L 19 AS 1071/12 B ER; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.4.2000 – 11 S 1387/99; Hailbronner, a.a.O., § 2 FreizügG, Rn. 52 m.w.N.). Zu einer solchen Einrichtung haben die Antragsteller nichts vorgetragen, und nach der Art der Tätigkeit besteht auch der Eindruck, dass sich der Antragsteller zu 1) nur sporadisch als Tontechniker betätigt und dazu keine Räumlichkeiten und Gerätschaften vorhält, sondern die Einrichtungen seiner Auftraggeber nutzt, und dass er sich auch kein Büro als Geschäftssitz eingerichtet hat.

2. Der Antragsteller zu 1) dürfte sich zwar nicht tatsächlich und aktiv auf Arbeitssuche in Deutschland befinden (dazu a.). Gleichwohl unterfällt er dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (dazu b.).

a. Die Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II knüpft an das Freizügigkeitsgesetz/EU an. In § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU ist ein Aufenthaltsrecht für Unionsbürger zur Arbeitssuche vorgesehen. Voraussetzung für den Status als Arbeitssuchender ist, dass der betreffende Arbeitslose auch tatsächlich eine Arbeit in Deutschland sucht und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung steht, um innerhalb eines angemessenen Zeitraumes eine Beschäftigung zu finden (vgl. EuGH, Urteil vom 7.7.2005 – C 383/03 und vom 23.1.1997 – C-171/95; OVG Hamburg, Beschluss vom 14.12.2005 – 3 Bs 79/05). Der Arbeitsuchende muss alles Erforderliche unternehmen, um eine Erwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu erlangen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.6.2012 – L 19 AS 845/12 B, vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 20.8.2012 – 3 B 202/12; Hailbronner, a.a.O., § 2 FreizügG Rn. 45).

Derartige Aktivitäten zur Arbeitssuche hat der Antragsteller zu 1) bisher nicht entfaltet. Im Gegenteil hat er in seinem Leistungsantrag vom 14. Mai 2014 angegeben, dass Anlass für seinen Aufenthalt in Deutschland das Zusammenleben mit seiner Freundin, der Antragstellerin zu 2), sei. Zunächst wolle er Deutsch lernen und Erfahrungen mit Portfolios, Songs und Bands sammeln. Zwar hat er in dem Leistungsantrag auch seinen Willen bekundet, sich später als Soundtechniker selbständig zu machen. Über die seit September 2014 begonnene unwesentliche Tätigkeit als Tontechniker hinaus hat er diese Absicht aber nicht durch messbare Aktivitäten umgesetzt. Weder hat er vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass er konkrete Maßnahmen ergriffen hat, um weitere Auftraggeber zu akquirieren und so auf Sicht eine stabile und kontinuierliche Selbständigkeit zu erreichen. Auch auf offene Arbeitsstellen hat er sich nach dem bisherigen Kenntnisstand nicht beworben. Im Grunde ist nicht einmal erkennbar, dass er eine Stelle als Arbeitnehmer in Deutschland anstrebt.

b. Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 6.10.2014 – L 4 AS 307/14 B ER) gilt die Regelung zum Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht nur in den Fällen, in denen ein Antragsteller tatsächlich und aktiv Arbeit sucht. Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gilt vielmehr auch in allen Fällen, in denen kein materielles Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU festgestellt werden kann. Es erscheint nämlich sinnwidrig, wenn EU-Bürger, die kein anderes Aufenthaltsrecht geltend machen können, gerade dann Leistungen nach dem SGB II sollen beziehen können, wenn sie eine Arbeitssuche nicht einmal beginnen, sie ihre ursprüngliche Absicht, Arbeit zu suchen, aufgeben oder sich ihre Arbeitssuche als gescheitert herausstellt. Zudem dürfte es sich aus der Sicht des nationalen Rechts um einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) handeln, wenn der EU-Bürger, der sich lediglich formal erlaubt im Bundesgebiet aufhält, leistungsrechtlich besser gestellt würde als derjenige, der ein materielles Aufenthaltsrecht besitzt (so z.B. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.7.2014 – L 15 AS 202/14 B ER). Eine bevorzugte Behandlung dieser erwerbsfähigen Unionsbürger, die keine tatsächliche und aktive Arbeitssuche betreiben, würde schließlich mit der in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II festgelegten Pflicht kollidieren, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen, und könnte sogar zu einem bewussten Verstoß gegen diese Pflicht anhalten. Es verhält sich auch nicht so, dass Art. 18 i.V.m. Art. 20 Abs. 2, 21 AEUV und eine hiermit vereinbare Auslegung von Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG einer erweiternden Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf ein nur formal bestehendes Aufenthaltsrecht wirtschaftlich inaktiver Unionsbürger entgegensteht (so aber LSG Hessen, Beschluss vom 6.6.2014 – L 6 AS 130/14 B ER). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13) ist nunmehr geklärt, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 18 Abs. 1 AEUV eine Konkretisierung erfährt durch Art. 24 der Richtlinie 2004/28 und durch Art. 4 der Verordnung 883/2004. Weiter ist geklärt, dass die von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung 883/2004 erfassten "besonderen beitragsunabhängigen Leistungen" – dazu zählen die Leistungen nach dem SGB II – unter den Begriff der Sozialhilfe im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 fallen. Nach dem mithin maßgeblichen Art. 24 der Richtlinie 2004/38 ist für den Mitgliedstaat die Gleichbehandlung wirtschaftlich inaktiver Unionsbürger, die kein materielles Aufenthaltsrecht geltend machen können, mit eigenen Staatsangehörigen jedoch nicht geboten. Zwar greift insoweit nicht die Ausnahmevorschrift des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 (EuGH, a.a.O., Rn. 65 f. des Urteilsabdrucks) – offenbar, weil sie eine tatsächliche Arbeitssuche voraussetzt. Allerdings stehen bereits Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 sowie Art. 4 der Verordnung 883/2004 der Versagung von Sozialleistungen nicht entgegen, weil der Aufenthalt dieser Unionsbürger von vornherein nicht die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38 erfüllt. Denn Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 setzt das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel voraus (EuGH, a.a.O., Rn. 67 ff., 73 des Urteilsabdrucks). Nach Art. 4 der Verordnung 883/2004 ergibt sich nichts anderes, weil nach dieser Vorschrift eine Leistungsgewährung von den Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38 für ein Aufenthaltsrecht abhängig gemacht werden darf (EuGH, a.a.O., Rn. 83 des Urteilsabdrucks).

3. Aufgrund des oben genannten Urteils des Europäischen Gerichtshofs sieht der Senat die Frage der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II jedenfalls insoweit als geklärt an, als es – wie hier – um Unionsbürger geht, die kein materielles Aufenthaltsrecht geltend machen können, also insbesondere nicht tatsächlich und aktiv Arbeit suchen. Insofern wird die bisherige Rechtsprechung des Senats (seit Beschluss vom 8.1.2014 – L 4 AS 374/13 B ER; zuletzt Beschluss vom 6.10.2014, a.a.O.), nach der wegen einer unsicheren Rechtslage eine Folgenabwägung anzustellen sei, insoweit nicht fortgeführt.

4. Der Ausschlusstatbestand in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wird im vorliegenden Fall auch nicht durch Art. 1 EFA – zu dessen Unterzeichnerstaaten sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch das Vereinigte Königreich gehören – verdrängt. Zwar hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 19. Oktober 2010 (B 14 AS 23/10) entschieden, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf Staatsangehörige von Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens keine Anwendung findet, da sich nach Art. 1 EFA jeder der Vertragschließenden verpflichtet hat, den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Die Bundesrepublik Deutschland hat jedoch am 19. Dezember 2011 einen Vorbehalt zum EFA notifiziert, wonach ihre Regierung keine Verpflichtung übernimmt, die im SGB II in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden (so die Übersetzung des Vorbehalts in der Bekanntmachung zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 31. Januar 2012, BGBl. II, 144). Der Senat kann sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugen, dass dieser Vorbehalt – wie dies verschiedentlich in der Rechtsprechung (vgl. etwa die Nachweise bei LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2.10.2012 – L 19 AS 1393/12 B ER, L 19 AS 1394/12) vertreten wird – unwirksam wäre (dazu bereits Senatsbeschluss vom 14.1.2013 – L 4 AS 332/12 B ER mit eingehender Begründung; ebenso BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R).

5. Dem Antragsteller zu 1) bleibt unbenommen, einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII oder ggf. nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bei dem örtlich zuständigen Bezirksamt der Freien und Hansestadt Hamburg zu stellen. Aufgrund des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II dürfte nämlich potentiell der Anwendungsbereich des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch eröffnet sein (Senatsbeschluss vom 14.1.2013, a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 – L 8 SO 129/14 B ER; wohl auch BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013, a.a.O., juris Rn. 23).

Der Senat (a.a.O.) hat insoweit bereits ausgeführt: "Ein Anspruch gegen die Beigeladene scheitert auch nicht etwa an § 21 Satz 1 SGB XII, wonach Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten. Hierbei braucht der Senat nicht zu untersuchen, ob die Antragstellerin tatsächlich erwerbsfähig im Sinne der Vorschrift (und somit i.S.d. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II) ist. Vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffene Ausländer sind nämlich nicht nach § 21 Satz 1 SGB XII von Ansprüchen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2.10.2012, a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.7.2012, L 9 AS 563/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.6.2012, L 14 AS 933/12 B ER; Eicher, in: jurisPK-SGB XII, 2011, § 21 Rn. 27; vgl. auch Groth, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Udsching, Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 21 SGB XII Rn. 3). § 21 Satz 1 SGB XII ist nicht dergestalt auszulegen, dass sich die Sicherung des Lebensunterhalts Erwerbsfähiger stets nach dem SGB II richtete. Gegen eine solche Auslegung spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift, der nicht allein das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit genügen lässt, sondern ausdrücklich einen dem Grunde nach bestehenden Anspruch nach dem SGB II verlangt (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; zur Funktion von § 21 Satz 1 SGB XII bei Anspruchseinschränkungen der Höhe nach vgl. Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl. 2012, § 21 Rn. 5). Im Rahmen der erforderlichen funktionsdifferenten Auslegung danach, welchem System der Gesetzgeber bestimmte Personengruppen zuweisen wollte (hierzu Eicher, a.a.O., Rn. 20), zeigt sich, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Lebensunterhalt der vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Ausländer durchaus den Vorschriften des SGB XII unterfallen kann. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass der Gesetzgeber in Gestalt von § 23 SGB XII eine eigene Regelung zur Eingrenzung von Ansprüchen dieser Personengruppe geschaffen hat, derer es andernfalls nicht bedurfte hätte. Auch dass § 23 Abs. 3 Satz 1 zweite Alternative SGB XII hierbei gezielt Ausländer anspricht, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, legt zumindest nahe, dass deren bestehende Erwerbsfähigkeit einem Anspruch nach § 27 SGB XII nicht entgegensteht.

Einem Anspruch der Antragstellerin auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII steht auch nicht § 23 Abs. 3 Satz 1 zweite Alternative SGB XII entgegen, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben. Dieser Ausschlusstatbestand findet im vorliegenden Fall wegen Art. 1 EFA, der auch für das Sozialhilferecht gilt (BVerwG, Urteil vom 18.5.2000, 5 C 29/98, BVerwGE 111, 200), keine Anwendung (ausführlich LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Die aus der Zeit vor Notifikation des Vorbehalts durch die Bundesregierung am 19. Dezember 2011 herrührende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (BSG, a.a.O.) ist insoweit übertragbar. Die Bundesrepublik Deutschland hat auch keinen entgegenstehenden Vorbehalt im Sinne von Art. 16 Buchstabe b Satz 2 EFA erklärt. Sie hat am 19. Dezember 2011 Mitteilung vom SGB XII als Rechtsvorschrift im Sinne von Art. 16 Buchstabe b Satz 1 EFA gemacht und zugleich erklärt, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland übernehme keine Verpflichtung, die im SGB XII in der jeweils geltenden Fassung vorgesehene Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden, ohne jedoch auszuschließen, dass auch diese Hilfen in geeigneten Fällen gewährt würden (so die Übersetzung in der Bekanntmachung zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 31. Januar 2012, BGBl. II, 144). Der Vorbehalt beschränkt sich demnach auf Leistungen nach dem Achten Kapitel des SGB XII und lässt Ansprüche nach dem Dritten Kapitel unberührt (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.)."

Bei einem entsprechenden Antrag wird allerdings der Frage nachzugehen sein, ob sich der Antragsteller zu 1) im Sinne des EFA erlaubt im Bundesgebiet aufhält und zudem, ob einer Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt Unterhaltsansprüche des Antragstellers zu 1) gegen seine Mutter, die ihn gegenwärtig finanziell unterstützt, oder gegebenenfalls auch gegen seinen Vater nach britischem Recht entgegenstehen (vgl. § 19 Abs. 1 SGB XII).

Von einer auch im Eilverfahren möglichen Beiladung des Bezirksamtes als Träger der Sozialhilfe (§ 75 Abs. 2 SGG) hat der Senat abgesehen, da eine Beiladung absehbar zu keiner Beschleunigung einer Entscheidung über das Leistungsbegehren des Antragstellers zu 1) führen würde.

6. Soweit die Antragstellerin zu 2) die Gewährung der vollen Kosten der Unterkunft und Heizung – ohne Kürzung um den auf den Antragsteller zu 1) entfallenden Anteil an diesen Kosten – verlangt, hat das Sozialgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden, dass hierauf kein Anspruch nach § 22 SGB II besteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher gem. § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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