S 11 KR 209/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 KR 209/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 20/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung höheren Krankengeldes für den Zeitraum vom 01.12.2009 bis 15.06.2010 unter Zugrundelegung des Monats November 2009 als Entgeltabrechnungszeitraum streitig.

Die bei der Beklagten versicherte Klägerin war ab 26.11.2009 arbeitsunfähig erkrankt und erhielt ab 01.12.2009 Krankengeld von der Beklagten. Nach Beiziehung einer Verdienst-bescheinigung vom Arbeitgeber der Klägerin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 30.12.2009 Krankengeld ab 26.11.2009 in Höhe von kalendertäglich 44,66 EUR netto. Das für die Klägerin errechnete Brutto-Krankengeld betrage kalendertäglich 51,14 EUR. Dabei hatte die Beklagte den Monat Oktober 2009 als Entgeltabrechnungszeitraum (Bemessungszeitraum) für die Berechnung des Krankengeldes herangezogen. Der Bescheid enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Hiergegen wandte sich die Klägerin per mail am 12.01.2010 und vertrat die Auffassung, dass zur Krankengeldberechnung als Entgeltabrechnungszeitraum (Bemessungszeitraum) der Monat November 2009 mit dem höheren Arbeitsentgelt heranzuziehen sei. Der Monat November 2009 sei nach Rücksprache mit dem Arbeitgeber als kompletter Monat bereits am 15.11.2009 abgerechnet worden. Mit Widerspruchsschreiben vom 09.03.2010 (bei der Beklagten am 11.03.2010 eingegangen) trug die Klägerin vor, sie sei am 30.11.2009 aus der Firma ausgeschieden, ihr Arbeitgeber habe die Gehaltsabrechnungen immer zum 15. eines Monats vorgenommen. Die Beklagte habe die Oktober-Abrechnung hergenommen, das sei nicht die letzte, sondern die vorletzte Abrechnung. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Der Monat November 2009 sei am 15.11.2009 komplett vom 01.11.2009 bis 30.11.2009 abgerechnet worden und umfasse damit nicht mindestens vier Wochen. Der Bemessungszeitraum November 2009 ende am 30.11.2009 und damit nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 26.11.2009. Entsprechend sei der letzte abgerechnete und abgelaufene Bemessungszeitraum von mindestens vier Wochen der Monat Oktober 2009, der von der Beklagten für die Krankengeldberechnung herangezogen worden sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 02.06.2010 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Da sie am 15.11.2009 bereits ihren Verdienst für den gesamten Monat November 2009 erhalten habe, müsse sich das Krankengeld daraus errechnen. Ihr Verdienst sei in diesem Monat höher gewesen, da sie in die Lohnsteuerklasse III gewechselt sei. Demzufolge hätte auch das Krankengeld höher sein müssen. Der maßgebliche Zeitpunkt sei der Zeitpunkt der Abrechnung vom 15.11.2009. Am 15.11.2009 sei die Abrechnung für den gesamten Monat November erfolgt. Dementsprechend liege der abgerechnete Zeitraum auch vor dem Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 30.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2010 bei der Berechnung des Krankengeldes im Zeitraum vom 01.12.2009 bis 15.06.2010 als Entgeltabrechnungszeitraum den Monat November 2009 zugrunde zu legen und dementsprechend höheres Krankengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Bei einem Arbeitsentgelt, das nach Monaten bemessen werde, sehe § 47 Abs. 2 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor, dass der Bemessungszeitraum der Kalen-dermonat sei, der vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgelaufen und abgerechnet sei. Der letzte abgerechnete Kalendermonat bleibe auch dann maßgeblich, wenn sich danach oder noch vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit die Entgeltverhältnisse geändert hätten. Da der Monat November 2009 vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 26.11.2009 noch nicht abgelaufen gewesen sei, könne dieser somit auch nicht Bemessungsgrundlage für die Höhe des Krankengeldes sein.

Das Gericht hat die Akte der Beklagten sowie die Akte des SG mit dem Az. S 11 KR 369/10 ER beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig (§§ 54, 57, 78, 87 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Zwar ist die Klage nicht wegen Versäumung der Widerspruchsfrist gemäß § 84 SGG unbegründet: Der Bescheid vom 30.12.2009 enthielt nämlich keine Rechtsbehelfsbelehrung, so dass die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG gilt und die Einlegung des Widerspruchs am 11.03.2010 nicht verfristet war (die Einlegung des Widerspruchs per mail am 12.01.2010 genügt nicht den Formerfordernissen, eine landesrechtliche Regelung ist insoweit nicht existent; s. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 84 Rn. 3). Überdies hat die Beklagte den Widerspruch im Widerspruchsbescheid vom 27.05.2010 nicht als unzulässig behandelt, sondern sachlich verbeschieden; daher wäre eine eventuelle Fristversäumnis geheilt (Leitherer, a. a. O., § 84 Rn. 7).

Die Klage ist jedoch unbegründet, weil die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 30.12.2010 bei der Berechnung des Krankengeldes für den Zeitraum vom 01.12.2009 bis 15.06.2010 als Entgeltabrechnungszeitraum zu Recht nicht den Monat November 2009, sondern den Monat Oktober 2009 zugrunde gelegt hat. Die angefochtenen Bescheide vom 30.12.2009 und 25.05.2010 sind daher rechtlich nicht zu beanstanden und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 1 SGG.

Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V beträgt das Krankengeld 70 v. H. des erzielten regel-mäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung un-terliegt (Regelentgelt). Das Regelentgelt wird u. a. nach § 47 Abs. 2 SGB V berechnet (§ 47 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist für die Berechnung des Regelentgelts das von dem Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit ab-gerechneten Entgeltzeitraum, mindestens das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderte Arbeitsentgelt durch die Zahl der Stunden zu teilen, für die es gezahlt wurde. Ist das Arbeitsentgelt – wie im vorliegenden Fall – nach Monaten bemessen oder ist eine Berechnung des Regelentgelts nach den Sätzen 1 und 2 nicht möglich, gilt der dreißigste Teil des im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Kalendermonat erzielten und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderten Arbeitsentgelts als Regelentgelt, Satz 3.

Entsprechend dem eindeutigen und insoweit nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V geht das Gericht – in Übereinstimmung mit der ständigen Recht-sprechung des Bundessozialgerichts (s. BSG, Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 26/11 R; BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 1 KR 5/06 R) – davon aus, dass für die Krankengeldbe-rechnung nur der letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegende und abgerechnete, mindestens vier Wochen umfassende Entgeltabrechnungszeitraum maßgeblich ist. Der zugrunde zu legende Bemessungszeitraum im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V muss somit vor dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegen. Hierbei kommt es nicht auf den Tag der Entgeltzahlung für den Bemessungszeitraum bzw. den Tag der Abrechnung an, sondern auf das tatsächliche Ende des Bemessungszeitraums. Maßgeblich ist somit der letzte abgerechnete und abgelaufene Bemessungszeitraum von mindestens vier Wochen vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit, d. h. im vorliegenden Fall der Monat Oktober 2009, der von der Beklagten als Entgeltabrechnungszeitraum für die Krankengeldberechnung zu Recht herangezogen wurde. Vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 26.11.2009 um-fasste der Entgeltabrechnungszeitraum für den Monat November 2009 nicht mindestens vier Wochen. Somit war der letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgelaufene und ab-gerechnete Kalendermonat, d. h. der Monat Oktober 2009, als der letzte abgerechnete Entgeltzeitraum zugrunde zu legen.

Insoweit verkennt die Klägerin, dass der Tag der Abrechnung am 15.11.2009 nicht der abgerechnete Zeitraum vor der Arbeitsunfähigkeit ist. Eine Auslegung des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V im Sinne der klägerischen Auffassung kommt nicht in Betracht, weil der Begriff "Entgeltabrechnungszeitraum" nicht im Sinne von "Abrechnung" bzw. "Abrech-nungszeitpunkt" auslegungsfähig ist. Die Voraussetzung "mindestens vier Wochen" ist gerade nicht in dem Sinne interpretierbar, dass auch ein Entgeltabrechnungszeitraum von weniger als vier Wochen zugrunde gelegt werden könnte.

Schließlich ist auch eine erweiternde Auslegung des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V im Wege einer Analogie aufgrund einer planwidrigen Regelungslücke nicht in dem Sinne zulässig, dass auch die Fälle von § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V erfasst werden, in denen zwar vor Arbeitsunfähigkeit Arbeitsentgelt abgerechnet wurde, der Entgeltabrechnungszeitraum vor Arbeitsunfähigkeit jedoch nicht mindestens vier Wochen umfasst und sich in diesem Zeitraum das Entgelt verändert hat. Ein aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ableitbarer Wertungswiderspruch, der eine Gleichbehandlung der unterschiedlichen Fallkonstellationen erfordert, ist nicht zu erkennen. Vielmehr ist die Tatbestandsvoraussetzung "mindestens das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und abgerechnete Entgelt" weder willkürlich noch sachfremd. Mit dieser Tatbestandsvoraussetzung wird nämlich die gesetzgeberische Intention normiert, dass der Bezugszeitraum den Lebensstandard des Versicherten hinreichend repräsentiert und Zufallsergebnisse vermieden werden sollen (BSGE 36, 55 = SozR Nr. 59 zu § 182 RVO). Später eingetretene Entgeltveränderungen – wie bei der Klägerin aufgrund des Wechsels in die Lohnsteuerklasse III – bleiben, unabhängig davon, worauf sie beruhen, unberücksichtigt. Dies gilt sowohl zu Gunsten des Versicherten als auch zu seinen Ungunsten (s. Knittel in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung, Stand März 2012, § 47 Rn. 10). Die mit der Regelung des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V verbundene Typisierung und dadurch im Einzelfall evtl. eintretende Nachteile für den Versicherten durch eine später eingetretene Entgelterhöhung begründen keine erweiternde Auslegung der Vorschrift im Sinne einer Analogie, denn die Regelung beruht nach der gesetzgeberischen Intention nicht auf sachfremden Erwägungen. Hiergegen spricht auch, dass dem Krankengeld zwar eine Lohnersatzfunktion zukommt, maßgeblich jedoch nicht das Lohnausfallprinzip ist (d. h. das krankheitsbedingt tatsächlich ausgefallene Arbeitsentgelt), sondern eine Berechnung durch die gesetzlich angeordnete Bezugs- bzw. Referenzmethode, die sich aus dem zuvor (vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit) bezogenen Arbeitsentgelt ergibt. Mit der Anknüpfung an das im – mindestens vier Wochen dauernden – Bemessungszeitraum erzielte und abgerechnete Entgelt unterstellt das Gesetz zwingend, dass es das während der Arbeitsunfähigkeit entgangene Arbeitsentgelt verlässlich wiedergibt. Eine Verschiebung des Beginns des Bemessungszeitraums ist daher ausgeschlossen (s. auch Beschluss des SG vom 07.10.2010 im Verfahren S 11 KR 369/10 ER).

Somit scheidet schon nach Sinn und Zweck der Tatbestandsvoraussetzung eine erwei-ternde Auslegung des § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V im Sinne der klägerischen Auffassung aus.

Nach alledem sind die angefochtenen Bescheide rechtlich nicht zu beanstanden, so dass die Klage abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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