L 5 KA 28/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 328/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 KA 28/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens. 3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Neubescheidung ihrer Honorarabrechnung für das Quartal I/2005.

Sie ist Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und im Bezirk der Beklagten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie betreibt nach eigener Einschätzung eine sog. Versorgerpraxis und behandelt bei ungefähr 40 Prozent ihrer Patienten neurologische Erkrankungen, bei ungefähr 60 Prozent ihrer Patienten psychiatrische Erkrankungen. Psychotherapeutisch ist sie nach eigenen Angaben nur in geringem Umfang tätig.

Mit Bescheid vom 22. August 2005 setzte die Beklagte in Anwendung des Honorarverteilungsmaßstabes vom 14. Dezember 1995 in der Fassung vom 30. April 2004 ein Honorar von 38.050,90 für das Quartal I/2005 fest. Bei der Abrechnung zulasten von Ersatz- und Primärkassen brachte sie praxisbezogene Regelversorgungsvolumina von insgesamt 722.106,4 Punkten in Ansatz, was zu einer Kürzung der abzurechnenden Punkte auf 735.432,3 Punkte (gegenüber insoweit angeforderten 1.119.470 Punkten) führte.

Zur Begründung ihres am 25. August 2005 erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin aus, sie habe bei ständig sinkenden Umsätzen eine gleichbleibende Versorgung zu leisten. Zu Punktwertstützungen seien alle Arztgruppen gleichmäßig heranzuziehen. Die Ersatzkassen hätten zu Unrecht auch einen Beitrag zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung einbehalten, obwohl diese nicht zu Einsparungen im Tätigkeitsbereich der Klägerin geführt hätten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2006 zurück.

Mit ihrer am 10. April 2006 erhobenen Klage – erfasst unter dem Aktenzeichen S 3 KA 149/06 – hat die Klägerin die Neubescheidung ihrer Honorarabrechnungen für die Quartale III/2004, I/2005 und II/2005 begehrt, hilfsweise eine Verurteilung der Beklagten zu näher bezeichneten Auskünften. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, sie habe eine gleichbleibende Zahl von Patienten in gleichbleibender Weise zu versorgen und erhalte dafür ein ständig zurückgehendes Honorar. Allgemein trügen die Nervenärzte, die trotz steigender Fallzahlen rückläufige Honorare erwirtschafteten, infolge zunehmender Pauschalierung und Budgetierung inzwischen das Morbiditätsrisiko ihrer Patienten allein. Die Kontingentbildung sei bereits von Anfang an fehlerhaft erfolgt, nachdem der Bewertungsausschuss im Jahr 1997 von zu niedrigen Daten bei den Kostenansätzen für Nervenärzte ausgegangen sei. Weiterhin würden infolge der Punktwertstützung für die Psychotherapie gerade diejenigen Ärzte der insgesamt sehr inhomogenen Arztgruppe benachteiligt, die etwa Psychotiker und Demenzpatienten behandelten.

Das Sozialgericht hat die Klage betreffend das Quartal I/2005 vom Klageverfahren S 3 KA 149/06 abgetrennt, sie fortan unter dem Aktenzeichen S 3 KA 328/09 verhandelt und durch Urteil vom 24. November 2010 in Haupt- und Hilfsantrag abgewiesen: Im Hauptantrag sei die Klage zulässig, aber unbegründet. Der einschlägige Honorarverteilungsmaßstab sei mit höherrangigem Recht vereinbar gewesen. Zwar sei die vorgenommene Honorarverteilung nicht – wie gesetzlich vorgesehen – auf der Grundlage von Regelleistungsvolumina erfolgt, jedoch hätten sich die Verteilungsregelungen auf die Empfehlung des Bewertungsausschusses in Ziffer II seines Beschlusses vom 29. Oktober 2004 stützen können, wonach die seinerzeit gültigen Honorarverteilungsmaßstäbe bis zum 31. März 2005 weiter anzuwenden gewesen seien. Wenn das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 17. März 2010 (Az. B 6 KA 43/08 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 54) die vom Bewertungsausschuss beschlossene Übergangsregelung für die Quartale II/2005 bis einschließlich IV/2005 (Ziffer III Nr. 2.2 des Beschlusses vom 29. Oktober 2004) gebilligt habe, müsse dies auch für die Übergangsregelung in Ziffer II des Beschlusses gelten. Auch diese Übergangsregelung sei von der Gestaltungsfreiheit und dem Gestaltungsauftrag des Bewertungsausschusses (§ 85 Abs. 4a Satz 1 letzter Halbsatz, Abs. 4 Satz 6 bis 8 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)) gedeckt gewesen.

Der somit weiterhin anwendbare Honorarverteilungsmaßstab habe auch weder gegen das Gebot der Angemessenheit der Vergütung noch gegen das Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstoßen. Die Klägerin habe im Quartal I/2005 mit ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit einen Umsatz in Höhe von gut 160% des Durchschnitts ihrer Arztgruppe erwirtschaftet (37.326,96 Euro gegenüber 23.323,19 Euro) und damit immerhin 114% des durchschnittlichen Umsatzes aller Vertragsärzte in H. erreicht (37.326,96 Euro gegenüber 32.662,90 Euro). Es bestehe kein ausreichend konkreter Anhaltspunkt dafür, dass die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung im Bereich der Nervenärzte, Neurologen und Psychiater in H. ernsthaft gefährdet gewesen oder dass diese Arztgruppe unangemessen von Budgetierungsmaßnahmen betroffen worden sei. Unter dem Aspekt der Honorarverteilungsgerechtigkeit sei auch die Kontingentbildung nicht zu beanstanden. Die Bildung eines eigenen Honorartopfes für nicht psychotherapeutisch tätige Nervenärzte, Neurologen und Psychiater sei nicht geboten, zumal sich das Unterscheidungsmerkmal der Erbringung psychotherapeutischer Leistungen sowohl in mehreren Facharztgruppen als auch in der Gruppe der Hausärzte finde. Auch die – nicht nach dem arztindividuellem Gewinn differenzierende – Heranziehung zur Punktwertstützung zugunsten der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten und –psychotherapeuten verstoße nicht gegen den Grundsatz der Honorargerechtigkeit. Die Punktwertstützung habe sich gleichmäßig auf alle Fachärzte ausgewirkt. Nicht zu beanstanden seien auch die Auswirkungen von Einbehalt zugunsten der Anschubfinanzierung für eine integrierte Versorgung nach § 140d SGB V. Die Vorschrift differenziere gerade nicht danach, wer auf Seiten der Leistungserbringer an der integrierten Versorgung zu beteiligten sei. Im Hilfsantrag sei die Klage unzulässig, da sich die Klägerin mit ihrem Auskunftsbegehren nicht zunächst an die Beklagte gewandt habe; außerdem sei der Hilfsantrag nicht hinreichend bestimmt.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 8. März 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. April 2011 Berufung eingelegt. Sie führt aus, der Honorarbescheid und der zugrundeliegende Honorarverteilungsmaßstab hätten gegen höherrangiges Recht verstoßen. Das zuvor geltende Recht habe auch nicht etwa als Übergangsregelung Geltung beanspruchen können. Ziffer II des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004 stehe nicht in Einklang mit höherrangigem Recht, denn der Bewertungsausschuss sei nach § 85 Abs. 4a Satz 1 SGB V nicht dazu ermächtigt gewesen, das Gesetz außer Kraft zu setzen. Das Bundessozialgericht habe allein die Übergangsregelung zur allmählichen Anpassung in Ziffer III 2.2. des besagten Beschlusses gebilligt, in deren Rahmen sich der angefochtene Honorarbescheid aber nicht bewegt habe. Es verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, wenn der Bewertungsausschuss den Kassenärztlichen Vereinigungen die Befugnis einräume, die gesetzlichen Vorgaben für die Dauer von neun Monaten nicht umzusetzen.

Unabhängig davon habe die Honorarverteilung aber auch gegen anerkannte Grundsätze verstoßen: In der Ärztegruppe, der die Klägerin angehöre, unterfielen 90 Prozent der ärztlichen Leistungen der Budgetierung. Hauptsächlich versorgerisch tätige Praxen hätten keine Möglichkeit, hierdurch bedingte Honorarverluste durch andere Leistungen auszugleichen. Auch komme speziell bei diesen Ärzten der Umstand einer älter werdenden Gesellschaft besonders zum Tragen. Die Kontingentbildung sei ebenfalls fehlerhaft erfolgt. Die "neurologischen Kosten" seien von Anfang an (seit dem Jahr 1997) zu niedrig angesetzt worden. Außerdem sei eine einheitliche Kontingentbildung für die sehr inhomogene Arztgruppe, in der eine zweigipflige Verteilung der Praxen anzutreffen sei, unangemessen und führe im Ergebnis dazu, dass kleine Praxen auf Kosten von Versorgerpraxen weiter wachsen könnten. Von 202 Praxen des Fachgebiets rechneten 89 Praxen weniger als 200 Fälle im Quartal ab, so dass sich ein Abstellen auf den Durchschnitt verbiete. Zum Beweis der Tatsache, dass insbesondere fallzahlstarke Versorgerpraxen über die Jahre Honorareinbußen hätten erleiden müssen, die denen der klägerischen Praxis vergleichbar gewesen seien, sollten die Honorare der Praxen, die mehr als 450 "Scheine" im Quartal abrechneten, seit dem Quartal III/2000 ermittelt werden. Die Vergütung sei somit insgesamt nicht mehr angemessen, ohne dass dies mit einer sinkenden Gesamtvergütung zu erklären sei. Während die Gesamtvergütung gegenüber dem Jahr 2003 gestiegen sei, habe die Klägerin gegenüber dem Quartal I/2003 eine Honorareinbuße um 5 Prozent hinnehmen müssen. Dies decke sich mit der Entwicklung von Fallwerten und Fallzahlen der Nervenärzte. Dass kein finanzieller Anreiz für eine nervenärztliche, neurologische oder psychiatrische Tätigkeit mehr bestehe, zeige sich daran, dass die neu niedergelassenen Ärzte hauptsächlich psychotherapeutisch tätig würden. Ihrer diesbezüglichen Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht sei die Beklagte nicht nachgekommen, während die Klägerin keine Möglichkeit habe, einem Honorarverlust entgegenzuwirken.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. November 2010 sowie den Honorarbescheid der Beklagten vom 22. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihre Honorarabrechnung für das Quartal I/2005 unter Berücksichtigung der Rechtsaufassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

Der Senat hat am 5. November 2014 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und der Klägerin steht kein Anspruch auf Neubescheidung ihrer Honorarabrechnung für das Quartal I/2005 zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus der unzutreffenden Anwendung des seinerzeit gültigen Honorarverteilungsmaßstabes (I). Die Honorarverteilungsvereinbarung war auch nicht wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht nichtig (II) und der von der Klägerin angeführte Verstoß gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit lässt sich nicht feststellen (III).

I.) Dass die Beklagte zu Ungunsten der Klägerin vom seinerzeit einschlägigen Honorarverteilungsmaßstab abgewichen wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Einschlägig war insoweit der (noch in Satzungsform ergangene) Honorarverteilungsmaßstab vom 14. Dezember 1995 in der Fassung vom 30. April 2004, der kraft § 2 der (nunmehr in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages erfolgten) Honorarverteilungsvereinbarung vom 15. Dezember 2004 zur Anwendung kam.

II.) Der geltend gemachte Anspruch auf Neubescheidung ergibt sich auch nicht daraus, dass der im streitigen Quartal anzuwendende Honorarverteilungsmaßstab gegen höherrangiges Recht – hier: gegen die Vorgaben aus § 85 Abs. 4 SGB V in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung – verstoßen hat. Zwar lag ein solcher Verstoß vor, jedoch führte er nicht zur Nichtigkeit der Vereinbarung.

Die im Quartal I/2005 gültige Honorarverteilungsvereinbarung war ihrer Rechtsnatur nach ein öffentlich-rechtlicher Normsetzungsvertrag (vgl. allgemein zur Qualifikation von Honorarverteilungsvereinbarung: Clemens, in: Laufs, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl., 2010, § 34 Rn. 13). Zwar entstammten die einschlägigen Verteilungsmaßstäbe noch der in Satzungsform ergangenen Vorgängervorschrift, sie galten jedoch nur kraft ausdrücklicher Anordnung in dem bereits – wie gesetzlich vorgesehen – vereinbarten Honorarverteilungsmaßstab.

Die Honorarverteilungsvereinbarung vom 15. Dezember 2004 war nicht wegen eines Verstoßes gegen § 85 Abs. 4 SGB V nichtig. Nach § 58 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergibt. Da für die Honorarverteilungsvereinbarungen dieselben rechtlichen Maßstäbe zu gelten hatten wie für die in Satzungsform ergangenen Honorarverteilungsmaßstäbe, an deren Stelle besagte Vereinbarungen vorübergehend getreten waren, ergab sich der Prüfungsmaßstab insoweit aus § 134 BGB in Verbindung mit den einschlägigen Vorschriften des SGB V (vgl. Clemens, a.a.O., Rn. 15 f.). Der vor dem 1. August 2014 für das Vertragsarztrecht zuständige 1. Senat des Landessozialgerichts Hamburg hat bereits entschieden, dass der im Quartal I/2005 gültige Honorarverteilungsmaßstab nicht den gesetzlichen Vorgaben aus § 85 Abs. 4 Satz 7 und 8 SGB V entsprochen hat (LSG Hamburg, Urteil vom 26. Januar 2012, L 1 KA 22/09, veröffentlicht in www.sozialgerichtsbarkeit.de). Der erkennende Senat schließt sich diesem Ergebnis nach eigener Prüfung an.

Dennoch haben die Partner der Honorarverteilungsvereinbarung vom 15. Dezember 2004 nicht im Sinne von § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. Zwar genügt im Rahmen der Vorschrift, wenn der Tatbestand des Verbotsgesetzes objektiv erfüllt ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 25. März 1993 – IX ZR 192/92, BGHZ 122, 115), jedoch war es der Beklagten und den anderen Partnern der Honorarverteilungsvereinbarung bereits rein objektiv nicht möglich, in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben aus § 85 Abs. 4 Satz 7 und 8 SGB V zu handeln, da die hierfür zwingend erforderlichen Vorgaben des Bewertungsausschusses nicht vorlagen (im Ergebnis ähnlich für frühere Quartale: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2011, L 7 KA 6/07, juris, Rn. 25).Es fehlte mithin an einem Verbotsgesetz, denn ein solches betrifft Rechtsgeschäfte, die der Betroffene vornehmen kann, aber nicht vornehmen darf (Ellenberger in: Palandt, BGB, § 72. Aufl. 2013, § 134 Rn. 5). Die Beklagte konnte zum damaligen Zeitpunkt keine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Honorarverteilung vereinbaren.

Die Neufassung von § 85 Abs. 4 SGB V war seinerzeit zum 1. Januar 2004 in Kraft getre-ten. Eine Übergangsregelung, die auch das streitige Quartal erfasst hätte, sah das GKV-Modernisierungsgesetz (vom 14. November 2003, BGBl. I 2190) nicht vor. Es gab jedoch dem Bewertungsausschuss (§ 87 SGB V) durch Neufassung von § 84 Abs. 4a Satz 1 letzter Halbsatz SGB V auf, erstmalig bis zum 29. Februar 2004 den Inhalt der nach § 85 Abs. 4 Satz 4, 6, 7 und 8 SGB V zu treffenden Regelungen zu bestimmen. Der Bewertungsausschuss kam diesem Auftrag allerdings wegen der aus seiner Sicht erforderlichen Harmonisierung mit dem letztendlich am 1. April 2005 in Kraft getretenen Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) 2000plus zunächst nicht nach. Regelungen für die Bildung der gesetzlich vorgeschriebenen Regelleistungsvolumina enthielt erstmals sein Beschluss vom 29. Oktober 2004 (dort Ziffer III); in Ziffer II des Beschlusses empfahl der Bewertungsausschuss den Partnern der Honorarverteilungsverträge, die bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Honorarverteilungsverträge noch für die Zeit bis zum 31. März 2005 anzuwenden. Für die übrigen Quartale des Jahres 2005 beschloss der Bewertungsausschuss in Ziffer III 2.2. des genannten Beschlusses, dass Steuerungsinstrumente, die in einer Kassenärztlichen Vereinigung zum 31. März 2005 bereits vorhanden und die in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs. 4 SGB V vergleichbar waren, bis zum 31. Dezember 2005 fortgeführt werden konnten, wenn die Verbände der Krankenkassen auf Landesebene das Einvernehmen hiermit herstellen. Andernfalls (d.h. wenn kein Einvernehmen hergestellt wurde oder derartige Steuerungselemente nicht vorhanden waren) sah der Beschluss die Anwendung von Regelleistungsvolumina entsprechend seinen näheren Bestimmungen bereits mit Wirkung zum 1. April 2005 vor (a.a.O.).

Angesichts des geschilderten zeitlichen Ablaufs blieb somit der Beklagten und den übrigen Partnern der Honorarverteilungsverträge in der Zeit vor dem 1. April 2005 keine Möglichkeit, die gesetzlichen Vorgaben in § 85 Abs. 4 SGB V einzuhalten.

In der Zeit vor dem Beschluss des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004 waren die Partner der Honorarverteilungsverträge nicht in der Lage, Honorarverteilungsmaßstäbe zu vereinbaren, die den Anforderungen aus § 85 Abs. 4 Satz 4, 6, 7 und 8 SGB V entsprachen. Zwar hätten die Partner der Honorarverteilungsverträge auch ohne Vorliegen der in § 85 Abs. 4a Satz 1 letzter Halbsatz SGB V genannten Regelungen möglicherweise Vereinbarungen treffen können, die der (final konstruierten) Vorschrift des § 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V Rechnung getragen hätten. Wenn das Gesetz jedoch zugleich in § 85 Abs. 4a Satz 1 letzter Halbsatz SGB V dem Bewertungsausschuss die Aufgabe übertrug, "den Inhalt" der nach § 85 Abs. 4 Satz 4, 6, 7 und 8 SGB V zu treffenden Regelungen zu bestimmen, so entfaltete dies eine Sperrwirkung gegenüber den Partnern der einzelnen Honorarverteilungsverträge. Der Gesetzgeber hat genannten Kompetenzen deswegen dem Bewertungsausschuss übertragen, weil er sicherstellen wollte, dass die von der Selbstverwaltung der Ärzte und der Krankenkassen auf der Bundesebene und auf der Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen getroffenen Regelungen zur Honorarverteilung kompatibel waren (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 8. September 2003, BT-Drs. 15/1525 S. 101, zu Art. 1 Nr. 64 Buchstabe i Doppelbuchstabe aa).

Auch in der Zeit zwischen dem 29. Oktober 2004 (Beschluss des Bewertungsausschusses) und dem 1. April 2005 (Inkrafttreten des EBM 2000plus) konnten keine Honorarverteilungsverträge geschlossen werden, die den inhaltlichen Vorgaben des Beschlusses – ungeachtet seiner beiden Übergangsregelungen – hinreichend Rechnung getragen hätten, denn die Vorgaben, die der Bewertungsausschuss hinsichtlich des Inhalts der nach § 85 Abs. 4 Satz 4, 6, 7 und 8 SGB V zu treffenden Regelungen gemacht hat, nehmen ausdrücklich auf den seinerzeit noch nicht in Kraft befindlichen EBM 2000plus Bezug. War es somit den Partnern der Honorarverteilungsverträge nicht möglich, sich gesetzeskonform zu verhalten, so kommt es nicht mehr darauf an, ob die die im Beschluss des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004 enthaltene Empfehlung für die "erste Übergangsphase" (Quartale IV/2004 und I/2005) von der Ermächtigung des § 85 Abs. 4a Satz 1 letzter Halbsatz SGB V gedeckt war.

Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der angefochtene Honorarbescheid vom 22. August 2005 und somit aus der Zeit nach Bekanntmachung des Beschlusses vom 29. Oktober 2004 und nach Inkrafttreten des EBM 2000plus datiert. Einer "rückblickenden" Honorarfestsetzung unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Voraussetzungen für ein gesetzeskonformes Handeln steht der Zweck der Neuregelung entgegen. Die in § 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V zwingend vorgeschriebene Festlegung von Regelleistungsvolumina diente vor allem der Kalkulationssicherheit auf Seiten der Vertragsärzte, die (anhand der im EBM festgeschriebenen Punktzahl) Praxisumsatz und Praxiseinkommen abschätzen konnten (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 8. September 2003, BT-Drs. 15/1525 S. 101, zu Art. 1 Nr. 64 Buchstabe h Doppelbuchstabe cc). Dass ab der Obergrenze des Regelleistungsvolumens nur noch mit abgestaffelten Punktwerten vergütet werden sollte, trug der Kostendegression bei steigender Leistungsmenge Rechnung und sollte den ökonomischen Anreiz zur übermäßigen Mengenausweitung begrenzen (a.a.O.). Beide Gesichtspunkte – Kalkulationssicherheit und Verhaltenssteuerung – kommen jedoch bei einer rein rückblickenden Rechtsanwendung nicht zum Tragen. Vor Inkrafttreten des EBM 2000plus hatte der Vertragsarzt auch in Kenntnis des Beschlusses vom 29. Oktober 2004 keine hinreichende Kalkulationssicherheit, und auch ein Anreiz zu einer übermäßigen Leistungsausweitung lässt sich nicht für die Vergangenheit begrenzen.

III.) Die Klägerin dringt auch mit ihren weiteren Einwendungen gegen den Honorarverteilungsmaßstab nicht durch.

Soweit sie die Budgetierung durch ein – wie sie meint – unverhältnismäßiges Gebrauchmachen vom Instrument des praxisbezogenen Regelversorgungsvolumens rügt, hat der seinerzeit für das Vertragsarztrecht zuständige 1. Senat des Landessozialgerichts Hamburg bereits entschieden, dass das von der Beklagten gewählte Konzept mit höherrangigem Recht vereinbar und insbesondere auch verhältnismäßig ist (Urteile vom 29. September 2011 – L 1 KA 9/08, L 1 KA 10/08, L 1 KA 11/08, alle n.v.). Der nunmehr erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung nach eigener Prüfung an. Eine Honorarbegrenzung auf der Grundlage des eigenen früheren Leistungs- und Abrechnungsverhaltens stellt einen schonenderen Eingriff dar als pauschale Begrenzungen auf der Grundlage des Fachgruppendurchschnitts. Weiterhin ermöglicht sie eine individuell gerechte Berücksichtigung der Praxisstruktur und des Morbiditätsspektrums im Patientenklientel des jeweiligen Arztes und macht die Vergütung in einem Kernbereich der Tätigkeit kalkulierbar (ausführlich LSG Hamburg, Urteil vom 29. September 2011 – L 1 KA 9/08, n.v., unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 6 KA 54/02 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 5). Einen Anspruch auf Angleichung des Honorarniveau zwischen verschiedenen Arztgruppen gibt es nicht (LSG Hamburg, Urteil vom 26. Januar 2012 – L 1 KA 22/09, veröffentlicht in www.sozialgerichtsbarkeit.de). Etwas anderes kommt dann in Betracht, wenn das Honorar einer Arztgruppe aus Gründen eines nicht durch selbst verursachte Leistungsausweitungen herbeigeführten Punktwertverfalls gravierend unter das Niveau der anderen Arztgruppen absinkt (LSG Hamburg, Urteil vom 26. Januar 2012, a.a.O.). Hierfür ist indes nichts dargetan und nichts ersichtlich. Insbesondere vermag der Senat nicht zu erkennen, warum der Umstand, dass Versicherte im Durchschnitt ein höheres Lebensalter erreichen, gerade die Nervenärzte, Neurologen und Psychiater besonders stark betreffen solle.

Die Beklagte und die übrigen Partner der Honorarverteilungsvereinbarung waren auch nicht dazu verpflichtet, innerhalb der Gruppe der Nervenärzte, Neurologen und Psychiater weitere Untergruppen zu bilden. Im Rahmen des den Vertragspartnern zustehenden Gestaltungsspielraums (dazu BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004 – B 6 KA 44/03 R, BSGE 94, 50) erscheint eine Kontingentbildung, die sich am Zulassungsstatus orientiert, sachgerecht. Für eine Verpflichtung zur Bildung weiterer Untergruppen ist nichts erkennbar. Gegen eine Unterscheidung anhand des Begriffs der sogenannten Versorgerpraxis spricht bereits, dass es sich hierbei – anders als bei der Zulassung – nicht um einen auf den ersten Blick feststellbaren rechtlichen Status handelt (vgl. bereits LSG Hamburg, Urteil vom 26. Januar 2012 – L KA 22/09, veröffentlicht in www.sozialgerichtsbarkeit.de), so dass ein Abstellen auf diese Eigenschaft von vornherein die Gefahr von Abgrenzungsschwierigkeiten und Rechtsunsicherheit in sich trüge. Ebenso wenig waren die Vertragspartner zu der von der Klägerin letztlich geforderten Bildung von Untergruppen anhand von Fallzahlen verpflichtet. Auch wenn der Senat den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin als zutreffend unterstellt, sieht er sich jedenfalls durch den Gestaltungsspielraum der Vertragspartner daran gehindert, diesen (und sei es inzident) eine Ausgleichsmaßnahme vorzuschreiben, die ihrerseits mit dem Verdacht einer willkürlichen Grenzziehung behaftet wäre. Aus diesem Grund war auch dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht nachzugehen. Schon aus der Umstellung der die Grenze darstellenden Fallzahl innerhalb kürzester Zeit während der Verhandlung wird die Beliebigkeit des von ihr für richtig gehaltenen Wertes ersichtlich. Auch handelt es sich um einen Ausforschungsantrag "ins Blaue hinein" für eine letztlich unerhebliche Tatsache. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Rechtsauffassung des zuvor für das Vertragsarztrecht zuständigen 1. Senats an, wonach Honorarverteilungsregelungen nicht danach differenzieren müssen, ob zugelassene Ärzte das ihnen durch die Zulassung eröffnete Leistungsspektrum ausschöpfen (LSG Hamburg, Urteil vom 26. Januar 2012, a.a.O.).

Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang weiter darauf beruft, bei Einführung der sogenannten Praxisbudgets (im Jahr 1997) seien die Kostensätze für Neurologen und Nervenärzte mit neurologischem Schwerpunkt zu niedrig angesetzt worden, betrifft dieser Punkt nicht die Bildung von Kontingenten im Sinne von fachgruppenbezogenen Honorartöpfen, sondern die Bewertung der Leistungen im System des EBM. Die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung veranlassten Datenerhebungen (ausführliche Darstellung bei Sächsisches LSG, Urteil vom 23. Februar 2011 – L 1 KA 30/09, juris, Rn. 51) führten im Ergebnis dazu, dass der hierfür zuständige Bewertungsausschuss eine Reihe bestimmter Leistungen im EBM 2000plus für die Zeit ab 2008 höher bewertete. Zu einer rückwirkenden Änderung der Bewertung war er nicht verpflichtet (BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 6 KA 24/11 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 70, Rn. 39), so dass sich auch diese Rüge der Klage nicht zum Erfolg verhelfen kann.

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es bestehe trotz steigender Gesamtvergütungen kein finanzieller Anreiz für eine nervenärztliche, neurologische oder psychiatrische Tätigkeit mehr. Der Ausgleich zwischen dem Ziel einer Gewährung angemessener Vergütungen einerseits und dem besonders hochrangigen Ziel der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Versicherten ist andererseits erst dann nicht mehr verhältnismäßig realisiert, wenn in einem fachlichen und/oder örtlichen Teilbereich kein ausreichender finanzieller Anreiz mehr für eine vertragsärztliche Tätigkeit besteht und deswegen die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung gefährdet ist (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004, B 6 KA 44/03 R, BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr. 2, Rn. 129, 140). Anhaltspunkte hierfür liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung. Die Revision hat der Senat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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