L 5 KR 1785/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4542/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1785/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.03.2012 geändert. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27.09.2010 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens tragen der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte.

Der Streitwert wird endgültig auf 801.991,78 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 801.991,78 EUR (einschließlich Säumniszuschlägen von 324.247,50 EUR)

Der Kläger ist Diplomingenieur und war nach Ermittlungen des Hauptzollamtes L. ausweislich des Schlussberichtes vom 28.04.2006 über ein Ermittlungsverfahren wegen banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern u.a. in den Jahren 2003 und 2004 der Geschäftsführer der Firma D. & G. I., S. v. T. Ltd., B.-B., einer Zweigniederlassung der DAG D. & G. I. Ltd. in A ... Er hat für die genannte Firma als Hauptverantwortlicher einen Werkvertrag über Stahlbetonarbeiten mit einem Auftragsvolumen von 1,4 Mio Euro für ein Bauprojekt der ARGE Tunnel H. geschlossen und die Ausführung der Arbeiten überwacht. Für diese Arbeiten beschäftigte der Kläger 37 türkische Arbeitskräfte auf der Grundlage einer Arbeitnehmerentsendung. In gleicher Weise hatte der Kläger Bauarbeiten in E.-D- am NBS K.-R.-M. Tunnelarbeiten mit der Vorgängerfirma M. P. I. v. P. A.S., I. ausgeführt. Diese Firma war zum 31.07.2002 abgemeldet worden. Bei einem Auftragsvolumen von 6,12 Mio DM hatte der Kläger als verantwortlich Handelnder für die Firma M. P. 47 Werkvertragsarbeitnehmer in der Zeit von August 1999 bis November 2000 beschäftigt. Aufgrund des Verdachts, die Voraussetzungen der Entsendung jeweils nur vorgetäuscht zu haben (Verschleierung der Arbeitgebereigenschaft durch lediglich formelle Gründung einer ausländischen Firma ohne nennenswerte Geschäftstätigkeit) wurde gegen den Kläger und weitere Beschuldigte ermittelt. Am 14.03.2007 teilte die Staatsanwaltschaft B.-B. der Beklagten mit, dass gegen den Kläger und einen weiteren Beschuldigten Anklage erhoben worden war wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 38 Fällen, gewerbsmäßigen Lohnwuchers in 33 Fällen, gewerbsmäßigen Betrugs in 36 Fällen und Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in zwei Fällen. Das Strafverfahren gegen den Kläger vor dem Amtsgericht B.-B. wurde mit Beschluss vom 17.03.2010 gemäß § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 50.000 EUR eingestellt.

Aufgrund einer am 19.01.2006 durchgeführten Betriebsprüfung hatte die Beklagte mit einem an die Firma M. P. I. A.S. in B.-B. adressierten Bescheid vom 25.01.2006 die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 01.08.1999 - 31.12.2000 in Höhe von insgesamt 801.991,78 EUR EUR (477.744,28 EUR zuzügl. Säumniszuschlägen in Höhe von 324.247,50 EUR) gefordert. Zur Begründung führte sie aus, die für das Unternehmen tätigen Mitarbeiter seien abhängig beschäftigt gewesen. Für die Mitarbeiter habe in Deutschland Versicherungspflicht bestanden; es liege kein Fall der so genannten Einstrahlung nach § 5 SGB IV vor. Nach den aktenkundigen Ermittlungen des Hauptzollamtes L. habe in der Türkei kein Betriebssitz mit nennenswerter Geschäftstätigkeit bestanden. Der tatsächliche Sitz des Unternehmens habe sich in Deutschland befunden, so dass die Vorschriften des Sozialgesetzbuches Anwendung fänden. Der Bescheid ergehe als Summenbeitragsbescheid nach § 28f Abs. 2 SGB IV.

Hiergegen hatte die Firma M. P. I. A.S. B.-B. am 07.02.2006 Widerspruch eingelegt.

Die Beklagte holte mit Schreiben vom 02.03.2006 bzw. 28.03.2006, beide gerichtet an die Firma M. P. I. A.S. in B.-B., das Anhörungsverfahren nach.

Im Rahmen der Anhörung wiesen die Bevollmächtigten der Firma M. P. I. darauf hin, dass die Widerspruchsführerin ihren regulären Geschäftsbetrieb in I. aufrecht erhalten habe. Im Übrigen berief sie sich darauf, dass die mit Bescheid vom 25.01.2006 geltend gemachte Forderung für die Zeiträume von 1999 bis 2000 außerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist erfolgt und damit verjährt sei.

Nach Einstellung des Strafverfahrens führte die Beklagte das Widerspruchsverfahren fort.

Die Bevollmächtigten der Firma M. P. I. führten unter dem 23.07.2010 zur weiteren Begründung des Widerspruchs aus, die Zahlung von 50.000 EUR durch den Kläger sei nicht im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Widerspruchsführerin erfolgt. Diese habe in der Türkei einen Betriebssitz mit nennenswerter Tätigkeit unterhalten. Sie habe in der Türkei verschiedene Bauprojekte durchgeführt, darunter mehrere Häuser und ein Hotel. Die in Deutschland tätig gewordenen Mitarbeiter seien zuvor schon in der Türkei für die Widerspruchsführerin tätig gewesen. Es habe damals eine Besprechung mit zwei Behördenvertretern und Herrn A. von der Fa. M. P. stattgefunden, in der einvernehmlich festgestellt worden sei, dass die Arbeitnehmer sich rechtmäßig in Deutschland für das Bauprojekt aufhielten und in der Türkei sozialversicherungspflichtig blieben.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2010 zurück. Den Widerspruchsbescheid adressierte sie an den Kläger als "ehem. Geschäftsführer der M. P. I. A.S.". Zur Begründung führte sie aus, nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verjährten Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge erst nach 30 Jahren. Zwar sei die M. P. I. A.S. in I. formell ordnungsgemäß gegründet worden. Sie habe aber in der Türkei keine nennenswerte Geschäftstätigkeit entfaltet. Vielmehr habe sie lediglich türkische Bauarbeiter für das Bauprojekt in Deutschland Tunnel E. angeworben. Sie habe eine Abdeckfirma dargestellt, durch die die Arbeitgebereigenschaft habe verschleiert werden sollen, um die Versicherungspflicht und arbeitsrechtliche Vorgaben in Deutschland zu umgehen. Tatsächlich habe es sich aber bei der inländischen Niederlassung in B.-B. mit dem Kläger als Geschäftsführer nicht nur um eine Zweigniederlassung gehandelt, sondern um das eigentliche Unternehmen. Der Kläger habe diese Firma geführt und sich als Geschäftsführer um das komplette Tagesgeschäft gekümmert. In der Türkei seien zudem Familienmitglieder des Klägers als Gesellschafter der M. P. eingesetzt gewesen, so dass er die Möglichkeit geschäftlicher Einflussnahme auch in der Türkei gehabt habe. Die ausländische Firma habe nicht wie erforderlich eine nennenswerte Tätigkeit in der Türkei entfaltet, eine Verwaltungstätigkeit reiche hierfür nicht. Nach einer türkische Wirtschaftsauskunft vom 04.12.2003 habe die Firma M. P. in der Türkei keine Geschäftstätigkeit und keinen eigenen Arbeitnehmer nachgewiesen. Mangels Betriebsstruktur liege eine Eingliederung der Arbeitnehmer daher nicht in der nur formell bestehenden Firma in der Türkei, sondern nur in der deutschen Niederlassung in B.-B. vor. Zudem seien beim Projekt E.-Tunnel die Nettolöhne der türkischen Bauarbeiter unter dem Mindestlohn kalkuliert worden. Damit seien die Voraussetzungen für eine Entsendung nicht gegeben und die Sozialversicherungsbeiträge seien für die vom Kläger beschäftigten Arbeitnehmer nachzufordern. Der Widerspruch des Klägers sei daher zurückzuweisen.

Hiergegen erhob der Kläger am 26.10.2010 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe. Er ließ vortragen, der Widerspruchsbescheid leide an Formfehlern. Er sei zu unbestimmt, weil er nicht erkennen lasse, wer Adressat sein soll: während die Beklagte den Ausgangsbescheid noch an die Firma M. P. I. A.S. in B.-B. adressiert habe, habe sie den Widerspruchsbescheid an ihn, den Kläger, persönlich gerichtet. Er habe also einen Widerspruchsbescheid erhalten, obwohl es ihm gegenüber keinen zugrunde liegenden Ausgangsbescheid gegeben habe. Er selbst sei nicht angehört worden, obwohl er nunmehr erstmals persönlich in Anspruch genommen werde. Er sei aber weder Geschäftsführer noch Gesellschafter der Fa. M. P. gewesen. Deshalb sei die Beklagte nicht berechtigt, ihn durch einen Verwaltungsakt persönlich in Haftung zu nehmen. Rechtsgrundlage für die Haftung eines (ehemaligen) Geschäftsführers einer juristischen Person wegen der unterlassenen Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen sei § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB. Es handele sich um eine zivilrechtliche Forderung, die nicht durch einen Beitragsbescheid, sondern ausschließlich durch eine zivilrechtliche Klage durchgesetzt werden dürfe. Der Kläger berief sich erneut auf Verjährung. Die 30jährige Verjährungsfrist sei auf Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m § 266a StGB nicht anwendbar.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und führte aus, ein Formfehler liege nicht vor. Nachdem der Ausgangsbescheid an die Fa. M. P. I. A.S., L. in B.-B. gerichtet worden sei und der Kläger nach den Ermittlungen im Strafverfahren Geschäftsführer dieser Firma gewesen sei und diese nach außen vertreten habe, sei der Widerspruchsbescheid an ihn als ehemaligen Geschäftsführer der Fa. M. P. I. A.S. in B.-B. gerichtet worden. Als Geschäftsführer habe der Kläger Kenntnis von dem Ausgangsbescheid gehabt. Eine Anhörung sei im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden. Warum die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht durch Bescheid geltend gemacht werden könne, sei nicht nachvollziehbar. Der Bescheid sei nicht an den Kläger als Privatperson gerichtet, sondern an ihn in seiner Funktion als ehemaliger Geschäftsführer der M. P. I ... Adressat sei also die Gesellschaft, deren Geschäftsführer der Kläger gewesen sei. Eine persönliche Inanspruchnahme des Klägers sei nicht beabsichtigt; auch gehe es ihr nicht um Schadensersatz. Wer konkret für die geltend gemachte Nachforderung in Anspruch genommen werde, obliege der Einzugsstelle.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.03.2012 ab. Die Klage sei unzulässig. Denn es fehle an der erforderlichen Klagebefugnis des Klägers. Nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- sei die Klage zulässig, wenn der Kläger behaupte, durch den angefochtenen Verwaltungsakt beschwert zu sein. Für die Klagebefugnis genüge bereits die bloße Möglichkeit, dass der angefochtene Verwaltungsakt den Kläger in seinen eigenen Rechten verletze. Dies sei ohne weiteres anzunehmen, wenn er Adressat des Verwaltungsaktes sei. Sofern der Verwaltungsakt hingegen nicht an ihn gerichtet sei, sondern an einen Dritten, könne er diesen nur anfechten, wenn der Verwaltungsakt ihn mittelbar in seinen geschützten Rechten betreffe; scheide die Möglichkeit einer solchen Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig aus, sei seine Klage unzulässig (BSGE 98, 98 Rdnr. 14-17). Der Kläger sei weder Adressat des Bescheids vom 25.01.2006 noch des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2010. Dem Bescheid der Beklagten vom 25.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2010 sei mit hinreichender Bestimmtheit zu entnehmen, dass die Regelung nicht den Kläger betreffe, sondern die M. P. I. A.S ... Für die Frage, an wen sich die in einem Verwaltungsakt (oder in einem Widerspruchsbescheid) getroffene Regelung richte, komme es auf den objektiven Sinngehalt der Erklärung an. Maßgeblich sei, wie ein verständiger Empfänger, der mit den tatsächlichen Zusammenhängen des Einzelfalls vertraut sei, den Willen der Behörde verstehen müsse (Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 31 Rdnr. 26). Den Ausgangsbescheid vom 25.01.2006 habe die Beklagte eindeutig an die M. P. I. A.S. adressiert; dies werde auch vom Kläger nicht infrage gestellt. Konsequenterweise habe die M. P. I. A.S. (und nicht der Kläger) gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die Beklagte auch im Widerspruchsbescheid vom 27.09.2010 keine Regelung ihm gegenüber getroffen; vielmehr habe sie ihn bei verständiger Würdigung allein in seiner (vermeintlichen) Funktion als Vertreter der M. P. I. A.S. angeschrieben: Die auf Seite 1 des Widerspruchsbescheids befindliche Entscheidungsformel erschöpfe sich darin, dass der Widerspruch zurückgewiesen werde. Sie betreffe zwangsläufig nur denjenigen, der Widerspruch einlegt habe, hier also die M. P. I. A.S. Eine weitergehende Regelung lasse sich dem Widerspruchsbescheid hingegen nicht entnehmen. Insbesondere fehlten jegliche Anhaltspunkte für die Unterstellung des Klägers, die Beklagte nehme ihn persönlich gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB auf Schadensersatz in Anspruch. Die Erwähnung des Klägers und seiner Tätigkeit in der Begründung des Widerspruchsbescheids diene ersichtlich nur dazu, den angeblichen Hauptsitz der M. P. I. A.S in Deutschland zu belegen. Zu keinem anderen Ergebnis führe schließlich der Umstand, dass die Beklagte den Widerspruchsbescheid an die Wohnanschrift des Klägers geschickt und ihn im Adressfeld als "ehemaligen Geschäftsführer" tituliert habe. Juristische Personen würden letztlich durch natürliche Personen vertreten. Nur in dieser (vermeintlichen) Funktion als Vertreter der M. P. I. A.S habe ihn die Beklagte angeschrieben, nicht hingegen als eigene Rechtspersönlichkeit. Durch den Bescheid der Beklagten vom 25.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2010 werde der Kläger auch nicht mittelbar in seinen Rechten verletzt. Zwar könne ein Kläger ausnahmsweise auch einen Verwaltungsakt anfechten, der gegenüber einem Dritten ergangen ist. Dies setze allerdings voraus, dass er - möglicherweise - durch den Verwaltungsakt mittelbar in seinen Rechten betroffen sei. Hierzu müsse er die Verletzung einer Norm geltend machen können, die zumindest auch dem Schutz seiner individuellen Interessen diene. Rein finanzielle, wirtschaftliche oder ideelle Interessen genügten hingegen nicht, um in einer solchen Konstellation eine Klagebefugnis zu begründen (Castendiek in: Hk-SGG, 3. Aufl., § 54 Rdnr. 39; Böttiger in: Breitkreutz/Fichte, SGG, § 54 Rdnr. 55; Hdb SGG - Udsching, 6. Aufl., IV Rdnr. 8). Gemessen hieran scheide eine mittelbare Rechtsverletzung des Klägers durch die Forderung der Beklagten gegenüber der M. P. I. A.S offensichtlich und eindeutig aus. Aus Sicht der Beklagten hafte ausschließlich die (rechtsfähige) Gesellschaft für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und der Säumniszuschläge. Eine Rechtsverletzung läge selbst dann nicht vor, wenn der Kläger am Kapital der M. P. I. A.S beteiligt wäre. Dann hätte die Entscheidung der Beklagten für ihn zwar unter Umständen wirtschaftliche Konsequenzen; erforderlich sei aber eine rechtliche Betroffenheit. Unerheblich sei auch, ob die Rolle des Klägers in der Begründung des Widerspruchsbescheids zutreffend wiedergegeben sei. Denn eine (mittelbare) Rechtsverletzung könne nur aus dem Verfügungssatz der Entscheidung resultieren, nicht hingegen aus der Begründung. Im Gegensatz zur Regelung erwachse die Begründung nicht in Bestandskraft.

Gegen den seinen Bevollmächtigten am 30.03.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26.04.2012 Berufung eingelegt. Er lässt ausführen, das Sozialgericht habe den Widerspruchsbescheid im Hinblick auf die Würdigung durch einen verständigen Empfänger unzutreffend als gegen die Firma M. P. I. A.S gerichtet angesehen. Er selbst müsse vielmehr davon ausgehen, dass er unmittelbar durch den Widerspruchsbescheid in Anspruch genommen werde. Die namentliche Adressierung an ihn als ehemaligen Geschäftsführer betreffe ihn persönlich. Dass die Gesellschaft damit gemeint gewesen sei, könne man daran nicht erkennen. Ein ehemaliger Geschäftsführer sei juristisch auch nicht empfangsberechtigt. Er habe selbst keinen Widerspruch eingelegt. Aus der Begründung des Widerspruchsbescheids ergebe sich ebenfalls, dass er persönlich in Haftung genommen werden solle, da wiederholt auf seine verantwortliche Stellung als Geschäftsführer und eine vermeintliche Verbindung mit den Gesellschaftern abgestellt worden sei. Zudem sei seine strafrechtliche Verantwortung betont worden. Der Kläger verwies weiterhin auf ein Anhörungsschreiben der DRV Bund vom 10.11.2010, in dem ihm eröffnet worden sei, dass die DAK H. die Beklagte ermächtigt habe, von ihm geschuldete Gesamtversicherungsbeiträge in Höhe von 722.680,28 EUR mit seinem Anspruch auf laufende Rentenzahlungen zu verrechnen. Diese Verrechnung sei aufgrund seines Hinweises auf das laufende Klageverfahren zunächst zurückgestellt worden. Weiterhin legte der die Vollstreckungsankündigung des Hauptzollamts L. vom 04.09.2012 (Auftraggeber DAK Hamburg bzw. DAK Singen) vor. Er müsse aufgrund der beabsichtigten Verrechnung und Zwangsvollstreckung von einer persönlichen Inanspruchnahme ausgehen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.03.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 25.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf ihre Ausführungen und den bisherigen Akteninhalt verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig.

Sie ist aber nur teilweise begründet. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27.09.2010 ist zu Unrecht gegenüber dem Kläger ergangen. Der Kläger wird dadurch erstmals beschwert. Das Sozialgericht hätte die Klage insoweit nicht abweisen dürfen, sondern den Widerspruchsbescheid aufheben müssen. Hinsichtlich des Ausgangsbescheides vom 25.01.2006 war die Klage hingegen mangels Klagebefugnis unzulässig. Das Sozialgericht hat sie insoweit zu Recht abgewiesen.

I.

Der Ausgangsbescheid vom 25.01.2006 ist unzweifelhaft gegenüber der M. P. I. A.S in B.-B. ergangen. Dies ergibt sich sowohl aus der ausdrücklichen Aufführung als Adressat des Bescheides als auch durch die Bezugnahme auf die durchgeführte Betriebsprüfung. Der Kläger ist dagegen nicht klagebefugt. Der Senat teilt hierzu die Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Gerichtsbescheid und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

II.

Der Widerspruchsbescheid vom 27.09.2010 ist hingegen zu Unrecht gegenüber dem Kläger ergangen und verletzt ihn in seinen Rechten.

1. Der Widerspruchsbescheid ist an den Kläger persönlich gerichtet. Er ist als Adressat des Widerspruchsbescheides aufgeführt, der Widerspruchsbescheid richtet sich mit der Anrede unmittelbar an ihn und er wird als Widerspruchsführer bezeichnet ("Ihren Widerspruch"). Des Weiteren wird wiederholt auf die verantwortliche Funktion des Klägers als Geschäftsführer der M. P. I. A.S abgestellt. Zwar zieht die Beklagte hieraus keine ausdrücklichen rechtlichen Schlussfolgerungen, aus denen eindeutig zu erkennen wäre, dass sie den Kläger als Geschäftsführer in Anspruch nehmen will. Dies hat sie im erstinstanzlichen Verfahren auch ausdrücklich in Abrede gestellt und insoweit auf die Entscheidung der Einzugsstelle verwiesen. Allerdings gibt das vom Kläger vorgelegte Anhörungsschreiben der DRV Bund vom 10.11.2010 klar zum Ausdruck, dass eine persönliche Inanspruchnahme des Klägers durch Verrechnung von ausstehenden Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 722.680,28 EUR nicht nur beabsichtigt, sondern bereits in die Wege geleitet worden ist.

Anders als das Sozialgericht meint, sprechen alle diese Merkmale dafür, dass der Kläger durch den Widerspruchsbescheid persönlich in Anspruch genommen werden sollte. Der in der Adresse zugefügte Zusatz "ehem. Geschäftsführer der M. P. I. A.S" steht dem nicht entgegen. Hätte die Beklagte, wie sie im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen hat, die Gesellschaft in Anspruch nehmen wollen, hätte sie diese als Adressaten nennen und den Kläger als deren Vertreter in seiner Funktion als Geschäftsführer aufführen müssen. Da der Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.01.2006 jedoch von der M. P. I. A.S und nicht vom Kläger erhoben worden war, war die Beklagte nicht berechtigt, den Kläger als Widerspruchsführer in das Widerspruchsverfahren einzubeziehen. Hierfür besteht keine Rechtsgrundlage. Es ist insoweit auch ohne Belang, ob die Beklagte den Widerspruchsbescheid an den Kläger als Privatperson oder in seiner Funktion als Geschäftsführer gerichtet hatte. Er war nicht der Widerspruchsführer und daher weder in der einen noch der anderen Funktion am Widerspruchsverfahren beteiligt.

Der Kläger ist daher durch den Widerspruchsbescheid beschwert und deshalb klagebefugt.

2. Der Widerspruchsbescheid verletzt den Kläger auch erstmals und unmittelbar in seinen Rechten, so dass er isoliert aufzuheben ist. Der Widerspruchsbescheid ist seinem Verfügungssatz nach ("der Widerspruch wird zurück gewiesen") nicht losgelöst vom Ausgangsbescheid zu sehen, der die Verpflichtung der M. P. I. A.S zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen geregelt hat. Durch den Adressatenwechsel zwischen Ausgangsbescheid und Widerspruchsbescheid entsteht zumindest der Rechtsschein, dass der Kläger nunmehr persönlich für die Nachforderung verpflichtet sein soll. Entsprechend dieses Rechtsscheins hat die Einzugsstelle auch bereits Vollzugsmaßnahmen gegenüber dem Kläger eingeleitet, wie sich aus dem Anhörungsschreiben der DRV Bund vom 10.11.2010 ergibt. Der Kläger ist mithin durch den Widerspruchsbescheid erstmalig beschwert, so dass dieser aufzuheben ist.

Wenn die Beklagte den Kläger als Geschäftsführer im Wege der Durchgriffshaftung in Anspruch nehmen will, so müsste sie dies gegebenenfalls durch einen gegenüber dem Kläger zu erlassenden Beitragsbescheid durchsetzen (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.1994, 10 Rar 1/92, in Juris) oder ihn zivilrechtlich in Anspruch nehmen. Der Weg durch Erlass des an den Kläger gerichteten Widerspruchsbescheides war ihr indes aus den dargelegten Gründen verwehrt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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