L 5 KR 1786/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4499/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1786/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.03.2012 geändert. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27.09.2010 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens tragen der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte.

Der Streitwert wird endgültig auf 578.294,36 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 578.294,36 EUR (einschließlich Säumniszuschlägen von 109.959,00 EUR)

Der Kläger ist Diplomingenieur und war nach Ermittlungen des Hauptzollamtes L. ausweislich des Schlussberichtes vom 28.04.2006 über ein Ermittlungsverfahren wegen banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern u.a. in den Jahren 2003 und 2004 der Geschäftsführer der Firma D. & G. I., S. v. T. Ltd., B.-B., einer Zweigniederlassung der DAG D. & G. I. Ltd. in A ... Er hat für die genannte Firma als Hauptverantwortlicher einen Werkvertrag über Stahlbetonarbeiten mit einem Auftragsvolumen von 1,4 Mio Euro für ein Bauprojekt der ARGE Tunnel H. geschlossen und die Ausführung der Arbeiten überwacht. Für diese Arbeiten beschäftigte der Kläger 37 türkische Arbeitskräfte auf der Grundlage einer Arbeitnehmerentsendung. Aufgrund des Verdachts, die Voraussetzungen der Entsendung nur vorgetäuscht zu haben (Verschleierung der Arbeitgebereigenschaft durch lediglich formelle Gründung einer ausländischen Firma ohne nennenswerte Geschäftstätigkeit) wurde gegen den Kläger und weitere Beschuldigte ermittelt. Am 14.03.2007 teilte die Staatsanwaltschaft B.-B. der Beklagten mit, dass gegen den Kläger und einen weiteren Beschuldigten Anklage erhoben worden war wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 38 Fällen, gewerbsmäßigen Lohnwuchers in 33 Fällen, gewerbsmäßigen Betrugs in 36 Fällen und Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in zwei Fällen. Das Strafverfahren gegen den Kläger vor dem Amtsgericht B.-B. wurde mit Beschluss vom 17.03.2010 gemäß § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 50.000 EUR eingestellt.

Aufgrund einer am 19.01.2006 durchgeführten Betriebsprüfung hatte die Beklagte mit einem an die D. & G. I., S. v. T. Ltd. in B.-B. adressierten Bescheid vom 25.01.2006 die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 01.03.2003 - 30.11.2004 in Höhe von 468.335,36 EUR sowie Säumniszuschlägen in Höhe von 109.959 EUR, insgesamt 578.294,36 EUR gefordert. Zur Begründung führte sie aus, die für das Unternehmen tätigen Mitarbeiter seien abhängig beschäftigt gewesen. Für die Mitarbeiter habe in Deutschland Versicherungspflicht bestanden; es liege kein Fall der so genannten Einstrahlung nach § 5 SGB IV vor. Nach den aktenkundigen Ermittlungen des Hauptzollamtes L. habe in der Türkei kein Betriebssitz mit nennenswerter Geschäftstätigkeit bestanden. Der tatsächliche Sitz des Unternehmens habe sich in Deutschland befunden, so dass die Vorschriften des Sozialgesetzbuches Anwendung fänden. Der Bescheid ergehe als Summenbeitragsbescheid nach § 28f Abs. 2 SGB IV.

Hiergegen hatte die D. & G. I., S. v. T. Ltd. am 06.02.2006 Widerspruch eingelegt. Sie ließ zur Begründung durch ihre Bevollmächtigten geltend machen, der angefochtene Bescheid sei schon deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung versäumt habe. Darüber hinaus sei der Bescheid gemessen an § 35 SGB X nicht hinreichend begründet. Entgegen der Auffassung der Beklagten lägen zudem die Voraussetzungen einer Einstrahlung vor. Die Widerspruchsführerin habe ihren Sitz in A. und eine unselbständige Betriebsstelle in B.-B ... Die türkischen Arbeitnehmer der Widerspruchsführerin seien nach Deutschland entsendet worden und hätten keinem Weisungsrecht der unselbständigen Betriebsstelle unterlegen.

Die Beklagte holte mit Schreiben vom 02.03.2006, gerichtet an die Firma D. & G. I. S. v. T. Ltd. in B.-B., das Anhörungsverfahren nach.

Im Rahmen der Anhörung wurde von den Bevollmächtigten der Firma D. & G. I. darauf hingewiesen, dass die Widerspruchsführerin ihren Sitz in A. habe und unter der Anschrift in B.-B. lediglich die unselbständige Betriebsstätte bestehe. Weiterhin wurde unter dem 31.07.2006 vorgetragen, diese Betriebsstätte sei bereits zum 25.12.2005 geschlossen worden und der Kläger sei nicht mehr bei der Widerspruchsführerin angestellt. Da dieser unter der Anschrift der früheren unselbständigen Betriebsstelle zugleich seinen Wohnsitz habe, habe er die Post bisher an die Widerspruchsführerin weitergeleitet, was zukünftig nicht mehr erfolgen werde.

Nach Einstellung des Strafverfahrens führte die Beklagte das Widerspruchsverfahren fort. Die Bevollmächtigten der Fa. D. & G. legten das Mandat nieder und teilten auf Nachfrage der Beklagten mit, dass ihnen eine aktuelle Anschrift der Firma D. & G. nicht bekannt sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2010 zurück. Den Widerspruchsbescheid adressierte sie an den Kläger als "ehemaligen Geschäftsführer der D. & G. I.". Zur Begründung führte sie u. a. aus, zwar sei die D. & G. I., S. v. T. Ltd. in A. formell ordnungsgemäß gegründet worden. Sie habe aber in der Türkei keine nennenswerte Geschäftstätigkeit entfaltet. Vielmehr habe sie lediglich türkische Bauarbeiter für ein Projekt in Deutschland angeworben. Durch das Auftreten der D. & G. I., S. v. T. Ltd. habe verschleiert werden sollen, dass der Arbeitgeber der türkischen Bauarbeiter eigentlich in Deutschland ansässig sei. Dies habe dazu gedient, die Versicherungspflicht und arbeitsrechtliche Vorgaben in Deutschland zu umgehen. Tatsächlich habe es sich bei der inländischen Niederlassung der D. & G. I., S. v. T. Ltd. in B.-B. nicht nur um eine Zweigniederlassung gehandelt, sondern um das eigentliche Unternehmen. Der Kläger habe dieses als türkische Kapitalgesellschaft geführt. Sämtliche Personalkosten seien von der deutschen Zweigniederlassung getragen und als Betriebsausgaben geltend gemacht worden. Die Entsendetätigkeit sei damit eindeutig auf Rechnung der deutschen Firma und nicht auf Rechnung des ausländischen Betriebes erfolgt. Der Ort der Geschäftsleitung habe sich in Deutschland befunden, der Kläger habe sich als Geschäftsführer um das komplette Tagesgeschäft gekümmert. Ferner habe er sich zur Deckung des Unternehmerrisikos auch mit seinem Privatbesitz verbürgt, indem eine Grundschuld als Sicherheit für eine Vertragserfüllungsbürgschaft auf sein Wohngrundstück eingetragen worden sei. Zudem habe der Kläger eine private Einlage in Höhe von 22.500 EUR erbracht. Die Beklagte verwies auf die Einstellung des gegen den Kläger geführten Strafverfahrens gegen eine Geldbuße in Höhe von 50.000 EUR. Es sei davon auszugehen, dass die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen mit Bescheid vom 25.01.2006 zu Recht erfolgt sei. Der Widerspruch des Klägers sei daher zurückzuweisen.

Hiergegen erhob der Kläger am 26.10.2010 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe. Er ließ vortragen, der Widerspruchsbescheid leide an Formfehlern. Er sei zu unbestimmt, weil er nicht erkennen lasse, wer Adressat sein soll: während die Beklagte den Ausgangsbescheid noch an die D. & G. I., S. v. T. Ltd. adressiert habe, habe sie den Widerspruchsbescheid an ihn, den Kläger, persönlich gerichtet. Er habe also einen Widerspruchsbescheid erhalten, obwohl es ihm gegenüber keinen zugrunde liegenden Ausgangsbescheid gegeben habe. Er selbst sei nicht angehört worden, obwohl er nunmehr erstmals persönlich in Anspruch genommen werde. Er sei aber weder Geschäftsführer noch Gesellschafter der Fa. D. & G. I. Ltd. gewesen. Deshalb sei die Beklagte nicht berechtigt, ihn durch einen Verwaltungsakt persönlich in Haftung zu nehmen. Rechtsgrundlage für die Haftung eines (ehemaligen) Geschäftsführers einer juristischen Person wegen der unterlassenen Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen sei § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB. Es handele sich um eine zivilrechtliche Forderung, die nicht durch einen Beitragsbescheid, sondern ausschließlich durch eine zivilrechtliche Klage durchgesetzt werden dürfe. Zu Unrecht leite die Beklagte seine Inhaberschaft daraus her, dass er mit seinem Privatbesitz bürge. Dass Angestellte mit ihrem Privatbesitz bürgten, sei auch in Deutschland keine Seltenheit. Er habe ausweislich seiner Angaben in der Vernehmung beim Hauptzollamt die Bürgschaften nur erbracht, um seinen Arbeitsplatz zu sichern. Der Umstand, dass er eine Einlage - allerdings nur in Höhe von 18.500 EUR durch vereinzeltes Vorschießen von Geld - erbracht habe, könne ebenfalls nicht als Indiz für eine Inhaberschaft gewertet werden.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und führte aus, ein Formfehler liege nicht vor. Nachdem der Ausgangsbescheid an die Fa. D. & G. I. im L. in B.-B. gerichtet worden sei und der Kläger nach den Ermittlungen im Strafverfahren Geschäftsführer dieser Firma gewesen sei und diese nach außen vertreten habe, sei der Widerspruchsbescheid an ihn als ehemaligen Geschäftsführer der Fa. D. & G. I. in B.-B. gerichtet worden. Als Geschäftsführer habe der Kläger Kenntnis von dem Ausgangsbescheid gehabt. Eine Anhörung sei im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden. Warum die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht durch Bescheid geltend gemacht werden könne, sei nicht nachvollziehbar. Der Bescheid sei nicht an den Kläger als Privatperson gerichtet, sondern an ihn in seiner Funktion als ehemaliger Geschäftsführer der D. & G. I ... Adressat sei also die Gesellschaft, deren Geschäftsführer der Kläger gewesen sei. Eine persönliche Inanspruchnahme des Klägers sei nicht beabsichtigt; auch gehe es ihr nicht um Schadensersatz. Wer konkret für die geltend gemachte Nachforderung in Anspruch genommen werde, obliege der Einzugsstelle.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.03.2012 ab. Die Klage sei unzulässig. Denn es fehle an der erforderlichen Klagebefugnis des Klägers. Nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- sei die Klage zulässig, wenn der Kläger behaupte, durch den angefochtenen Verwaltungsakt beschwert zu sein. Für die Klagebefugnis genüge bereits die bloße Möglichkeit, dass der angefochtene Verwaltungsakt den Kläger in seinen eigenen Rechten verletze. Dies sei ohne weiteres anzunehmen, wenn er Adressat des Verwaltungsaktes sei. Sofern der Verwaltungsakt hingegen nicht an ihn gerichtet sei, sondern an einen Dritten, könne er diesen nur anfechten, wenn der Verwaltungsakt ihn mittelbar in seinen geschützten Rechten betreffe; scheide die Möglichkeit einer solchen Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig aus, sei seine Klage unzulässig (BSGE 98, 98 Rdnr. 14-17). Der Kläger sei weder Adressat des Bescheids vom 25.01.2006 noch des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2010. Dem Bescheid der Beklagten vom 25.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2010 sei mit hinreichender Bestimmtheit zu entnehmen, dass die Regelung nicht den Kläger betreffe, sondern die D. & G. I., S. v. T. Ltd ... Für die Frage, an wen sich die in einem Verwaltungsakt (oder in einem Widerspruchsbescheid) getroffene Regelung richte, komme es auf den objektiven Sinngehalt der Erklärung an. Maßgeblich sei, wie ein verständiger Empfänger, der mit den tatsächlichen Zusammenhängen des Einzelfalls vertraut sei, den Willen der Behörde verstehen müsse (Engelmann in: von Wulften, SGB X, 7. Aufl., § 31 Rdnr. 26). Den Ausgangsbescheid vom 25.01.2006 habe die Beklagte eindeutig an die D. & G. I., S. v. T. Ltd. adressiert; dies werde auch vom Kläger nicht infrage gestellt. Konsequenterweise habe die D. & G. I., S. v. T. Ltd. (und nicht der Kläger) gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die Beklagte auch im Widerspruchsbescheid vom 27.09.2010 keine Regelung ihm gegenüber getroffen; vielmehr habe sie ihn bei verständiger Würdigung allein in seiner (vermeintlichen) Funktion als Vertreter der D. & G. I., S. v. T. Ltd. angeschrieben: Die auf Seite 1 des Widerspruchsbescheids befindliche Entscheidungsformel erschöpfe sich darin, dass der Widerspruch zurückgewiesen werde. Sie betreffe zwangsläufig nur denjenigen, der Widerspruch einlegt habe, hier also die D. & G. I., S. v. T. Ltd ... Eine weitergehende Regelung lasse sich dem Widerspruchsbescheid hingegen nicht entnehmen. Insbesondere fehlten jegliche Anhaltspunkte für die Unterstellung des Klägers, die Beklagte nehme ihn persönlich gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB auf Schadensersatz in Anspruch. Die Erwähnung des Klägers und seiner Tätigkeit in der Begründung des Widerspruchsbescheids diene ersichtlich nur dazu, den angeblichen Hauptsitz der D. & G. I., S. v. T. Ltd. in Deutschland zu belegen. Zu keinem anderen Ergebnis führe schließlich der Umstand, dass die Beklagte den Widerspruchsbescheid an die Wohnanschrift des Klägers geschickt und ihn im Adressfeld als "ehemaligen Geschäftsführer" tituliert habe. Juristische Personen würden letztlich durch natürliche Personen vertreten. Nur in dieser (vermeintlichen) Funktion als Vertreter der D. & G. I., S. v. T. Ltd. habe ihn die Beklagte angeschrieben, nicht hingegen als eigene Rechtspersönlichkeit. Durch den Bescheid der Beklagten vom 25.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2010 werde der Kläger auch nicht mittelbar in seinen Rechten verletzt. Zwar könne ein Kläger ausnahmsweise auch einen Verwaltungsakt anfechten, der gegenüber einem Dritten ergangen ist. Dies setze allerdings voraus, dass er - möglicherweise - durch den Verwaltungsakt mittelbar in seinen Rechten betroffen sei. Hierzu müsse er die Verletzung einer Norm geltend machen können, die zumindest auch dem Schutz seiner individuellen Interessen diene. Rein finanzielle, wirtschaftliche oder ideelle Interessen genügten hingegen nicht, um in einer solchen Konstellation eine Klagebefugnis zu begründen (Castendiek in: Hk-SGG, 3. Aufl., § 54 Rdnr. 39; Böttiger in: Breitkreutz/Fichte, SGG, § 54 Rdnr. 55; Hdb SGG - Udsching, 6. Aufl., IV Rdnr. 8). Gemessen hieran scheide eine mittelbare Rechtsverletzung des Klägers durch die Forderung der Beklagten gegenüber der D. & G. I., S. v. T. Ltd. offensichtlich und eindeutig aus. Aus Sicht der Beklagten hafte ausschließlich die (rechtsfähige) Gesellschaft für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und der Säumniszuschläge. Eine Rechtsverletzung läge selbst dann nicht vor, wenn der Kläger am Kapital der D. & G. I., S. v. T. Ltd. beteiligt wäre. Dann hätte die Entscheidung der Beklagten für ihn zwar unter Umständen wirtschaftliche Konsequenzen; erforderlich sei aber eine rechtliche Betroffenheit. Unerheblich sei auch, ob die Rolle des Klägers in der Begründung des Widerspruchsbescheids zutreffend wiedergegeben sei. Denn eine (mittelbare) Rechtsverletzung könne nur aus dem Verfügungssatz der Entscheidung resultieren, nicht hingegen aus der Begründung. Im Gegensatz zur Regelung erwachse die Begründung nicht in Bestandskraft.

Gegen den seinen Bevollmächtigten am 30.03.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26.04.2012 Berufung eingelegt. Er lässt ausführen, das Sozialgericht habe den Widerspruchsbescheid im Hinblick auf die Würdigung durch einen verständigen Empfänger unzutreffend als gegen die Firma D. & G. gerichtet angesehen. Er selbst müsse vielmehr davon ausgehen, dass er unmittelbar durch den Widerspruchsbescheid in Anspruch genommen werde. Die namentliche Adressierung an ihn als ehemaligen Geschäftsführer betreffe ihn persönlich. Dass die Gesellschaft damit gemeint gewesen sei, könne man daran nicht erkennen. Ein ehemaliger Geschäftsführer sei juristisch auch nicht empfangsberechtigt. Er habe selbst keinen Widerspruch eingelegt. Aus der Begründung des Widerspruchsbescheids ergebe sich ebenfalls, dass er persönlich in Haftung genommen werden solle, da wiederholt auf seine verantwortliche Stellung als Geschäftsführer und eine vermeintliche Verbindung mit den Gesellschaftern abgestellt worden sei. Zudem sei seine strafrechtliche Verantwortung betont worden. Der Kläger verwies weiterhin auf ein Anhörungsschreiben der DRV Bund vom 10.11.2010, in dem ihm eröffnet worden sei, dass die DAK H. die Beklagte ermächtigt habe, von ihm geschuldete Gesamtversicherungsbeiträge in Höhe von 722.680,28 EUR mit seinem Anspruch auf laufende Rentenzahlungen zu verrechnen. Diese Verrechnung sei aufgrund seines Hinweises auf das laufende Klageverfahren zunächst zurückgestellt worden. Er müsse aufgrund der beabsichtigten Verrechnung aber von einer persönlichen Inanspruchnahme ausgehen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.03.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 25.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf ihre Ausführungen und den bisherigen Akteninhalt verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig.

Sie ist aber nur teilweise begründet. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27.09.2010 ist zu Unrecht gegenüber dem Kläger ergangen. Der Kläger wird dadurch erstmals beschwert. Das Sozialgericht hätte die Klage insoweit nicht abweisen dürfen, sondern den Widerspruchsbescheid aufheben müssen. Hinsichtlich des Ausgangsbescheides vom 25.01.2006 war die Klage hingegen mangels Klagebefugnis unzulässig. Das Sozialgericht hat sie insoweit zu Recht abgewiesen.

I.

Der Ausgangsbescheid vom 25.01.2006 ist unzweifelhaft gegenüber der Fa. D. & G. I., S. v. T. Ltd. in B.-B. ergangen. Dies ergibt sich sowohl aus der ausdrücklichen Aufführung als Adressat des Bescheides als auch durch die Bezugnahme auf die durchgeführte Betriebsprüfung. Der Kläger ist dagegen nicht klagebefugt. Der Senat teilt hierzu die Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Gerichtsbescheid und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

II.

Der Widerspruchsbescheid vom 27.09.2010 ist hingegen zu Unrecht gegenüber dem Kläger ergangen und verletzt ihn in seinen Rechten.

1. Der Widerspruchsbescheid ist an den Kläger persönlich gerichtet. Er ist als Adressat des Widerspruchsbescheides aufgeführt, der Widerspruchsbescheid richtet sich mit der Anrede unmittelbar an ihn und er wird als Widerspruchsführer bezeichnet ("Ihren Widerspruch"). Des Weiteren wird wiederholt auf die verantwortliche Funktion des Klägers als Geschäftsführer der Fa. D. & G. I. abgestellt und die wirtschaftliche Beteiligung des Klägers an der Fa. D. & G. herausgearbeitet. Zwar zieht die Beklagte hieraus keine ausdrücklichen rechtlichen Schlussfolgerungen, aus denen eindeutig zu erkennen wäre, dass sie den Kläger als Geschäftsführer oder als Inhaber in Anspruch nehmen will. Dies hat sie im erstinstanzlichen Verfahren auch ausdrücklich in Abrede gestellt und insoweit auf die Entscheidung der Einzugsstelle verwiesen. Allerdings gibt das vom Kläger vorgelegte Anhörungsschreiben der DRV Bund vom 10.11.2010 klar zum Ausdruck, dass eine persönliche Inanspruchnahme des Klägers durch Verrechnung von ausstehenden Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 722.680,28 EUR nicht nur beabsichtigt, sondern bereits in die Wege geleitet worden ist.

Anders als das Sozialgericht meint, sprechen alle diese Merkmale dafür, dass der Kläger durch den Widerspruchsbescheid persönlich in Anspruch genommen werden sollte. Der in der Adresse zugefügte Zusatz "ehemaliger Geschäftsführer der Firma D. & G. I." steht dem nicht entgegen. Hätte die Beklagte, wie sie im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen hat, die Gesellschaft in Anspruch nehmen wollen, hätte sie diese als Adressaten nennen und den Kläger als deren Vertreter in seiner Funktion als Geschäftsführer aufführen müssen. Dies war der Beklagten offenbar aufgrund der Mitteilung der Bevollmächtigten der Fa. D. & G. in deren Schreiben vom 31.07.2006, dass die Betriebsstätte in B.-B. zum 25.12.2005 geschlossen worden sei und der Kläger nicht mehr bei der Fa. D. & G. beschäftigt sei, als untunlich erschienen. Da der Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.01.2006 jedoch von der Fa. D. & G. und nicht vom Kläger erhoben worden war, war die Beklagte nicht berechtigt, den Kläger als Widerspruchsführer in das Widerspruchsverfahren einzubeziehen. Hierfür besteht keine Rechtsgrundlage. Es ist insoweit auch ohne Belang, ob die Beklagte den Widerspruchsbescheid an den Kläger als Privatperson oder in seiner Funktion als Geschäftsführer gerichtet hatte. Er war nicht der Widerspruchsführer und daher weder in der einen noch der anderen Funktion am Widerspruchsverfahren beteiligt.

Der Kläger ist daher durch den Widerspruchsbescheid beschwert und deshalb klagebefugt.

2. Der Widerspruchsbescheid verletzt den Kläger auch erstmals und unmittelbar in seinen Rechten, so dass er isoliert aufzuheben ist. Der Widerspruchsbescheid ist seinem Verfügungssatz nach ("der Widerspruch wird zurück gewiesen") nicht losgelöst vom Ausgangsbescheid zu sehen, der die Verpflichtung der Fa. D. & G. zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen geregelt hat. Durch den Adressatenwechsel zwischen Ausgangsbescheid und Widerspruchsbescheid entsteht zumindest der Rechtsschein, dass der Kläger nunmehr persönlich für die Nachforderung verpflichtet sein soll. Entsprechend dieses Rechtsscheins hat die Einzugsstelle auch bereits Vollzugsmaßnahmen gegenüber dem Kläger eingeleitet, wie sich aus dem Anhörungsschreiben der DRV Bund vom 10.11.2010 ergibt. Der Kläger ist mithin durch den Widerspruchsbescheid erstmalig beschwert, so dass dieser aufzuheben ist.

Wenn die Beklagte den Kläger als Geschäftsführer im Wege der Durchgriffshaftung in Anspruch nehmen will, so müsste sie dies gegebenenfalls durch einen gegenüber dem Kläger zu erlassenden Beitragsbescheid durchsetzen (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.1994, 10 Rar 1/92, in Juris) oder ihn zivilrechtlich in Anspruch nehmen. Der Weg durch Erlass des an den Kläger gerichteten Widerspruchsbescheides war ihr indes aus den dargelegten Gründen verwehrt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved