L 13 AS 3098/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 6158/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 3098/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Juni 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich mit einer Berufung vom 19. Juli 2012 gegen den vorangegangenen Gerichtsbescheid des Sozialgericht (SG) Freiburg vom 29. Juni 2012.

Der Kläger begehrte erstinstanzlich in der Sache vom beklagten Landkreis - entweder in seiner Funktion als Träger der Sozialhilfe oder als Rechtsnachfolger des ehemals selbständigen Trägers der Grundsicherung für Arbeitslose nach dem SGB II - laufende Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts für die Zeit vom 18. Januar bis einschließlich 30. September 2005.

Der 1987 in P. geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem anerkannten Grad der Behinderung (GdB) von 100. Er leidet unter mittelgradiger Intelligenzminderung mit Verhaltensstörung sowie tiefgreifender Entwicklungsstörung mit autistischen Zügen mutmaßlich pränatalen Ursprungs. Mit Bescheid vom 12. Oktober 2004 wurde ihm für den Zeitraum vom 20. Oktober 2004 bis 30. November 2004 Eingliederungshilfe für den Aufenthalt in der Behinderteneinrichtung Wohnstätte "Albert Schweitzer", St., gewährt. Dies umfasste den täglichen Kostensatz sowie einen monatlichen Barbetrag von (zunächst) 41,00 EUR zur freien Verfügung. Die Abrechnung der Kosten für die Unterbringung erfolgte direkt mit dem Wohnheim nach Rechnungslegung. Eine Verlängerung der Maßnahme werde in einem gesonderten Gesamtgesprächsplan entschieden, so der Bescheidtext. Mit weiteren Schreiben vom gleichen Tag erfolgte auch eine schriftliche Kostenzusage an diese Wohnstätte. Eine Hilfeplangespräch fand zunächst am 19. November 2004 statt, bei dem eine vollstationäre Betreuung medizinisch empfohlen wurde. Ein Gesamtplangespräch am 3. Dezember 2014 ergab eine Kostenübernahme zunächst bis zum 30. November 2005.

Der Kläger bezog nach den Feststellungen des SG zunächst (auch) vom 1. Januar 2005 bis zum Ende seiner Minderjährigkeit am 17. Januar 2005 in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter A. Z. (im Folgenden: Mutter) Leistungen nach dem SGB II in Form von Sozialgeld (§ 28 SGB II). Bis Juli 2009 stand er auch unter der Betreuung seiner Mutter. Seit Juli 2009 besteht Betreuung durch Frau U. Sch.-D., Beschluss des AG B. a. R. v. 27.07.2009, Az. 11 XVII 75/08.

Am 18. Januar 2005, seinem 18. Geburtstag, beantragte er - nun als alleinstehender Hilfebedürftiger - bei der ehemaligen "Mittelmärkischen Arbeitsgemeinschaft zur Integration in Arbeit (im Folgenden: MAIA), die zum 1. Januar 2012 zum beklagten Landkreis verschmolzen ist, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Im Antragsformular gab der Kläger an, mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen zu können. Ausweislich eines Aktenvermerks des Beklagten vom 14. Dezember 2004, der dem SG vorlag, besuchte der Kläger zu dieser Zeit die besagte "Albert Schweitzer Wohnstätte" - eine Förderschule für geistig behinderte Menschen nahe K. (s. Schulzeitverlängerung v. 14. Januar 2005, Verwaltungsakte S. 24) - und war lediglich nach klägerischen Angaben jedes zweite Wochenende zu Hause bei seiner Mutter. Für die Kosten des Besuchs dieser Einrichtung erfolgte die zuvor bezeichnete Eingliederungshilfe (§§ 53 ff. SGB XII) durch das Amt für Soziales und Wohnen des Beklagten. In dieser Einrichtung ging es - laut o.g. Aktenvermerk - vorwiegend um die Erlernung alltagspraktischer Fähigkeiten, insbesondere auch Fragen des Sozialverhaltens, des Tagesablaufs und der persönlicher Hygiene.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2005 lehnte die MAIA den Antrag des Klägers ab. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor, weil er nicht erwerbsfähig sei. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II. Hiergegen erhob der Kläger am 26. Mai 2005 Widerspruch. Zu Unrecht werde die Ablehnung auf fehlende Erwerbsfähigkeit gestützt, denn er könne regelmäßig an fünf Tagen in der Woche für mehr als sechs Stunden die Schule besuchen. Den Widerspruch wies die MAIA mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2005 (W 1972/05) unter der Begründung zurück, dass der Kläger mit einem GdB vom 100 schwerbehindert sei, er Eingliederungshilfe nach dem SGB XII beziehe und er daher, wie auch aus dem Aktenvermerk vom 14. Dezember 2004 ersichtlich sei, außerstande sei unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dass er fünf Tage die Woche eine Förderschule für geistig Behinderte besucht, stehe dem nicht entgegen, da der Besuch einer solchen Einrichtung mit einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vergleichbar sei. Dem Kläger fehle es somit an der für einen Anspruch nach dem SGB II erforderlichen Erwerbsfähigkeit, auch ergebe sich mangels Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter kein Anspruch auf Sozialgeld.

Aktenkundig sind ferner Bescheide über die Einstellung einer Hilfe in besonderen Lebenslagen vom 03. Juni 2005 (Bl. 98 V-Akte Sozialamt), deren weiterer Gewährung vom 6. Juni 2005 (Bl. 105 V-Akte Sozialamt) und einer weiteren Kostenzusage an die Wohnstätte vom gleichen Tag (Bl. 111 V-Akte Sozialamt). Zum Barbetrag erging mit Datum vom 27. Juni 2005 ein weiterer Bescheid, der erstmalig ab Juli 2005 einen Betrag von 86,06 EUR vorsah (Bl. 121 V-Akte Sozialamt). Ein weiterer Bescheid vom 20. Juli 2007 sah eine näher bezeichnete Bekleidungshilfe vor. Eine Auszahlung des Verpflegungssatzes an Wochenende und Urlaubstagen des Klägers wurde mit Schreiben vom 20. Juli 2005 abgelehnt. Eine Einstellung der Eingliederungshilfe erfolgte mit Bescheid vom 4. Oktober 2005 zum vorangegangenen 1. Oktober.

Der Kläger und seine Mutter verzogen sodann am 1. Oktober 2005 von T./B. nach K. im Landkreis O./ B.-W (s. Anmeldebestätigung, SG-Akte S 10 AS 6458/06). Dort erhielt der Kläger vom Landkreis O. (Amt für Soziales und Versorgung) ab 01.10.2005 (Tag des Zuzugs) bis zum 31.07.2006 (Wegzug nach Pf.) laufende Leistungen nach Kapitel 3 bzw. 4 des SGB XII (vgl. die Bescheide des O.-Kreises vom 02. Dezember 2005, 26. Januar 2006, 03. Februar 2006 und vom 31. Mai 2006, SG-Akte S 2 AS 6158/08 Bl. 26-33).

Am 18. November 2005 erhob der Kläger gegen die Ablehnung vom 12. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2005 Klage zum Sozialgericht P. (dortiges Az. zunächst S 15 AS 849/05, dann S 21 AS 849/05), das den Rechtsstreit wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit mit Beschluss vom 27. November 2006 an das für K. zuständige Sozialgericht Freiburg verwies, wo der Rechtsstreit zunächst unter dem Az. S 10 AS 6458/06 geführt wurde.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, dass in Absprache mit Mitarbeitern des Amtes für Soziales und Wohnen des beklagten Landkreises (Träger der Eingliederungshilfe) und der MAIA Antrag für den Kläger auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ab 18. Januar 2005 gestellt, dieser mit Bescheid vom 12. Mai 2005 abgelehnt worden und dann Antragstellung nach dem SGB XII empfohlen worden sei. Den Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII hätten die zuständigen Mitarbeiter des beklagten Landkreises gar nicht erst entgegengenommen, sondern auf den Widerspruch nach SGB II verwiesen. Einem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26. Januar 2007 (L 12 AS 4272/06) in einem gegen den Landkreis O. geführten Rechtsstreit sei außerdem zu entnehmen, dass der Kläger anspruchsberechtigt nach dem SGB XII ist. Die Antragstellung nach dem SGB II stehe dem nicht entgegen, vielmehr sei sie als Hilfeersuchen nach dem SGB XII zu verstehen gewesen und dem zuständigen Amt seit 2004 auch durch den Antrag auf Eingliederungshilfe bekannt gewesen. Die uneinheitliche Arbeitsweise zweier Institutionen des gleichen Landkreises führe zu einer existenzbedrohenden Familiensituation, die nur durch Wegzug aus dem örtlichen Zuständigkeitsbereich habe beseitigt werden können. Beklagte seien sowohl der Landkreis P.-M. als örtlicher Sozialhilfeträger wie auch die ihm untergeordnete Mittelmärkische Arge (MAIA) und das Amt für Soziales und Wohnen. Mit undatiertem Schreiben, das am 20. Juli 2009 bei SG einging, führte der Kläger aus, dass Beklagter der Landkreis sei und Leistungen nach dem SGB XII beantragt seien.

Das SG legte als Klägerbegehren nach mehrfacher Änderung zuletzt zugrunde, dass der Kläger beantragte, den Beklagten zu verurteilen, Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum 18. Januar 2005 bis 30. September 2005 zzgl. Zinsen an den Kläger zu zahlen. Der Beklagte beantragt seinerzeit, die Klage abzuweisen. Der Beklagte hielt die angefochtene Entscheidung weiterhin für zutreffend. Die fehlende Erwerbsfähigkeit des Klägers sei inzwischen unstreitig. Für Ansprüche nach dem SGB XII sei die MAIA nicht passivlegitimiert, vielmehr sei insoweit der Landkreis P.-M. (Amt für Soziales und Wohnen) zuständig. Die MAIA sei keine dem Landkreis untergeordnete Behörde. Der Landkreis sei neben der Bundesagentur für Arbeit lediglich einer der beiden Träger der MAIA.

Die am Sozialgericht Freiburg zunächst mit dem Rechtsstreit befasste 10. Kammer ging aufgrund des Schreibens des Klägers vom 24. Oktober 2008, mit welchem er nun Leistungen nach dem SGB XII geltend machte, davon aus, dass der vorliegende Rechtsstreit sich erledigt habe. Nach dann geänderter Rechtsauffassung wurde der Rechtsstreit durch die dortige 10. Kammer - nun unter dem Az. S 10 AS 6158/08 - fortgeführt. Aufgrund Änderung des Geschäftsverteilungsplanes gelangte das Klageverfahren sodann in die Zuständigkeit der zuletzt erkennenden 2. Kammer, das Az. lautet daher dann S 2 AS 6158/08. Mit Beschluss vom 15. Mai 2012 wurde der Landkreis P.-M. beigeladen; zu diesem Zeitpunkt war dem SG nach eigenen Angaben noch nicht bekannt, dass das Jobcenter bereits zum 01.01.2012 in den Landkreis aufgenommen worden war.

Das SG hörte mit Verfügung vom 14. Juni 2012 beide Beteiligten an zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid, § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Im Schreiben an die Beklagte war - entgegen demjenigen an den Kläger- Samstag, der 30. Juni 2012 als Tag der Entscheidung genannt. Mit Fax vom 20. Juni 2012 wurde gegenüber der Beklagten klargestellt, dass eine Entscheidung nicht am Samstag, sondern am Freitag, 29. Juni 2012 ergehen wird. Nachdem das Schreiben an den Kläger ebenfalls am 20. Juni 2012 wegen unzutreffender Anschrift bzw. fehlender Ermittelbarkeit des Empfängers zurück zum SG gelangte, zeigte mit Datum vom 26. Juni 2012 (Faxeingang) die aktuelle Betreuerin ihre Bestellung an.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. Juni 2012 hat das SG den Beklagten verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2005 dem Grunde nach dem Kläger Hilfe zum Lebensunterhalts nach dem SGB XII für die Zeit vom 18. Januar 2005 bis zum 30. September 2005 zu gewähren und ihm die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Das SG führte aus, dass es dem Kläger in der Sache seit Antragstellung im Januar 2005 um die Erlangung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw. zur Hilfe zum Lebensunterhalt gegangen sei. Es spiele für ihn keine Rolle, ob diese - in seinem Fall in Abhängigkeit vom Vorliegen einer Erwerbsfähigkeit - nach dem SGB II oder dem SGB XII gewährt würden. Er habe - nach seiner Darstellung in Absprache mit Mitarbeitern des Beklagten - zwar einen Antrag auf einem SGB II-Formular gestellt und bei der ehemaligen MAIA eingereicht. Er vertrete insoweit jedoch zu Recht die Auffassung, dass dieser Antrag - jedenfalls wenn Erwerbsfähigkeit nicht vorliege (also hilfsweise) - als Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII zu werten und daher an die zuständige Stelle nach § 16 Abs. 2 SGB I weiterzureichen und von dieser zu entscheiden gewesen wäre, es mithin keines neuen Antrags auf Leistungen nach dem SGB XII bedurft hätte. Als juristischer und medizinischer Laie habe der Kläger nicht sicher beurteilen können, ob er die Voraussetzungen einer Erwerbsfähigkeit nach dem SGB II erfülle und er brauche sich insoweit auch nicht festzulegen. Vielmehr könne er bei Verneinung der Erwerbsfähigkeit davon ausgehen, dass sein Antrag auch als ein solcher auf Leistungen nach dem SGB XII gewertet und daher an die zuständige Stelle weitergereicht werde. Dies zumal, da die zur Beurteilung dieser Rechtsfrage erforderlichen Tatsachen der ehemaligen MAIA und dem Amt für Soziales und Wohnen bekannt gewesen wären. Im vorliegenden Fall habe jedoch die ehemalige MAIA, obwohl sie fehlende Erwerbsfähigkeit annahm, den Antrag selbst entschieden. Sie habe auch nicht etwa nur eine Teilentscheidung dahingehend getroffen, dass jedenfalls kein Arbeitslosengeld II gewährt werde. Sie habe vielmehr den Antrag unter vollständigem Verbrauch, also auch soweit in ihm hilfsweise Leistungen nach dem SGB XII beantragt gewesen seien, insgesamt ohne Differenzierung abgelehnt und ihn daher auch nicht von Amts wegen nach § 16 SGB I an das für Leistungen nach dem SGB XII zuständige Sozialamt weitergeleitet. Bei verständiger Würdigung aller Umstände nach § 123 SGG, so das SG, sei davon auszugehen, der Kläger begehre auch im Klageverfahren, dass unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2005 im Hauptantrag der Beklagte als Rechtsnachfolger der MAIA verurteilt wird, dem Kläger für die Zeit vom 18. Januar - 30. September 2005 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren oder hilfsweise - für den Fall des Unterliegens mit dem Hauptantrag aufgrund fehlender Erwerbsfähigkeit - der Beklagte als Träger der Sozialhilfe verurteilt wird, dem Kläger für die Zeit vom 18. Januar - 30. September 2005 laufende Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Zulässigkeit des Hilfsantrags habe auch vor der Verschmelzung von MAIA und Landkreis nicht entgegengestanden, dass es keinen die Sozialhilfe ablehnenden Bescheid des Landkreises gegeben habe. Denn schon vor der Verschmelzung wäre die Verurteilung des Landkreises nach Beiladung möglich gewesen, so das SG unter Hinweis auf Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., 2008, § 75 Rn. 18a. Dass die ursprüngliche Beklagte und die Beizuladende noch vor der Beiladung verschmolzen seien, lasse ein Erfordernis einer SGB XII-Leistungen ablehnenden Verwaltungsentscheidung auch nicht nachträglich aufleben, dies zumal der beklagte Landkreis als Rechtsnachfolger der MAIA deren Ablehnungsbescheid gegen sich gelten lassen müsse, mit welchem der Leistungsantrag vom 18. Januar 2005 vollständig inklusive des konkludent enthaltenen Hilfsantrages abgelehnt worden war. Die Klage sei zudem auch begründet, so das SG. Der Kläger habe für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach Anspruch auf laufende Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII. Zwischen den Beteiligten sei inzwischen unstreitig, dass der Kläger dauerhaft erwerbsgemindert ist; dies auch schon für den streitigen Zeitraum. Er ist geistig behindert, weshalb ihm ein GdB von 100 zuerkannt ist. Gemäß § 8 Abs. 1 SGB II ist derjenige erwerbsfähig, der nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zwar habe der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum sogar in sechsstündigem Umfang täglich die Schule besuchen können, so dass ein mindestens dreistündiges quantitatives Leistungsvermögen nicht von vornherein ausgeschlossen erscheine. Allerdings sprächen die Gründe, aus denen er damals die Förderschule besuchte (Sozialverhalten, persönliche Hygiene, etc.), eindeutig dagegen, dass die Arbeit unter den "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" möglich gewesen wäre.

Einkommen oder Vermögen, das der Leistungsgewährung entgegenstünde, sei nicht ersichtlich und die Mutter des Klägers habe sich im streitgegenständlichen Zeitraum selbst im Bezug von Arbeitslosengeld II befunden. Der Landkreis O. habe dementsprechend seinerseits ab dem 01. Oktober 2005 Leistungen nach dem SGB XII gewährt und auch das LSG Baden-Württemberg scheint in seinem Urteil vom 26. Januar 2007 dem Grunde nach von einem Anspruch des Klägers nach dem SGB XII ausgegangen zu sein ("[ ...] Er war sowohl vor als auch nach der Neufassung des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II leistungsberechtigt nach § 19 Abs. 2 i.V.m. §§ 41 ff SGB XII. [ ...]). Es erfolge daher eine Verurteilung dem Grunde nach durch das SG. Bei der vom Beklagten vorzunehmenden konkreten Nachbewilligung werde auch die Verzinsung - ausgehend von einem Leistungsantrag am 18. Januar 2005 - nach § 44 SGB I zu beachten sein, so das SG abschließend.

Gegen den am 05. Juli 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 19. Juli 2012 Berufung eingelegt. Er trug vor, dass der Anspruch nach SG XII vollumfänglich bereits im Jahr 2005 gedeckt worden sei. Zwar seien im streitgegenständlichen Zeitraum keine Leistungen vom Jobcenter erfolgt, wohl aber Eingliederungshilfe durch das Sozialamt des Beklagten in Form vollstationärer Unterbringung in der Wohnstätte "Albert Schweitzer", St ... Dies würde ein Gesamtplangespräch vom 14. Dezember 2004 ( Bl. 16/22 LSG-Akte L 13 AS 3098/12) sowie bereits archivierte Unterlagen aus der klägerischen Sozialhilfeakte belegen. Gemäß Bl. 23 LSG-Akte L 13 AS 3098/12 schlüsselte der Beklagte Leistungen nach dem SGB XII für den Kläger für einen Zeitraum vom 20. Oktober 2004 bis 30. September 2005 nach täglichem Kostensatz, Heimentgelt, Barbetrag sowie Beihilfen sowie Einnahmen auf. Neben einer endgültigen Einstellung zum 1. Oktober 2005 sei es zu einer zeitweisen Einstellung der Leistungen vom 25. Mai bis 6. Juni 2005 gekommen, da der Kläger von seiner Mutter und damaligen Betreuerin zeitweise eigenmächtig aus der Einrichtung abgeholt worden sei. Der Kläger habe sich vom 3. Mai 2005 bis in den Juni des gleichen Jahres zeitweise nicht in der Einrichtung befunden und sei erst nach der dann notwendig gewordenen Bestellung der neuen Betreuerin dahin zurückgekehrt. Dies würden auch näher bezeichnete Entwicklungsberichte und diverse aktenkundige Heimkostenabrechnung zeigen, die zusammen mit näher bezeichneten Bescheiden die Leistungen belegen würden. Der Kläger habe somit seinen vollen Lebensunterhalt erhalten. Ferner habe er nach § 35 Abs. 2 in der damals geltenden Fassung einen ihm zustehende Barbetrag von zuletzt 86,06 EUR erhalten.

Ein vom Gericht vorgesehener Termin zur Erörterung des Rechtsstreits kam auf Wunsch beider Beteiligter nicht zustande. Zu einer angefragten Rücknahme der Klage konnte sich die Klägerseite nicht entschließen.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Juni 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat auch zuletzt keinen Antrag stellen lassen. Auch weiterer, entgegenstehender Sachvortrag wurde nicht geleistet.

Mit Schreiben vom 1. August 2014 ließ der Kläger, mit Schreiben vom 4. August 2014 erteilte der Beklagte jeweils ein Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsverfahren konnte gemäß § 124 II SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da Beteiligten entsprechende Einverständnisse erteilt haben.

Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des SG Freiburg vom 29. Juni 2012 ist zulässig und der Sache nach begründet. Dem Kläger steht inhaltlich kein Leistungsanspruch nach dem SGB XII mehr zu, da dieser nachweislich bereits erfüllt worden ist.

In formeller Sicht kann dahinstehen, ob zum Erlass dieses Gerichtsbescheides mit ausreichendem zeitlich Vorlauf angehört wurde, obwohl zwischen dem korrigierenden Schreiben des SG an die Beklagte und der Versendung der Entscheidung lediglich zehn Tage gelegen haben. Denn darauf kam es nicht an. Die angefochtene Entscheidung des SG Freiburg ist jedenfalls aus Gründen des materiellen Rechts und der mittlerweile dokumentierten Nachweislage aufzuheben.

Streitgegenstand ist ein Anspruch des Klägers für die Zeit vom 18. Januar - 30. September 2005 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Nicht streitgegenständlich sind daher Zeiträume davor, insbesondere im Jahr 2004 sowie danach.

Die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II im erstinstanzlich gestellten Hauptantrag ist zutreffend und bedarf angesichts der Beschwer des Beklagten durch die Stattgabe zum Hilfsantrag keiner weiteren Ausführungen.

Zwar hat das SG soweit zutreffende Rechtsausführungen zur Behördenstruktur und zur grundsätzlichen Berechtigung nach dem SGB XII getätigt, zu deren Wiedergabe auf den Tatbestand verwiesen wird. Es lässt sich auch der Antragauslegung des SG folgen. Streitgegenstand ist daher auch im Berufungsverfahren die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt vom 18. Januar 2005 bis zum 30. September 2005 nach dem SGB XII.

Rechtsgrundlage der Gewährungen von Leistungen im (hier nicht mehr streitgegenständlichen) Jahr 2004 waren zunächst die §§ 27 ff. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) im Rahmen der Eingliederungshilfe gemäß §§ 39, 40 BSHG sowie § 100 BSHG in der zum Erlasszeitpunkt des Bescheides vom 12. Oktober 2004 geltenden Fassung vom 30. Juni 1961.

Auch nach der Jahreswende 2004/2005, die zugleich die gesetzgeberische Neukonzeption der Grundsicherung brachte, leistete der Beklagte auf Basis der am 1. Februar 2005 getroffenen Vereinbarung nach § 75 Absatz 3 SGB XII (Bl. 16 ff. LSG-Akte L 13 AS 3098/12). Darin wurde auch die nunmehrige Geltung des SGB XII anstelle des BSHG klargestellt. Zu den weiteren Inhalten, etwa der Vergütungsvereinbarungen im Einzelnen, wird auf die aktenkundigen Unterlagen Bezug genommen. Anhaltspunkte dafür, dass die dort vereinbarten Leistungen beklagtenseits nicht erbracht worden sind, liegen nicht vor.

Dem Kläger wurde vom Beklagten der notwendige Unterhalt in Einrichtungen (§ 35 SGB XII in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) geleistet. Daneben besteht kein weiterer Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Der Beklagte hat vollumfänglich geleistet. Für die Zeit vom 25. Mai 2005 bis 6. Juni 2005, in der die damalige Betreuerin dem Kläger eigenmächtig aus der Einrichtung genommen hatte, besteht bereits wegen fehlenden Antrags kein Anspruch auf Leistungen. Durch die eigenmächtige Handlung der damaligen Betreuerin ist hier ein Antragserfordernis zu erkennen, denn durch die bewusste Herausnahme aus der Einrichtung musste die Betreuerin erkennen, dass die bis dahin gewährten Leistungen in Einrichtungen nicht mehr erbracht werden können. Der Beklagte hat folgerichtig die Leistungen eingestellt (Bescheid vom 3. Juni 2005) und sie erst am 6. Juni 2005 nach Rückkehr des Klägers in die Einrichtung wieder aufgenommen. Nachdem der bestandskräftige Bescheid vom 3. Juni 2005 ergangen ist, hätte hier nach Auffassung des Senats ein Leistungsantrag für Sozialhilfeleistungen gestellt werden müssen.

Während des Aufenthalts in einer Einrichtung wird der größte Teil des laufenden Lebensunterhalts durch die Einrichtung gedeckt, die ihre Kosten allerdings ganz oder teilweise von der betreuten Person oder über Pflegesätze von Sozialleistungsträgern übernommen erhält. Dennoch benötigt die betreute Person für die Befriedigung einiger laufender Bedürfnisse, die nicht von der Einrichtung gedeckt werden, nach der geltenden Rechtslage einen gewissen Barbetrag. Auch diesen hat der Kläger nach zunächst geltendem Recht des § 21 Abs. 3 BSHG (2004) sowie später im streitgegenständlichen Zeitraum nach § 35 Abs. 2 SGB XII (2005) in der jeweilig dokumentierten Höhe von zunächst 41,00 EUR, sodann 86,06 EUR erhalten.

Der auf dieser Grundlage bestehende seinerzeitige Anspruch der Klägers wurde auch abschließend befriedigt.

Die Aufstellung vom 20. Juli 2014 (Bl. 31 Senatsakte) für den Zeitraum vom 20. Oktober 2004 bis 1. Oktober 2005 belegt ausführlich und klarstellend die nach dem BSHG sowie dann dem SGB XII erbrachten Leistungen zugunsten des Klägers im Einzelnen. Diese decken sich soweit auch mit den Angaben in der V-Akte Sozialamt Bl. 76; 77; 81; 95; 117; 132; 133; 137; 141.

Die Verurteilung des Beklagten zu weiteren Leistungen nach dem SGB XII durch das SG Freiburg ist daher unbegründet und das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Nach alledem ist die Berufung der Beklagten erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit seiner Rechtsverfolgung letztlich keinen Erfolg hatte.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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