Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 19 KR 3971/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3526/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 06.07.2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Kostenübernahme für eine Implantatversorgung im Ober- und Unterkiefer.
Der Kläger ist 1983 geboren und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Bei ihm liegt eine sogenannte multiple Nichtanlage bleibender Zähne vor. Die bleibenden Zähne 18, 15, 13, 22, 23, 24, 25, 28, 38, 35, 34, 31, 41, 43, 44, 45 und 48 sind nicht angelegt (vgl Bl 92 Senatsakte). Stattdessen sind nur die entsprechenden Milchzähne des Klägers vorhanden. Erstmals 1997 beantragte er bei der Beklagten unter Vorlage eines Heil- und Kostenplanes (HKP) die Kostenübernahme für die Versorgung mit neun Implantaten. Der Medizinische Dienst hielt dies für angemessen und medizinisch notwendig (Blatt 25 Verwaltungsakte), worauf die Beklagte mit Bescheid vom 17.09.1997 (Blatt 26 Verwaltungsakte) die Übernahme der Kosten der Implantatversorgung nebst Suprakonstruktion bewilligte. Eine Implantatversorgung erfolgte jedoch nicht.
Am 24.05.2000 beantragte der behandelnde Zahnarzt Dr. H. erneut die Kostenübernahme für eine Implantatversorgung der Zähne 31 und 41 (Blatt 28 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 27.09.2000 (Blatt 64 Verwaltungsakte) bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme, da eine seltene Ausnahmeindikation für besonders schwere Fälle vorliege, worauf die beantragte Implantatversorgung durchgeführt wurde.
In der zweiten Septemberhälfte 2008 beantragte der Kläger unter Vorlage eines Kostenvoranschlages des Zahnarztes Dr. H. vom 17.09.2008 (Blatt 79 Verwaltungsakte) die Übernahme der Kosten für sieben weitere Implantate (Zähne 13, 22, 23, 24, 34, 43, 44) in Höhe von 4.690,96 EUR.
Mit Bescheid vom 08.10.2008 und einem ergänzenden Schreiben ebenfalls vom 08.10.2008 (Blatt 82, 80 Verwaltungsakte) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nur eine Beteiligung mit Festzuschüssen in Höhe von 1.791,40 EUR erfolgen könne. Im Übrigen könnten die Kosten für die beantragten Zahnimplantate nicht übernommen werden. Dies sei nur möglich wenn schwere Kieferdefekte bestünden und ein herkömmlicher Zahnersatz nicht eingesetzt werden könne.
Auf den hiergegen am 24.10.2008 erhobenen Widerspruch veranlasste die Beklagte ein Gutachten bei dem Zahnarzt Dr. Ha. Im Gutachten vom 19.12.2008 (Blatt 90 Verwaltungsakte) führte Dr. Ha. aus, dass eine konventionelle Versorgung möglich sei und daher die implantologisch-prothetische Versorgung unter der Festzuschussregelung möglich sei, jedoch keine Ausnahmeindikation vorliege.
Der Kläger legte hierauf ein Schreiben seines Zahnarztes Dr. H. vom 08.01.2009 vor, in welchem Dr. H. die von ihm vorgesehene Behandlung als ausreichend und zweckmäßig beschrieb.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es liege keine Ausnahmeindikation nach § 28 Abs 2 Satz 9 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor, da keine generalisierte Nichtanlage der Zähne vorliege. Dies sei nur der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Zähne je Kiefer fehle. Dr. Ha. habe ausgeführt, dass nicht von einer generalisierten Nichtanlage der Zähne auszugehen sei und eine Versorgung mit konventionellem Zahnersatz möglich sei. Der Bewilligungsbescheid vom 17.09.1997 habe sich erledigt. Er sei damals aufgrund des jugendlichen Alters des Klägers ergangen. Bei einem 14-jährigen habe sich eine Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz verboten, da die Pulpen für eine fachgerechte Kronenversorgung zu groß wären und mit einer traumatischen Pulpenschädigung zu rechnen gewesen sei. Herausnehmbarer Zahnersatz verbiete sich bei Jugendlichen wegen des noch nicht abgeschlossenen Skelettwachstums. Schließlich würde eine Modellguss-Prothese das Breitenwachstum des Kiefers wegen der Prothesenklammern verhindern, so dass anschließend eine kieferorthopädische Behandlung vorprogrammiert wäre. Diese drei seinerzeit bei dem 14-jährigen Kläger vorliegenden Gründe würden jetzt bei dem 26-jährigen Versicherten nicht mehr vorliegen und keine Ausnahmeregelung rechtfertigen. Überdies würde eine neue Befundlage aufgrund der Heil- und Kostenpläne aus dem Jahr 2000 sowie des Heil- und Kostenplans vom 17.09.2008 vorliegen.
Hiergegen hat der Kläger am 07.08.2008 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Die Beklagte habe bereits am 17.09.1997 die Kostenzusage für die Implantatversorgung erteilt. Die entsprechende Behandlung sei nicht durchgeführt worden, da zunächst versucht worden sei, die Milchzähne zu konservieren, um den Knochen zu erhalten. Da die vorhandenen Milchzähne jetzt nicht mehr langfristig zu erhalten seien, sei die implantologische Versorgung zwingend notwendig. Die bisherige Ermittlung des Sachverhalts durch die Beklagte sei nicht ausreichend. Im Gutachten von Dr. Ha. vom 19.12.2008 fehle eine detaillierte Auseinandersetzung über den Gesundheitszustand des Klägers und die Möglichkeiten der Versorgung. Beim Kläger würden insgesamt 17 Zähne fehlen, mithin bei 32 Zähnen mehr als die Hälfte, weshalb ein Ausnahmetatbestand vorliege.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen. Die Bewilligung aus dem Jahre 1997 sei auf der Grundlage der damaligen Befunde und der damaligen Rechtslage erfolgt. Beides hätte sich seit 1997 maßgeblich verändert. Die Umstände würden sich bei dem heute 26-jährigen Versicherten wesentlich anders darstellen als bei dem damals 14-jährigen Versicherten. Bewilligungsentscheidungen dürften nur auf den sie auslösenden Behandlungsbedarf bezogen werden, ein erneuter Behandlungsbedarf und die erneute Aufstellung von Heil- und Kostenplänen würde eine erneute Prüfung der Sach- und Rechtslage zur Folge bedingen. Aufgrund der vorhandenen Möglichkeiten einer konventionellen Versorgung komme es letztlich nicht darauf an, ob dem Kläger mehr als die Hälfte der Zähne fehlen würden.
Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung einer sachverständigen Zeugenauskunft bei dem Zahnarzt Dr. H., der unter dem 11.11.2009 (Blatt 26 SG-Akte) mitgeteilt hat, dass aus seiner Sicht eine Implantatversorgung erforderlich und angemessen sei.
Das SG hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. St., Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Freiburg. Im Gutachten vom 24.02.2010 (Blatt 35 SG-Akte) führte der Sachverständige aus, dass keine generalisierte Nichtanlage von Zähnen vorliege. Nichtangelegt seien 17 bleibende Zähne, davon 4 Weisheitszähne. Eine Behandlung mit Implantaten sei nicht zwingend, hätte aber verschiedene Vorteile. Mit der Beurteilung von Dr. Ha. vom 19.12.2008 stimme er von der rechtlichen Seite her betrachtet überein, von der medizinischen Seite favorisiere er hingegen die implantologische Versorgung, da sie die beste Langzeitprognose und die beste Funktion biete. Die alternativen Möglichkeiten (Behandlung mit Modellguss- oder Teleskopprothesen) hätten den Nachteil der Kariesanfälligkeit bzw könnten Probleme mit der Vitalität der Pulpen hervorrufen.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.07.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und würden den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen. Er habe keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Implantatversorgung. Ein hierfür erforderlich gesetzlich geregelter besonders schwerer Fall liege nicht vor. Nur im Unterkiefer, nicht aber im Oberkiefer des Klägers liege eine generalisierte Nichtanlage von Zähnen vor. Im Unterkiefer sei eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate möglich. Aus dem Bescheid vom 17.09.1997 ergebe sich kein Anspruch auf Kostenübernahme. Es liege eine neue Befundsituation und eine andere Gesetzeslage vor.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 18.07.2011 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am 18.11.2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung auf sein bisheriges Vorbringen Bezug genommen. Ergänzend hat er darauf hingewiesen, dass für den Unterkiefer eine generalisierte Nichtanlage von Zähnen vorliege. Daher bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit Implantaten. Der Gutachter Prof. Dr. St. habe festgestellt, dass aus medizinischer Sicht eine prothetische Versorgung Nachteile mit sich bringen würde, insbesondere da verbleibende gesunde Zähne angeschliffen werden müssten. Hingegen biete die implantologische Versorgung ausweislich des Gutachtens die beste Langzeitprognose und die beste Funktion.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 06.07.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 08.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die im Heil- und Kostenplan vom 17.09.2008 vorgesehene Implantatversorgung als Sachleistung zu gewähren bzw die Kosten hierfür in Höhe von 4.690,96 EUR abzüglich etwaiger Festzuschüsse zu übernehmen
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und die Ausführungen des SG Bezug.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. Dr. D., Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Karlsruhe. Im Gutachten vom 12.02.2014 stellte der Sachverständige folgende Diagnosen: - multiple Nichtanlage bleibender Zähne (18, 15, 13, 22, 23, 24, 25, 28, 38, 35, 34, 31, 41, 43, 44, 45, 48), - Michzahnpersistenz - tiefer Biss mit Höhenreduktion des unteren Gesichtsdrittels, - rezidivierende Mundwinkelinfektionen, - Pseudozysten Kieferhöhlenboden beidseits, - chraniomandibuläre Dysfunktion mit Myalgie. Die Milchzähne seien teilweise gelockert und durch den Höhenverlust sei die untere Gesichtshöhe verkleinert. Es sei bereits zu ersten schmerzhaften Sensationen und Funktionsstörungen in der Kaumuskulatur und in den Kiefergelenken gekommen. Eine zahnprothetische Behandlung sei erforderlich. Diese könne prinzipiell nicht nur mittels Zahnimplantaten erfolgen. Es würden drei alternative konventionelle Versorgungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dies seien die Brückenversorgung, Teleskopprothesen oder Modellguss-Prothesen. Dem Kläger verblieben im Oberkiefer auch nach Entfernung der nicht mehr erhaltungswürdigen Milchzähne ausreichend Zähne zur Aufnahme eines konventionellen Zahnersatzes; die verbleibenden Zähne würden ausreichend Pfeiler hergeben, um einen konventionellen Zahnersatz zu stützen. Konventionelle herausnehmbare Prothesen wären auch ausreichend hinsichtlich der orofazialen Funktionen, nämlich dem Zusammenbiss, dem Kauen, der Ästhetik und dem Sprechen. Im ersten Quadranten komme eine Brückenprothetik in Betracht, ansonsten würden entweder die Klammerprothese oder die Modellguss-Prothese in Frage kommen. Die streitige Implantatbehandlung sei nicht die optimale Lösung. Es sei davon auszugehen, dass vor einer Implantatbehandlung zuerst eine kieferorthopädische Regulierung mit Ausformung der Zahnhöhlen, Lückenschluss bei gleichzeitiger Platzschaffung und Anhebung des Bisses durchgeführt werden sollte. Eine derart umfassende implantologische Versorgung sei langfristig die beste Behandlung, allerdings auch die mit dem höchsten Kostenaufwand. Die Planung vom 17.09.2008 sehe lediglich eine Lückenversorgung unter Belassung noch vorhandener Milchzähne vor. Dies sei zwar machbar, jedoch nicht hinreichend und würde eine spätere Weiterbehandlung erforderlich machen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägerin ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Bescheid vom 08.10.2008 und das Erläuterungsschreiben der Beklagten vom selben Tag bilden zusammen eine rechtliche Einheit im Sinne eines Verwaltungsaktes (vgl BSG 6.4.2011, B 4 AS 119/10 R, BSGE 108, 86, SozR 4-1500 § 54 Nr 21 Rn 19 mwN).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit implantologischen Leistungen nach § 27 Abs 1 S 1 und S 2 Nr 2 und 2a, § 28 Abs 2 S 9 SGB V iVm Teil B Abschn VII BehandlRL-ZÄ vom 04.06.2003/24.09.2003 (BAnz Nr 226, S 24 966, mWv 01.01.2004, zuletzt geändert am 01.03.2006, BAnz Nr 111, S 4466, mWv 18.06.2006).
Versicherte - wie der Kläger - haben nach §§ 11 Abs 1 Nr 4, 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit, wenn die Behandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua zahnärztliche Behandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V) und die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2a SGB V). Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden (§ 28 Abs 2 S 1 SGB V). Welche Tätigkeiten des Zahnarztes iS des § 28 Abs 2 S 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind, konkretisiert die BehandlRL-ZÄ auf der Grundlage des § 92 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V.
Implantologische Leistungen schließt § 28 Abs 2 S 9 SGB V von der zahnärztlichen Behandlung grundsätzlich aus. Umgekehrt soll durch die Regelung aber auch sichergestellt werden, dass Versicherte in zwingend notwendigen Ausnahmefällen mit Implantaten versorgt werden (BT-Drucks 13/7264, S 59). Versicherte haben in seltenen, vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 Abs 1 SGB V festzulegenden Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle Anspruch auf implantologische Leistungen, wenn sie einschließlich der Suprakonstruktion im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung als Sachleistung zu erbringen sind.
Nach der auf dieser Grundlage erlassenen Richtlinie des GBA für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie vom 04.06./24.09.2003, Bundesanzeiger Nr 226 vom 03.12.2003, Seite 24966, zuletzt geändert durch Beschluss vom 01.03.2006, Bundesanzeiger Nr 111 vom 17.06.2006, Seite 4466) liegen gemäß B VII Nr 2 Satz 4 besonders schwere Fälle vor: a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache - in Tumoroperationen, - in Entzündungen des Kiefers, - in Operationen infolge von großen Zysten (zB große follikuläre Zysten oder Keratozysten), - in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt, - in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder - in Unfällen haben, b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumor- behandlung c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichts- bereich (zB Spastiken).
Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann (B VII Nr 2 Satz 2), wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. In den Fällen von Satz 4 Buchstaben a) bis c) gilt dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist (B VII Nr 2 Satz 3).
Implantologische Leistungen, die der Abstützung von Zahnersatz dienen sollen, sind "im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung" als Sachleistung zu erbringen, wenn sie notwendiger Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung sind. Eine solche medizinische Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinischen notwendigen Bestandteilen zusammensetzen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die bloße Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Konzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Das folgt aus dem Wortlaut der Regelung des § 28 Abs 2 S 9 Halbs 2 SGB V (BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 6).
Zudem wird der Anspruch Versicherter auf Zahnersatzleistungen auch durch § 87 Abs 1a SGB V näher geregelt. § 87 Abs 1a S 2 ff SGB V bestimmt, dass im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) folgende Regelungen zu treffen sind: Der Vertragszahnarzt hat vor Beginn der Behandlung einen kostenfreien HKP zu erstellen, der den Befund, die Regelversorgung und die tatsächlich geplante Versorgung auch in den Fällen des § 55 Abs 4 und 5 SGB V nach Art, Umfang und Kosten beinhaltet (S 2). Im HKP sind Angaben zum Herstellungsort des Zahnersatzes zu machen (S 3). Der HKP ist von der KK vor Beginn der Behandlung zu prüfen (S 4). Die KK kann den Befund, die Versorgungsnotwendigkeit und die geplante Versorgung begutachten lassen (S 5). Bei bestehender Versorgungsnotwendigkeit bewilligt die KK die Festzuschüsse gemäß § 55 Abs 1 oder 2 SGB V entsprechend dem im HKP ausgewiesenen Befund (S 6). Nach Abschluss der Behandlung rechnet der Vertragszahnarzt die von der KK bewilligten Festzuschüsse mit Ausnahme der Fälle des § 55 Abs 5 SGB V mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ab (S 7). Die Festzuschüsse werden gezahlt, wenn der Zahnersatz in der bewilligten Form innerhalb von sechs Monaten eingegliedert wird. Auch der Leistungsanspruch des Versicherten ist von der Genehmigung der Behandlung und deren Befristung abhängig (BSG 07.05.2013, B 1 KR 5/12 R, SozR 4-2500 § 55 Nr 2). Jedem HKP ist immanent, dass er sich auf eine unmittelbar bevorstehende, nur durch das Genehmigungsverfahren hinausgeschobene vertragszahnärztliche Behandlung bezieht. Die Befristung der Genehmigung soll insbesondere dafür Sorge tragen, dass die nach dem HKP geplante vertragszahnärztliche Behandlung nicht durch einen nach der Genehmigung sich ändernden Zahnbefund ganz oder teilweise gegenstandslos wird, aber gleichwohl durchgeführt werden kann.
Unter Beachtung dieser Maßstäbe hat der Kläger keinen Anspruch auf die begehrten implantologischen Versorgungsleistungen. Ob die Voraussetzungen der Ausnahmeindikation eines besonders schweren Falles nach B VII Nr 2 Satz 4 Buchst c (generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen) der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung beim Kläger vorliegen, kann offenbleiben, da nach den übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate möglich ist und daher auch bei Vorliegen einer Ausnahmeindikation eine Implantatversorgung zu Lasten der GKV nicht erfolgt (B VII Nr 2 Satz 2 der Richtlinie des GBA). Überdies liegt bislang auch kein medizinisches Gesamtbehandlungskonzept iS der neueren BSG-Rechtsprechung vor (BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 6). Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach Abschnitt B VII Nr 2 Satz 3 der Behandlungs-RL bei Annahme einer generalisierten genetischen Nichtanlage von Zähnen eine konventionelle prothetische Versorgung nur dann nicht möglich ist, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist. Ein derart eingeschränkte Belastbarkeit liegt nicht vor. Auch dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. D.
Prof. Dr. Dr. (H) D. hat im Gutachten vom 12.02.2014 für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass die erforderliche zahnprothetische Behandlung nicht nur mittels Zahnimplantaten erfolgen kann, sondern drei alternative konventionelle Versorgungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (Brückenversorgung, Teleskopprothesen oder Modellguss-Prothesen). Dem Kläger würden bei einer konventionellen Versorgung nach den Ausführungen des Sachverständigen im Oberkiefer auch nach Entfernung der nicht mehr erhaltungswürdigen Milchzähne ausreichend Zähne zur Aufnahme eines konventionellen Zahnersatzes verbleiben. Die verbleibenden Zähne geben danach ausreichend Pfeiler her, um einen konventionellen Zahnersatz zu stützen. Konventionelle herausnehmbare Prothesen sind nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen auch ausreichend hinsichtlich der orofazialen Funktionen (Zusammenbiss, Kauen, Ästhetik und Sprechen). Auch Prof. Dr. St. (Gutachten vom 24.02.2010) und Dr. Ha. (Beurteilung vom 19.12.2008) haben die Auffassung vertreten, dass eine Behandlung mit Implantaten nicht zwingend sei und es zumutbare konventionelle Behandlungsalternativen gebe.
Aus dem Bescheid vom 17.09.1997 kann der Kläger keine Rechte mehr herleiten, da der HKP aus dem Jahr 1997 nicht umgesetzt wurde und sich der Bescheid vom 17.09.1997 damit erledigt hat (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch, SGB X, vgl BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 6 Rn 22 ff; zum Gegenwartsbezug eines HKP s oben).
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Die vorliegenden Gutachten von Prof. Dr. Dr. (H) D. und Prof. Dr. St. in Verbindung mit den vorliegenden Auskünften der als sachverständige Zeugen befragten behandelnden Ärzte haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbare inhaltliche Widersprüche und geben keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Kostenübernahme für eine Implantatversorgung im Ober- und Unterkiefer.
Der Kläger ist 1983 geboren und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Bei ihm liegt eine sogenannte multiple Nichtanlage bleibender Zähne vor. Die bleibenden Zähne 18, 15, 13, 22, 23, 24, 25, 28, 38, 35, 34, 31, 41, 43, 44, 45 und 48 sind nicht angelegt (vgl Bl 92 Senatsakte). Stattdessen sind nur die entsprechenden Milchzähne des Klägers vorhanden. Erstmals 1997 beantragte er bei der Beklagten unter Vorlage eines Heil- und Kostenplanes (HKP) die Kostenübernahme für die Versorgung mit neun Implantaten. Der Medizinische Dienst hielt dies für angemessen und medizinisch notwendig (Blatt 25 Verwaltungsakte), worauf die Beklagte mit Bescheid vom 17.09.1997 (Blatt 26 Verwaltungsakte) die Übernahme der Kosten der Implantatversorgung nebst Suprakonstruktion bewilligte. Eine Implantatversorgung erfolgte jedoch nicht.
Am 24.05.2000 beantragte der behandelnde Zahnarzt Dr. H. erneut die Kostenübernahme für eine Implantatversorgung der Zähne 31 und 41 (Blatt 28 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 27.09.2000 (Blatt 64 Verwaltungsakte) bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme, da eine seltene Ausnahmeindikation für besonders schwere Fälle vorliege, worauf die beantragte Implantatversorgung durchgeführt wurde.
In der zweiten Septemberhälfte 2008 beantragte der Kläger unter Vorlage eines Kostenvoranschlages des Zahnarztes Dr. H. vom 17.09.2008 (Blatt 79 Verwaltungsakte) die Übernahme der Kosten für sieben weitere Implantate (Zähne 13, 22, 23, 24, 34, 43, 44) in Höhe von 4.690,96 EUR.
Mit Bescheid vom 08.10.2008 und einem ergänzenden Schreiben ebenfalls vom 08.10.2008 (Blatt 82, 80 Verwaltungsakte) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nur eine Beteiligung mit Festzuschüssen in Höhe von 1.791,40 EUR erfolgen könne. Im Übrigen könnten die Kosten für die beantragten Zahnimplantate nicht übernommen werden. Dies sei nur möglich wenn schwere Kieferdefekte bestünden und ein herkömmlicher Zahnersatz nicht eingesetzt werden könne.
Auf den hiergegen am 24.10.2008 erhobenen Widerspruch veranlasste die Beklagte ein Gutachten bei dem Zahnarzt Dr. Ha. Im Gutachten vom 19.12.2008 (Blatt 90 Verwaltungsakte) führte Dr. Ha. aus, dass eine konventionelle Versorgung möglich sei und daher die implantologisch-prothetische Versorgung unter der Festzuschussregelung möglich sei, jedoch keine Ausnahmeindikation vorliege.
Der Kläger legte hierauf ein Schreiben seines Zahnarztes Dr. H. vom 08.01.2009 vor, in welchem Dr. H. die von ihm vorgesehene Behandlung als ausreichend und zweckmäßig beschrieb.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es liege keine Ausnahmeindikation nach § 28 Abs 2 Satz 9 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor, da keine generalisierte Nichtanlage der Zähne vorliege. Dies sei nur der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Zähne je Kiefer fehle. Dr. Ha. habe ausgeführt, dass nicht von einer generalisierten Nichtanlage der Zähne auszugehen sei und eine Versorgung mit konventionellem Zahnersatz möglich sei. Der Bewilligungsbescheid vom 17.09.1997 habe sich erledigt. Er sei damals aufgrund des jugendlichen Alters des Klägers ergangen. Bei einem 14-jährigen habe sich eine Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz verboten, da die Pulpen für eine fachgerechte Kronenversorgung zu groß wären und mit einer traumatischen Pulpenschädigung zu rechnen gewesen sei. Herausnehmbarer Zahnersatz verbiete sich bei Jugendlichen wegen des noch nicht abgeschlossenen Skelettwachstums. Schließlich würde eine Modellguss-Prothese das Breitenwachstum des Kiefers wegen der Prothesenklammern verhindern, so dass anschließend eine kieferorthopädische Behandlung vorprogrammiert wäre. Diese drei seinerzeit bei dem 14-jährigen Kläger vorliegenden Gründe würden jetzt bei dem 26-jährigen Versicherten nicht mehr vorliegen und keine Ausnahmeregelung rechtfertigen. Überdies würde eine neue Befundlage aufgrund der Heil- und Kostenpläne aus dem Jahr 2000 sowie des Heil- und Kostenplans vom 17.09.2008 vorliegen.
Hiergegen hat der Kläger am 07.08.2008 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Die Beklagte habe bereits am 17.09.1997 die Kostenzusage für die Implantatversorgung erteilt. Die entsprechende Behandlung sei nicht durchgeführt worden, da zunächst versucht worden sei, die Milchzähne zu konservieren, um den Knochen zu erhalten. Da die vorhandenen Milchzähne jetzt nicht mehr langfristig zu erhalten seien, sei die implantologische Versorgung zwingend notwendig. Die bisherige Ermittlung des Sachverhalts durch die Beklagte sei nicht ausreichend. Im Gutachten von Dr. Ha. vom 19.12.2008 fehle eine detaillierte Auseinandersetzung über den Gesundheitszustand des Klägers und die Möglichkeiten der Versorgung. Beim Kläger würden insgesamt 17 Zähne fehlen, mithin bei 32 Zähnen mehr als die Hälfte, weshalb ein Ausnahmetatbestand vorliege.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen. Die Bewilligung aus dem Jahre 1997 sei auf der Grundlage der damaligen Befunde und der damaligen Rechtslage erfolgt. Beides hätte sich seit 1997 maßgeblich verändert. Die Umstände würden sich bei dem heute 26-jährigen Versicherten wesentlich anders darstellen als bei dem damals 14-jährigen Versicherten. Bewilligungsentscheidungen dürften nur auf den sie auslösenden Behandlungsbedarf bezogen werden, ein erneuter Behandlungsbedarf und die erneute Aufstellung von Heil- und Kostenplänen würde eine erneute Prüfung der Sach- und Rechtslage zur Folge bedingen. Aufgrund der vorhandenen Möglichkeiten einer konventionellen Versorgung komme es letztlich nicht darauf an, ob dem Kläger mehr als die Hälfte der Zähne fehlen würden.
Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung einer sachverständigen Zeugenauskunft bei dem Zahnarzt Dr. H., der unter dem 11.11.2009 (Blatt 26 SG-Akte) mitgeteilt hat, dass aus seiner Sicht eine Implantatversorgung erforderlich und angemessen sei.
Das SG hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. St., Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Freiburg. Im Gutachten vom 24.02.2010 (Blatt 35 SG-Akte) führte der Sachverständige aus, dass keine generalisierte Nichtanlage von Zähnen vorliege. Nichtangelegt seien 17 bleibende Zähne, davon 4 Weisheitszähne. Eine Behandlung mit Implantaten sei nicht zwingend, hätte aber verschiedene Vorteile. Mit der Beurteilung von Dr. Ha. vom 19.12.2008 stimme er von der rechtlichen Seite her betrachtet überein, von der medizinischen Seite favorisiere er hingegen die implantologische Versorgung, da sie die beste Langzeitprognose und die beste Funktion biete. Die alternativen Möglichkeiten (Behandlung mit Modellguss- oder Teleskopprothesen) hätten den Nachteil der Kariesanfälligkeit bzw könnten Probleme mit der Vitalität der Pulpen hervorrufen.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.07.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und würden den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen. Er habe keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Implantatversorgung. Ein hierfür erforderlich gesetzlich geregelter besonders schwerer Fall liege nicht vor. Nur im Unterkiefer, nicht aber im Oberkiefer des Klägers liege eine generalisierte Nichtanlage von Zähnen vor. Im Unterkiefer sei eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate möglich. Aus dem Bescheid vom 17.09.1997 ergebe sich kein Anspruch auf Kostenübernahme. Es liege eine neue Befundsituation und eine andere Gesetzeslage vor.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 18.07.2011 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am 18.11.2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung auf sein bisheriges Vorbringen Bezug genommen. Ergänzend hat er darauf hingewiesen, dass für den Unterkiefer eine generalisierte Nichtanlage von Zähnen vorliege. Daher bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit Implantaten. Der Gutachter Prof. Dr. St. habe festgestellt, dass aus medizinischer Sicht eine prothetische Versorgung Nachteile mit sich bringen würde, insbesondere da verbleibende gesunde Zähne angeschliffen werden müssten. Hingegen biete die implantologische Versorgung ausweislich des Gutachtens die beste Langzeitprognose und die beste Funktion.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 06.07.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 08.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die im Heil- und Kostenplan vom 17.09.2008 vorgesehene Implantatversorgung als Sachleistung zu gewähren bzw die Kosten hierfür in Höhe von 4.690,96 EUR abzüglich etwaiger Festzuschüsse zu übernehmen
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und die Ausführungen des SG Bezug.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. Dr. D., Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Karlsruhe. Im Gutachten vom 12.02.2014 stellte der Sachverständige folgende Diagnosen: - multiple Nichtanlage bleibender Zähne (18, 15, 13, 22, 23, 24, 25, 28, 38, 35, 34, 31, 41, 43, 44, 45, 48), - Michzahnpersistenz - tiefer Biss mit Höhenreduktion des unteren Gesichtsdrittels, - rezidivierende Mundwinkelinfektionen, - Pseudozysten Kieferhöhlenboden beidseits, - chraniomandibuläre Dysfunktion mit Myalgie. Die Milchzähne seien teilweise gelockert und durch den Höhenverlust sei die untere Gesichtshöhe verkleinert. Es sei bereits zu ersten schmerzhaften Sensationen und Funktionsstörungen in der Kaumuskulatur und in den Kiefergelenken gekommen. Eine zahnprothetische Behandlung sei erforderlich. Diese könne prinzipiell nicht nur mittels Zahnimplantaten erfolgen. Es würden drei alternative konventionelle Versorgungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dies seien die Brückenversorgung, Teleskopprothesen oder Modellguss-Prothesen. Dem Kläger verblieben im Oberkiefer auch nach Entfernung der nicht mehr erhaltungswürdigen Milchzähne ausreichend Zähne zur Aufnahme eines konventionellen Zahnersatzes; die verbleibenden Zähne würden ausreichend Pfeiler hergeben, um einen konventionellen Zahnersatz zu stützen. Konventionelle herausnehmbare Prothesen wären auch ausreichend hinsichtlich der orofazialen Funktionen, nämlich dem Zusammenbiss, dem Kauen, der Ästhetik und dem Sprechen. Im ersten Quadranten komme eine Brückenprothetik in Betracht, ansonsten würden entweder die Klammerprothese oder die Modellguss-Prothese in Frage kommen. Die streitige Implantatbehandlung sei nicht die optimale Lösung. Es sei davon auszugehen, dass vor einer Implantatbehandlung zuerst eine kieferorthopädische Regulierung mit Ausformung der Zahnhöhlen, Lückenschluss bei gleichzeitiger Platzschaffung und Anhebung des Bisses durchgeführt werden sollte. Eine derart umfassende implantologische Versorgung sei langfristig die beste Behandlung, allerdings auch die mit dem höchsten Kostenaufwand. Die Planung vom 17.09.2008 sehe lediglich eine Lückenversorgung unter Belassung noch vorhandener Milchzähne vor. Dies sei zwar machbar, jedoch nicht hinreichend und würde eine spätere Weiterbehandlung erforderlich machen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägerin ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Bescheid vom 08.10.2008 und das Erläuterungsschreiben der Beklagten vom selben Tag bilden zusammen eine rechtliche Einheit im Sinne eines Verwaltungsaktes (vgl BSG 6.4.2011, B 4 AS 119/10 R, BSGE 108, 86, SozR 4-1500 § 54 Nr 21 Rn 19 mwN).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit implantologischen Leistungen nach § 27 Abs 1 S 1 und S 2 Nr 2 und 2a, § 28 Abs 2 S 9 SGB V iVm Teil B Abschn VII BehandlRL-ZÄ vom 04.06.2003/24.09.2003 (BAnz Nr 226, S 24 966, mWv 01.01.2004, zuletzt geändert am 01.03.2006, BAnz Nr 111, S 4466, mWv 18.06.2006).
Versicherte - wie der Kläger - haben nach §§ 11 Abs 1 Nr 4, 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit, wenn die Behandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua zahnärztliche Behandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V) und die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2a SGB V). Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden (§ 28 Abs 2 S 1 SGB V). Welche Tätigkeiten des Zahnarztes iS des § 28 Abs 2 S 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind, konkretisiert die BehandlRL-ZÄ auf der Grundlage des § 92 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V.
Implantologische Leistungen schließt § 28 Abs 2 S 9 SGB V von der zahnärztlichen Behandlung grundsätzlich aus. Umgekehrt soll durch die Regelung aber auch sichergestellt werden, dass Versicherte in zwingend notwendigen Ausnahmefällen mit Implantaten versorgt werden (BT-Drucks 13/7264, S 59). Versicherte haben in seltenen, vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 Abs 1 SGB V festzulegenden Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle Anspruch auf implantologische Leistungen, wenn sie einschließlich der Suprakonstruktion im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung als Sachleistung zu erbringen sind.
Nach der auf dieser Grundlage erlassenen Richtlinie des GBA für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie vom 04.06./24.09.2003, Bundesanzeiger Nr 226 vom 03.12.2003, Seite 24966, zuletzt geändert durch Beschluss vom 01.03.2006, Bundesanzeiger Nr 111 vom 17.06.2006, Seite 4466) liegen gemäß B VII Nr 2 Satz 4 besonders schwere Fälle vor: a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache - in Tumoroperationen, - in Entzündungen des Kiefers, - in Operationen infolge von großen Zysten (zB große follikuläre Zysten oder Keratozysten), - in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt, - in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder - in Unfällen haben, b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumor- behandlung c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichts- bereich (zB Spastiken).
Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann (B VII Nr 2 Satz 2), wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. In den Fällen von Satz 4 Buchstaben a) bis c) gilt dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist (B VII Nr 2 Satz 3).
Implantologische Leistungen, die der Abstützung von Zahnersatz dienen sollen, sind "im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung" als Sachleistung zu erbringen, wenn sie notwendiger Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung sind. Eine solche medizinische Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinischen notwendigen Bestandteilen zusammensetzen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die bloße Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Konzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Das folgt aus dem Wortlaut der Regelung des § 28 Abs 2 S 9 Halbs 2 SGB V (BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 6).
Zudem wird der Anspruch Versicherter auf Zahnersatzleistungen auch durch § 87 Abs 1a SGB V näher geregelt. § 87 Abs 1a S 2 ff SGB V bestimmt, dass im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) folgende Regelungen zu treffen sind: Der Vertragszahnarzt hat vor Beginn der Behandlung einen kostenfreien HKP zu erstellen, der den Befund, die Regelversorgung und die tatsächlich geplante Versorgung auch in den Fällen des § 55 Abs 4 und 5 SGB V nach Art, Umfang und Kosten beinhaltet (S 2). Im HKP sind Angaben zum Herstellungsort des Zahnersatzes zu machen (S 3). Der HKP ist von der KK vor Beginn der Behandlung zu prüfen (S 4). Die KK kann den Befund, die Versorgungsnotwendigkeit und die geplante Versorgung begutachten lassen (S 5). Bei bestehender Versorgungsnotwendigkeit bewilligt die KK die Festzuschüsse gemäß § 55 Abs 1 oder 2 SGB V entsprechend dem im HKP ausgewiesenen Befund (S 6). Nach Abschluss der Behandlung rechnet der Vertragszahnarzt die von der KK bewilligten Festzuschüsse mit Ausnahme der Fälle des § 55 Abs 5 SGB V mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ab (S 7). Die Festzuschüsse werden gezahlt, wenn der Zahnersatz in der bewilligten Form innerhalb von sechs Monaten eingegliedert wird. Auch der Leistungsanspruch des Versicherten ist von der Genehmigung der Behandlung und deren Befristung abhängig (BSG 07.05.2013, B 1 KR 5/12 R, SozR 4-2500 § 55 Nr 2). Jedem HKP ist immanent, dass er sich auf eine unmittelbar bevorstehende, nur durch das Genehmigungsverfahren hinausgeschobene vertragszahnärztliche Behandlung bezieht. Die Befristung der Genehmigung soll insbesondere dafür Sorge tragen, dass die nach dem HKP geplante vertragszahnärztliche Behandlung nicht durch einen nach der Genehmigung sich ändernden Zahnbefund ganz oder teilweise gegenstandslos wird, aber gleichwohl durchgeführt werden kann.
Unter Beachtung dieser Maßstäbe hat der Kläger keinen Anspruch auf die begehrten implantologischen Versorgungsleistungen. Ob die Voraussetzungen der Ausnahmeindikation eines besonders schweren Falles nach B VII Nr 2 Satz 4 Buchst c (generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen) der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung beim Kläger vorliegen, kann offenbleiben, da nach den übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate möglich ist und daher auch bei Vorliegen einer Ausnahmeindikation eine Implantatversorgung zu Lasten der GKV nicht erfolgt (B VII Nr 2 Satz 2 der Richtlinie des GBA). Überdies liegt bislang auch kein medizinisches Gesamtbehandlungskonzept iS der neueren BSG-Rechtsprechung vor (BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 6). Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach Abschnitt B VII Nr 2 Satz 3 der Behandlungs-RL bei Annahme einer generalisierten genetischen Nichtanlage von Zähnen eine konventionelle prothetische Versorgung nur dann nicht möglich ist, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist. Ein derart eingeschränkte Belastbarkeit liegt nicht vor. Auch dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. D.
Prof. Dr. Dr. (H) D. hat im Gutachten vom 12.02.2014 für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass die erforderliche zahnprothetische Behandlung nicht nur mittels Zahnimplantaten erfolgen kann, sondern drei alternative konventionelle Versorgungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (Brückenversorgung, Teleskopprothesen oder Modellguss-Prothesen). Dem Kläger würden bei einer konventionellen Versorgung nach den Ausführungen des Sachverständigen im Oberkiefer auch nach Entfernung der nicht mehr erhaltungswürdigen Milchzähne ausreichend Zähne zur Aufnahme eines konventionellen Zahnersatzes verbleiben. Die verbleibenden Zähne geben danach ausreichend Pfeiler her, um einen konventionellen Zahnersatz zu stützen. Konventionelle herausnehmbare Prothesen sind nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen auch ausreichend hinsichtlich der orofazialen Funktionen (Zusammenbiss, Kauen, Ästhetik und Sprechen). Auch Prof. Dr. St. (Gutachten vom 24.02.2010) und Dr. Ha. (Beurteilung vom 19.12.2008) haben die Auffassung vertreten, dass eine Behandlung mit Implantaten nicht zwingend sei und es zumutbare konventionelle Behandlungsalternativen gebe.
Aus dem Bescheid vom 17.09.1997 kann der Kläger keine Rechte mehr herleiten, da der HKP aus dem Jahr 1997 nicht umgesetzt wurde und sich der Bescheid vom 17.09.1997 damit erledigt hat (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch, SGB X, vgl BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 6 Rn 22 ff; zum Gegenwartsbezug eines HKP s oben).
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Die vorliegenden Gutachten von Prof. Dr. Dr. (H) D. und Prof. Dr. St. in Verbindung mit den vorliegenden Auskünften der als sachverständige Zeugen befragten behandelnden Ärzte haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbare inhaltliche Widersprüche und geben keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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