L 9 U 5631/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 2807/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5631/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 22. November 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles streitig.

Der 1963 geborene Kläger war seit November 2001 bei der Firma W. Wach- und Schließdienst, G., im Alarm- und Revierdienst beschäftigt. Nach Dienstbeginn am 07.02.2009 befand er sich gegen 18 Uhr auf dem Weg zu einem Einsatzort, als es zu einem Verkehrsunfall, einem frontalen Zusammenstoß mit einem anderen PKW, gekommen war. Der Kläger wurde mit dem Rettungswagen in die Klinik E., G., verbracht und dort zur stationären Behandlung aufgenommen. Dr. M. und Prof. Dr. U. stellten in ihrem Zwischenbericht vom 26.03.2009 - nach der Entlassung des Klägers aus der stationären Behandlung am 18.02.2009 - eine Rippenserienfraktur 1 bis 5 links dorsal, eine Lungenkontusion beidseits dorsal, kleine apikale Pneus beidseits, eine Commotio cerebri, eine bekannte Muskeldysthrophie Typ Becker-Kiener, eine kleine subdurale Blutung rechts hochparietal und eine Querfortsatzfraktur BWK 1 fest. Der Kläger war konservativ behandelt und am 09.02.2009 bei stabilem Allgemeinzustand auf die Normalstation verlegt worden. Im weiteren Verlauf sei es zu einer zunehmenden Besserung der Kopf- und Thoraxschmerzen gekommen. Unter krankengymnastischer Anleitung habe der Kläger zunehmend mobilisiert werden können. Neurologisch sei er während des stationären Aufenthaltes durchgehend und bei Entlassung unauffällig gewesen. Im Verlauf habe sich keine Befundverschlechterung eingestellt. Der Kläger sei bei gutem Allgemeinbefinden und nur noch geringen Restbeschwerden in die weitere ambulante Behandlung entlassen worden. Bei Entlassung habe der Kläger nur noch gelegentlich eine leichte Schwindelsymptomatik angegeben.

Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K.-M. teilte der Beklagten unter dem 01.04.2009 mit, den Kläger am 27.03.2009 nervenärztlich untersucht zu haben. Sie stellte die Diagnosen eines Zustandes nach subduralem Hämatom rechts hochfrontal, einer Commotio cerebri 2/09 und einer bekannten Muskeldystrophie Becker-Kiener. Sie berichtete, der Kläger sei nicht angeschnallt gewesen und habe sich den Kopf am Armaturenbrett angeschlagen. Es sei Bewusstlosigkeit eingetreten und es bestehe eine retro- und anterograde Amnesie für den Unfallhergang und für den Transport ins Krankenhaus. Die Erinnerung setze erst abends auf der Intensivstation wieder ein. Er klage jetzt über eine zunehmende Schwäche der Beine, besonders beim Treppensteigen. Eine Muskeldystrophie sei seit 2001 bekannt. Damals habe eine stationäre Abklärung im Klinikum C. stattgefunden. Wegen des kleinen subduralen Hämatoms rechts hochfrontal und der Commotio cerebri seien jetzt keine neurologischen Folgeschäden zu erkennen. Im Rahmen der bekannten Muskeldysthrophie sei ihr eine Verlaufsuntersuchung nicht möglich, weil sie den vorherigen Zustand nicht kenne. Es bestehe eine diskrete Schwäche der proximalen Muskulatur im Bereich der unteren Extremität sowie Atrophien der Oberschenkelmuskulatur. An den oberen Extremitäten bestünden derzeit keine neurologischen Einschränkungen. Eine Verschlechterung der vorbekannten Muskeldysthrophie durch das Schädelhirntrauma sei eher unwahrscheinlich.

Prof. Dr. S. und Dr. S., C. G., teilten unter dem 15.04.2009 mit, dass ihnen der Kläger aufgrund der Behandlung der bestehenden Muskeldysthrophie Typ Becker-Kiener bereits bekannt sei. Nach einer Untersuchung des Klägers am 27.03.2009 stellten sie folgende Diagnosen: Zustand nach Verkehrsunfall am 07.02.2009 mit Schädelhirntrauma zweiten Grades, kleines subdurales Hämatom, Rippenserienfraktur links, Pneu beidseits und Querfortsatzfraktur BWK 1; persistierend leichte mnestisch-kognitive Störungen, Verunsicherung und bekannte Muskeldysthrophie Typ Becker-Kiener, Verschlechterung der Mobilität hauptsächlich infolge Verunsicherung. Sie führten aus, auf muskuloskelettalem Gebiet seien die direkten Traumafolgen zwischenzeitlich weitgehend rückgebildet. Der Kläger mache Verschlechterungen der Gehfähigkeit und des Treppensteigens bei vorbestehender Muskeldystrophie geltend, ferner Konzentrations- und Merkfähigkeitsschwächen, welche geringfügig auch in der orientierend durchgeführten neuropsychologischen Untersuchung zutage getreten seien. Der eigentliche klinisch-neurologische Untersuchungsbefund sei, abgesehen von einer leichten Abschwächung des PSR links mehr als rechts, allseits unverändert. Der Kläger habe im Verlauf des letzten Jahres bereits über eine Verschlechterung seiner Mobilität infolge der Muskeldysthrophie berichtet. Nun führe die posttraumatische Verunsicherung des Klägers zu einer weiteren Beeinträchtigung der Wegefähigkeit. Die beschriebenen neurokognitiven Teilleistungs¬schwächen erschienen aufgrund der aus der vorliegenden Datenlage ersichtlichen Schwere des Unfalls plausibel.

Der Kläger befand sich daraufhin vom 21.07.2009 bis 11.08.2009 in stationärer Behandlung der B. Unfallklinik (B.) T ... Im Entlassungsbericht vom 31.08.2009 wurden die Diagnosen Commotio cerebri mit initialem Hämatom (zwischenzeitlich resorbiert), Rippenserien-Fraktur 1 bis 5 links, traumatischer Pneumothorax beidseits, Querfortsatz-Frakturen BWK 2 beidseits, Verdacht auf Deckplattenimpressionen bei BWK 11 und 12 mit residualem Knochenmarködem im MRT und mittel- bis schwergradiges depressives Syndrom sowie - unfallunabhängig - Muskeldysthrophie Typ Becker-Kiener gestellt. Zusammenfassend führten die behandelnden Ärzte aus, dass sich im MRT des Schädels und der HWS sowie im neurologischen Konsil Unfallfolgen nicht mehr nachweisen ließen. Inwieweit der Unfall eine wesentlich rechtliche Ursache für das mittel- bis schwergradige depressive Syndrom sei, müsse im Rahmen einer psychiatrischen Zusammenhangsbegutachtung geklärt werden. Auf unfallchirurgischem Fachgebiet verblieben keine wesentlichen Unfallfolgen mehr. Es zeigten sich noch leichtgradige Deckplattenimpressions-Frakturen bei BWK 11 und BWK 12, welche jedoch auch degenerativ bedingt sein könnten. Dies sei in der Bildgebung nicht eindeutig zu klären gewesen.

Prof. Dr. S. führte unter Berücksichtigung eines psychologischen Befundberichtes der Diplompsychologin T. vom 03.08.2009 nach einer Untersuchung des Klägers am 31.07.2009 in seinem neurologisch-psychiatrischen Befundbericht vom 07.09.2009 aus, dass auf neurologischem Fachgebiet unfallunabhängig erhebliche Zeichen der vorbekannten Muskeldysthrophie Typ Becker-Kiener, insbesondere mit Muskelminderungen der Oberschenkelmuskulatur beidseits bestünden. Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet seien nicht zu erwarten. Insbesondere hätten sich bei einer erheblich eingeschränkten Mitarbeit des Klägers keine Hinweise auf eine Anpassungsstörung oder depressive Störung ergeben. Auch im Rahmen der testpsychologischen Zusatzuntersuchung habe sich eine ausgeprägt mangelnde Mitarbeitsbereitschaft, wie in dafür konstruierten Testverfahren habe festgestellt werden können, gezeigt. Die Ergebnisse hätten teilweise unterhalb der Ratewahrscheinlichkeit gelegen. Den vorliegenden Unterlagen lasse sich entnehmen, dass sich der Kläger eine kleine subdurale Blutung rechts hochparietal zugezogen habe und während der stationären Behandlung in der Klinik E. in G. jederzeit neurologisch unauffällig gewesen sei. Eine substantielle Hirngewebsschädigung sei nicht mitgeteilt worden. Unter Berücksichtigung einer Erinnerungslücke für das Unfallereignis habe sich der Kläger bei dem Unfall eine Hirnbeteiligung vom Ausmaß einer reversiblen Hirnfunktionsstörung (Commotio cerebri, Gehirnerschütterung) zugezogen. Diese sei folgenlos ausgeheilt.

Im daraufhin von der Beklagten in Auftrag gegebenen Ersten Rentengutachten von Prof. Dr. U. vom 14.09.2009 wurde ausgeführt, dass die Untersuchung der Hals- sowie Brustwirbelsäule keinen pathologischen Befund ergeben habe. Unter Berücksichtigung der ausgewerteten Röntgenbilder und des radiologischen Gutachtens von Prof. Dr. D. und Dr. Z. (vom 12.10.2009) bestünden auf unfallchirurgischem Fachgebiet keine wesentlichen Unfallfolgen. Im ebenfalls in Auftrag gegebenen neurologischen Gutachten vom 09.10.2009 haben Prof. Dr. S. und Dr. S. einen Zustand nach Verkehrsunfall am 07.02.2009 mit Schädelhirntrauma zweiten Grades, kleinem subduralem Hämatom, Rippenserienfraktur links, Pneu beidseits und Querfortsatzfraktur BWK 1, ein depressives Syndrom - zumindest anteilig wahrscheinlich reaktiv bedingt -, eine psychomotorische Verlangsamung und reduzierte Wortgewandtheit nicht sicher organischen Ursprungs sowie eine bekannte Muskeldystrophie Becker-Kiener beschrieben. Sie führten aus, dass sich auf neurologischem Fachgebiet keine benennbaren durch den Unfall verursachten Gesundheitsschäden fänden, welche die Erwerbsfähigkeit vermindert hätten.

Prof. Dr. S., C. G., kam in seinem ebenfalls von der Beklagten in Auftrag gegebenen neurologisch-neuropsychiatrischen Gutachten vom 26.11.2009 zu dem Ergebnis, dass die von ihm festgestellten Gesundheitsschäden nicht rechtlich wesentlich durch das Unfallereignis verursacht oder verschlimmert worden seien. Er stellte insoweit einen Zustand nach Polytrauma mit Commotio cerebri und Verdacht auf ein kleines subdurales Hämatom rechts hochfrontal, parasagittal, eine Rippenserienfraktur I bis V links dorsal, eine Lungenkontusion apikal Pneu beidseits, eine Querfortsatzfraktur BWK 1 und den Verdacht auf Frakturen HWK 5, 6, 7 und BWK 1 ohne Dislokation, eine Depression, kognitive Einbußen und eine Muskeldysthrophie Becker-Kiener vom Beckengürteltyp fest. Er ging von einer reversiblen Hirnfunktionsstörung im Sinne einer Commotio cerebri mit initialer Bewusstlosigkeit aus, deren Folgen er für abgeklungen hielt. Der Kläger klage noch über multiple cerebrale Funktionsbeeinträchtigungen, intellektuelle Einbußen, kognitive Störungen mit Kurzzeitgedächtnis- und Konzentrationsminderung, Merkfähigkeitsbeeinträchtigungen, erhöhter Vergesslichkeit, Schwierigkeiten, den Namen zu finden und Personen zu erkennen, sowie Angst vor Personenansammlungen mit Angst- und Panikattacken. Zudem sei eine Wesensänderung manifest mit verminderter Aktivität, vermindertem Antrieb, physischem und psychischem Rückzug und depressiver Verstimmung, die vor dem Unfall nicht so manifest gewesen sei. Weiterhin spüre er eine Stressintoleranz, eine Orientierungsstörung und eine allgemeine psychische und physische Verunsicherung. Auch die körperliche Belastbarkeit sei schlechter. Die intellektuellen Beeinträchtigungen und neuropsychischen Störungen seien nicht auf den Unfall und seine Folgen zurückzuführen, sondern Folge und Ausdruck einer schon seit Jahren wechselnd ausgeprägten Depression. Die Diplompsychologin K. führte in ihrem Zusatzgutachten vom 22.11.2009 aus, dass das Ausmaß der gezeigten reduzierten Leistungsfähigkeit mit der Art der Verletzung (Commotio cerebri und subdurales Hämatom) nicht hinreichend erklärbar seien. Das stark eingeschränkte Kommunikationsverhalten, die Antriebslosigkeit und die hohe körperliche Anspannung ließen auch bzw. zusätzlich auf eine depressive Symptomatik schließen. Weil der Fragebogen zur Erfassung dieser Symptomatik nicht auswertbar gewesen sei, bestünden keine objektiven bzw. messbaren Hinweise hierauf. Lediglich die Aussagen der Ehefrau, dass es seit der Einnahme des Antidepressivums besser sei, sowie die Anbindung an die psychiatrische Institutsambulanz gäben indirekt Hinweise darauf, dass das kognitive Leistungsniveau durch eine psychiatrische Störung eingeschränkt sein könne. In diesem Falle wären erst nach Abklingen einer solchen Störung und einer erneuten Testung Aussagen über das tatsächliche kognitive Funktionsniveau möglich.

Mit Bescheid vom 03.02.2010 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Rente wegen des Versicherungsfalles vom 07.02.2009 ab. Die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch lägen nicht vor, weil die Erwerbsfähigkeit nach dem Ende des Verletztengeldanspruches (10.08.2009) nicht um wenigstens 20 v. H. gemindert sei. Als Folgen dieses Versicherungsfalles anerkannte sie eine ohne wesentliche Folgen verheilte Schädel-Hirn-Verletzung mit kleinem Blutgeschwulst unter der Hirnhaut, ohne wesentliche Folgen verheilte Brüche des fünften, sechsten und siebten Halswirbelkörpers und des ersten und zweiten Querfortsatzes des Brustwirbelkörpers, ohne wesentliche Folgen verheilte Brüche der ersten bis fünften Rippe links und ohne wesentliche Folgen verheilte Lungenquetschung.

Auf die mit dem Widerspruch des Klägers erhobenen Einwendungen gegen das Gutachten von Prof. Dr. S. räumte dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 08.04.2010 ein, dass es aufgrund einer Namensgleichheit eines Patienten der Klinik zu einer Verwechslung von Patientendaten gekommen war und der Kläger vor dem Unfall nicht wegen Depressionen in Behandlung des C. gestanden habe, allerdings sei er am 11.08.2009, dann am 01.03.2010 und wiederum am 26.04.2010 in Behandlung der psychiatrischen Institutsambulanz durch Dr. S. gewesen. Im Vordergrund hätten dabei Befindlichkeitsstörungen gestanden und bei der ersten Exploration auch Depressionen, es habe sich aber auch um die Folgen unterdurchschnittlicher Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsfunktionen gehandelt. Dr. S. habe die rezidivierenden depressiven Episoden bestätigt, die allerdings vom Kläger so nicht erlebt würden. Insoweit bestünden keine objektiven bzw. messbaren Hinweise auf die Art und den Schweregrad der Depression. Aufgrund der erhobenen Befunde, der Befunde der Psychologin sowie der psychiatrischen Kollegen, die den Kläger seit Längerem betreuten, bestehe kein Zweifel an dem Vorliegen einer Depression, zumal auch das positive Ansprechen auf ein Antidepressivum für diese Annahme spreche. Er habe in seinem Gutachten dargelegt, dass es keine ausreichenden und objektiven Befunde gebe, die es erlaubten, die Depression als Folge des Unfalles zu deuten. Der Unfall habe zu einer Gehirnerschütterung und damit zu einer reversiblen Hirnfunktionsstörung geführt, die Unfallfolgen am Gehirn seien sicher abgeklungen und nach Art und Ausmaß der initialen Störung nicht geeignet, eine Depression zu verursachen. Die Depression sei vielmehr Ausdruck und Folge von Persönlichkeitsveränderungen, wegen deren der Kläger jetzt in psychiatrischer Behandlung sei und die offenbar auch schon vor dem Unfall bestanden hätten. Insoweit verweise er auf die Angaben des Klägers während des stationären Aufenthaltes an der Unfallchirurgischen Klinik der Klinik E., G ...

Im ärztlichen Entlassungsbericht der S. B., wo sich der Kläger vom 19.03.2010 bis 16.04.2010 in stationärer Behandlung befunden hat, werden die Diagnosen sonstige organische Persönlichkeits- und Verhaltensstörung, chronifizierte mittelgradige depressive Episode, psychogenes Stottern und Muskeldystrophie Typ Becker-Kiener gestellt. Nach Auffassung der Klinik sei der Zustand des Klägers mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 07.02.2009 sowie dessen Verarbeitung zurückzuführen. Aus organmedizinischer Sicht bestehe eine Muskeldysthrophie Typ Becker-Kiener. Aus Beobachtungen im Stationsalltag sowie der durchgeführten Belastungserprobung ergebe sich ein quantitatives Leistungsvermögen von unter drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und somit auch für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Wachmann.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung stützte sich die Beklagte auf die Beurteilung von Prof. Dr. S. in dessen Stellungnahme vom 28.04.2010.

Hiergegen hat der Kläger am 10.08.2010 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) eingelegt und geltend gemacht, dass auch die Verschlimmerung der Muskelerkrankung, des Bandscheibenvorfalls und der Spondylolisthesis der Lendenwirbelsäule, die degenerativen Veränderungen im Bereich der Brustwirbelsäule sowie insbesondere die folgende Beeinträchtigung der Persönlichkeitsveränderungen in Form von depressiven Störungen als Unfallfolgen anzuerkennen und zu entschädigen sowie die weiteren Behandlungen zu übernehmen seien. Der Kläger hat hierzu Schreiben der Psychiatrischen Institutsambulanz C. G. vom 27.04.2010, 03.08.2010 sowie des Chefarztes der Neurologischen Klinik C. G. Prof. Dr. S. vom 11.08.2010 vorgelegt.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen eines neurologisch-psychiatrischen Fachgutachtens bei Dr. W., Ulm. Im Gutachten vom 05.07.2011 (unter Berücksichtigung eines neuroradiologischen Zusatzgutachtens vom 06.06.2011 von Dr. P., Ulm) hat der Sachverständige eine schwere depressive Episode und eine Muskeldysthrophie Becker-Kiener festgestellt. Er hat die Auffassung vertreten, dass keine der Gesundheitsstörungen ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien. Eine Verschlechterung der seit 2000 bekannten Muskeldystrophie sei nicht dokumentiert und pathophysiologisch unwahrscheinlich. Die erst einige Monate nach dem Unfall auftretende Symptomatik mit Blick auf die depressive Episode mit zunehmender Verschlechterung im Sinne eines Crescendo-Verlaufes spreche für unfallunabhängige Faktoren. Zu diskutieren sei seines Erachtens im Hinblick auf die Schwere der aktuellen Symptomatik am ehesten ein endogenes Geschehen.

Zu den hiergegen erhobenen Einwendungen des Klägers hat Dr. W. unter dem 22.09.2011 Stellung genommen. Entscheidend für die Bewertung eines Unfallzusammenhanges sei, dass beim Kläger durch den Unfall zunächst einmal ein "psychischer Erstschaden" ausgelöst werde, dieser sei aber in der ersten Zeit nach dem Unfall nicht dokumentiert. Es sei zwar richtig, dass Frau Dr. K. den Kläger nur einmalig gesehen habe. Eine solch gravierende Depression, wie sie bei der jetzigen Untersuchung erkennbar gewesen und wie sie zuletzt aber auch z. B. von Prof. S. beschrieben worden sei, wäre einem Nervenarzt auch bei einmaliger Konsultation nicht entgangen, was im Übrigen auch für den Befund bei der Vorstellung in der neurologischen Abteilung des C. in G. im April 2009 gelte. Denn der Kläger habe bei der testpsychologischen Untersuchung dort einen unauffälligen Befund gezeigt, während der Untersuchungsbefund bei der Begutachtung durch ihn deutlich auffällig gewesen sei. Tatsache sei jedenfalls, dass zwischen dem Unfallereignis im Februar 2009 und bis zum Juli/August 2009 keine psychischen Auffälligkeiten dokumentiert worden seien, obwohl der Kläger neurologisch sowie nervenärztlich gesehen worden sei. Mangels Brückensymptomen und mangels klarem psychischen Erstschaden sei ein Zusammenhang zwischen der jetzt deutlichen depressiven Symptomatik und dem Unfallereignis zwar möglich, aber nicht hinreichend wahrscheinlich. Allein aus der Tatsache, dass der Kläger vor dem Unfall in psychischer Hinsicht unauffällig gewesen sei, könne eine Kausalität nicht begründet werden.

Mit Urteil vom 22.11.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Folgen des Arbeitsunfalles bedingten keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um wenigstens 20 v. H. Es schloss sich zur Begründung den Gutachten von Prof. Dr. U. und von Dr. W. an.

Gegen das ihm am 07.12.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.12.2011 Berufung eingelegt und sich gegen die Annahme einer endogen verursachten Depression gewandt. Er sei nach dem Verkehrsunfall wegen Wirbelfrakturen behandelt worden und habe entsprechende Medikamente erhalten. Naturgegeben sei er die ersten Tage schläfrig und kaum ansprechbar gewesen, sodass die Behandlung in der Unfallchirurgie die körperliche Verletzung und keine psychischen Begleitsymptome beobachtet habe. Die Ehefrau habe jedoch sofort eine Veränderung am Kläger festgestellt. Diese sei auf die Unfallbehandlung zurückgeführt worden und es sei keine neurologische Behandlung eingeleitet worden. Noch nach Wochen habe sich die Ehefrau händeringend darum bemühen müssen, dass er einmal neurologisch vorgestellt würde. Für eine Vorstellung bei einem niedergelassenen Neurologen und dem C. habe es dann Wochen gedauert und es sei dann wiederum lediglich oberflächlich nach der Muskeldysthrophie gefragt und diese untersucht worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 22. November 2011 aufzuheben, den Bescheid vom 3. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalles eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v. H. zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat Berichte des U. Ulm vom 12.04.2012 und des R.-Krankenhauses vom 02.02.2012 (Bl. 29 ff. der Akten) vorgelegt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch das Einholen eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bei Dr. B., K., der unter dem 07.06.2012 ausgeführt hat, dass auch bei der jetzigen Untersuchung die Kriterien einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome erfüllt seien. Dies stehe in Übereinstimmung mit dem von ihm veranlassten psychologischen Zusatzgutachten von Dr. A. vom 07.06.2012. Auch die kognitiven Störungen, besonders die deutlichen Konzentrationsstörungen seien als Symptom der depressiven Störung anzusehen. Bei der psychologischen Begutachtung sei auf eine erneute neuropsychologische Testung verzichtet worden, weil wegen der Schwere der Depression und nach der jetzigen Exploration mit hoher Wahrscheinlichkeit die kognitiven Störungen weiter bestünden. Durch die schwere depressive Episode bestehe eine erhöhte Irritierbarkeit und soziale Ängstlichkeit, welche das überwiegend in emotional belastenden Situationen wieder auftretende Stottern erklären könne. Es sei sehr schwer zu beurteilen, ob die schwere depressive Störung direkt oder mittelbar in kausalem Zusammenhang mit dem Unfall stehe. Die Ablehnung im Gutachten von Dr. W. sei nachvollziehbar und in sich schlüssig. Nach eingehender Aktendurchsicht und der jetzigen Exploration kämen der psychologisch-neuropsychologische Gutachter und er zu einer etwas abweichenden Bewertung. Es sei Dr. W. zwar zustimmen, dass ein psychischer Erstschaden nach den Berichten aus der Chirurgischen Klinik G. nicht belegt werden könne. Die Kriterien einer akuten Belastungsreaktion oder das A2-Kriterium einer posttraumatischen Belastungsstörung (Erleben intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen) seien zumindest nicht anhand objektiver Angaben zu sichern. Aus den Akten ergeben sich aber Hinweise, dass Brückensymptome bestanden haben, die aber teilweise nicht spezifisch seien. Er stimme mit dem psychologisch-neuropsychologischen Zusatzgutachten darin überein, dass dies in einem fehlenden Krankheitsverständnis des Klägers für seine Erkrankung begründet sei. Dr. S. habe dies 2009 ebenfalls beschrieben und auch von Überforderung und sozialer Ängstlichkeit gesprochen. Die Ehefrau des Klägers habe beschrieben, dass sie den Beschwerden ihres Mannes zunächst als "Unfallschock" gedeutet und ihnen keine besondere Bedeutung beigemessen habe. Sie habe bei der Untersuchung in der psychiatrischen Institutsambulanz am 11.08.2009 außerhalb einer Begutachtungssituation berichtet, dass die kognitiven Einschränkungen seit dem Unfall bestünden. Vor dem einfachen Bildungshintergrund und bei der beschriebenen sozialen Ängstlichkeit sei der Kläger nicht in der Lage, seinen Beschwerden richtig Ausdruck zu verleihen. Die ersten Behandler seien vorwiegend Chirurgen und Orthopäden gewesen, die die fachfremde psychische Problematik mit Wahrscheinlichkeit nicht richtig wahrgenommen hätten, zumal die anfänglichen kognitiven Leistungseinschränkungen irrtümlich auf eine unfallbedingte Hirnschädigung zurückgeführt worden seien, die dann durch bildgebende Untersuchungen aber nicht habe bestätigt werden können. Darüber hinaus seien in den umfangreichen Akten Symptome dokumentiert, die in zeitlicher Nähe zu dem Unfall auf die Entwicklung einer Depression hinwiesen. Soweit Dr. W. darauf abstelle, dass die Nervenärztin Dr. K. am 23.04.2009 keine Depression festgestellt habe und es unwahrscheinlich sei, dass sie eine schwere Depression übersehen haben könnte und eine solche deshalb auch nicht vorgelegen habe, sprächen aber die erhöhte Klagsamkeit und die subjektive Verschlechterung der Muskelerkrankung schon für eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit und Übergeneralisierung im Sinne erster depressiver Symptome. Es gebe also Hinweise für Brückensymptome, die einen Zusammenhang der im Juli 2009 gesicherten depressiven Episode mit dem Unfall vom 07.02.2009 wahrscheinlich machten. Eine mögliche konkurrierende Ursache der depressiven Störung stelle die problematische Beziehung des Klägers zu seinen beiden Töchtern dar. Die Probleme hätten aber bereits vor dem Unfall bestanden, ohne dass er (der Kläger) klinisch bedeutsame Symptome entwickelt hätte. Eine psychische Erkrankung habe vor dem Unfall nicht bestanden und sei nur aufgrund einer Verwechslung von Patientenunterlagen bei der Begutachtung durch Prof. Dr. S. irrtümlich angenommen worden. Die Auseinandersetzungen seien zeitlich deutlich vor dem Unfall gewesen, stellten aber sicher einen prädisponierenden Faktor für die depressive Störung dar, nicht aber den ursächlichen für den Ausbruch der Erkrankung. Der ungünstige chronische Verlauf der depressiven Störung sei durch das fehlende Krankheitsverständnis, die ungünstigen Therapievoraussetzungen (geringer Bildungsgrad, soziale Ängstlichkeit) und eine dadurch geringe Compliance sowie durch eine bisher nicht konsequent durchgeführte Therapie begründet. Die medikamentös antidepressiven Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft. Studien hätten die multifaktorielle Verursachung von Depressionen inzwischen bestätigt. In der gesetzlichen Unfallversicherung sei der Versicherte mit einer möglicherweise erhöhten Vulnerabilität geschützt. Nach kritischer Würdigung aller dargestellten Fakten sei er in Übereinstimmung mit dem psychologisch-neuropsychologischen Gutachter der Meinung, dass die depressive Störung ohne den Unfall nicht entstanden wäre und dieser zumindest als wesentliche Teilursache neben anderen angesehen werden müsse. Eine wesentliche Verschlechterung der Muskeldysthrophie vom Typ Becker-Kiener sei unter Berücksichtigung des Berichtes der Universitätsklinik U. vom 12.04.2012 nicht eingetreten. Bei dieser handele es sich um eine unfallunabhängige Erkrankung. Auch im Falle einer Verschlechterung könne ein Zusammenhang mit dem Unfall nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit hergestellt werden. Nach den einschlägigen gutachterlichen Bewertungstabellen sei für eine Beeinträchtigung entsprechend dem Schweregrad einer schweren depressiven Episode auch mit psychotischen Symptomen eine MdE zwischen 40 und 100 Prozent gegeben. Psychotische Symptome bestünden bei dem Kläger nicht, die MdE wegen der depressiven Störung schätze er in seinem Fall auf 60 v. H.

Zu diesen Gutachten haben die Beteiligten ausführlich Stellung genommen. Der Kläger hat zudem den Bericht des Universitätsklinikums Ulm über eine Behandlung am 13.06.2013 vorgelegt. Er hatte sich dort zur Abklärung einer unklaren Dysphagiesymptomatik (erstmals) vorgestellt. In diesem wird ausgeführt, dass der Kläger seit ca. einem halben Jahr vermehrt Probleme beim Schlucken von Speichel, fester Nahrung sowie Getränken habe. Er habe bisher nicht nennenswert Gewicht verloren, eine Lungenentzündung habe er nicht gehabt. Bei der Untersuchung habe sich eine leichte Dysphagie mit dem Verdacht auf eine verzögerte Schluckreflextriggerung ergeben. Die Symptomatik in dieser Form könne Folge des Schädelhirntraumas sein auf dem Boden einer allgemeinen motorischen Verlangsamung und Sensibilitätsstörung intraoral. Hierauf hat die Beklagte erwidert, dass die behandelnden Ärzte allenfalls eine mögliche Ursache dargestellt hätten. Auslöser für eine Schluckstörung könne z. B. auch eine Störung der Körpermotorik mit Beeinträchtigungen der Rumpfkontrolle aufgrund einer Muskeldysthrophie sein, zudem hätten die neurologischen Gutachter in Klageverfahren Dr. W. sowie Dr. B. übereinstimmend festgestellt, dass beim Kläger keine strukturelle Hirnschädigung aufgrund des Unfalles bestehe. Darüber hinaus rechtfertigten die festgestellten Befunde keine MdE in wirtschaftlich messbaren Grad.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist aber unbegründet. Der Bescheid vom 03.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2010 ist nicht zu beanstanden, denn er lehnt die Gewährung einer Verletztenrente zu Recht ab, weil durch die Unfallfolgen keine rentenberechtigende MdE erreicht wird.

Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls und ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung der MdE ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. dem dadurch eingetretenen Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Gesundheitserstschaden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. die zusammenfassende Darstellung der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung im Urteil des BSG vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196-209 und in Juris).

Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nach dem Urteil des BSG vom 09.05.2006 (a.a.O. Rdnr. 15) nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn.

Im Urteil vom 09.05.2006 (a.a.O. Rdnr. 21) hat das BSG keinen Zweifel daran gelassen, dass die Theorie der wesentlichen Bedingung auch uneingeschränkt auf die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Arbeitsunfällen und psychischen Störungen anzuwenden ist, die nach Arbeitsunfällen in vielfältiger Weise auftreten können. Die Feststellung der psychischen Störung sollte angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglichen Schulenstreiten aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen. Denn je genauer und klarer die beim Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, desto einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten (BSG a.a.O. Rdnr. 22). Das BSG hat im Weiteren darauf hingewiesen, dass es wegen der Komplexität von psychischen Gesundheitsstörungen im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel des Inhalts gibt, dass bei fehlender Alternativursache (etwa wenn Vorerkrankungen oder eine Schadensanlage nicht nachweisbar sind) die versicherte naturwissenschaftliche Ursache (also die Einwirkung durch den Arbeitsunfall, festgestellt auf der ersten Stufe der Ursächlichkeitsprüfung) damit auch automatisch zu einer wesentlichen Ursache (im Sinne der Ursächlichkeitsprüfung auf der zweiten Stufe) wird. Dies würde angesichts der Komplexität psychischer Vorgänge und des Zusammenwirkens gegebenenfalls lange Zeit zurückliegender Faktoren zu einer Umkehr der Beweislast führen, für die keine rechtliche Grundlage erkennbar sei (BSG a.a.O. Rdnr. 39). Andererseits schließt aber eine "abnorme seelische Bereitschaft" die Annahme der psychischen Reaktion als Unfallfolge nicht aus. Wunschbedingte Vorstellungen sind aber als konkurrierende Ursachen zu würdigen und können der Bejahung eines wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und der psychischen Reaktion entgegenstehen (BSG a.a.O. Rdnrn 37, 38).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall, der hier unstreitig am 07.02.2009 eingetreten und von der Beklagten anerkannt ist) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Renten an Versicherte werden von dem Tag an gezahlt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Ausgehend von den vorstehend genannten Voraussetzungen hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Verletztenrente.

Für die von Dr. W. und Dr. B. gestellte Diagnose einer schweren depressiven Episode (ICD 10 F32.2) fehlt es sowohl an einer plausiblen Einwirkung als auch an einer rechtlich wesentlichen Verursachung durch den Unfall.

Hierzu stellt der Senat zunächst fest, dass weder klinisch noch radiologisch eine strukturelle Hirnschädigung nachgewiesen ist. Am Unfalltag wurden im Durchgangsarztbericht der erstbehandelnden Klinik lediglich Schürfwunden im Gesicht und eine nur fragliche Bewusstlosigkeit und Amnesie (Durchgangsarztbericht Prof. Dr. U. vom 09.02.2009) festgehalten. Dr. B. weist insoweit zu Recht darauf hin, dass der neurologische Befund im Bericht des Klinikums E. vom 26.02.2009 während des gesamten Aufenthaltes als unauffällig beschrieben und ein pathologischer psychischer Befund nicht vermerkt worden war. Auch sieben Wochen nach dem Unfall bei der Untersuchung durch Dr. K. war der enzephalografische Befund unauffällig. Bei nur fraglicher Bewusstlosigkeit, einer fehlenden Prellmarke am Kopf (im Gesicht waren nur Schürfwunden beschrieben worden) und einer ebenfalls nur fraglichen Amnesie sieht der Senat hier keine gesicherten Zeichen einer Schädel-Hirn-Verletzung. Mit Blick auf die von Dr. B. berücksichtigte Amnesie ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger noch am 18.02.2009 gegenüber einem Mitarbeiter der Beklagten genaue Angaben zum Unfallhergang machen konnte, weswegen den Angaben von Dr. K., es bestehe eine retro- und antrograde Amnesie für den Unfallhergang und den Transport ins Krankenhaus, nur bedingt gefolgt werden kann. Ihren Angaben zufolge setzte die Erinnerung aber bereits abends auf der Intensivstation wieder ein. Eine Amnesie ist zudem im Zwischenbericht der Klinik E. vom 26.03.2009 überhaupt nicht erwähnt worden. Der Senat kann sich daher nicht vom Vorliegen einer bedeutsamen, längerdauernden Amnesie überzeugen. Schließlich belegt auch das neuroradiologische Zusatzgutachten von Dr. P., der das craniale Computertomogramm vom Unfalltag und die nachfolgenden Kernspintomografien (23.07.2009 und 30.05.2011) ausgewertet hat, dass es nicht zu einer intrazerebralen Schädigung (subdurales Hämatom oder Schädelfraktur) gekommen ist und daher auch ein chronisch organisches Psychosyndrom, welches die Beschwerden des Klägers erklären könnte, nicht vorliegt. Dieser Auffassung hat sich Dr. B. in seinem Gutachten unter Hinzuziehung von Oberarzt Dr. W., Radiologische Abteilung des Klinikums K., ausdrücklich angeschlossen. Auch nach deren Einschätzung ist ein subdurales Hämatom hochfrontal rechts nach Durchsicht der vorgelegten Computertomogramme nicht nachgewiesen. Ferner teilen beide die Auffassung von Dr. P., dass die leicht hyperdense Darstellung des Tentoriums (Hirnhaut über dem Kleinhirn) als physiologisch zu werten sei. Nach Überzeugung des Senats fehlt es damit schon am Nachweis einer nur leichten Schädel-Hirn-Verletzung.

Lässt sich deswegen eine (hirn-)organische Ursache für die bestehenden psychischen Einschränkungen nicht begründen, ist von den gehörten Sachverständigen zu Recht untersucht worden, ob der Unfall aus anderen Gründen eine rechtlich wesentliche Ursache für die eingetretene Gesundheitsstörung gewesen ist. Dr. W. ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die schwere depressive Episode keine Folge des Unfalles ist. Darüber hinaus vermag nicht festgestellt zu werden, dass es durch den Unfall zu einer wie auch immer gearteten Einwirkung auf die Psyche des Klägers gekommen ist.

Mit einem psychischen Trauma grundsätzlich vereinbar wäre – wie Dr. W. zunächst zu Recht geprüft hat – die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Nach ICD-10 F43.1 entsteht die posttraumatische Belastungsstörung als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Dr. W. weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass vom Kläger nach dessen Angaben und nach Aktenlage zu keinem Zeitpunkt Symptome einer solchen Störung beschrieben worden sind. Es lassen sich weder Intrusionen bzw. Flashbacks, noch affektive Veränderungen, Albträume oder Ähnliches finden. Dem zustimmend wies Dr. B. ergänzend darauf hin, dass auch das sog. A2-Kriterium einer posttraumatischen Belastungsstörung (Erleben intensiver Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen) zumindest nicht anhand objektiver Angaben gesichert werden kann.

Bei der von Dr. W. diskutierten Anpassungsstörung (ICD-10 F43.2) handelt es sich um Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Nach den hierzu einschlägigen Diagnosekriterien müssen zur Diagnosestellung folgende Kriterien erfüllt sein (vgl. Dilling/Freyberger Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, 7. Aufl. 2014, S. 173f.):

A. Identifizierbare psychosoziale Belastung, von einem nicht außergewöhnlichen oder katastrophalem Ausmaß; Beginn der Symptome innerhalb eines Monats. B. Symptome und Verhaltensstörungen, wie sie bei affektiven Störungen (F3) (außer Wahngedanken und Halluzinationen), bei Störungen des Kapitels F4 (neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen) und bei den Störungen des Sozialverhaltens (F91) vorkommen. Die Kriterien einer einzelnen Störung werden aber nicht erfüllt. Die Symptome können in Art und Schwere variieren. C. Die Symptome dauern nicht länger als sechs Monate nach Ende der Belastung oder ihrer Folgen an, außer bei der längeren depressiven Reaktion (F43.21). Bis zu einer Dauer von sechs Monaten kann die Diagnose einer Anpassungsstörung gestellt werden.

Insoweit ist in dem Unfall ohne Weiteres eine identifizierbare psychosoziale Belastung von einem nicht außergewöhnlichen oder katastrophalen Ausmaß zu sehen. Nach diesen Vorgaben muss der Beginn der Symptome aber innerhalb eines Monats nachgewiesen sein. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Denn die vorliegenden Unterlagen belegen psychisch auffällige Symptome in diesem Zeitraum gerade nicht. Auch nach den Einlassungen von Dr. B. sind Befunde einer depressiven Erkrankung erstmals während des stationären Aufenthaltes vom 21.07.2009 bis 11.08.2009 in der BGU Tübingen erhoben und diagnostiziert worden (vgl. Entlassungsbericht vom 31.08.2009: mittel- bis schwergradiges depressives Syndrom). Dr. B. hat Dr. W. auch insoweit zugestimmt, dass die Berichte der Chirurgischen Klinik G. und damit die Behandlung und die unmittelbar nach dem Unfall erhobenen Befunde gerade keinen psychischen Erstschaden belegen. Soweit er von Brückensymptomen spricht, bezeichnet er diese selbst als (teilweise) unspezifisch und verweist auf das fehlende Krankheitsverständnis des Klägers und auf die fehlende Sachkunde der erstbehandelnden Ärzte für den nervenärztlichen Bereich. Insoweit äußert er sich aber nur rein spekulativ und es ist dadurch noch nicht bewiesen, dass der Kläger bereits innerhalb kurzer Zeit nach dem Unfall psychisch auffällige Befunde gezeigt hat, die im Rahmen einer Anpassungsstörung zu berücksichtigen gewesen wären. Dr. B. relativiert die von ihm angegebenen Brückensymptome (Zeitverwechslung des Klägers in Bezug auf einen Behandlungstermin am 16.03.2009, Angaben des Klägers bei der Untersuchung im C. G. am 15.04.2009 [Schwindelgefühle und Konzentrationsstörungen]) auch insofern, als er diese nur als "mögliche" und gerade nicht als unzweifelhafte Hinweise bezeichnet. In diesem Zusammenhang muss gerade auch auf die neuropsychologische Untersuchung im Bericht von Dr. S. vom 15.04.2009 hingewiesen werden. Denn dort klagte der Kläger zwar über persistierende Konzentrationsstörungen (Überforderung bei Häufung von Reizen, Vergessen von Namen, Telefonnummern, etc.) und auch Reizbarkeit. Der orientierend erhobene neuropsychologische Befund hat diese Angaben aber nur "geringfügig" (vgl. Bl. 4 des Berichts) belegt. Der Kläger wurde dort als wacher, freundlich zugewandter Patient, zu allen Qualitäten vollständig orientiert, ohne Störungen von Antrieb oder Affekt und ohne inhaltliche oder formale Denkstörungen beschrieben. Im Mini-Mental-Status-Test unterlief dem Kläger ein Rechenfehler, im Montreal-Cognitive-Assessment (MoCA) erreichte er 27 von 30 Punkten (Abzug bei Uhrentest, Gedächtnisprüfung und Wortgewandtheit). Die dort angegebene posttraumatische Verunsicherung bezog sich auf die Verschlechterung der Mobilität, die auch im Zusammenhang mit der unfallunabhängigen Muskeldystrophie gesehen werden kann. Dies verdeutlicht, warum Dr. B. eine konkrete Aussage auch für die von ihm herangezogenen Brückensymptome nicht treffen kann. Mit Dr. W. sieht der Senat in dem Bericht von Dr. K. zudem ebenfalls keinen überzeugenden Hinweis auf erste depressive Symptome. Solche hat die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie gerade im Hinblick auf die geltend gemachte Schwäche der Beine, für die sie in der Untersuchung aber nur eine diskrete Schwäche der Muskulatur ausmachen konnte und die sie zudem auch nicht in einem Zusammenhang mit dem damals noch angenommenen Schädelhirntrauma sah, nicht beschrieben. Gleiches gilt im Übrigen für die von Dr. B. nach Exploration und Fremdanamnese vertretene Überzeugung, es sei sehr wahrscheinlich, dass weitere Symptome bestanden hätten, die vom Kläger und seiner Frau fehlinterpretiert und nicht geltend gemacht worden seien. Denn auf solche Umstände kann eine Kausalitätsbeurteilung nicht belastbar gestützt werden. Im Ergebnis vermag die Argumentation mit den nur möglichen Brückensymptomen, die zudem zeitlich noch deutlich nach dem Unfall angenommen werden, keine überzeugende Kausalbeziehung zwischen Unfall und einer Erkrankung herzustellen. Dies gilt umso mehr, als Dr. B. als konkurrierende Ursache eine Eskalation familiärer Konflikte 2008 beschreibt, als der Kläger von seiner Tochter auf Unterhaltszahlungen verklagt worden und der Kontakt daraufhin abgebrochen war. Dem Gutachten von Dr. A. kann entnommen werden, dass die Tochter im Sommer 2008 "von einem auf den anderen Tag" ausgezogen war und kurze Zeit später ein Kind bekommen habe, worauf sie den Kläger auf Unterhalt verklagt habe. Berücksichtigt man, dass sich der Unfall im Februar 2009 ereignete, vermag der Senat schon nicht zu erkennen, dass dies trotz der angegebenen starken Belastung für den Kläger (Bl. 31 des Gutachtens) allein wegen der deutlich vor dem Unfall liegenden Auseinandersetzungen keine Rolle mehr gespielt haben könnte. Dies gilt umso mehr, als Dr. B. auf die multifaktorielle Verursachung von Depressionen hinweist.

Unschlüssig ist das Gutachten von Dr. B. auch, soweit es den ursächlichen Zusammenhang der festgestellten depressiven Erkrankung mit dem Unfall nicht erläutert. Soweit er sich auf die von Dr. W. diskutierte Anpassungsstörung nach F43.2 bezieht und diese wegen der von ihm angenommenen Brückensymptome diagnostizieren möchte, hätte eine Auseinandersetzung auch mit den weiteren Diagnosekriterien erfolgen müssen. Also insbesondere, ob das C-Kriterium erfüllt ist. Soweit er von einer länger andauernden depressiven Reaktion ausgehen wollte, hätte er zudem darauf eingehen müssen, dass diese Erkrankung ganz offensichtlich über sechs Monate hinaus andauert und entgegen der F43.21 ("längere depressive Reaktion") auch qualitativ in diesen Diagnoseschlüssel nicht unterzubringen ist. Denn nach den entsprechenden Diagnosekriterien (vgl. Dilling/Freyberger, a.a.O. S. 177) ist hiervon nur ein leichter depressiver Zustand als Reaktion auf eine länger anhaltende Belastungssituation, der zwei Jahre nicht überschreitet, umfasst. Darüber hinaus argumentiert Dr. B. mit Blick auf den von Dr. W. beschriebenen Crescendo-Effekt widersprüchlich, wenn er die von ihm als Brückensymptome benannten Umstände als Hinweis auf die beginnende Depression wertet. Denn auch insoweit hat sich der Befund im zeitlichen Verlauf verschlechtert. Schließlich hat er die im August 2009 ausdrücklich gestellte Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode ohne somatisches Syndrom nicht anhand der einschlägigen Diagnoseschlüssel widerlegt, sondern die Auffassung vertreten, die damals berücksichtigten Einschränkungen seien Ausdruck einer zu diesem Zeitpunkt bestehenden schwergradigen depressiven Störung gewesen. Auch dies belegt Dr. B. nicht anhand von nachvollziehbaren Befunden oder Kriterien. Es fehlt daher gerade auch an einer Auseinandersetzung, weshalb es aufgrund des Unfallgeschehens mit organisch weitestgehend abgeheilten Unfallfolgen zu einer steten Verschlechterung des psychischen Befundes bis hin zu einer schweren depressiven Episode kommen konnte. Ohne Begründung bleibt auch die Behauptung, dass die depressive Störung ohne den Unfall nicht entstanden wäre und dieser zumindest als wesentliche Teilursache neben anderen gesehen werden müsse. Allein aufgrund der gestellten Diagnose einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (F32.2 ICD-10), die selbst keinen Bezug zu einer traumatischen Einwirkung hat, hätte eine Auseinandersetzung erfolgen müssen, in welchem kausalen Zusammenhang eine solche mit dem Unfallereignis steht. Allein die genannten Brückensymptome reichen hier auch dann nicht aus, wenn man sie unterstellen wollte, weil diese allein eine zeitliche, nicht aber (auch) eine ursächliche Verknüpfung belegen können. Eine allein zeitliche Verbindung reicht nicht aus, hieraus auch auf die Ursächlichkeit eines Ereignisses zu schließen.

Auch auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet lassen sich keine Unfallfolgen feststellen, die eine MdE rechtfertigen könnten. Im Rahmen des Ersten Rentengutachtens von Prof. Dr. U. ergab die Untersuchung der Hals- und Brustwirbelsäule bei freier Beweglichkeit für das Vor- und Rückneigen, für die Seitneigung bei uneingeschränkter Drehbeweglichkeit des Kopfes sowie bei unauffälligen Bewegungsmaßen für die Seitneigung und die Drehung der BWS keinen pathologischen Befund. Nachdem auch das radiologische Gutachten von Prof. Dr. D. und Dr. Z. eine knöcherne Konsolidierung der stattgehabten Rippenfrakturen ohne bzw. mit nur sehr geringer Deformierung, die Röntgenuntersuchung der HWS eine normale Anzahl, Form und Größe, einen normalen Mineralsalzgehalt der Halswirbelkörper ohne erkennbare Residuen der stattgehabten Frakturen ergeben hat und der Kläger im Rahmen der Untersuchung – abgesehen von einer Unsicherheit beim Gehen und einer Konzentrationsschwäche – Schmerzen und Beschwerden verneint hat, sind Folgen wegen der erlittenen Frakturen nicht mehr nachweisbar. Dies gilt auch für die radiologisch nachweisbare geringe Pleuraverschwielung beidseits apikal, die aber als klinisch unbedeutend beurteilt wurde (vgl. Gutachten Prof. Dr. D., Dr. Z.). Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen machte der Kläger zudem auch gegenüber Dr. B. nicht geltend.

Eine MdE resultiert auch nicht mit Blick auf die vorbestehende (vgl. Bericht Prof. Dr. S. vom 15.04.2009) Muskelerkrankung. Eine organisch fassbare Verschlimmerung dieser Erkrankung durch den Unfall ist von keinem der gehörten Sachverständigen festgestellt worden und – eine solche als eingetreten unterstellt – von keinem in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang gesehen worden. Eine sich auf die Muskeldystrophie auswirkende, aus dem Unfall herrührende Einwirkung ist insoweit weder dargelegt noch als wahrscheinlich erachtet worden (vgl. Dr. K., Bericht vom 01.04.2009; Prof. Dr. S., 15.04.2009 und Gutachten vom 09.10.2009; Dr. W. Gutachten vom 05.07.2011, Dr. B., 07.06.2012).

Schließlich ergibt sich nichts anderes aus dem Bericht des Universitätsklinikums U. über eine Untersuchung des Klägers am 13.06.2013, in dem über eine unklare Dysphagiesymptomatik berichtet wurde und diese in einen möglichen Zusammenhang mit einem Schädelhirntrauma ("bei Verkehrsunfall 2009") gebracht wurde. Unabhängig davon, dass insoweit lediglich die – im Rahmen der Kausalitätsbeurteilung nicht ausreichende – Möglichkeit einer Verursachung angesprochen wurde, berücksichtigt dieser Befundbericht nicht, dass eine substanzielle Hirnsubstanzschädigung ausgeschlossen wurde (vgl. hierzu die oben gemachten Ausführungen). Es fehlt deshalb schon am Nachweis einer entsprechenden Einwirkung. Darüber hinaus lässt sich mit den in diesem Bericht beschriebenen Einschränkungen – leichte Dysphagie mit dem Verdacht auf eine verzögerte Schluckreflextriggerung, bisher ohne nennenswerten Gewichtsverlust, ohne Lungenentzündung – keine MdE begründen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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