Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 22 AS 4040/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 176/14 NZB RG
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei der Bestimmung des dritten Tages nach Aufgabe zur Post (§ 178a Abs. 2 Satz 3 SGG) ist nicht entscheidend, ob dieser Tag ein Sonnabend, Sonntag oder Feiertag ist.
2. Ein Empfangsbekenntnis ist eine Privaturkunde und erbringt grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zulässig. Er setzt voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können. Der Gegenbeweis ist nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19. April 2012 – IX ZB 303/11 – NJW 2012, 2117).
3. Einem Rechtsanwalt obliegt im Zusammenhang mit einer Zustellung einer Gerichtsentscheidung eine besondere, mehrfache Sorgfaltspflicht, nämlich bei der anwaltlichen Mitwirkung beim Zustellungsvorgang, bei der nachfolgenden Feststellung des Fristbeginns und bei der Überwachung der Rechtsmittelfrist (Anschluss an BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91 - NJW 1992, 574 = JURIS-Dokument Rdnr. 5).
2. Ein Empfangsbekenntnis ist eine Privaturkunde und erbringt grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zulässig. Er setzt voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können. Der Gegenbeweis ist nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19. April 2012 – IX ZB 303/11 – NJW 2012, 2117).
3. Einem Rechtsanwalt obliegt im Zusammenhang mit einer Zustellung einer Gerichtsentscheidung eine besondere, mehrfache Sorgfaltspflicht, nämlich bei der anwaltlichen Mitwirkung beim Zustellungsvorgang, bei der nachfolgenden Feststellung des Fristbeginns und bei der Überwachung der Rechtsmittelfrist (Anschluss an BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91 - NJW 1992, 574 = JURIS-Dokument Rdnr. 5).
I. Der Antrag der Kläger gemäß § 178a des Sozialgerichtsgesetzes auf Fortführung des Beschwerdeverfahrens, das unter dem Aktenzeichen L 3 AS 999/13 NZB geführt worden ist, wird als unzulässig verworfen.
II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger im Anhörungsrügeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Kläger begehren mit der Anhörungsrüge, das Verfahren, das unter dem Aktenzeichen L 3 AS 999/13 NZB geführt und mit Beschluss vom 20. Dezember 2013 abgeschlossen worden ist, fortzuführen.
Die Kläger hatten am 19. September 2012 Klage (Az. S 22 AS 4040/12) erhoben, die das Sozialgericht mit Urteil vom 19. April 2013 abwies. In dem an den Klägerbevollmächtigten adressierte Empfangsbekenntnis ist "30.04.13" als Eingangsdatum handschriftlich eingetragen. Die Unterschriftszeile enthält mit anderer Handschrift die Datumsangabe der "3.5.13", eine Unterschrift und den Stempel der Kanzlei.
Der Klägerbevollmächtigte hat am 31. Mai 2013 Nichtzulassungsbeschwerde (Az. L 3 AS 999/13 NZB) eingelegt und Prozesskostenhilfe beantragt. In der Eingangsbestätigung vom 19. Juni 2013 ist er darauf hingewiesen worden, dass ausweislich des sich in der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses das Urteils des Sozialgerichts am 30. April 2013 zugestellt worden ist. Die am 31. Mai 2013 eingegangene Beschwerdeschrift dürfe damit verspätet sein. Im Folgenden hat der Klägerbevollmächtigte einen Fristverlängerungsantrag gestellt und sich im Schriftsatz vom 9. Oktober 2013 zur Sache in diesem Verfahren und der am 14. Juni 2013 eingelegten Prozesskostenhilfebeschwerde (Az. L 3 AS 1119/14 B PKH) geäußert. Zur Frage der fristwahrenden Beschwerdeeinlegung hat er keine Stellungnahme abgegeben.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist mit Beschluss vom 20. Dezember 2013 als unzulässig verworfen worden, weil die Beschwerde nicht innerhalb der Monatsfrist des § 145 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegt worden sei und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben seien. Der Beschluss ist am 23. Dezember 2013 abgesandt worden.
Der Klägerbevollmächtigte hat am 15. Januar 2014 Anhörungsrüge erhoben. Dem Senat sei offensichtlich nicht bekannt, was ein anwaltliches Empfangsbekenntnis darstelle. Maßgebend sei nicht der Eingangstag, der von einem Büromitarbeiter auf dem Schriftstück oder dem Empfangsbekenntnis vermerkt werde, sondern der Tag, an dem der Anwalt vom Zugang des übermittelten Schriftstückes Kenntnis erlange und es empfangsbereit entgegengenommen habe. Das Urteil vom 19. April 2013 sei seiner unterbevollmächtigten Urlaubsvertretung erst am 3. Mai 2013 zur Kenntnis gelangt. Durch die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig seien die Rechte der Kläger verletzt worden, ohne dass sie auch nur ansatzweise angehört worden seien.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte des erkennenden Senates, die auch die Unterlagen zum Klageverfahren Az. S 22 AS 4040/12 und zum Beschwerdeverfahren Az. L 3 AS 999/13 NZB beinhalten, Bezug genommen.
II.
1. Die Anhörungsrüge nach § 178a SGG ist unzulässig, weil sie verfristet ist. Sie ist deshalb gemäß § 178a Abs. 4 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Gemäß § 178a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG ist die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (vgl. § 178a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGG). Eine Glaubhaftmachung gemäß § 202 SGG i. V. m. § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) dieses Zeitpunktes ist nicht erfolgt.
Der mit einfachem Brief, das heißt formlos, übersandte Beschluss vom 20. Dezember 2013 wurde ausweislich des in der Gerichtsakte befindlichen Postaufgabevermerkes am 23. Dezember 2013 abgesandt. Gemäß § 178a Abs. 2 Satz 3 SGG gelten formlos mitgeteilte Entscheidungen mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Bei der Bestimmung des dritten Tages ist nicht entscheidend, ob dieser Tag ein Sonnabend, Sonntag oder Feiertag ist (vgl. zur entsprechenden Bekanntgabefiktion in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X: BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 – B 14 AS 12/09 R – SozR 4-1300 § 37 Nr. 1 = NJW 2011, 1099; Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X [8. Aufl., 2014], § 37 Rdnr. 12b). Der Beschluss vom 20. Dezember 2013 gilt damit als am 26. Dezember 2013 bekannt gegeben. Da allerdings nicht auszuschließen ist, dass entweder der Beschluss vom 20. Dezember 2013 zu einem späteren Zeitpunkt beim Klägerbevollmächtigten einging oder aber der Klägerbevollmächtigte bei einem zeitnahen Eingang des Beschlusses erst zu einem späteren Zeitpunkt Gelegenheit hatte, von ihm Kenntnis zu erlangen, war der Klägerbevollmächtigte gemäß § 178a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGG verpflichtet, den Zeitpunkt seiner Kenntniserlangung glaubhaft zu machen. Dies ist nicht geschehen.
Eines richterlichen Hinweises auf die Regelung zur Glaubhaftmachung in § 178a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGG bedurfte es nicht. Denn der rechtskundige Klägerbevollmächtigte ist gehalten, sich über formelle Voraussetzungen für ein Rechtsschutzbegehren, die von Gesetzes wegen zu beachten sind, zu informieren.
2. Der Anhörungsrüge wäre aber auch in der Sache der Erfolg versagt geblieben, weil die gerügte Gehörsverletzung nicht vorliegt.
Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren. Diese einfachgesetzliche Regelung ist Ausfluss der verfassungsrechtlichen Garantie in Artikel 103 Abs. 1 des Grundgesetzes.
Dieses rechtliche Gehör wurde den Klägern, vertreten durch den Klägerbevollmächtigten, in Beug auf die Frage, ob die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der Monatsfrist des § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG eingelegt wurde, gewährt. Denn in der Eingangsbestätigung des Gerichtes vom 19. Juni 2013 war der Hinweis auf eine mögliche Fristversäumnis, unter Angabe der maßgebenden Daten, enthalten.
Die Kläger hatten auch keinen Anlass für die Annahme, das Gericht habe seine Auffassung für Fristversäumnis geändert und werde in der Sache entscheiden. Denn der Klägerbevollmächtigte äußerte sich ebenso wenig zur Frage der Fristversäumnis wie der Beklagte. Da somit weder die vom Gericht mitgeteilten Daten noch die mitgeteilte vorläufige Rechtsauffassung in Frage gestellt wurden, hatten die Kläger keine Veranlassung anzunehmen, das Gericht habe seine vorläufige Rechtsauffassung geändert.
3. Lediglich ergänzend wird zur inhaltlichen Rüge, im Beschluss vom 20. Dezember 2013 sei die Bedeutung einer Zustellung gegen Empfangsbekenntnis verkannt worden, Folgendes angemerkt:
Zustellungen, die nach dem Sozialgesetzbuch zu bewirken sind, erfolgen gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung. Gemäß § 174 Abs. 1 SGG kann ein Schriftstück unter anderem an einen Anwalt gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden. Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, das an das Gericht zurückzusenden ist (vgl. § 174 Abs. 4 SGG).
Zustellungsdatum ist der Tag, an dem der Anwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat (ständ. Rspr. des Bundesgerichtshofes, vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2003 – VI ZB 77/02 – NJW 2003, 2460 = JURIS-Dokument Rdnr. 6, m. w. N.; vgl. auch Stöber, in: Zöller, Zivilprozessordnung [30. Aufl., 2014], § 174 Rdnr. 14, m. w. N.). Nicht maßgebend ist hingegen der frühere Tag, der bei Eingang in der Kanzlei von einem Büromitarbeiter auf dem Schriftstück oder Empfangsbekenntnis (mit Datumsstempel) vermerkt wurde (ständ. Rspr. des Bundesgerichtshofes, vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 31. Mai 1979 – VII ZR 290/78 – NJW 1979, 2566 = JURIS-Dokument Rdnr. 12 f., m. w. N.; Stöber, a. a. O., m. w. N.).
Vorliegend weichen zwar im Empfangsbekenntnis das handschriftlich eingetragene Eingangsdatum und das Datum in der Unterschriftszeile voneinander ab. Allerdings besteht hier die Besonderheit, dass auf dem Empfangsbekenntnis nicht nur ein Eingangsvermerk oder ein Eingangsstempel angebracht ist, sondern dass der Klägerbevollmächtigte – einschließlich des handschriftliches Eingangsdatums – folgende Erklärung abgegeben hat: "[Dokumente] habe ich am 30.04.13 erhalten." Diese Erklärung ist klar und unzweideutig. Unklarheiten, die eine Auslegung dieser Erklärung erfordert hätten, sind nicht gegeben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Empfangsbekenntnis eine Privaturkunde und erbringt grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung (vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 19. April 2012 – IX ZB 303/11 – NJW 2012, 2117 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 6, vgl. auch: BVerfG, Beschluss vom 27. März 2001 –2 BvR 2211/97 – NJW 2001, 1563 [1564] = JURIS-Dokument Rdnr. 19, m. w. N.; Stöber, a. a. O., § 174 Rdnr. 20, m. w. N.).
Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zulässig. Er setzt voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können. Der Gegenbeweis ist nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 9. April 2012, a. a. O., m. w. N.; vgl. auch: BVerfG, Beschluss vom 27. März 2001 –2 BvR 2211/97 – NJW 2001, 1563 [1564] = JURIS-Dokument Rdnr. 20, m. w. N.). Einen solchen Gegenbeweis hat der Klägerbevollmächtigte im maßgebenden Verfahren, dem der Nichtzulassungsbeschwerde mit dem Az. L 3 AS 999/13 NZB, nicht ansatzweise angetreten.
Schließlich ist anzumerken, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung einen Rechtsanwalt im Zusammenhang mit einer Zustellung einer Gerichtsentscheidung eine besondere, mehrfache Sorgfaltspflicht obliegt, nämlich bei der anwaltlichen Mitwirkung beim Zustellungsvorgang, bei der nachfolgenden Feststellung des Fristbeginns und bei der Überwachung der Rechtsmittelfrist. So muss unter anderem gewährleistet werden, dass der Zustellungszeitpunkt und damit der Beginn der Rechtsmittelfrist in zuverlässiger Weise festgehalten wird, etwa durch Vermerk auf dem zugestellten Urteil oder sonst in den Handakten (vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 19. April 2012 – IX ZB 303/11 – NJW 1992, 574 = JURIS-Dokument Rdnr. 5, m. w. N.). Dass vor diesem Hintergrund Anlass bestand, die Abläufe in der Kanzlei der Klägerbevollmächtigten zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern, erkannte wohl auch dieser. Denn seit etwa Mitte dieses Jahres ist bei neu eingehenden Rechtsmitteln festzustellen, dass sich auf den Empfangsbekenntnissen an der Stelle, an der das Eingangsdatum einzutragen wäre, nur noch der Eingangsstempel der Kanzlei findet. In der Unterschriftenzeile ist vor der handschriftlichen Datumsangabe jetzt der Stempelaufdruck "zur Kenntnis genommen" angebracht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §§ 183, 193 SGG.
5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).
Dr. Scheer Höhl Atanassov
II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger im Anhörungsrügeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Kläger begehren mit der Anhörungsrüge, das Verfahren, das unter dem Aktenzeichen L 3 AS 999/13 NZB geführt und mit Beschluss vom 20. Dezember 2013 abgeschlossen worden ist, fortzuführen.
Die Kläger hatten am 19. September 2012 Klage (Az. S 22 AS 4040/12) erhoben, die das Sozialgericht mit Urteil vom 19. April 2013 abwies. In dem an den Klägerbevollmächtigten adressierte Empfangsbekenntnis ist "30.04.13" als Eingangsdatum handschriftlich eingetragen. Die Unterschriftszeile enthält mit anderer Handschrift die Datumsangabe der "3.5.13", eine Unterschrift und den Stempel der Kanzlei.
Der Klägerbevollmächtigte hat am 31. Mai 2013 Nichtzulassungsbeschwerde (Az. L 3 AS 999/13 NZB) eingelegt und Prozesskostenhilfe beantragt. In der Eingangsbestätigung vom 19. Juni 2013 ist er darauf hingewiesen worden, dass ausweislich des sich in der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses das Urteils des Sozialgerichts am 30. April 2013 zugestellt worden ist. Die am 31. Mai 2013 eingegangene Beschwerdeschrift dürfe damit verspätet sein. Im Folgenden hat der Klägerbevollmächtigte einen Fristverlängerungsantrag gestellt und sich im Schriftsatz vom 9. Oktober 2013 zur Sache in diesem Verfahren und der am 14. Juni 2013 eingelegten Prozesskostenhilfebeschwerde (Az. L 3 AS 1119/14 B PKH) geäußert. Zur Frage der fristwahrenden Beschwerdeeinlegung hat er keine Stellungnahme abgegeben.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist mit Beschluss vom 20. Dezember 2013 als unzulässig verworfen worden, weil die Beschwerde nicht innerhalb der Monatsfrist des § 145 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegt worden sei und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben seien. Der Beschluss ist am 23. Dezember 2013 abgesandt worden.
Der Klägerbevollmächtigte hat am 15. Januar 2014 Anhörungsrüge erhoben. Dem Senat sei offensichtlich nicht bekannt, was ein anwaltliches Empfangsbekenntnis darstelle. Maßgebend sei nicht der Eingangstag, der von einem Büromitarbeiter auf dem Schriftstück oder dem Empfangsbekenntnis vermerkt werde, sondern der Tag, an dem der Anwalt vom Zugang des übermittelten Schriftstückes Kenntnis erlange und es empfangsbereit entgegengenommen habe. Das Urteil vom 19. April 2013 sei seiner unterbevollmächtigten Urlaubsvertretung erst am 3. Mai 2013 zur Kenntnis gelangt. Durch die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig seien die Rechte der Kläger verletzt worden, ohne dass sie auch nur ansatzweise angehört worden seien.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte des erkennenden Senates, die auch die Unterlagen zum Klageverfahren Az. S 22 AS 4040/12 und zum Beschwerdeverfahren Az. L 3 AS 999/13 NZB beinhalten, Bezug genommen.
II.
1. Die Anhörungsrüge nach § 178a SGG ist unzulässig, weil sie verfristet ist. Sie ist deshalb gemäß § 178a Abs. 4 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Gemäß § 178a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG ist die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (vgl. § 178a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGG). Eine Glaubhaftmachung gemäß § 202 SGG i. V. m. § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) dieses Zeitpunktes ist nicht erfolgt.
Der mit einfachem Brief, das heißt formlos, übersandte Beschluss vom 20. Dezember 2013 wurde ausweislich des in der Gerichtsakte befindlichen Postaufgabevermerkes am 23. Dezember 2013 abgesandt. Gemäß § 178a Abs. 2 Satz 3 SGG gelten formlos mitgeteilte Entscheidungen mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Bei der Bestimmung des dritten Tages ist nicht entscheidend, ob dieser Tag ein Sonnabend, Sonntag oder Feiertag ist (vgl. zur entsprechenden Bekanntgabefiktion in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X: BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 – B 14 AS 12/09 R – SozR 4-1300 § 37 Nr. 1 = NJW 2011, 1099; Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X [8. Aufl., 2014], § 37 Rdnr. 12b). Der Beschluss vom 20. Dezember 2013 gilt damit als am 26. Dezember 2013 bekannt gegeben. Da allerdings nicht auszuschließen ist, dass entweder der Beschluss vom 20. Dezember 2013 zu einem späteren Zeitpunkt beim Klägerbevollmächtigten einging oder aber der Klägerbevollmächtigte bei einem zeitnahen Eingang des Beschlusses erst zu einem späteren Zeitpunkt Gelegenheit hatte, von ihm Kenntnis zu erlangen, war der Klägerbevollmächtigte gemäß § 178a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGG verpflichtet, den Zeitpunkt seiner Kenntniserlangung glaubhaft zu machen. Dies ist nicht geschehen.
Eines richterlichen Hinweises auf die Regelung zur Glaubhaftmachung in § 178a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGG bedurfte es nicht. Denn der rechtskundige Klägerbevollmächtigte ist gehalten, sich über formelle Voraussetzungen für ein Rechtsschutzbegehren, die von Gesetzes wegen zu beachten sind, zu informieren.
2. Der Anhörungsrüge wäre aber auch in der Sache der Erfolg versagt geblieben, weil die gerügte Gehörsverletzung nicht vorliegt.
Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren. Diese einfachgesetzliche Regelung ist Ausfluss der verfassungsrechtlichen Garantie in Artikel 103 Abs. 1 des Grundgesetzes.
Dieses rechtliche Gehör wurde den Klägern, vertreten durch den Klägerbevollmächtigten, in Beug auf die Frage, ob die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der Monatsfrist des § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG eingelegt wurde, gewährt. Denn in der Eingangsbestätigung des Gerichtes vom 19. Juni 2013 war der Hinweis auf eine mögliche Fristversäumnis, unter Angabe der maßgebenden Daten, enthalten.
Die Kläger hatten auch keinen Anlass für die Annahme, das Gericht habe seine Auffassung für Fristversäumnis geändert und werde in der Sache entscheiden. Denn der Klägerbevollmächtigte äußerte sich ebenso wenig zur Frage der Fristversäumnis wie der Beklagte. Da somit weder die vom Gericht mitgeteilten Daten noch die mitgeteilte vorläufige Rechtsauffassung in Frage gestellt wurden, hatten die Kläger keine Veranlassung anzunehmen, das Gericht habe seine vorläufige Rechtsauffassung geändert.
3. Lediglich ergänzend wird zur inhaltlichen Rüge, im Beschluss vom 20. Dezember 2013 sei die Bedeutung einer Zustellung gegen Empfangsbekenntnis verkannt worden, Folgendes angemerkt:
Zustellungen, die nach dem Sozialgesetzbuch zu bewirken sind, erfolgen gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung. Gemäß § 174 Abs. 1 SGG kann ein Schriftstück unter anderem an einen Anwalt gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden. Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, das an das Gericht zurückzusenden ist (vgl. § 174 Abs. 4 SGG).
Zustellungsdatum ist der Tag, an dem der Anwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat (ständ. Rspr. des Bundesgerichtshofes, vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2003 – VI ZB 77/02 – NJW 2003, 2460 = JURIS-Dokument Rdnr. 6, m. w. N.; vgl. auch Stöber, in: Zöller, Zivilprozessordnung [30. Aufl., 2014], § 174 Rdnr. 14, m. w. N.). Nicht maßgebend ist hingegen der frühere Tag, der bei Eingang in der Kanzlei von einem Büromitarbeiter auf dem Schriftstück oder Empfangsbekenntnis (mit Datumsstempel) vermerkt wurde (ständ. Rspr. des Bundesgerichtshofes, vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 31. Mai 1979 – VII ZR 290/78 – NJW 1979, 2566 = JURIS-Dokument Rdnr. 12 f., m. w. N.; Stöber, a. a. O., m. w. N.).
Vorliegend weichen zwar im Empfangsbekenntnis das handschriftlich eingetragene Eingangsdatum und das Datum in der Unterschriftszeile voneinander ab. Allerdings besteht hier die Besonderheit, dass auf dem Empfangsbekenntnis nicht nur ein Eingangsvermerk oder ein Eingangsstempel angebracht ist, sondern dass der Klägerbevollmächtigte – einschließlich des handschriftliches Eingangsdatums – folgende Erklärung abgegeben hat: "[Dokumente] habe ich am 30.04.13 erhalten." Diese Erklärung ist klar und unzweideutig. Unklarheiten, die eine Auslegung dieser Erklärung erfordert hätten, sind nicht gegeben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Empfangsbekenntnis eine Privaturkunde und erbringt grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung (vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 19. April 2012 – IX ZB 303/11 – NJW 2012, 2117 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 6, vgl. auch: BVerfG, Beschluss vom 27. März 2001 –2 BvR 2211/97 – NJW 2001, 1563 [1564] = JURIS-Dokument Rdnr. 19, m. w. N.; Stöber, a. a. O., § 174 Rdnr. 20, m. w. N.).
Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zulässig. Er setzt voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können. Der Gegenbeweis ist nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 9. April 2012, a. a. O., m. w. N.; vgl. auch: BVerfG, Beschluss vom 27. März 2001 –2 BvR 2211/97 – NJW 2001, 1563 [1564] = JURIS-Dokument Rdnr. 20, m. w. N.). Einen solchen Gegenbeweis hat der Klägerbevollmächtigte im maßgebenden Verfahren, dem der Nichtzulassungsbeschwerde mit dem Az. L 3 AS 999/13 NZB, nicht ansatzweise angetreten.
Schließlich ist anzumerken, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung einen Rechtsanwalt im Zusammenhang mit einer Zustellung einer Gerichtsentscheidung eine besondere, mehrfache Sorgfaltspflicht obliegt, nämlich bei der anwaltlichen Mitwirkung beim Zustellungsvorgang, bei der nachfolgenden Feststellung des Fristbeginns und bei der Überwachung der Rechtsmittelfrist. So muss unter anderem gewährleistet werden, dass der Zustellungszeitpunkt und damit der Beginn der Rechtsmittelfrist in zuverlässiger Weise festgehalten wird, etwa durch Vermerk auf dem zugestellten Urteil oder sonst in den Handakten (vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 19. April 2012 – IX ZB 303/11 – NJW 1992, 574 = JURIS-Dokument Rdnr. 5, m. w. N.). Dass vor diesem Hintergrund Anlass bestand, die Abläufe in der Kanzlei der Klägerbevollmächtigten zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern, erkannte wohl auch dieser. Denn seit etwa Mitte dieses Jahres ist bei neu eingehenden Rechtsmitteln festzustellen, dass sich auf den Empfangsbekenntnissen an der Stelle, an der das Eingangsdatum einzutragen wäre, nur noch der Eingangsstempel der Kanzlei findet. In der Unterschriftenzeile ist vor der handschriftlichen Datumsangabe jetzt der Stempelaufdruck "zur Kenntnis genommen" angebracht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §§ 183, 193 SGG.
5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).
Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
Login
FSS
Saved