L 6 SB 97/03

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 6 SB 97/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.3.2003 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Koblenz zurückverwiesen.
2. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) bei dem 1952 geborenen Kläger.

Im Oktober 2000 beantragte der Kläger die Feststellung des GdB. Er teilte mit, dass er an einer Trümmerfraktur des Fersenbeins links leide, wobei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vH anerkannt sei. Er habe Wirbelsäulen-, Knie- und Hüftgelenksschäden. Nach medizinischen Ermittlungen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 18.1.2001 und Widerspruchsbescheid vom 26.4.2001 als Funktionsbeeinträchtigungen bei einem GdB von 30 fest: 1. Funktionsstörung linker Fuß nach Fersenbeinbruch, 2. Wirbelsäulenveränderungen.

Das Sozialgericht Koblenz (SG) hat von Amts wegen ein Gutachten von Dr. W , Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie-Orthopädie, K , vom 22.8.2001 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, der Kläger leide an einer Fehlhaltung der Wirbelsäule (degenerativen Veränderungen) und Minderbelastbarkeit des linken Fußes nach Fersenbeinbruch (Einzel-GdB 20). Insgesamt sei der GdB mit 40 zu bewerten.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das SG ein fachorthopädisches Gutachten bei dem Sachverständigen Dr. B , K , vom 7.4.2002 eingeholt. Dieser ist zu dem Ergebnis gelangt, dass ein GdB von 50 für die beiden festgestellten Behinderungen angemessen und leidensgerecht sei.

Mit beim SG eingegangenem Schriftsatz vom 26.3.2003 hat der Kläger vorgetragen, er sei seit mehr als 1 ½ Jahren bei Dr. P in Behandlung. Dieser habe als Diagnose in einer Rechnung mitgeteilt: Somatoforme Depression, rezidivierende Cervikocephalgien. Der Kläger hat eine Rechnung von Dr. P , Arzt für Neurologie und Psychiatrie, V , vom 13.2.2003 über eine neurologische und psychiatrische Untersuchung des Klägers vom 31.10.2002 vorgelegt. Als Diagnose wird angegeben: Somatoforme Depression, rezidivierende Cervikocephalgie.

Der Rechtsstreit hat sich insoweit erledigt, als der Kläger das Teilanerkenntnis des Beklagten über einen Gesamt-GdB von 40 angenommen hat (Anerkenntnis vom 15.10.2001 und Annahme vom 30.10.2001). Das SG hat durch Urteil vom 28.3.2003 die über das Teilanerkenntnis hinausgehende Klage abgewiesen und sich zur Begründung auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. W gestützt. Es hat im Übrigen ausgeführt, dass die zwei Tage vor dem Verhandlungstermin erstmalig geltend gemachte somatoforme Depression im Rahmen eines Neufeststellungsantrages geltend gemacht werden müsse. Ausnahmsweise könnten neue Beeinträchtigungen aus prozessökonomischen Gründen während des Klageverfahrens berücksichtigt werden, jedoch dann nicht, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung verzögert würde.

Gegen das am 14.4.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.5.2003 Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor, das SG habe hinsichtlich der bei ihm vorliegenden Depression weiter ermitteln müssen. Entsprechende Anhaltspunkte hätten sich bereits aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W ergeben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28.3.2003 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18.1.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.4.2001 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet.

Nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Dies ist vorliegend der Fall.

Das SG durfte sich nicht darauf stützen, dass der Kläger erstmalig eine somatoforme Depression als Beeinträchtigung zwei Tage vor dem Verhandlungstermin geltend gemacht habe und neue Beeinträchtigungen, die erstmals während des Klageverfahrens aufträten, zunächst beim Beklagten im Rahmen eines Neufeststellungsantrages geltend gemacht werden müssten.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Bescheide des Beklagten über die Feststellung seines GdB angefochten und damit die Verpflichtung verbunden, einen höheren GdB festzustellen. Insoweit handelt es sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen, ungeachtet ob sie separat oder im Zusammenhang mit einer Anfechtungsklage erhoben werden, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 54, RdNr 34). Damit sind alle Tatsachen, die der Kläger bis zum letzten Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorträgt, zu berücksichtigen. Eine Präklusionsvorschrift enthält das SGG nicht.

Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Der Umfang der Pflicht zur Amtsermittlung richtet sich nach dem Einzelfall und Vortrag des Beteiligten. Es müssen alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Entscheidung in prozessualer und materieller Hinsicht wesentlich sind. Dieser Verpflichtung ist das SG nicht nachgekommen.

Der Kläger hat mit am 26.3.2003 eingegangenem Schriftsatz dem SG mitgeteilt, dass er seit mehr als 1 ½ Jahren bei Dr. P in Behandlung sei. Er hat eine Arztrechnung von Dr. P , Arzt für Neurologie und Psychiatrie, V , vom 13.2.2003 vorgelegt, aus der hervorgeht, dass Dr. P als Diagnose gestellt hatte: Somatoforme Depression, rezidivierende Cervikocephalgie und sich der Kläger dort am 31.10.2002 in Behandlung befunden hatte. Der Kläger hat damit in zulässiger Weise in der Sache vorgetragen und das SG musste dieses Vorbringen bei der materiellen Prüfung des Anspruchs des Klägers berücksichtigen. Denn eine Klageänderung - wie das SG wohl meint - ist nicht gegeben.

Soweit das SG davon ausgegangen ist, dass der Kläger mit seinem Vorbringen präkludiert sei, hätte es auf diesen Umstand zumindest im Termin zur mündlichen Verhandlung hinweisen müssen. Es hätte dem Kläger im Rahmen des rechtlichen Gehörs Gelegenheit geben müssen, hierauf einzugehen. Der Niederschrift über die Sitzung vom 28.3.2003 ist jedoch Nichts zu entnehmen, dass der Vorsitzende hierauf hingewiesen hat. Hierin liegt ein schwerwiegender Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG).

Aufgrund der schwerwiegenden Verfahrensmängel, die bei dem Kläger zum Verlust einer Instanz führen würden, ist das Urteil des SG aufzuheben und an das SG zurückzuverweisen.
Rechtskraft
Aus
Saved