Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 42 SB 71/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 162/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juni 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 80.
Auf den Antrag des 1957 geborenen Klägers vom 18. Juni 2012 stellte der Beklagte bei ihm nach versorgungsärztlicher Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere verschiedener Reha-Entlassungsberichte, mit Bescheid vom 14. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2013 einen GdB von 30 fest. Dieser Entscheidung legte er zuletzt folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose, operierte Bandscheibe (20), b) Herzleistungsminderung, abgelaufener Herzinfarkt, Durchblutungsstörungen des Herzens, Koronardilatation, Bluthochdruck (20), c) seelische Störung (10).
Mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung eines GdB von mindestens 80 begehrt. Ohne Ermittlungen aufzunehmen, hat das Sozialgericht dem Kläger eine Gerichtsbescheidanfrage gesandt. Auf einem von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts erstellten Formular hat der Kläger daraufhin erklärt, er sei mit "einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz" (SGG) einverstanden.
Am 2. April 2014 hat der Kläger Prozesskostenhilfe beantragt, deren Gewährung das Sozialgericht mit Beschluss vom 10. April 2014 mit der Begründung abgelehnt hat, es bestehe keine hinreichende Erfolgsaussicht im Klageverfahren. Hiergegen hat der Kläger am 5. Mai 2014 Beschwerde eingelegt.
Bevor das Landessozialgericht über die Beschwerde entschieden hat, hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2014 unter Auswertung der im Verwaltungsverfahren eingeholten Unterlagen als unbegründet abgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juni 2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen.
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, Rn. 3 zu § 159 SGG).
Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Denn es hat entgegen § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden, ohne den Kläger zuvor ordnungsgemäß anzuhören. Die Anhörung des Klägers war fehlerhaft, da ihr ein Formular über das Einverständnis mit "einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz" – also durch Urteil – beigefügt war. Damit war nicht eindeutig zu erkennen, worauf die Anfrage des Gerichts abzielte.
Der bestehende Verfahrensmangel ist auch als wesentlich anzusehen: Auf der Grundlage der fehlerhaften Anhörung hat das Sozialgericht durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter im Wege des Gerichtsbescheids ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) entschieden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 125 SGG) zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
Auf Grund des Verfahrensmangels ist auch eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Das ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/6746, Seite 27, zu Nummer 8) der Fall, wenn sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erforderlich macht. Der Sachverhalt bedarf der Aufklärung durch Einholung von zwei Sachverständigengutachten, nämlich auf orthopädischem und auf psychiatrischem Gebiet. Denn aus den herangezogenen Entlassungsberichten ergeben sich die Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule nicht derart eindeutig, dass hieraus ein Einzel-GdB gebildet werden könnte. Auch in psychiatrischer Hinsicht besteht Aufklärungsbedarf.
Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse des Klägers an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat er berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht unterlassenen Aufklärung praktisch eingetreten ist, besonders ins Gewicht fällt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, den Rechtsstreit bereits jetzt abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln. Denn das gesamte Verfahren vor dem Senat hat vom Eingang der Berufung am 8. Juli 2014 bis zum Tag der Verkündung des Urteils weniger als zwei Monate in Anspruch genommen, so dass es prozessökonomischer erscheint, dem Sozialgericht zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts zu geben. Hinzu kommt, dass der Kläger infolge der Ablehnung seines Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss des Sozialgerichts vom 10. April 2014 bislang im erstinstanzlichen Verfahren nicht anwaltlich vertreten war und faktisch keine Möglichkeit hatte, dagegen vorzugehen, weil das Sozialgericht in der Hauptsache einen Gerichtsbescheid erlassen hatte, bevor der Senat über die Beschwerde des Klägers im Prozesskostenhilfeverfahren entscheiden hat.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 80.
Auf den Antrag des 1957 geborenen Klägers vom 18. Juni 2012 stellte der Beklagte bei ihm nach versorgungsärztlicher Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere verschiedener Reha-Entlassungsberichte, mit Bescheid vom 14. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2013 einen GdB von 30 fest. Dieser Entscheidung legte er zuletzt folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose, operierte Bandscheibe (20), b) Herzleistungsminderung, abgelaufener Herzinfarkt, Durchblutungsstörungen des Herzens, Koronardilatation, Bluthochdruck (20), c) seelische Störung (10).
Mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung eines GdB von mindestens 80 begehrt. Ohne Ermittlungen aufzunehmen, hat das Sozialgericht dem Kläger eine Gerichtsbescheidanfrage gesandt. Auf einem von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts erstellten Formular hat der Kläger daraufhin erklärt, er sei mit "einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz" (SGG) einverstanden.
Am 2. April 2014 hat der Kläger Prozesskostenhilfe beantragt, deren Gewährung das Sozialgericht mit Beschluss vom 10. April 2014 mit der Begründung abgelehnt hat, es bestehe keine hinreichende Erfolgsaussicht im Klageverfahren. Hiergegen hat der Kläger am 5. Mai 2014 Beschwerde eingelegt.
Bevor das Landessozialgericht über die Beschwerde entschieden hat, hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2014 unter Auswertung der im Verwaltungsverfahren eingeholten Unterlagen als unbegründet abgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juni 2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen.
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, Rn. 3 zu § 159 SGG).
Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Denn es hat entgegen § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden, ohne den Kläger zuvor ordnungsgemäß anzuhören. Die Anhörung des Klägers war fehlerhaft, da ihr ein Formular über das Einverständnis mit "einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz" – also durch Urteil – beigefügt war. Damit war nicht eindeutig zu erkennen, worauf die Anfrage des Gerichts abzielte.
Der bestehende Verfahrensmangel ist auch als wesentlich anzusehen: Auf der Grundlage der fehlerhaften Anhörung hat das Sozialgericht durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter im Wege des Gerichtsbescheids ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) entschieden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 125 SGG) zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
Auf Grund des Verfahrensmangels ist auch eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Das ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/6746, Seite 27, zu Nummer 8) der Fall, wenn sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erforderlich macht. Der Sachverhalt bedarf der Aufklärung durch Einholung von zwei Sachverständigengutachten, nämlich auf orthopädischem und auf psychiatrischem Gebiet. Denn aus den herangezogenen Entlassungsberichten ergeben sich die Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule nicht derart eindeutig, dass hieraus ein Einzel-GdB gebildet werden könnte. Auch in psychiatrischer Hinsicht besteht Aufklärungsbedarf.
Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse des Klägers an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat er berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht unterlassenen Aufklärung praktisch eingetreten ist, besonders ins Gewicht fällt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, den Rechtsstreit bereits jetzt abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln. Denn das gesamte Verfahren vor dem Senat hat vom Eingang der Berufung am 8. Juli 2014 bis zum Tag der Verkündung des Urteils weniger als zwei Monate in Anspruch genommen, so dass es prozessökonomischer erscheint, dem Sozialgericht zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts zu geben. Hinzu kommt, dass der Kläger infolge der Ablehnung seines Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss des Sozialgerichts vom 10. April 2014 bislang im erstinstanzlichen Verfahren nicht anwaltlich vertreten war und faktisch keine Möglichkeit hatte, dagegen vorzugehen, weil das Sozialgericht in der Hauptsache einen Gerichtsbescheid erlassen hatte, bevor der Senat über die Beschwerde des Klägers im Prozesskostenhilfeverfahren entscheiden hat.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
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