L 6 RI 245/02

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 6 RI 245/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 16.7.2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 15.2.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.12.2000 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zur Nachentrichtung von Beiträgen zur Antragspflichtversicherung für die Zeit vom 22.9.1997 bis zum 31.1.1999 zuzulassen und ihr vorbehaltlich der Beitragzahlung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1.12.2000 zu gewähren.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rente wegen Erwerbs-, hilfsweise Berufsunfähigkeit und über die Zulassung der Klägerin zur Antragspflichtversicherung als Selbstständige.

Die im Jahre 1950 im heutigen Polen geborene Klägerin lebt seit November 1984 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie war zuletzt bis Mai 1997 als Altenpflegehelferin versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 22.9.1997 betrieb sie zusammen mit ihrer Schwägerin, der Zeugin G , einen Waschsalon mit Heißmangel. Seit Februar 1999 arbeitete sie im Betrieb nicht mehr selbst mit, sondern war nur noch Teilhaberin. Von September 1999 bis Februar 2000 war sie geringfügig beschäftigt. Vom 1.3.2000 bis zum 18.10.2000 sind auf ihrem Versicherungskonto Pflichtbeiträge auf Grund von Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz verbucht.

Am 23.11.1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Versichertenrente. Mit Bescheid vom 15.2.2000 lehnte diese den Rentenantrag ab. Zwar lägen bei der Klägerin deutliche Aufbraucherscheinungen der unteren lumbalen Wirbelsäule, eine leichte Fehlstatik der Wirbelsäule, der Verdacht auf einen beginnenden Diabetes mellitus Typ II, eine Stoffwechselstörung, eine ganz erhebliche Übergewichtigkeit, eine Bauchdeckenschwäche, Bluthochdruck, der nicht medikamentös voll korrigiert werden könne, vor, jedoch sei sie noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig tätig zu sein. Sie habe daher keinen Rentenanspruch.

Mit Bescheid vom 1.12.2000 wies die Beklagte auch den Widerspruch zurück. Sie stütze sich dazu auf ein allgemeinärztliches Gutachten des Dr. K in A vom 6.1.2002. Dieser hatte eine erhebliche Übergewichtigkeit, eine Bauchdeckenschwäche, Bluthochdruck (medikamentös nicht voll korrigiert), deutliche Aufbraucherscheinung der unteren lumbalen Wirbelsäule, eine leichte Fehlstatik der Wirbelsäule, den Verdacht auf beginnenden Diabetes mellitus Typ II und eine Stoffwechselstörung festgestellt. Abschließend war er zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin könne als Altenpflegehelferin nur noch untervollschichtig arbeiten, sei jedoch noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig zu verrichten. Die Klägerin sei auch nicht berufsunfähig, da sie sich als Ungelernte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen müsse.

Während des sich anschließenden Klageverfahrens hat die Beklagte der Klägerin eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der M -Klinik B S in B vom 27.3. bis zum 30.4.2001 gewährt. Im Entlassungsbericht der Klinik vom 10.5.2001 ist ausgeführt, bei der Klägerin sei es im Anschluss an die arthroskopische Knie-Operation links im November 2000 zu einem guten Rehabilitationsergebnis gekommen. Nach Abschluss der regulären Rekonvaleszenz und vorbehaltlich des orthopädischen Statuses könne die Klägerin voraussichtlich in vier bis sechs Wochen wieder körperlich leichte Tätigkeiten im Wechsel - auch vollschichtig - verrichten. Sie werde zunächst als arbeitsunfähig in die weitere hausärztliche Betreuung entlassen.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Orthopäden Dr. A in N vom 10.8.2001 beigezogen. Die Klägerin hat ein Attest des Allgemeinmediziners Dr. C vom 30.8.2001 und ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in A vom 12.11.2001 vorgelegt. In Letzterem wird ausgeführt, die Klägerin sei derzeit (Begutachtungszeitpunkt 6.11.2001) leistungsunfähig, vorrangig wegen der anhaltenden Kniegelenksbeschwerden links.

Weiter hat das Sozialgericht ein orthopädisches Gutachten des Dr. D vom S -J -Krankenhaus B vom 27.12.2001 eingeholt. Dr. D hat orthopädischerseits ein geringes degeneratives HWS-Syndrom, degenerative Veränderungen im Bereich der Brustwirbelsäule, eine hochgradige Degeneration im Bereich der Lendenwirbelsäule, eine initiale Coxarthrose, eine hochgradige mediale und Retropatellararthrose des linken Kniegelenkes, eine geringe Varusarthrose des rechten Kniegelenkes und eine beidseitige Senk-Spreizfuß-Situation festgestellt. Außerhalb des orthopädischen Fachgebietes liege ein Diabetes mellitus Typ IIb, eine Adipositas per magna, eine inadäquat eingestellte arterielle Hypertonie und ein Zustand nach mehrfacher Bauchnabelhernieoperation mit eingeschränkter Funktion der Bauchdeckenmuskulatur vor. Die Haupteinschränkung liege derzeit bei den Erkrankungen im Bereich des linken Kniegelenkes. Deshalb sei die Klägerin zum jetzigen Zeitpunkt auch für körperlich leichte Arbeiten nicht mehr einsatzfähig. Selbst wenn durch eine operative Intervention eine entsprechende Verbesserung der Situation erreicht werden könne, könne die Klägerin nur noch leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten. Auf Grund der Nichtbelastbarkeit des Kniegelenkes sei jedoch ein Wechsel der Körperhaltungen, der im Hinblick auf die Problematik an der Wirbelsäule erforderlich sei, nicht möglich. Der derzeitige Zustand liege sicherlich ab der operativen Intervention im Bereich des linken Kniegelenkes (Arthroskopie B in K im November 2000) vor. Die maximale Wegstrecke liege derzeit bei 50 bis 100 Metern.

Nachdem die Klägerin mitgeteilt hat, sie verfüge weder über einen Führerschein noch über ein Kraftfahrzeug, hat die Beklagte das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit ausgehend von einem Versicherungsfall am 29.11.2000 anerkannt. Sie hat jedoch die Rentengewährung abgelehnt, da die Klägerin nicht die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfülle. Im Zeitraum 29.11.1995 bis 28.11.2000 seien auf ihrem Versicherungskonto lediglich 32 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt.

Mit Urteil vom 16.7.2002 hat das Sozialgericht Koblenz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ausgehend von den überzeugenden gutachterlichen Feststellungen des Dr. D stehe fest, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, auch einer leichten Tätigkeit vollschichtig nachzugehen. Dieser Zustand liege seit der Arthroskopie des linken Kniegelenkes am 29.11.2000 vor. Noch zum Zeitpunkt der Untersuchung im B S J K am 21.11.2000 sei festgestellt worden, dass bei der Klägerin rund drei Monate vor dem Untersuchungszeitpunkt lediglich eine leichte Verdrehung im Bereich des linken Kniegelenkes Beschwerden verursacht habe. Hieraus könne entnommen werden, dass der Versicherungsfall nicht zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten sei. Auch die übrigen Gesundheitsstörungen rechtfertigten nicht die Annahme eines früheren Versicherungsfalles. Ausgehend vom Eintritt des Versicherungsfalles am 29.11.2000 erfülle die Klägerin jedoch nicht die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rentengewährung, da im relevanten Fünf-Jahres-Zeitraum vom 29.11.1995 bis zum 28.11.2000 lediglich 32 Kalendermonate, statt der erforderlichen 36 Monate mit Pflichtbeiträgen auf ihrem Versicherungskonto verbucht seien.

Gegen das ihr am 24.7.2002 zugestellte Urteil richtet sich die von der Klägerin am 26.8.2002, einem Montag, eingelegte Berufung.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Berufung vor, nach dem Ende ihrer Tätigkeit als Altenpflegehelferin 1997 sei sie vorübergehend arbeitslos gemeldet gewesen und habe Arbeitslosengeld bezogen. Auf Grund ihrer gesundheitlichen Probleme und ihres Alters habe ihr jedoch keine Arbeitsstelle vermittelt werden können. Sie habe sich daraufhin entschlossen zusammen mit ihrer Schwägerin, der Zeugin G , einen Waschsalon zu eröffnen. Sie habe das Arbeitsamt über ihre Pläne unterrichtet und sich u.a. über die Möglichkeit der Zahlung von Überbrückungsgeld erkundigt. Dies sei im Hinblick darauf, dass das der Arbeitsverwaltung zur Verfügung stehende Budget für 1997 und bereits für 1998 ausgeschöpft gewesen sei, abgelehnt worden. Bezüglich der rentenrechtlichen Fragen habe man sie an die AOK verwiesen. Sie habe sich daraufhin zunächst telefonisch an die AOK gewandt. Wenige Tage nach Eröffnung der Wäscherei seien sie und ihre Schwägerin von einer Mitarbeiterin der AOK N , der Zeugin S , besucht worden. Man habe von der Zeugin S darüber informiert werden wollen, welche Versicherungen jetzt benötigt würden. Daraufhin habe die Zeugin S , die Höhe der Beiträge bei der AOK mitgeteilt. Sie habe ein Formular ausgefüllt und dieses sei unterschrieben worden. Damit, so habe sie geglaubt, seien alle versicherungsrechtlichen Fragen erledigt. Bezüglich der Rentenversicherung seien keinerlei Hinweise erfolgt. Es sei nicht einmal der Hinweis erfolgt, dass man sich diesbezüglich mit dem Rentenversicherungsträger in Verbindung setzen solle. In diesem Sachverhalt sehe sie einen Verstoß gegen die Beratungsverpflichtungen, der letztlich der Beklagten zugerechnet werden müsse. Wegen der unterlassenen Beratung habe sie weder einen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung noch auf Pflichtversicherung gestellt. Auch jetzt lehne die Beklagte zu Unrecht die Zulassung zur Pflichtversicherung als Selbstständige noch immer ab.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 16.7.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.2.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.12.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr nach zulässiger Beitragsnachentrichtung für die Zeit vom 22.9.1997 bis zum 31.1.1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1.12.2000 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Klägerin stehe die begehrte Rente nicht zu, da sie die Voraussetzungen hierfür nicht erfülle. Sie sei zwar seit 29.11.2000 erwerbsunfähig; auf ihrem Versicherungskonto seien jedoch in dem maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum statt der erforderlichen 36 lediglich 32 Beiträge verbucht.

Die Klägerin sei auch nicht zur Antragspflichtversicherung als Selbstständige zuzulassen. Bis zum Ende ihrer selbstständigen Tätigkeit habe sie keinen solchen Antrag gestellt. Das könne jetzt auch über den sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht mehr korrigiert werden. Zunächst einmal sei festzustellen, dass ihr selbst kein Beratungsfehler vorzuwerfen sei. Vielmehr sei die Klägerin schon 1986 darauf hingewiesen worden, dass seit Januar 1984 jeder Kalendermonat bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit mit Beiträgen oder gleichgestellten Zeiten belegt sein müsse. Auf Grund dieses Hinweises hätte sich die Klägerin gedrängt fühlen müssen, bei Aufnahme ihrer selbstständigen Tätigkeit mit ihrem Rentenversicherungsträger Kontakt aufzunehmen. Die Klägerin habe noch auf Schreiben der Beklagten in den Jahren 1998 nicht reagiert, so dass hieraus zu schließen sei, dass die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt kein Interesse an der Gestaltung ihres Versicherungskontos gehabt habe. Dies gehe zu ihren Lasten. In den Jahren 1997 bis 1999 sei sie von der Klägerin nicht auf versicherungsrechtliche Fragen angesprochen worden. Einen Beratungsfehler seitens der AOK habe die Klägerin nicht nachgewiesen. Die Zeugin S habe sich nicht daran erinnern können, mit der Klägerin andere Aspekte der Sozialversicherung als die der Krankenversicherung besprochen zu haben. Es sei vollkommen unglaubwürdig, wenn die Klägerin und ihre Schwägerin jetzt behaupteten, sie hätten den Willen gehabt, sich auch in der gesetzlichen Rentenversicherung abzusichern. Die Zeugin S habe der Klägerin das Formular "Anmeldung zur freiwilligen Krankenversicherung" zur Unterschrift vorgelegt. Es sei nicht glaubhaft, wenn die Klägerin jetzt sage, sie habe das Formular unterschrieben, ohne es durchzulesen. Außerdem habe die Klägerin im Oktober 1997 eine Versicherungsbestätigung der AOK Neuwied erhalten. Diese Bestätigung sei unmissverständlich und habe sich nur auf die Krankenversicherung bezogen.

Die Klägerin hat Einkommenssteuerbescheide des Finanzamtes Neuwied für die Jahre 1998 und 1999 zu den Akten gereicht.

Der Senat hat die Klägerin persönlich angehört und die Zeuginnen G und S vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung der Klägerin und der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 27.8.2003 und deren Anlagen Bezug genommen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegen-stand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts und die angefochtenen Bescheide sind aufzuheben. Die Klägerin hat Anspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen zur Antragspflichtversicherung und auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach Entrichtung der Pflichtversicherungsbeiträge.

Vorliegend ist § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung heranzuziehen, da die Klägerin ihren Rentenantrag bereits im November 1999 gestellt hat.

Nach § 44 SGB SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie

1. erwerbsunfähig sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben
und
3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Nach dem überzeugenden Gutachten des Dr. Dücker, dem zwischenzeitlich auch die Beklagte folgt, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin seit 29.11.2000 erwerbsunfähig ist. Erwerbsunfähig ist nach § 44 Abs 2 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung ein Versicherter, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben. Die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten umfasst auch die Frage, ob er in der Lage ist , einen potenziellen Arbeitsplatz zu erreichen. Im Normalfall ist davon auszugehen, dass ein Versicherter für derartige Wege öffentliche Verkehrsmittel benutzt. Er muss dann regelmäßig auch Fußwege zurücklegen, um von zu Hause das Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel aus den Arbeitsplatz zu erreichen. Auf Grund allgemeiner Erfahrungen wird generell die Fähigkeit des Versicherten gefordert, vier Mal täglich Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen. Dr. D hat bei der Klägerin eine hochgradige mediale und Retropatellararthrose des linken Kniegelenkes festgestellt und überzeugend ausgeführt, dass diese Erkrankung es ihr nicht mehr ermöglicht Wegstrecken von mehr als 50 bis 100 Meter zurückzulegen. Zwar könnte eine Operation des Kniegelenkes die Situation verbessern, dies kann der Klägerin aber nicht entgegengehalten werden, da sich hierbei nicht um einen duldungspflichtigen Eingriff handelt. Seit wann sich der Gesundheitszustand der Klägerin derart verschlimmert hat, dass sie nur noch Wegstrecken von 50 bis 100 Meter zurücklegen kann, lässt sich nicht mehr definitiv feststellen. Jedoch liegen die beschriebenen Einschränkungen sicher seit dem 29.11.2000 vor, dem Zeitpunkt der Arthroskopie des linken Kniegelenkes. Da die Klägerin auch nicht über einen Führerschein und ein Kraftfahrzeug verfügt, hat sie auch keine andere Möglichkeit einen Arbeitsplatz zu erreichen.

Ausgehend vom Eintritt des Versicherungsfalles am 29.11.2000 erfüllt die Klägerin unter der Bedingung, dass sie die Beiträge als antragspflichtversicherte Selbstständige für die Zeit vom 22.9.1997 bis zum 31.1.1999 nachzahlt, auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Nr 2 SGB VI. Zunächst einmal sind bereits jetzt - ohne die genannte Nachentrichtung - auf Ihrem Versicherungskonto in der Zeit vom 29.11.1995 bis zum 28.11.2000 32 Monate Pflichtbeiträge verbucht.

Darüber hinaus ist die Klägerin nach § 4 Abs 2 SGB VI in der Fassung vom 15.12.1995 (gültig vom 1.1.1996 bis zum 6.4.2001) versicherungspflichtig. Nach § 4 Abs 2 SGB VI sind auf Antrag Personen versicherungspflichtig, die nicht nur vorübergehend selbstständig tätig sind, wenn sie die Versicherungspflicht innerhalb von fünf Jahren nach der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit oder dem Ende einer Versicherungspflicht auf Grund dieser Tätigkeit beantragen. Die Versicherungspflicht beginnt mit dem Tag nach dem Antrag (§ 4 Abs 4 Nr. 1 SGB VI). Die Klägerin war in der Zeit vom 22.9.1997 bis zum 31.1.1999 nicht nur vorübergehend selbstständig tätig. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Tätigkeit nur geringfügig war. Allein auf Grund der Tatsache, dass die Klägerin den Waschsalon allein mit ihrer Schwägerin ohne weitere Mitarbeiter betrieben hat, kann bei lebensnaher Betrachtung nicht angenommen werden, dass sie weniger als 15 Stunden wöchentlich gearbeitet hat.

Die Klägerin hat zwar zunächst im September 1997 keinen Antrag auf Zulassung zur Pflichtversicherung als Selbstständige gestellt, sie ist jedoch nach den Grundsätzen des sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nachträglich zur Antragspflichtversicherung zuzulassen. Dass die Klägerin 1997 bei der Beklagten nicht direkt um eine Beratung nachgesucht hat, ist ohne Bedeutung. Ein Herstellungsanspruch kann auch auf Fehlern anderer Behörden beruhen, wenn diese es versäumt haben, jemanden, der sich in einer Sozialrechtsangelegenheit an sie gewandt hat, auf sich aufdrängende Nachteile in anderen Rechtsbereichen zumindest hinzuweisen (LSG für den Freistaat Sachsen, Urteil vom 4.11.1998, L 2 VG 1/98). Einer anderen Behörde als der für die Entscheidung über die begehrte Leistung befugten Stelle kann eine Beratungspflicht, deren Verletzung zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegen die zuständige Behörde führt, dann obliegen, wenn die andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit "arbeitsteilig" in das Verfahren eingeschaltet ist (BSG, Urteil vom 16.6.1994 -13 RJ 25/93).

Die Klägerin hat sich im Zusammenhang mit der Eröffnung des Waschsalons, also der geplanten Aufnahme ihrer selbstständigen Tätigkeit, zunächst an das für sie zuständige Arbeitsamt gewandt. Dort wurde sie darauf hingewiesen, dass die Gewährung von Überbrückungsgeld weder im laufenden noch im folgenden Jahr in Betracht kommt, da keine Mittel mehr zur Verfügung stehen. Wegen offener rentenversicherungsrechtlicher Fragen, wurde die Klägerin an die AOK verwiesen. Die Klägerin nahm daraufhin Kontakt zur örtlich zuständigen Mitarbeiterin der AOK, der Zeugin Speth auf. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, der Vernehmung der Zeuginnen Speth und G , der Schwägerin der Klägerin, und der Anhörung der Klägerin persönlich, steht zur Überzeugung des Sentas fest, dass es der Klägerin bei dem Gespräch mit Frau S nicht nur um den Abschluss einer Krankenversicherung ging, sondern Allgemein um die Klärung der versicherungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit. Die Zeugin S , die die Klägerin bereits seit der Zeit ihrer abhängigen Beschäftigung als Altenpflegehelferin kannte, war allgemein der Ansprechpartner der Klägerin, soweit es um versicherungsrechtliche Fragen ging. Nach dem sich die Klägerin wegen der möglichen Gewährung von Überbrückungsgeld an das Arbeitsamt gewandt hatte, war sie von dort auch an die AOK verwiesen worden. Dass sie bei der AOK Überbrückungsgeld oder eine vergleichbare Leistungen erhalten konnte, hat sie nicht geglaubt. Sie hat sich an die AOK gewandt, weil sie davon ausging, dass sie dort allgemein in versicherungsrechtlichen Fragen beraten würde.

Weder die Klägerin noch die Zeugin G haben die Zeugin S speziell nach ihren Absicherungsmöglichkeiten in Bereich der Rentenversicherung gefragt, das steht nach der Beweisaufnahme ebenfalls fest. Das Beratungsbedürfnis der Klägerin in allen versicherungsrechtlichen Fragen war jedoch klar zu Tage getreten und hätte die AOK zu einer spontanen Beratung auch hinsichtlich versicherungsrechtlicher Aspekte in der gesetzlichen Rentenversicherung veranlassen müssen, jedenfalls hätte die Zeugin S der Klägerin auch hierzu wenigstens den Hinweis gegeben müssen, dass auch in dieser Hinsicht etwas unternommen werden sollte und sie - wenn sie hierbei schon nicht über eigene Kenntnisse verfügte - wenigstens an den Rentenversicherungsträger verweisen sollen. Der Beratungsfehler der AOK war auch ursächlich dafür, dass die Klägerin nicht bereits zu Beginn ihrer selbstständigen Tätigkeit einen Antrag nach § 4 Abs 2 SGB VI gestellt hat. Nach Anhörung der Klägerin ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin nicht bewusst auf ihr Antragrecht verzichtet hat. Der Senat hält es für glaubhaft, dass die Klägerin das Formular, das ihr die Zeugin S zur Unterschrift vorgelegt hat, nicht mehr durchgelesen und deshalb nicht wahrgenommen hat, dass es sich hierbei nur um eine Anmeldung zur freiwilligen Krankenversicherung handelt. Es entspricht durchaus allgemeiner Lebenserfahrung, dass Formulare ohne vorheriges genaues Durchlesen unterschreiben werden. Nach dem zuvor auch ausführlich mit der Zeugin S gesprochen wurde, ist es durchaus nachvollziehbar, dass die Klägerin hierzu keine Veranlassung mehr gesehen hat. Genauso ist die Klägerin mutmaßlich auch mit der Anmeldebestätigung der AOK umgegangen, die ihr Mitte Oktober 1997 zugegangen ist. Diese Bestätigung war für sie wahrscheinlich nur eine Bestätigung ihres Antrages und dessen, was damals vereinbart wurde. Eines genauen Durchlesens bedurfte es aus Ihrer Sicht nicht. Dass die Zeugin S die Klägerin nicht darauf hingewiesen hat, dass auch im Bereich der Rentenversicherung keine ausreichende Absicherung besteht und andererseits der Abschluss einer solchen Versicherung sinnvoll ist, muss als Beratungsmangel angesehen werden. Auch ohne konkrete Frage der Klägerin zu diesem Komplex, hätte Veranlassung bestanden, der Klägerin in dieser Hinsicht einen Hinweis zu geben. Dies gilt um so mehr, als die Zeugin die Klägerin bereits vor dem streitgegenständlich Gespräch kannte, also wusste, das diese ihre bisherige Tätigkeit als Altenpflegehelferin aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hatte. Die Zeugin S konnte also schlechterdings nicht davon ausgehen, dass bei der Klägerin der Eintritt einer rentenberechtigenden Erwerbsminderung erst in ferner Zukunft zu erwarten ist. Hier wäre eine Spontanberatung angezeigt gewesen. Der unterlassene Hinweis der Zeugin S hat dazu geführt, dass die Klägerin keinen Antrag auf Zulassung zur Pflichtversicherung als Selbstständige bei der Beklagten gestellt hat.

Dieser Beratungsfehler von Seiten der AOK bzw. ihrer Mitarbeiterin S ist der Beklagten auch zurechenbar. Zwar ist die AOK, soweit es um die Renteversicherung von Selbstständigen geht, anders als im Fall abhängig Beschäftigter nicht als Einzugsstelle auch bezüglich der Rentenversicherung involviert, denn der Selbstständige zahlt seine Beiträge an den Rentenversicherung, ohne dass die Krankenkasse als Einzugsstelle eingeschaltet wäre. Jedoch ist eine dem zuständigen Leistungsträger zurechenbare Beratungspflicht einer anderen Behörde auch dann anzunehmen, wenn die Zuständigkeitsbereiche beider Stellen materiell-rechtlich eng miteinander verknüpft sind, die andere Behörde im maßgeblichen Zeitpunkt auf Grund eines bestehenden Kontaktes der aktuelle "Ansprechpartner" des Versicherten ist und die Behörde auf Grund der ihr bekannten Umstände erkennen kann, dass bei dem Versicherten im Hinblick auf das andere sozialrechtliche Gebiet ein dringender Beratungsbedarf in einer gewichtigen Frage besteht (BSG, Urteil vom 22.10.1996, 13 RJ 69/95). Eine derartige Fallkonstellation liegt hier vor, denn die Klägerin hatte sich auf Anraten des Arbeitsamtes auch hinsichtlich der rentenversicherungsrechtlichen Fragen an die Mitarbeiterin der AOK gewandt. Diese kannte die Klägerin bereits zuvor und wusste, dass die Klägerin schon ihre bisher ausgeübte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hatte. Es musste sich ihr also aufdrängen, dass die Klägerin auch im Hinblick auf einen in näherer Zukunft durchaus möglichen Eintritt von Erwerbsunfähigkeit, im Bereich der Rentenversicherung der Absicherung bedarf.

Nach Alledem ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die AOK bzw. deren Mitarbeiterin S die Klägerin spontan hätte darüber beraten müssen, dass eine rentenversicherungsrechtliche Absicherung sinnvoll ist. Die Beratung ist pflichtwidrig unterblieben. Die unterlassene Beratung war ursächlich dafür, dass die Klägerin keinen Antrag auf Pflichtversicherung als Selbstständige gestellt hat. Obwohl die Klägerin selbst jedenfalls 1997 ein negatives Einkommen hatte, ist davon auszugehen, dass sie bei ordnungsgemäßer Beratung die Pflichtversicherung beantragt hätte und auch in der Lage gewesen wäre, Beiträge als Selbstständige zu entrichten. Der Ehemann der Klägerin hatte ein positives Einkommen. Hieraus hätten die Beiträge aufgebracht werden können.

Die Beklagte verweigert es der Klägerin demnach zu Unrecht, Beiträge als Selbstständige nach § 4 SGB VI nachzuentrichten. Die Klägerin war zur Nachentrichtung zuzulassen.

Für den Fall der nunmehr zulässigen Beitragsnachentrichtung für die Zeit vom 22.9.1997 bis zum 31.1.1999 erfüllt die Klägerin die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Nr. 2 SGB VI.

Da die Klägerin auch die allgemeine Wartzeit von fünf Jahren nach § 50 Abs 1 SGB VI vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit am 29.11.2000 erfüllt hat, sind die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen der Erwerbsunfähigkeit erfüllt. Der Rentenbeginn ist in Anwendung von § 99 Abs 1 SGB VI auf den 1.12.2000 zu bestimmen.

Da die Nachentrichtung der Beiträge erst noch zu erfolgen hat, konnte die Verurteilung nur unter der aufschiebenden Bedingung der Zahlung der Beiträge erfolgen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist gemäß § 160 Abs 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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