L 1 AS 5135/14 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 2456/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 5135/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerden des Antragstellers gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Mannheim vom 02.12.2014 werden zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist statthaft. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in der seit 11.08.2010 geltenden Fassung des Art. 6 Drittes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05.08.2010 (BGBl. I, 1127) ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache wäre die Berufung nicht unzulässig.

Die Beschwerde ist aber unbegründet, da das Sozialgericht Mannheim (SG) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt hat. Denn vorliegend ist schon ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage 2014, § 86b RdNr. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg v. 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und v. 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Dabei ist das Rechtsschutzbedürfnis als prozessuale Voraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 45 S 93).

Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht, da der Antragsteller nach den bislang bekannten Umständen keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Ausgenommen sind Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Satz 2 Nr. 1), Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Satz 2 Nr. 2) und Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (Satz 2 Nr. 3). Satz 2 Nr. 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

Der 1959 geborene Antragsteller, der rumänischer Staatsangehöriger ist, ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen. Er lebt nach seinen eigenen Angaben seit dem 01.03.2014 in der Bundesrepublik Deutschland (BRD), nachdem er zuvor seinen Wohnsitz in Rumänien hatte. Dies ergibt sich auch aus der vom Antragsteller vorgelegten Anmeldebestätigung der Stadt W. vom 18.03.2014. Den dortigen Angaben zufolge lebte er ab 01.03.2014 in einer Wohnung in der L. Str ... Zum 15.09.2014 ist er - zusammen mit seiner 15-jährigen Tochter - nach H.-B. (H.straße ...) umgezogen. Dies entnimmt der Senat dem vom Antragsteller vorgelegten Mietvertrag vom 10.09.2014. Nachdem der Antragsteller mit seinem beim SG eingereichten Eilantrag ab dem 12.08.2014 (Eingang beim SG) Leistungen zur Sicherungen des Lebensunterhalts begehrt und sich zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als drei Monate in der BRD aufhielt, greift vorliegend die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ein. Denn bislang macht der Antragsteller geltend, dass er sich allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhält. Dies entnimmt der Senat dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 06.10.2014, wonach sich die "Arbeitssuche des Antragstellers[ ] als schwierig [gestaltet], da er kein Deutsch spricht" (Bl. 31 der SG-Akte).

Die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) liegen nicht vor, da sich der Antragsteller - mangels Ausübung einer Erwerbstätigkeit bzw. Berufsausbildung - nicht als Arbeitnehmer oder Auszubildender in der BRD aufhält. Auch die Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a FreizügG/EU in der ab dem 09.12.2014 geltenden Fassung liegen nicht vor. Danach sind unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller, der nach seinen eigenen Angaben kein Deutsch spricht und seine Arbeitsvermittlerin darauf hingewiesen hat, dass sie "mit ihm nichts machen darf, solange er keine Leistungen" erhält (vgl. Verbis-Vermerk vom 11.12.2014, Bl. 165 der LSG-Akte), begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, liegen nicht vor.

Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt auch - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht gegen Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts, wenn der nicht erwerbstätiger Unionsbürger nicht über ausreichende Existenzmittel für seinen Lebensunterhalt verfügt und nur zum Zwecke der Inanspruchnahme von Sozialleistungen in einen anderen Mitgliedstaat einreist. Insoweit verweist der Senat auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 11.11.2014 (Rechtssache C-333/13; veröffentlicht auf der Internetseite des EuGH, abrufbar unter http://curia.europa.eu; vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.12.2014 - L 2 AS 1146/14 B ER sowie Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER (unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung) = veröffentlicht in juris). Demnach kann ein Unionsbürger eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen nur verlangen, wenn sein Aufenthalt im Hoheitsgebiet die Voraussetzungen der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (RL 2004/38/EG), erfüllt (EuGH, a.a.O, RdNr. 69). Bei einem Aufenthalt von mehr als drei Monaten ist die Ausübung des Aufenthaltsrechts von den in Art. 7 Abs. 1 der RL 2004/38/EG genannten Voraussetzungen abhängig (a.a.O., RdNr. 71). Es ist demnach zu prüfen, ob der Aufenthalt des Unionsbürgers die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der RL 2004/38/EG erfüllt (a.a.O., RdNr. 73), mithin, ob dieser für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, sodass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedsstaat verfügen. Ausreichende Existenzmittel sind hier nicht glaubhaft gemacht. Nach den eigenen Angaben des Antragstellers im Schriftsatz vom 12.08.2014 (Bl. 5 der SG-Akte) verfügt er weder über Einkommen noch über Vermögen, weshalb er seinen "Lebensunterhalt aktuell nicht bestreiten" kann. Bisher wurde nach der Einreise auch keine, auch nicht nur eine geringe Erwerbstätigkeit ausgeübt; daher scheidet auch ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 der RL 2004/38/EG aus. Art. 24 Abs. 1 der RL 2004/38/EG (Verbot der Diskriminierung) steht damit im Fall des Antragstellers der Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht entgegen.

Auch wenn man in den Fällen, in denen der nicht erwerbstätige Unionsbürger nicht allein zum Zwecke der Inanspruchnahme von Sozialleistungen in einen anderen Mitgliedstaat einreist, § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II teleologisch dahingehend reduzieren wollte, dass der Leistungsausschluss nur dann greift, wenn keine tatsächliche Verbindung des Arbeitsuchenden zum Arbeitsmarkt besteht (so Hackethal, in: jurisPK-SGB II, § 7 RdNr. 38 und 38.1, Stand 24.11.2014, m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH; vgl. hierzu auch den Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R, anhängig beim EuGH unter dem Az. C-67/14), so führte dies vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Denn eine Verbindung des Antragstellers zum Arbeitsmarkt ist bislang nicht glaubhaft gemacht. Dies ergibt sich für den Senat zum einen daraus, dass der Antragsteller nach seinen eigenen Angaben kein Deutsch spricht und gegenüber seiner Arbeitsvermittlerin am 11.12.2014 angegeben hat, dass sie "mit ihm nichts machen darf, solange er keine Leistungen" bezieht. Letzteres entnimmt der Senat dem Verbis-Vermerk vom 11.12.2014. Zum anderen hat der Antragsteller die Anfrage des Senats vom 22.12.2014 nach einem Schulabschluss, dem erlernten Beruf und der Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Rumänien oder in Deutschland unbeantwortet gelassen. Eine Verbindung (zum deutschen oder rumänischen) Arbeitsmarkt kann daher nicht festgestellt werden, sodass eher Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der nicht erwerbstätige Antragsteller, der nicht über ausreichende Existenzmittel für seinen Lebensunterhalt verfügt, zum Zwecke der Inanspruchnahme von Sozialleistungen in die BRD einreiste, was die europarechtlichen Vorschriften aber verhindern sollen (EuGH, a.a.O., RdNr. 76, 78).

Im Übrigen ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller überhaupt hilfebedürftig ist. Der Senat teilt insoweit die Auffassung des SG, wonach die Angaben dies Antragstellers bezüglich seines Hauses in Rumänien und seines Umzugs nach Helmstadt-Bargen nicht geeignet sind, seine Hilfebedürftigkeit glaubhaft zu machen, zumal er in der PKH-Erklärung vom 11.12.2014 die Frage nach Grundeigentum - trotz entgegenstehender Angaben im SG-Verfahren - verneint hat. Diese Widersprüchlichkeit ist jedoch nicht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufzuklären, sie bleibt vielmehr dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war vor diesem Hintergrund wegen dessen mangelnder Erfolgsaussichten (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung [ZPO]) abzulehnen. Insoweit hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH ebenfalls zu Recht abgelehnt, weshalb auch die Beschwerde hiergegen keinen Erfolg hat.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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