L 4 B 106/02

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Trier (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 4 B 106/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin werden der Beschluss des Sozialgerichts Trier vom 11.06.2002 aufgehoben und der Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Trier zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin zu 1) bezieht von der Beigeladenen zu 2) Altersrente in Höhe von 1.230,85 EUR. Die Antragstellerin/Beschwerdegegnerin hat gegen die Antragsgegnerin einen Zahlungsanspruch, zu dessen Erfüllung diese der Antragstellerin die pfändbaren Teile ihrer Ansprüche gegen die Beigeladene zu 2) abgetreten hat. Der Beigeladene zu 1) ist der Ehemann der Klägerin und hat gegen die Beigeladene zu 2) einen eigenen Rentenanspruch in Höhe von 1.034,20 EUR sowie gegen die bayerische Versorgungskasse einen weiteren Rentenanspruch in Höhe von 515,36 EUR.

Die Antragstellerin hat die Abtretung der Beigeladenen zu 2) angezeigt. Diese hat mit Schreiben vom 21.03.2002 mitgeteilt, sie sei bereit, nach Offenlegung einer Abtretungserklärung den anhand der Tabelle zu § 850 c Zivilprozessordnung (ZPO) abtretbaren Betrag an die Antragstellerin zu überweisen. Bei der Ermittlung dieses Betrages sei als unterhaltsberechtigte Person der Beigeladene zu 1) als Ehemann der Antragstellerin zu berücksichtigen. Sie sei nicht berechtigt, unterhaltsberechtigte Personen mit eigenen Einkünften entsprechend § 850 c Abs. 4 ZPO unberücksichtigt zu lassen; Gläubiger könnten allenfalls entsprechende Leistungsklagen vor den Sozialgerichten erheben.

Die Antragstellerin hat daraufhin vor dem Sozialgericht Trier beantragt, der Beigeladenen zu 2) aufzugeben, bei der Berechnung der pfändbaren Beträge den Beigeladenen zu 1) nicht als unterhaltsberechtigt zu berücksichtigen. Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin hat vorgetragen, aus dem gemeinsamen Einkommen mit dem Beigeladenen zu 1) müssten noch der gemeinsame Familienunterhalt bestritten und Schulden bei der Bank beziehungsweise verschiedenen Handwerksbetrieben abgetragen werden.

Mit Beschluss vom 11.06.2002 hat das Sozialgericht entschieden, dass die Beigeladene zu 2) den Beigeladenen zu 1) bei der Berechnung der pfändbaren Beträge der Altersrente der Antragsgegnerin nicht als unterhaltsberechtigt zu berücksichtigen habe. Der Beigeladene zu 1) habe durch die eigene Altersrente sowie das Ruhegeld der bayerischen Versorgungskammer ein höheres Einkommen als die Antragsgegnerin, so dass ihm kein Unterhaltsanspruch zustehe. Die Antragsgegnerin habe ihm bei dieser Sachlage keinen Unterhalt zu gewähren.

Am 17.06.2002 haben die Antragsgegnerin und der Beigeladene zu 1) Beschwerde gegen den ihnen am 15.06.2002 zugestellten Beschluss eingelegt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beschwerdeführer tragen vor,

sie würden aus ihrem Einkommen durch freiwillige Zahlungen, denen keine Pfändungen zugrunde lägen, auch anderen Verpflichtungen nachkommen. Diese Zahlungen würden unmöglich gemacht, wenn der gesamte verfügbare Betrag ihres Einkommens auf Grund der Nichtberücksichtigung des Beigeladenen zu 1) an die Antragstellerin geleistet werden müsse.

Die Beschwerdeführer beantragen,

den Beschluss des Sozialgerichts Trier vom 11.06.2002 aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin hat keinen Antrag gestellt und nichts vorgetragen.

Die Beigeladene zu 2) hat vorgetragen, es liege im Ermessen des Sozialgerichts, den Ehemann als unterhaltsberechtigte Person unberücksichtigt zu lassen.

Im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung war.

II.

Die zulässige Beschwerde ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und einer Zurückverweisung an das Sozialgericht (§ 202 SGG iVm § 575 ZPO) begründet, da das erstinstanzliche Verfahren an einem schwerwiegenden Verfahrensfehler leidet, der im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden kann.

Das Sozialgericht hat zu Recht den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bejaht; denn auch nach der Abtretung des Altersruhegeldanspruchs der Antragsgegnerin liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung nach dem SGB VI vor, für die gemäß § 51 Abs. 1 SGG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig sind.

Nach § 53 Abs. 3 SGB I können Ansprüche auf laufende Geldleistungen, die – wie hier das Altersruhegeld der Antragsgegnerin– der Sicherung des Lebensunterhaltes zu dienen bestimmt sind, u.a. übertragen werden (§ 398 BGB analog), soweit sie den für Arbeitseinkommen geltenden unpfändbaren Betrag übersteigen. Bei dem Vertrag zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin über die Abtretung des Rentenanspruchs handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag i.S. des § 53 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch –Zehntes Buch (SGB X). Mit dem Vertrag über die Abtretung (§ 53 Abs. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) iVm § 398 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog) wird ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, nämlich bezüglich des Altersruhegeldanspruchs der Antragsgegnerin gegen die Beigeladene zu 2) geändert, so dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB X für das Vorliegen eines Vertrages i.S. dieser Vorschrift erfüllt sind. Die Abtretung des Rentenanspruchs verändert seine Eigenschaft als ein dem öffentlichen Recht zugehöriger Anspruch nicht, wie das BSG bereits entschieden hat (BSGE 70, 37).

Der Altersruhegeldanspruch kann nur in der Höhe des jeweils pfändbaren Betrages wirksam abgetreten werden, während darüber hinausgehende Abtretungen unwirksam sind, wovon die Beigeladene zu 2) zu Recht ausgegangen ist.

Anders, als es dem Schreiben der Beigeladenen zu 2) vom 07.01.2002 und dem Beschluss des Sozialgericht entnommen werden kann, obliegt es aber dem jeweiligen Sozialleistungsträger als Schuldner des Geldleistungsanspruchs, hier also der Beigeladenen zu 2), in der über § 53 Abs. 3 SGB I gebotenen analogen Anwendung des § 850c Abs. 1 bis 3 ZPO, der unmittelbar die Pfändbarkeit von Arbeitseinkommen regelt, in Ausfüllung der zulässigen Blankettabtretung des Sozialleistungsanspruchs den jeweils pfändbaren Betrag zu ermitteln, wie das BSG mehrfach entschieden hat (vgl. SozR 1200 § 53 Nr. 6; SozR 3-1200 § 53 Nr. 2 mwN).

Die Beigeladene zu 2) übernimmt insoweit kraft öffentlichen Rechts die in § 850 c Abs. 4 ZPO geregelte hoheitliche Position des Vollstreckungsgerichts (BSG, SozR 1300 § 63 Nr. 10; SozR 3-1200 § 53 Nr. 2). Dabei hätte sie zunächst von einer abstrakten Unterhaltsverpflichtung ausgehen dürfen, die nur dann konkret zu ermitteln wäre, wenn Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten bzw. substantiiert vorgetragen worden wären, dem Beigeladene zu 1) stehe kein gesetzlicher Unterhaltsanspruch zu (BSG, a.a.O.).

Die Beigeladene zu 2) hätte deshalb die Antragstellerin nicht –ohne eigene Prüfung– an das Sozialgericht verweisen dürfen, sondern selbst über die Höhe der Abtretung entscheiden müssen. Erst falls nach Festsetzung des abgetretenen Anspruchs zwischen Abtretungs- bzw. Pfändungsgläubigern einerseits und Sozialleistungsträgern andererseits über die Auszahlung von Sozialleistungen nach der Abtretung über die Höhe gestritten wird oder die Beigeladene zu 2) sich geweigert hätte, über die Abtretung zu entscheiden, wäre die Erhebung einer Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG zulässig.

Zwar konnte das Schreiben der Beigeladenen zu 2) in diesem Sinne so ausgelegt werden, dass diese keine eigene Entscheidung über die Abtretung zu treffen beabsichtigte. Dann hätte das angerufene Sozialgericht gemäß § 850 c Abs. 4 ZPO "nach billigem Ermessen" zu bestimmen, ob unterhaltsberechtigte Personen mit eigenem Einkommen bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleiben. Billiges Ermessen bedeutet, dass das Gericht seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers gegen die des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen hat (BAG, Urteil vom 20.06.1984, Az: 4 AZR 339/82). Dies hat das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss im Ergebnis zwar berücksichtigt, als es entschieden hat, dass der Beigeladene zu 1) nicht als unterhaltsberechtigt nach § 850 c ZPO zu berücksichtigen sei, wobei nach der Rechtsprechung des BSG die nach § 1360 Satz 1 BGB bestehende Unterhaltsverpflichtung eines Ehegatten nicht bereits deshalb entfällt, weil er weniger verdient als der andere Ehegatte (BSG, SozR 3-1200 § 53 Nr. 2 mwN).

Das Sozialgericht durfte diese Entscheidung aber nicht durch einen Beschluss ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter fassen. Über die Entscheidung bzw. fehlende Entscheidung der Beigeladenen zu 2) stand der Antragstellerin die Möglichkeit des Rechtsschutzes im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu, über die das Sozialgericht durch Urteil in voller Besetzung zu entscheiden hatte (§§ 125; 12 Abs. 1 Satz 1 SGG). Da das Sozialgericht hier durch Beschluss ohne die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter und ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, leidet das Verfahren vor dem Sozialgericht unter einem wesentlichen Verfahrensmangel. Diese Fehler sind im Berufungsverfahren auch nicht zu heilen. Der Senat hält auch im vorliegenden Fall eine Zurückverweisung für geboten, damit den Beteiligten keine Instanz verloren geht.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Sozialgericht vorbehalten (§ 193 SGG).

Dieser Beschluss kann nicht mit Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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