L 8 U 3203/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 2233/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3203/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.06.2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch seine außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt.

Der am 19.05.1960 geborene Kläger machte von 1975 bis 1978 eine Ausbildung als Karosseriebauer. Vom 01.09.1979 bis 28.02.1984 arbeitete er mit Unterbrechung vom 01.04.1980 bis 30.06.1981 durch den Wehrdienst als Karosseriebauer bei der Firma W. in N ... Anschließend arbeitete er vom 21.03.1984 bis 31.12.2004 bei der Firma D. A. im Karosserie- und Fahrzeugbau, wo er zunächst im Karosserierohbau und ab 1985 bei Schweiß- und Richtarbeiten und Zersägen von Karosserien beschäftigt gewesen ist. Seit Januar 2005 arbeitete er bei der Firma D. A. in der Montagekontrolle und im Qualitätsmanagement.

Am 15.12.2009 erstattete der HNO-Arzt Dr. K. der Beklagten eine ärztliche Meldung über den Verdacht der Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit beim Kläger. Dr. K. führte aus, der Kläger sei zwischen 1975 und 2005 lärmexponiert beschäftigt gewesen und habe eine zunehmende Hörminderung beklagt. Ein von Dr. K. durchgeführtes Tonschwellenaudiogramm vom 04.12.2009 zeige eine beidseitige, annähernd symmetrische Innenohrschwerhörigkeit mit maximaler Senkenbildung zwischen 1,5 und 3 kHz beidseitig sowie eine rechtsbetonte Schallleitungsschwerhörigkeit. Nach diesem Audiogramm betrage der gesamte Hörverlust rechts 50 v.H. und links 30 v.H.; der innenohrbedingte Hörverlust sei mit rechts 15 v.H. und links 25 v.H. zu veranschlagen.

Von der Beklagten schriftlich befragt teilte der Kläger am 06.04.2010 mit, er habe in der Zeit zwischen September 1979 und Februar 1984 bei der Firma W. in N. als Karosseriebauer gearbeitet und sei durch Arbeiten mit Flex, Hammer und sonstigen Maschinen lärmexponiert gewesen. Er habe Gehörschutzwatte getragen. Von März 1984 bis Dezember 2004 habe er bei der Firma D. A. in S. als Karosseriebaumeister gearbeitet und sei dort durch Schleifmaschinen, Hammer und Metallbandsägen lärmbelastet gewesen. Auch hier habe er Gehörschutzwatte getragen. Die Schwerhörigkeit habe sich seit circa zehn Jahren vor dieser Meldung schleichend entwickelt und bestehe seit ungefähr einem Jahr im jetzt festgestellten Ausmaß.

Mit Bescheinigung vom 30.04.2010 bestätigte die Firma D. A., dass der Kläger in der Zeit vom 21.03.1984 bis Dezember 2004 in der Kontrolle des Karosserierohbaus tätig gewesen sei, wo er Schweißverbindungen zu prüfen gehabt habe. Ab 1993 sei er als Meister eingesetzt gewesen. Seit Januar 2005 habe er als Meister in der Montagekontrolle und im Qualitätsmanagement gearbeitet.

Der Präventionsdienst der Beklagten führte in seiner Stellungnahme vom 02.07.2010 aus, der Kläger sei bei seiner Tätigkeit bei der Firma W. Karosseriebau vom 01.09.1979 bis zum 28.02.1984 einem äquivalenten Lärmpegel von 88 dB(A) ausgesetzt gewesen; vom 21.03.1984 bis zum 31.12.1992 sei er während seiner Arbeit im M.-W. einem Lärmpegel von 92 dB(A), vom 01.01.1993 bis zum 31.12.2004 sodann einem Lärmpegel von 87 dB(A) ausgesetzt gewesen. Seit dem 01.01.2005 sei von einem äquivalenten Beurteilungspegel von 70 dB(A) auszugehen.

Das von der Beklagten beigezogene Vorerkrankungsverzeichnis der Betriebskrankenkasse D. vom 26.04.2010 weist keine früheren Erkrankungen des Klägers aus, die in ursächlichem Zusammenhang mit der jetzt bestehenden Schwerhörigkeit stehen könnten.

Weiter zog die Beklagte die Ergebnisse der tonschwellenaudiometrischen Vorsorgeunter-suchungen der Firma D. aus den Jahren 1984, 1985, 1988, 1991, 1997 und 2003 bei. Bereits 1984 findet sich eine gering linksbetonte Hochtonsenkenbildung oberhalb 1 kHz, die im Laufe der Jahre geringfügig zunimmt, wobei die Tonaudiogramme aus den Jahren 1997 und 2003 eine geringere Hörminderung zeigen als die aus den vorangegangenen Jahren.

Schließlich veranlasste die Beklagte die HNO-ärztliche ambulante gutachtliche Untersuchung des Klägers durch den HNO-Arzt Dr. V ... Bei der Begutachtung durch Dr. V. gab der Kläger an, die Schwerhörigkeit habe vor 5 Jahren begonnen und bestehe seit etwa 2005. Im Gutachten vom 04.08.2010 beschrieb Dr. V. eine beidseitige, annähernd symmetrische innenohrbedingte Schwerhörigkeit des Klägers mit Abfall der Tongehörschwellenkurve oberhalb 500 Hz zu den höheren Frequenzen hin und Zeichen eines positiven Recruitmentphänomens beidseitig. Aus dem gewichteten Gesamtwortverstehen errechne sich ein Hörverlust von rechts 30 v.H. und links 40 v.H ... Auffallend sei im Tonschwellenaudiogramm eine beidseitige Hörminderung bereits bei 1000 Hz um 30 dB. Möglicherweise bestehe bei der vorliegenden Hörminderung auch eine hereditäre Komponente (Großmutter), welche jedoch bei der langjährigen Lärmexposition als geringere Ursache der Hörminderung anzusehen sei. Dr. V. sah die Einflussnahme durch den beruflichen Lärm als maßgebend für die vorliegende Hörminderung an, weshalb eine beruflich bedingte Lärmschwerhörigkeit im Sinne der BK 2301 festzustellen sei. Die MdE schätzte Dr. V. auf 15 v.H.

Weiter holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme bei dem HNO-Arzt Prof. Dr. T. ein. In der Stellungnahme nach Aktenlage vom 13.09.2010 führte Prof. Dr. T. aus, aus dem Tonschwellenaudiogramm vom 04.12.2009 lasse sich ein Hörverlust von rechts 5% und links 25% errechnen, was keine messbare MdE zur Folge habe. Der Hörverlust sei hauptsächlich in der Zeit nach 2003 aufgetreten und habe sich auch zwischen der Meldung des Verdachts auf eine Berufskrankheit im Jahre 2009 und der gutachtlichen Untersuchung durch Dr. V. im Jahre 2010 noch einmal verstärkt, weshalb davon auszugehen sei, dass die Hörverschlechterung vorwiegend in der Zeit aufgetreten sei, in der der Kläger nur noch einem berufsbedingten Lärm von 70 dB(A) ausgesetzt gewesen sei und dass damit der Hörschaden nicht ursächlich auf eine berufsbedingte Lärmbelastung zurückgeführt werden könne. Schließlich habe der Kläger selbst bei der Begutachtung durch Dr. V. den Beginn der Schwerhörigkeit mit dem Jahr 2005 angegeben.

Mit Bescheid vom 28.10.2010 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Berufskrankheitenliste (Lärmschwerhörigkeit) ab. Zur Begründung führte sie gestützt auf die Ausführungen von Prof. Dr. T. im Wesentlichen aus, aufgrund der seit 1984 vorliegenden Gehörbefunde sei davon auszugehen, dass sich die Schwerhörigkeit erst nach Ende der gehörschädigenden Lärmexposition entwickelt habe und damit ganz überwiegend auf außerberufliche Faktoren zurückzuführen sei. So weise das zuletzt vor Ende der beruflichen Lärmarbeit aufgezeichnete Tonaudiogramm vom 31.07.2003 noch ein annähernd normales Hörvermögen aus. Eine lärmbedingte Hörstörung könne nach Beendigung der einwirkenden Lärmbelastung nicht entstehen oder weiter fortschreiten. Zwar könne aufgrund der noch bis Ende 2004 erlebten Lärmeinwirkung ein lärmbedingter Anteil der Hörminderung nicht gänzlich ausgeschlossen werden, jedoch sei eine Abgrenzung nicht möglich, da aus der Zeit zwischen 2003 und 2009 keine Audiogramme vorlägen. Ferner verneinte die Beklagte Ansprüche auf Leistungen. Dies gelte auch für Leistungen oder Maßnahmen, die geeignet seien, dem Entstehen einer Berufskrankheit entgegenzuwirken.

Hiergegen legte der Kläger am 24.11.2010 Widerspruch ein, der mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 21.02.2011 zunächst mit dem Bestreiten der Richtigkeit und Vollständigkeit des Tonaudiogramms aus dem Jahre 2003 begründet wurde. Es sei unbekannt, welche technischen Voraussetzungen bei der Lärmuntersuchung gegeben gewesen seien. Ferner sei der Kläger noch bis 2005 erheblichem Lärm ausgesetzt gewesen. Der Kläger habe seit etwa 2002 fortschreitend eine Abnahme seines Hörvermögens festgestellt. Für eine berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit spreche weiterhin, dass das Hörvermögen in beiden Ohren gleichermaßen schlecht sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2011 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei seit Januar 2005 nur noch einem beruflich bedingten Lärmpegel von ungefähr 70 dB(A) ausgesetzt gewesen. Der Empfehlung des Gutachters Dr. V. im Gutachten vom 04.08.2010 könne nicht gefolgt werden, da der Gutachter bei seiner Beurteilung die Voraudiogramme und die Angaben des Klägers zur Entwicklung der Schwerhörigkeit nicht hinreichend berücksichtigt habe. So habe ausweislich des letzten während der beruflichen Lärmarbeit erstellten Audiogramms vom 31.07.2003 - wie auch bei den Vorbefunden - ein annähernd normales Hörvermögen vorgelegen. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Tonaudiogramm den damaligen Hörverlust nicht richtig oder vollständig dokumentiere. Ferner habe der Kläger selbst bei seiner schriftlichen Befragung im April 2010 angegeben, die Schwerhörigkeit bestehe im jetzigen Ausmaß erst seit circa einem Jahr. Bei der Untersuchung durch Dr. V. habe er bei der Frage nach dem Beginn der Schwerhörigkeit das Jahr 2005 benannt. Weiter sei bei der gutachtlichen Untersuchung am 03.08.2010 ein nochmals schlechteres Hörvermögen dokumentiert worden als im Tonaudiogramm vom Dezember 2009. Daher sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Lärmexposition bis Dezember 2004 und der erst fünf Jahre später im Dezember 2009 dokumentierten Hörminderung nicht hinreichend wahrscheinlich.

Hiergegen erhob der Kläger am 20.05.2011 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG). Zur Begründung berief er sich auf die Feststellungen des Gutachters Dr. V. im Gutachten vom 04.08.2010 und lehnte die Schlussfolgerungen von Prof. Dr. T. als nicht nachvollziehbar ab.

Das SG vernahm zunächst den behandelnden HNO-Arzt des Klägers Dr. K. als sachverständigen Zeugen. Dr. K. teilte am 26.07.2011 mit, er habe den Kläger vom 23.11.1999 bis zum 15.04.2010 behandelt. Der Kläger leide unter einer beidseitigen Schwerhörigkeit.

Weiter holte das SG ein Gutachten von Amts wegen nach ambulanter Untersuchung des Klägers bei dem Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten Prof. Dr. S. ein. Prof. Dr. S. führte im Gutachten vom 16.01.2012 aus, der Kläger leide unter einer beidseitigen, annähernd symmetrischen rein innenohrbedingten Hörminderung mit bevorzugtem Befall der hohen Frequenzen und angedeuteter muldenförmiger Senkenbildung bei 4 kHz sowie positivem Recruitmentphänomen, entsprechend einem Hörverlust von rechts 10 v.H. und links 20 v.H. Sowohl die Charakteristik der Hörbefunde als auch die Intensität und Dauer der Berufslärmeinwirkung seien mit einer Lärmschwerhörigkeit nach BK 2301 vereinbar. Zwar habe der Kläger bei der Untersuchung durch Dr. V. den Beginn der Schwerhörigkeit mit dem Jahr 2005 angegeben und erst 2009 den HNO-Arzt Dr. K. aufgesucht. Bei der jetzigen Untersuchung habe der Kläger erklärt, er sei bereits vor zehn Jahren von seiner Frau auf Hörprobleme hingewiesen worden und für ihn sei die Hörverschlechterung langsam und schleichend eingetreten. Der Besuch bei Dr. K. sei in Kenntnis des Audiogrammes vom 04.12.2009 gut zu verstehen. Dort sei zusätzlich zur Innenohrschwerhörigkeitskomponente an beiden Ohren eine Schallleitungskomponente eingetragen, welche sich in keinem anderen Audiogramm finde und niemals durch Lärmeinwirkungen verursacht sei. Es spreche einiges dafür, dass zum Zeitpunkt dieser audiometrischen Untersuchung eine akute Verschlechterung durch einen Mittelohrprozess vorgelegen habe. Weiter zeigten bei einer Verlaufsbeobachtung der Schwerhörigkeitsentwicklung zwar die vier Tonschwellenaudiogramme der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen aus den Jahren 1984, 1985, 1988 und 1991 nahezu den gleichen Befund mit geringen Schwankungen und ohne eindeutige Progredienz. In den zwei weiteren Tonschwellenaudiogrammen aus den Jahren 1997 und 2003 werde die Absenkung der Hörschwelle als geringer angegeben. Unter der Prämisse, dass ein Proband sein Hörvermögen zwar schlechter, aber nicht besser angeben könne, als es tatsächlich ist, müsse man das Beste der Audiogramme, nämlich das vom 31.07.2003 als relevant ansehen. Gegenüber diesem Tonschwellenaudiogramm sei bis zum Jahre 2009 das Hörvermögen erheblich abgesunken und es sei unwahrscheinlich, dass dafür die letzten anderthalb Jahre der Lärmtätigkeit bis Ende 2004 verantwortlich seien. Andererseits unterliege die Qualität der arbeitsmedizinischen audiometrischen Vorsorgeuntersuchungen deutlichen Schwankungen und man müsse bei diesen Untersuchungen mit Ausreißern rechnen. Gehe man nun davon aus, dass vier zueinander passende Audiogramme (1984 bis 1991) wahrscheinlicher seien als zwei davon abweichende und untereinander unterschiedliche Audiogramme (1997 und 2003), so müsse man das Audiogramm vom 27.06.1991 als das letzte Relevante ansehen. Eine Verschlechterung von diesem ausgehend bis zu dem im Jahr 2009 festgehaltenen Befund könne durchaus überwiegend auf berufslärmbedingte Einwirkungen zurückzuführen sein. Mangels eindeutiger wissenschaftlicher Kriterien seien die Vorsorgeaudiogramme dahingehend zu gewichten, dass die Größenanzahl der untereinander übereinstimmenden Audiogramme für plausibler angesehen werde als die beiden davon abweichenden Audiogramme. Unter dieser Prämisse spreche mehr dafür als dagegen, dass die am 04.12.2009 festgestellte beidseitige Innenohrkomponente der Schwerhörigkeit ihre wesentliche Ursache in den Berufslärmein-wirkungen in den Jahren 1975 bis 2004 habe. Nach den Bewertungskriterien liege eine Lärmschwerhörigkeit im Sinne der Ziffer 2301 der Anlage 1 zur BKV vor. Die dadurch bedingte MdE betrage derzeit weniger als 10 v.H.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.03.2012 führte Prof. Dr. S. weiter aus, Prof. Dr. T. habe zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Stellungnahme nicht wissen können, dass die Innenohrschwerhörigkeit des Klägers zwischen dem Audiogramm von Dr. K. im Jahre 2009 und dem des jetzigen Gutachtens im Jahre 2011 praktisch unverändert geblieben sei. Dies sei mit einer kontinuierlichen Hörverschlechterung gleich welcher lärmunabhängigen Ursache nicht vereinbar. Vielmehr müsse sich dann zwischen 2003 und 2009 das Hörvermögen schubweise verschlechtert haben, d.h. in der Regel asynchron mal am rechten und mal am linken Ohr, praktisch wie in Form kleiner Hörstürze. Der Kläger habe das Auftreten solcher akuter Hörverschlechterungen glaubhaft verneint und von einer kontinuierlichen Entwicklung berichtet, was er auf telefonische Rückfrage am 01.03.2012 bestätigt habe. Wenn man bedenke, dass der Kläger 2009 eine Hörverschlechterung, die vermutlich auf einer vorübergehenden Mittelohraffektion beruhe, bemerkt und deswegen aus eigenem Antrieb zum HNO-Arzt gegangen sei, erscheine es glaubwürdig, dass ihm auch eine schnell auftretende Hörverschlechterung mal auf dem einen, mal auf dem anderen Ohr, aufgefallen wäre und Anlass gewesen wäre, eine HNO-ärztliche Behandlung aufzusuchen.

Mit Urteil vom 14.06.2012 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 28.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2011 auf und verurteilte die Beklagte, die Lärmschwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und nach Ziffer 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen. Zur Begründung führte das SG aus, der Kläger sei zwischen 1979 und 2004 einer berufsbedingten Lärmexposition zwischen 87 und 95 dB(A) arbeitstäglich ausgesetzt gewesen, weshalb die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 2301 nach Anlage 1 zur BKV erfüllt seien.

Weiter ging das SG auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. V. vom 04.08.2010 und des Gutachtens von Prof. Dr. S. vom 16.01.2012 sowie dessen ergänzender Stellungnahme vom 20.03.2012 auch vom Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen zur Feststellung der BK 2301 aus. Die Innenohrschwerhörigkeit des Klägers habe sich zwischen dem von Dr. K. am 04.12.2009 erhobenen Audiogramm und dem von Prof. Dr. S. Ende 2011 durchgeführten praktisch nicht verändert. Folglich müsse sich das beiderseitige Hörvermögen des Klägers zwischen 2003 und 2009 erheblich verschlechtert haben, während zwischen 2009 und 2011 keine oder allenfalls eine messtechnisch nicht mehr sicher erfassbare Verschlechterung stattgefunden hätte. Dies sei aber mit einer kontinuierlichen Hörverschlechterung gleichwelcher lärmunabhängigen Ursache nicht vereinbart, vielmehr müsse dann zwischen 2003 und 2009 das Hörvermögen schubweise schlechter geworden sein. Jedoch habe der Kläger das Auftreten solcher akuter Hörverschlechterungen glaubhaft verneint und gegenüber Dr. K. und Prof. Dr. S. von einer kontinuierlichen Entwicklung gesprochen. Im Übrigen habe der Kläger konsistent von Beginn der BK-Anzeige an vorgetragen, die Schwerhörigkeit habe sich kontinuierlich entwickelt. Eine kontinuierliche Entwicklung sei einleuchtend. Eine Schwerhörigkeit des jetzt vorliegenden Ausmaßes, die sich zwischen 1997 und 2009 entwickelt habe, würde sich zwischen 2009 und 2011 wohl in kaum mehr messbarem Umfang verschlechtern. Allerdings fehle die eigentlich vorgesehene Hörprüfung des Jahres 2000, um eine solche These zu stützen und es müsse die Richtigkeit der Hörprüfung vom 31.07.2003 angezweifelt werden. Jedoch gebe es keinen schwerwiegenden Grund, das Audiogramm vom 31.07.2003 anzuzweifeln, da unter der Prämisse, dass das beste Audiogramm auch das richtigste sein müsse, weil der Proband ja nicht besser angeben könne, als er tatsächlich höre, sei es unumgänglich, das Audiogramm vom 31.07.2003 als Bezugsgröße zu wählen. Allerdings könne man dies in dieser Absolutheit nicht sagen, da in das Ergebnis einer audiometrischen Untersuchung zwar vor allem die subjektiven Angaben des Probanden eingingen, daneben aber auch die Qualität der technischen Untersuchungsgeräte und die fachliche Qualifikation der audiometrierenden Person entscheidend sei. Die entscheidende Frage sei, ob es wahrscheinlicher sei, dass sich das Innenohrhörvermögen des Klägers zwischen 2003 und 2009 an beiden Ohren, jeweils für sich getrennt, in einem oder mehreren Schüben verschlechtert habe, ohne dass dies dem Kläger aufgefallen sei, oder ob es wahrscheinlicher sei, dass das Audiogramm vom 31.07.2003 bessere Werte zeige, als sie dem damaligen Hörvermögen des Klägers entsprächen. Im ersteren Fall sei die Hörschädigung des Klägers als überwiegend lärmunabhängig, im zweiten Fall als überwiegend lärmabhängig anzusehen. Da der Kläger, wie der Ausfall des SIS-Tests zeige, kleine Lärmunterschiede sehr wohl wahrnehme und weil er selbst wegen seiner Hörverschlechterung im Jahre 2009 von sich aus Dr. K. aufgesucht und damit gezeigt habe, durchaus auf sein Hörvermögen zu achten, schloss sich das SG nach kritischer Prüfung der Folgerung von Prof. Dr. S. an und nahm einen kausalen Zusammenhang zwischen der beruflich bedingten Lärmbelastung des Klägers zwischen 1975 und 2004 und der bei ihm vorliegenden beruflich bedingten Innenohrschwerhörigkeit an.

Gegen das ihr am 28.06.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.07.2012 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie vorträgt, der Kläger sei unstreitig bis zum 31.12.2004 lärmgefährdet tätig gewesen und ab dem 01.01.2005 nur noch einem Tageslärmexpositionspegel von 70 dB(A) ausgesetzt gewesen. Das letzte während der beruflichen Lärmarbeit erstellte Audiogramm stamme vom 31.07.2003 und weise ein annähernd normales Hörvermögen aus. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte, dass das Tonaudiogramm vom 31.07.2003 den damaligen Hörverlust nicht richtig oder vollständig dokumentiert habe bzw. dass die Messung in irgendeiner Weise fehlerhaft erfolgt sei, weswegen dieses Audiogramm als Vergleichs-audiogramm heranzuziehen sei. Den Ausführungen von Prof. Dr. S., dass sich das Hörvermögen des Klägers gemäß seinen eigenen Angaben konsistent verschlechtert habe, könne nicht gefolgt werden. Der Kläger habe gegenüber der Beklagten in einem Fragebogen aus dem Jahre 2010 selbst angegeben, seine Schwerhörigkeit liege in diesem Ausmaß erst seit circa einem Jahr vor. Dies sei mit einer einmaligen schubweisen Verschlechterung des Hörvermögens zu vereinbaren. Ferner sei das subjektive Empfinden des Klägers nicht objektivierbar. Unter der Annahme der Korrektheit des Audiogramms vom 31.07.2003 sei die Hörschädigung des Klägers als überwiegend lärmunabhängig anzusehen, da sie im Wesentlichen in der Zeit nach 2004 eingetreten sei, in der der Kläger nicht mehr lärmgefährdend tätig gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.06.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt der Berufung entgegen und führt aus, das SG Karlsruhe sei auf der Basis des Gutachtens von Prof. Dr. S. zu Recht zu der Überzeugung gelangt, dass die Hörschädigung des Klägers als lärmabhängig anzusehen sei. Prof. Dr. S. sei in seinem Gutachten richtigerweise davon ausgegangen, dass der Kläger bereits 2009 gegenüber seinem HNO-Arzt eine Schwerhörigkeit angegeben habe, die sich seit zehn Jahren entwickelt habe. Eine schubweise Verschlechterung habe nicht vorgelegen, vielmehr habe sich das Hörvermögen kontinuierlich verschlechtert. Der Gutachter werfe auch zu Recht Zweifel an der Qualität des Audiogramms vom 31.07.2003 auf. Aus den Einzelheiten des Audiogramms lasse sich ohne Weiteres schließen, dass der Prüfende sich nicht die notwendige Zeit genommen habe, alle notwendigen Daten zu erfassen und einzutragen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Bl. 28 und 29 der Senatsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie auf die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat im Urteil vom 14.06.2012 zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 28.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Lärmschwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und nach Ziff. 2301 der Anlage 1 zur BKV festzustellen. Der Bescheid der Beklagten vom 28.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit darin die Feststellung der beantragten Berufskrankheit Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) der Berufskrankheitenliste zu Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) abgelehnt wird.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. Im Anhang zur BKV ist die Erkrankung an einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 enthalten.

Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität folgt der Senat der überzeugenden neueren Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 02.04.2009, a.a.O.), dass auch im Berufskrankheiten-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 RdNr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).

Nach diesen Maßstäben liegt beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV vor.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass beim Kläger die Einwirkungskausalität dieser Berufskrankheit vorliegt. Dies ergibt sich für den Senat ebenso wie bereits für das SG aus den nachvollziehbaren Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten (Bericht vom 02.07.2010), wonach der Kläger von 1979 bis 31.12.2004 gehörschädigendem Lärm ausgesetzt war. Ebenso wie das SG im angefochtenen Urteil ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass zum Expositionsende im Dezember 2004 auch eine Hörminderung vorlag, die als Lärmschwerhörigkeit wesentlich auf dieser beruflichen Lärmeinwirkung beruht. Der Senat verweist daher zur Begründung auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG) mit der ergänzenden Feststellung, dass der 2003 erhobene betriebsärztliche Audiometriebefund nicht verwertbar ist.

Das – bisheriges Vorbringen wiederholende – Berufungsvorbringen der Beklagten zwingt zu keiner anderen Beurteilung. Soweit die Beklagte geltend macht, das Audiogramm aus dem Jahr 2003 müsse ohne Wenn und Aber als Vergleichsaudiogramm herangezogen werden, trifft dies nach Würdigung der gegebenen Beweislage durch den Senat nicht zu. Die Beklagte meint, das Tonschwellenaudiogramm vom 31.07.2003 weise rechts ein normales und links ein annähernd normales Hörvermögen aus, bis zum 04.12.2009 (Untersuchung bei Dr. K.) sei beidseits eine ausgeprägte innenohrbedingte Hörverschlechterung im Hochtonbereich, aber auch schon im Mitteltonbereich aufgetreten. Von diesem Sechsjahreszeitraum, der zwischen den beiden Audiogrammen liege, entfielen lediglich anderthalb Jahre auf lärmbelastende Berufstätigkeit und die vorangegangenen circa 25 Jahre hätten bei gleicher Berufslärmbelastung keinen Innenohrschaden hinterlassen. Daher erscheine es bei primärer Betrachtung zwar als unwahrscheinlich, dass die letzten anderthalb Jahre eine so gravierende Innenohrverschlechterung herbeigeführt haben sollen, womit von einer lärmunabhängigen Hörverschlechterung auszugehen wäre (so die Argumentation des Beratungsarztes der Beklagten Prof. Dr. T. in seiner Stellungnahme nach Aktenlage vom 13.09.2010).

Dieser Argumentation konnte sich der Senat nicht anschließen.

Der Senat stützt sich hierbei wie bereits das SG auf die überzeugenden Ausführungen in den Gutachten von Dr. V. vom 04.08.2010 und von Prof. Dr. S. vom 16.01.2012 sowie dessen ergänzender Stellungnahme vom 20.03.2012. Danach weist der 2009 erhobene Befund das typische Krankheitsbild einer Lärmschwerhörigkeit auf, mit bevorzugtem Befall der hohen Frequenzen und angedeuteter muldenförmiger Senkenbildung bei 4 kHz sowie positivem Recruitmentphänomen. Nach Prof. Dr. S. ist die Charakteristik der Hörbefunde als auch die Intensität und Dauer der Berufslärmeinwirkung mit einer Lärmschwerhörigkeit nach BK 2301 vereinbar. Hiervon ging Dr. V. in seinem vorangegangenen Gutachten ebenso aus.

Dies ist für den Senat auch überzeugend. Aus den betriebsärztlichen Untersuchungen des Hörvermögens des Klägers ergibt sich nach den Darlegungen von Prof. Dr. S. ab 1984 ein annähernd gleicher Befund mit einer Senke bei den höheren Frequenzen. Hinsichtlich des Hörverlustes ergibt sich keine eindeutige Progredienz bei geringfügigen Schwankungen. Andererseits bildet sich in den beigezogenen betriebsärztlichen Audiogrammen eine 1984 und 1985 am rechten Ohr noch nicht vorhandene Absenkung der Tongehörschwelle bei den höheren Frequenzen ab 3-4 kHz jedenfalls beidseits ab 1988 ab, die bei den Frequenzen von 3 und 4 kHz Hörverluste zwischen knapp 20 dB (1988, 1991 und 1997) und 10 bzw. 20 dB (2003) rechts sowie zwischen knapp 30 dB (1988 und 1991) und 20 dB (1997 und 2003) links ausweisen. Hinsichtlich dieser Befundentwicklung räumte selbst Prof. Dr. T. ein, dass der angedeutete Hochtonverlust in den betriebsärztlichen Untersuchungen grundsätzlich als Ausdruck einer Lärmbelastung deutbar ist und die audiometrische Konstellation für sich betrachtet einen Lärmschaden durchaus offen lässt. Eine geringfügige Vorschädigung durch Lärm schließt Prof. Dr. T. nicht aus und bestätigt, dass – nach seiner Auffassung "allenfalls" – eine beginnende Lärmschwerhörigkeit den Befunden bis 2003 zu entnehmen ist.

Ob durch das Audiogramm von 1997 tatsächlich eine geringfügige Verbesserung gegenüber den vorherigen audiometrischen Untersuchungen mit einer geringeren Hochtonsenke abgebildet wird, wie Prof. Dr. S. - auch bezogen auf das Audiogramm 2003 - ausführt, ist für den Senat nicht ganz überzeugend, denn bei 3 und 4 kHz ist der Befund am rechten Ohr im Vergleich zu den Vorbefunden stabil, wie oben gezeigt, und am linken Ohr lässt der Kurvenverlauf in diesem Frequenzbereich keine volle Differenz von 10 dB zu den Vorbefunden erkennen.

Dagegen ist der betriebsärztliche Befund vom 31.07.2003 für die gerichtliche Entscheidung nicht verwertbar, denn die von Prof. Dr. S. aufgezeigten Ungereimtheiten wecken erhebliche Zweifel an der Aussagekraft des Befundes. Soweit Prof. Dr. S. meint, es gebe keinen schwerwiegenden Grund dieses Audiogramm abzulehnen (vgl. Gutachtensergänzung vom 20.03.2012), ist dies keine medizinische Beurteilung, sondern eine eigene Beweiswürdigung, die aber dem Senat vorbehalten ist. Zum einen ist nach Prof. Dr. S. nicht plausibel, dass am rechten Ohr von 0,5-3 kHz eine geradlinige Tonschwellenkurve eingezeichnet ist, was im Widerspruch zu allen vorangegangenen und auch nachfolgenden Audiogrammkurven steht. Weiter ist auffallend, dass die Audiogrammkurven an beiden Ohren völlig geradlinig gezeichnet sind, ohne die kleinen Abweichungen, die bei derartigen biologischen Messungen eigentlich immer zu beobachten sind. Zudem sind im zugehörigen Fragebogen einige Fragen nicht beantwortet (z.B. Angaben zum Arbeitsplatz, die Frage der subjektiven Hörminderung und der Trommelfellbefund), was auf einen weniger gründlichen Untersuchungsablauf schließen lässt.

Damit ist aus Sicht des Senats nicht hinreichend sicher nachgewiesen, dass im Juli 2003 ein geringfügig besserer Hörbefund oder zumindest ein im Vergleich zu den Vorbefunden stabiler Hörbefund vorgelegen hat.

Stehen aber nur die Befunde von 1984 bis 1997 für die vergleichende Bewertung des Verlaufs der Hörminderung zur Verfügung, ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten kein Anhaltspunkt dafür, dass die vom Kläger im Jahre 2010 im Fragebogen angegebene schleichende Hörverschlechterung in den letzten 10 Jahren nicht zutreffen kann. Die betriebsärztlichen Untersuchungen ergeben nur bis 1997 einen annähernd stabilen Hörbefund, für den Zeitraum danach bis zum Expositionende liegen keine verwertbaren Befunde vor, weshalb dem Kläger nicht entgegengehalten werden kann, die ihm zufolge ab 2000 einsetzende schleichende Hörverschlechterung sei mit den Ergebnissen der betriebsärztlichen Untersuchung nicht vereinbar.

Die von Prof. Dr. T. nach den betriebsärztlichen Audiogrammen als beginnende Lärmschwerhörigkeit bezeichnete Befundlage war noch nicht mit einem subjektiv spürbaren Hörverlust verbunden. Eine solche geringfügige, aber subjektiv bemerkbar Hörminderung ab dem Jahr 2000, und damit noch während der Lärmexposition, hält der Senat für glaubhaft. Der Kläger hat diese Angaben gleich zu Beginn des von der Beklagten eingeleiteten Feststellungsverfahrens gemacht. Ein sich stetig verschlechterndes Hörvermögen aufgrund einer nach 1997 beginnenden Progression ist auch mit der bei Dr. V. gemachten Schilderung des Klägers in Einklang zu bringen, die Schwerhörigkeit – abzugrenzen von den gelegentlichen Hörbeeinträchtigungen in den Vorjahren ab 2000 – in den letzten 5 Jahren vor der Untersuchung, also etwa im Jahr 2005, bemerkt zu haben.

Aus den Indizien einer gesundheitsgefährdenden Lärmexposition bis Ende 2004, einer sich nach Auffassung aller begutachtenden Ärzten in den betriebsärztlichen Untersuchungen abbildenden beginnenden Lärmschwerhörigkeit und einer mit der Befundlage übereinstimmenden Beschwerdeentwicklung mit einer subjektiven Hörverschlechterung in zeitlicher Nähe zum Ende der Lärmexposition gelangt der Senat mit den Sachverständigen Prof. Dr. S. und Dr. V. zu der Schlussfolgerung, dass die 2009 diagnostizierte Lärmschwerhörigkeit bereits im Dezember 2004 vorgelegen hatte.

Die auf die Stellungnahme von Prof. Dr. T. gestützten weiteren Einwände der Beklagten sind demgegenüber nicht stichhaltig.

Prof. Dr T. hat sich im Gegensatz zum Gerichtsgutachter Prof. Dr. S. nicht mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass in dem Audiogramm vom 04.12.2009 von Dr. K. zusätzlich zur Innenohrschwerhörigkeitskomponente an beiden Ohren eine Schallleitungskomponente eingetragen ist, welche sich in keinem anderen Audiogramm findet und niemals durch Lärmeinwirkungen verursacht ist. Es spricht daher nach der schlüssigen Argumentation von Prof. Dr. S. einiges dafür, dass zum Zeitpunkt dieser audiometrischen Untersuchung eine akute Verschlechterung durch einen Mittelohrprozess vorgelegen hat. Zudem wusste Prof. Dr. T. zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Stellungnahme nicht, dass die Innenohrschwerhörigkeit zwischen dem Audiogramm des Dr. K. vom 04.12.2009 und dem vom SG beauftragten Gutachter Prof. Dr. S. im Jahre 2011 erstellten Audiogramm praktisch unverändert geblieben ist, da die Unterschiede zwischen diesen beiden Audiogrammen noch im Bereich der Schwankungsbreite dieser biologischen Messmethode liegen. Somit müsste sich nach den schlüssigen, in sich widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. S. im Gutachten vom 16.01.2012 und der ergänzenden Stellungnahme vom 20.03.2012, denen sich der Senat aufgrund kritischer Überprüfung voll umfänglich anschließt, das beidseitige Hörvermögen zwischen 2003 und 2009 erheblich verschlechtert haben, während zwischen 2009 und 2011 keine oder allenfalls eine messtechnisch nicht mehr sicher erfassbare Verschlechterung stattgefunden hätte. Dies wäre mit einer kontinuierlichen Hörverschlechterung gleichwelcher lärmabhängigen Ursache nicht vereinbar, vielmehr müsste dann zwischen 2003 und 2009 sich das Hörvermögen schubweise verschlechtert haben, d.h. in der Regel asynchron mal am rechten, mal am linken Ohr praktisch wie in Form kleiner Hörstürze. Gegen eine schubweise Verschlechterung sprechen jedoch die glaubhaften Angaben des Klägers, wie oben ausgeführt. Weiter hat der Kläger auch bei seiner persönlichen Begutachtung durch Prof. Dr. S. von einem kontinuierlichen Vorgang berichtet, was er durch eine telefonische Rückfrage am 01.03.2012 nochmals gegenüber Prof. Dr. S. bestätigt hat. Der Senat sieht keinen Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln. Zudem ist eine kontinuierliche Hörverschlechterung nach den Ausführungen von Prof. Dr. S. im Gutachten vom 16.01.2012 sicherlich die häufiger zu beobachtende Entwicklung. Eine kontinuierliche Verschlechterung von 15 bis 20 dB innerhalb von 18 Jahren, nämlich von 1991 bis zum Befund von Dr. K. im Jahr 2009, verträgt sich nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. S. auch gut mit der Tatsache, dass in zwei weiteren Jahren, von 2009 bis zum Befund von Prof. Dr. S. 2011, keine messbare Verschlechterung eingetreten ist. Bei einer kontinuierlichen Verschlechterung von 30 dB innerhalb von sechs Jahren wäre es nach ärztlicher Erfahrung, wie Prof. Dr. S. darlegt, umgekehrt eher erstaunlich, dass in weiteren zwei Jahren keine Veränderung bemerkbar ist. Auch dies spricht zur Überzeugung des Senats dafür, dass eine 1991 bzw. 1997 einsetzende Progression des Hörverlustes eingetreten ist. Außerdem hat die Befragung des Klägers durch Dr. V. keine außerberufliche gesundheitsgefährdende Lärmexposition ergeben.

Nach alledem geht der Senat davon aus, dass die berufliche Lärmexposition des Klägers in den Jahren 1975 und 2004 wesentliche Ursache für seine Innenohrschwerhörigkeit ist. Damit liegen die Voraussetzungen zur Feststellung der BK 2301 nach Anlage 1 zur BKV vor.

Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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