L 15 SF 317/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 317/14
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Schickt ein Antragsteller seinen Entschädigungsantrag nach dem JVEG an ein unzuständiges Gericht, kommt eine Wiedereinsetzung jedenfalls dann in Betracht, wenn damit gerechnet werden kann, dass das Gericht den Antrag noch innerhalb der Antragsfrist an das zuständige Gericht weiterleitet.
I. Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Geltendmachung der Entschädigung für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 07.05.2014 gewährt.

II. Die Entschädigung für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 07.05.2014 wird auf 59,- EUR festgesetzt.



Gründe:


I.

Streitig ist zunächst, ob der Antragstellerin für die Geltendmachung der Entschädigung für die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist. Anschließend stellt sich die Frage der Höhe der Entschädigung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG.

Nach Anordnung des persönlichen Erscheinens nahm die Antragstellerin am 07.05.2014 an einer mündlichen Verhandlung im Verfahren des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) mit dem Aktenzeichen L 17 U 146/12 teil.

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 03.06.2014, gerichtet an das Sozialgericht (SG) Bayreuth und dort eingegangen am 04.06.2014, beantragte sie die Entschädigung für Fahrtkosten für eine Fahrtstrecke von insgesamt 236 km. Das SG leitete dieses Schreiben erst am 13.10.2014 an das Bayer. LSG weiter.

Mit Schreiben vom 22.10.2014 teilte der Kostenbeamte des Bayer. LSG den Bevollmächtigten der Antragstellerin mit, dass der Entschädigungsantrag erst am 15.10.2014 beim Bayer. LSG eingegangen sei und daher der Entschädigungsanspruch wegen der dreimonatigen Frist des § 2 Abs. 1 JVEG erloschen sei.

Mit am 11.11.2014 bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 04.11.2014 haben sich die Bevollmächtigten der Antragstellerin dahingehend geäußert, dass damit zu rechnen gewesen sei, dass der an das SG geschickte Antrag rechtzeitig an das Bayer. LSG weitergeleitet werde, so dass keine Verfristung eintrete.

Auf telefonische Nachfrage des Berichterstatters des Kostensenats am 01.12.2014 hat die Bevollmächtigte der Antragstellerin angegeben, dass das gerichtliche Schreiben vom 22.10.2014 am 28.10.2014 in der Kanzlei eingegangen sei.

II.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Entschädigung für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 07.05.2014, über den nicht der Kostenbeamte, sondern gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG das Gericht zu entscheiden hat, ist stattzugeben.

Der Antragstellerin steht eine Entschädigung in Höhe von 59,- EUR zu.

1. Anzuwendende Fassung des JVEG

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz -
2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der ab dem 01.08.2013 geltenden Fassung. Denn die Antragstellerin als Berechtigte ist nach dem gemäß Art. 55 2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.

2. Wiedereinsetzung

Es ist Wiedereinsetzung zu gewähren, da die Fristversäumnis von der Antragstellerin nicht zu vertreten ist und auch die restlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung vorliegen.

2.1. Entschädigungsantrag zu spät beim Bayer. LSG eingegangen

Der Entschädigungsanspruch war bereits erloschen, als der Entschädigungsantrag für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 07.05.2014 am 15.10.2014 beim Bayer. LSG einging.

Der Anspruch auf Entschädigung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG im Falle der Teilnahme an einem vom Gericht angeordneten Termin mit der Beendigung dieses Termins zu laufen.

Vorliegend hat die mündliche Verhandlung, für die eine Entschädigung begehrt wird, am 07.05.2014 stattgefunden.

Der Entschädigungsantrag ist beim Bayer. LSG erst mit Einlauf des Schreibens des SG vom 13.10.2014 am 15.10.2014 eingegangen. Dieser Eingang des Entschädigungsantrags ist erst nach Ablauf der dreimonatigen Frist für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs erfolgt. Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Entschädigungsforderung bedurfte es nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 25.11.2013, Az.: L 15 SF 258/13).

Nicht ausreichend ist der Eingang des Entschädigungsantrags innerhalb der Dreimonatsfrist beim SG. § 2 ABS. 1 Satz 1 JVEG verlangt ausdrücklich die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs "bei der Stelle, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat", hier also beim Bayer. LSG. Der in § 4 Abs. 6 Satz 1, 2. Halbs. JVEG enthaltene Verweis auf § 129 a Zivilprozessordnung ermöglicht nur die Abgabe von Anträgen oder Erklärungen zu Protokoll eines anderen Gerichts als des zuständigen Gerichts, nicht aber die Einreichung von schriftlichen Anträgen und Erklärungen bei einem nicht in der Sache zuständigen Gericht.

2.2. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Allgemeinen

Einem Anspruchsteller nach dem JVEG ist bei Versäumung der Frist gemäß
§ 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn
- er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG, d.h. innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses für die (rechtzeitige) Antragstellung (zur Geltung dieser zeitlichen Anforderung bei allen drei im Folgenden genannten Voraussetzungen: vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12),
* einen Wiedereinsetzungsantrag stellt,
* einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft macht (vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebenden vergleichsweise geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang die ausführlichen Erwägungen im Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12) und
* den Vergütungsanspruch beziffert
sowie
- sich das Gericht bei weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d.h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 6 Satz 1 JVEG sind die im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags erforderlichen Erklärungen (Wiedereinsetzungsantrag, Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrunds und Bezifferung des Entschädigungsanspruchs) zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugeben oder schriftlich einzureichen.

Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG nicht mehr beantragt werden.

Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen ist dem JVEG - im Gegensatz zu vielen anderen gesetzlichen Regelungen - fremd (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12, vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, und vom 27.03.2013, Az.: L 15 SF 181/12 B). Das Antragserfordernis verbietet es zudem, allein in der verspäteten Geltendmachung einer Entschädigungsforderung einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 03.01.2013, Az.: L 15 SF 255/10, und vom 15.02.2013, Az.: L 15 SF 211/12 B).

2.3. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im vorliegenden Fall

2.3.1. Frist- und formgerechte Beantragung der Wiedereinsetzung

Die Antragstellerin hat frist- und formgerecht einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

Jedenfalls ab Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 22.10.2014, der, wie die Ermittlungen des Senats ergeben haben, am 28.10.2014 erfolgt ist, musste der Antragstellerin bewusst sein, dass ihr Entschädigungsantrag vom 03.06.2014 nicht rechtzeitig beim LSG eingegangen war. Für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG eine Frist von zwei Wochen eröffnet. Diese Frist hat die Antragstellerin durch den Eingang des einen Wiedereinsetzungsantrag enthaltenden Schreibens vom 04.11.2014 am 11.11.2014 beim LSG gewahrt.

2.3.2. Frist- und formgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds

Mit dem Vortrag im Schreiben vom 04.11.2014, es sei damit zu rechnen gewesen, dass das SG den Entschädigungsantrag vom 03.06.2014 rechtzeitig an das LSG weiterleite, ist eine fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds erfolgt.

Voraussetzung für eine fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds ist, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG gehindert war. Dazu hat er Tatsachen anzugeben und glaubhaft zu machen, die erklären, warum er an einem fristgerecht, d.h. innerhalb der Dreimonatsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG zu stellenden Entschädigungsantrag ohne Verschulden gehindert war.

Um die vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG vorgesehene Möglichkeit der Wiedereinsetzung nicht ins Leere laufen zu lassen, ist von einer Glaubhaftmachung schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darstellt, der eine Wiedereinsetzung begründet, und keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12 - mit ausführlichen Erläuterungen auch zu verfassungsrechtlichen Aspekten).

Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 04.11.2014 einen Wiedereinsetzungsgrund, nämlich dass sie kein Verschulden an einer rechtzeitigen Weiterleitung des an das SG geschickten Entschädigungsantrags an das LSG treffe, vorgetragen.

Dass eine Konstellation wie hier einen Wiedereinsetzungsgrund darstellt, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausdrücklich im Beschluss vom 03.01.2001, Az.: 1 BvR 2147/00, wie folgt begründet:

"1. Aus diesem Prinzip" - gemeint ist das Rechtsstaatsprinzip - "wird zwar als "allgemeines Prozessgrundrecht" der Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitet. Der Richter muss das Verfahren so gestalten, wie die Parteien des Zivilprozesses es von ihm erwarten dürfen (vgl. BVerfGE 78, 123 m.w.N.). Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, kann sich aber nicht nur am Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weit gehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Danach muss der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden (vgl. BVerfGE 93, 99 ).

Die Abwägung zwischen den betroffenen Belangen fällt jedenfalls dann zugunsten des Rechtsuchenden aus, wenn das angegangene Gericht zwar für das Rechtsmittelverfahren nicht zuständig ist, jedoch vorher mit dem Verfahren befasst war. Für ein solches Gericht bestand, während die Sache bei ihm anhängig war, die aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgende Fürsorgepflicht gegenüber den Prozessparteien. Es wird nicht unangemessen belastet, wenn ihm auch noch eine nachwirkende Fürsorgepflicht auferlegt wird. Daher liegt es noch im Rahmen des Angemessenen, das Gericht für verpflichtet zu halten, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Eine ins Gewicht fallende Belastung tritt dadurch nicht ein, weil dem Gericht die Zuständigkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt ist und deshalb die Ermittlung des richtigen Adressaten, selbst wenn er im Schriftsatz nicht deutlich bezeichnet sein sollte, keinen besonderen Aufwand verursacht (vgl. BVerfGE 93, 99 ).

Geht der Schriftsatz so zeitig beim mit der Sache befasst gewesenen Gericht ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht. Mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichts wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus (vgl. BVerfGE 93, 99 ).

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Grundsätze auch für ein unzuständiges Gericht gelten, das - wie hier - vorher nicht mit der Sache befasst gewesen ist. Selbst wenn man dies annimmt, verstößt die angegriffene Entscheidung nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Das Landgericht hat eingehend und nachvollziehbar dargelegt, dass die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil von der Beschwerdeführerin beim Oberlandesgericht nicht so rechtzeitig eingelegt wurde, dass sie die fristgerechte Weiterleitung an das Landgericht erwarten konnte. Dies zieht auch die Beschwerdeführerin nicht in Zweifel.

Nach den oben dargestellten Grundsätzen besteht von Verfassungs wegen schon für ein im vorausgegangenen Rechtszug mit der Sache befasst gewesenes Gericht keine Verpflichtung, die Partei oder ihre Prozessbevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist durch Telefonat oder Telefax von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten (so auch BAG, NJW 1998, S. 923 ; Greger, in: Zöller, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 233 Rn. 22 b). Andernfalls würde den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien vollständig abgenommen und den unzuständigen Gerichten übertragen. Damit würden die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht überspannt. Daher kann aus dem Anspruch der Partei auf ein faires Verfahren erst recht nicht die Verpflichtung eines unzuständig angegangenen Gerichts, das noch nicht mit dem Verfahren befasst gewesen ist, abgeleitet werden, die Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist telefonisch oder per Telefax auf die fehlerhafte Einreichung der Berufung hinzuweisen. Die Fürsorgepflichten eines solchen Gerichts reichen jedenfalls nicht weiter als diejenigen eines unzuständigen Gerichts, das vorher mit der Sache befasst gewesen ist."

Wenn demgegenüber der Kostensenat im Beschluss vom 08.03.2007, Az.:
L 19 R 588/03.KO, noch davon ausgegangen ist, dass die Weiterleitung durch das unzuständige Gericht eine "Serviceleistung, ohne dass deswegen gleichsam eine Haftung für den rechtzeitigen Eingang des Entschädigungsantrags ... bei dem BayLSG übernommen worden wäre", darstelle, kann diese Rechtsprechung in Ansehung der Entscheidung des BVerfG keinen Bestand haben; der Gesichtspunkt der nachwirkenden Fürsorgepflicht und damit der Grundsatz des fairen Verfahrens ist damals nicht berücksichtigt worden.

2.3.3. Frist- und formgerechte Bezifferung des Entschädigungsanspruchs

Die Antragstellerin hat bereits vor Beginn der mit Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 22.10.2014 in Lauf gesetzten Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG und damit selbstverständlich vor Ablauf der genannten Frist ihren Entschädigungsanspruch beziffert, da das Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 03.06.2014 bereits vor dem gerichtlichen Schreiben vom 22.10.2014 eingegangen war. Dieser Fall ist nicht anders zu beurteilen, als wenn die Antragstellerin erst nach Erkennen der Fristversäumung einen Entschädigungsantrag, aus dem sich die geltend gemachte Entschädigung ergibt, vorgelegt hätte (vgl. Beschluss des Senats vom 14.08.2013, Az.: L 15 SF 253/12).

2.3.4. Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gegeben

Der Senat hat sich die Überzeugung davon gebildet, dass der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft vorliegt.

Es besteht kein Zweifel daran, dass der Sachverhalt so gelagert ist, wie dies die Antragstellerin vorgetragen hat.

Sie hat lange vor Fristablauf den Entschädigungsantrag beim unzuständigen Gericht gestellt. Dieses Gericht, das SG, das auch vorbefasst im Sinn der oben aufgezeigten Rechtsprechung des BVerfG gewesen ist, hatte mehr als ausreichend Zeit, nämlich rund zwei Monate, um den Entschädigungsantrag innerhalb der offenen Frist an das zuständige LSG weiter zu leiten. Die Antragstellerin durfte daher nicht nur darauf vertrauen, dass der Entschädigungsantrag überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim LSG eingeht. Geschieht dies - wie hier aus nicht nachvollziehbaren Gründen - tatsächlich nicht, ist der Wiedereinsetzung unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht. Mit dem Übergang des Antrags in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichts, des SG, wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Antragstellerin oder ihrer Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus.

3. Festsetzung der Entschädigung

Wegen der einfachen Sachlage hält es der Senat im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG aus Praktikabilitätsgründen und im Interesse einer zügigen und umfassenden verfahrensbeendigenden Entscheidung für angemessen, bereits zusammen mit der Wiedereinsetzung die Festsetzung zur Entschädigung der Antragstellerin zu treffen.

Für Fahrtkosten gemäß § 5 JVEG ist eine Entschädigung in Höhe von 59,- EUR für die gefahrene Strecke zu leisten.

Der Gesetzgeber hat mit § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 JVEG dem Beteiligten ein Wahlrecht eröffnet, ob er mit öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Verkehrsmitteln (§ 5 Abs. 1 JVEG) oder mit dem eigenen oder unentgeltlich zur Nutzung Kraftfahrzeug (§ 5 Abs. 2 JVEG) zum gerichtlich festgesetzten Termin anreist. Der Fahrtkostenersatz folgt der getroffenen Wahl des Beförderungsmittels. Wählt der Beteiligte wie hier die Anreise mit dem Kraftfahrzeug, werden ihm gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG für jeden gefahrenen Kilometer 0,25 EUR ersetzt.

Zu entschädigen sind die objektiv erforderlichen Fahrtkosten. Was objektiv erforderlich ist, ist unter Berücksichtigung der im gesamten Kostenrecht geltenden Kostenminimierungspflicht zu ermitteln. Dabei geht der Senat in ständiger Rechtsprechung und in großzügigerer Auslegung, als sie teilweise von anderen Gerichten zugrunde gelegt wird, davon aus, dass nicht nur die Kosten für die kürzeste Strecke (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 27.09.2005, Az.: L 6 SF 408/05), sondern grundsätzlich auch die Kosten für die schnellste, obgleich längere Strecke zu ersetzen sind, wobei weitere Ausnahmen dann zu akzeptieren sind, wenn die höheren Kosten durch besondere Umstände gerechtfertigt sind (z.B. Unzumutbarkeit der kürzesten bzw. schnellsten Strecke oder Umwege durch Straßensperrungen) (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12).

Die Ermittlungen zur Streckenlänge können unter Zuhilfenahme der im Internet jedermann zugänglichen Routenplaner vorgenommen werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 14.05.2014, Az.: L 15 SF 122/13).

Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin eine Fahrtstrecke von 236 km angegeben. Diese Streckenangabe entspricht im Wesentlichen der Entfernung, wie sie sich bei Zuhilfenahme von im Internet jedermann zugänglichen Routenplanern für die Fahrt vom Wohnort der Antragstellerin zum Gericht und zurück ergibt.

Bei 236 km Fahrtstrecke und einer Entschädigung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG in Höhe von 0,25 EUR für jeden gefahrenen Kilometer errechnet sich ein Fahrtkostenersatz in Höhe von 59,- EUR.

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf Wiedereinsetzung, der einer Entscheidung durch den Kostenbeamten entzogen ist, nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung in voller Besetzung (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG) zu entscheiden gehabt. Die Entscheidung über die gerichtliche Kostenfestsetzung folgt dieser Zuständigkeit im Fall der gleichzeitigen Entscheidung.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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