S 28 R 650/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 28 R 650/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Az.: S 28 R 650/10

Im Namen des Volkes Urteil

In dem Rechtsstreit

1) Firma G GmbH, vertr. d.d. GF , B Chaussee, M,

2) C M, Flur, K W, - Klägerinnen -

Prozessbevollmächtigte zu 1) und 2): Rechtsanwältin R F, G Str. , E, Gz.: 41/2010 Sr

gegen

Deutsche Rentenversicherung Bund, vertreten durch die Geschäftsführung, Ruhrstraße 2, 10709 Berlin, Gz.: - Beklagte -

1) BARMER GEK Hauptverwaltung, vertreten durch den Vorstand, Lichtscheider Straße 89, 42285 Wuppertal, Gz.: 1410-40 + 41/12-Jä

2) BARMER GEK Hauptverwaltung I -Pflegekasse-, vertreten durch den Vorstand, Lichtscheider Str. 89, 42285 Wuppertal, Gz.: 1410-40 + 41/12-Jä

3) Bundesagentur für Arbeit, vertreten durch das vorsitzende Mitglied der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Potsdam, Schlaatzweg 1, 14473 Potsdam,

4) Deutsche Rentenversicherung Berlin - Brandenburg, vertreten durch den Geschäftsführer, Bertha-von-Suttner-Str. 1, 15236 Frankfurt/O., - Beigeladene -

hat die 28. Kammer des Sozialgerichts Cottbus auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juli 2012 durch den Richter am Sozialgericht Döring sowie die ehrenamtliche Richterin Andreack und die ehrenamtliche Richterin Lehmann für Recht erkannt:
Bemerkung
Verfahrensgang: nachfolgend LSG Berlin-Brandenburg, 17.01.2014, Az.: L 1 KR 358/12, Beschluss
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den sozialversicherungsrechtlichen Status der Klägerin zu 2) während ihrer Tätigkeit als Kurierfahrerin/Zustellerin für die Klägerin zu 1) in der Zeit vom 1. Februar 2009 bis 30. April 2011.

Die Klägerin zu 1) erbrachte auf der Grundlage eines Kooperationsvertrages mit der H Logistik GmbH & Co. KG (im Folgenden: H) den Umschlag, die Zwischenlagerung und die Zustellung von Waren, Katalogen etc. verschiedener Versandhäuser, insbesondere des O.-Versandes, in verschiedenen Zustellgebieten der Auftraggeberin in B und B. Zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Kooperationsvertrag betrieb die Klägerin zu 1) in B ihre Niederlassung B-Ost sowie Satellitendepots und Paket-Shops sowie im Stammbetrieb der Gesellschaft in M ein Satellitendepot. Seit August 2011 fuhr die Klägerin zu 1) ihre Kooperation mit H zurück und stellte sie im April 2012 im Wesentlichen ein. Zurzeit gibt es nur noch eine geringe Geschäftskooperation mit H über zwei Satellitendepots in B. Bei der Durchführung der vertraglich geschuldeten Leistungen hat die Klägerin zu 1) die lt. Vertrag von H vorgegebenen standardisierten Formulare und Sachmittel zu verwenden und die im "Qualitätshandbuch für Zusteller/Boten" vorgegebenen Serviceanforderungen sicherzustellen. Um die Ware (Pakete, Briefe, Kataloge etc.) aus den jeweiligen Satellitendepots der Klägerin zu 1) an den Endkunden zu liefern, waren nach eigenen Angaben im streitigen Zeitraum 2009 bis 2011 ca. vier fest angestellte Zusteller und ca. 15 bis 20 selbständige Zusteller für die Klägerin zu 1) tätig.

Die am 30. Juli 1954 geborene Klägerin zu 2) war seit Februar 2004 im Gewerberegister der Stadt K - W mit der Tätigkeit "Handel mit genehmigungsfreien Waren und Vertriebsförderung" angemeldet. Die Meldung wurde im Juli 2005 um die Tätigkeit "Kleintransporter mit eigenem PKW" erweitert. Nach ihren eigenen Angaben war sie von 2003 bis April 2011 auch für die Fa. A tätig.

Am 01. September 2009 schloss die Klägerin zu 2) als "Auftragnehmer" mit der Klägerin zu 1) einen "Subunternehmer-Vertrag". Gegenstand des Vertrages war die Durchführung der Sendungszustellung und -abholung sowie aller damit verbundenen Nebenleistungen durch den Auftragnehmer in einem definierten Zustellgebiet. Eigene Mitarbeiter beschäftigt die Klägerin zu 2) nicht. Diesen Vertrag kündigte die Klägerin zu 2) zum 30. April 2011 aus gesundheitlichen Gründen und meldete zu diesem Zeitpunkt auch ihr Gewerbe ab.

Bereits am 16. Dezember 2009 beantragte die Klägerin zu 1) bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Klägerin zu 2). Die Beklagte zog den "Subunternehmer-Vertrag" vom 1. Februar 2009 einschließlich der Anlage 1 ("Preisvereinbarungen") und der Anlage 2 ("Sachmittel" Miete Tourscanner), den Kaufvertrag über das Fahrzeug der Klägerin zu 2) und die von der Klägerin zu 2) an die Klägerin zu 1) gestellten Rechnungen bei. Die Kläger gaben schriftliche Stellungnahmen ab.

Nach Anhörung der Kläger zu der beabsichtigten Entscheidung stellte die Beklagte mit jeweils einem Bescheid vom 23. Juni 2010 gegenüber beiden Klägern fest, dass die Tätigkeit der Klägerin zu 2) als Kurierfahrerin bei der Klägerin zu 1) seit dem 1. Februar 2009 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung seit dem Tag der Arbeitsaufnahme bestehe. Für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spreche: - die Tätigkeit werde in einem festen Zustellgebiet ausgeübt, - die Auftragnehmer erhielten zeitliche Vorgaben hinsichtlich der Zustellungen, - in der Ausführung der Tätigkeit unterläge der Auftragnehmer den Weisungen der Klägerin zu 1), die Anforderungen ergäben sich aus dem Qualitätshandbuch für Zusteller/Boten, - es erfolge eine Kontrolle der Leistungserbringung, - es sei Bekleidung aus dem H -Bekleidungskatalog zu beziehen und zu tragen, - die für die Abwicklung der Vertragspflichten standardisierten Formulare und EDV-Geräte ("Sachmittel") würden zur Verfügung gestellt, - die Auftragnehmerin unterliege einem Rauchverbot im Auslieferungsfahrzeug und im Kundenkontakt und - das H Qualitätshandbuch enthalte Verhaltensregeln sowie Arbeitsanweisungen für die Zustellung der Pakete. Die Auftragnehmer unterlägen damit Weisungen hinsichtlich der Ausführung der Tätigkeit. Für eine selbständige Tätigkeit spreche demgegenüber nur, dass ein von der Auftragnehmerin eigenes Fahrzeug eingesetzt werde.

Hiergegen widersprachen die Kläger mit der Begründung, keins von der Beklagten als Merkmal für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis genanntes Kriterium spreche für eine Beschäftigung. Die Vereinbarung eines Zustellgebietes gehöre zur Konkretisierung des Vertragsgegenstandes. Die Klägerin zu 2) sei in der Zusammenstellung ihrer Touren sowohl in der Reihenfolge, als auch in der zeitlichen Abfolge, völlig unabhängig. Sie sei mithin weder in ein festes, vom Auftraggeber bestimmtes Tagesschema eingebunden, noch habe sie bestimmte Zeiten einzuhalten. Die Klägerin zu 2) sei berechtigt, Erfüllungsgehilfen zu beauftragen. Sie sei jedoch nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die zur Erfüllung der Vertragspflichten notwendige Anzahl an Erfüllungsgehilfen bereitzustellen. Bei dem "Qualitätshandbuch für Zusteller/Boten" handele es sich um ein von H vorgegebenes Standardwerk, nach dem alle Auftragnehmer, die für H tätig sind, ihre Tätigkeit auszurichten hätten. Das mit Vertragsabschluss vereinbarte Handbuch konkretisiere die Art und Weise der vereinbarten Dienste und trage keinesfalls den Charakter von Weisungen im laufenden Arbeitsprozess. Darüber hinaus handele es sich zweifelsfrei auch nicht um Weisungen der Klägerin zu 1). Die Kontrolle der Erbringung der vereinbarten Leistungen gehöre zu den Modalitäten jedes Vertrages, egal ob es sich um einen Dienst- oder einen Werkvertrag handelt. Die Kennzeichnung des Fahrzeuges mit dem Hinweis "Im Auftrag der H -Logistik" sowie das Tragen von entsprechender Berufsbekleidung während der Durchführung der Zustellungen seien keine Auflagen der Klägerin zu 1), sondern Maßgaben von, die ihr auf vertraglicher Grundlage auferlegt wurden und auch für ihre Subunternehmer gelten. Die Zurverfügungstellung von Sachmitteln (Tourenscanner + Zubehör) auf Mietbasis sei für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wesensfremd.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 16. September 2010 wies die Beklagte die Widersprüche zurück – im Wesentlichen aus den Gründen des angefochtenen Bescheides. Entscheidungserheblich sei, dass die Tätigkeit in einem festen Zustellgebiet ausgeübt werde und zeitliche Vorgaben hinsichtlich der Zustellung gemacht würden. Nach dem Subunternehmervertrag würden die für die Abwicklung der vertraglichen standardisierten Formulare und EDV-Geräte den Auftragnehmern zur Verfügung gestellt. In der Ausführung der Tätigkeit bestehe Weisungsgebundenheit gegenüber der Klägerin 1). Es erfolge eine Kontrolle der Leistungserbringung. Die Bekleidung müsse aus dem H Bekleidungskatalog bezogen und aufgetragen werden. Es seien Verhaltensregeln sowie Arbeitsanweisungen hinsichtlich der Zustellung der Pakete einzuhalten. Nach einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen überwiegen die Merkmale, die ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis belegen.

Hiergegen haben die Kläger am 12. Oktober 2010 Klage vor dem Sozialgericht Cottbus erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen und ergänzend vortragen, weder die Tätigkeit in einem festen Zustellgebiet, zeitliche Vorgaben von Zustellempfängern und eine Kontrolle der Leistungserbringung seien Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, sondern allgemein übliche Klauseln in Dienst- und auch anderen Leistungsverträgen. Die Verpflichtung der Klägerin zu 2), nach den von H vorgegebenen Richtlinien zu arbeiten sowie die zur Verfügung gestellten EDV-Geräte und standardisierten Formulare zu verwenden sei ebenfalls kein Merkmal einer abhängigen Beschäftigung. In einem Dienstvertrag und auch in jedem Werkvertrag bestimme der Auftraggeber die Eckdaten der Leistungen. Im Baugewerbe werde in der Regel nach Projekten gearbeitet, die vom Auftraggeber vorgegeben werden. Weiterhin seien die anerkannten Regeln der Technik einzuhalten. Davon ausgehend kann auch das H -Qualitätshandbuch als Richtlinie für die Serviceanforderungen der Zustellung kein Merkmal für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellen, zumal die Zustellprozesse durchgängig vom Versender bis zum Empfänger koordiniert und arbeitsteilig ablaufen müssen. Die Klägerin zu 2) sei in ihrer Tourenplanung selbständig. Sie nutze für die Zustellung ihr eigenes Fahrzeug, unterhalte eine eigene Betriebsstätte und trage das unternehmerische Risiko für die ordnungsgemäße Zustellung der Sendungen sowie die ständige Verfügbarkeit ihres Fahrzeuges. Weiterhin hafte sie bei Verlust oder Beschädigung der Waren. Nicht nachvollziehbar sei auch die Auffassung, dass die Zuweisung von Risiken an den Arbeitenden nur dann für Selbständigkeit spreche, wenn damit größere Freiheiten und größere Verdienstmöglichkeiten verbunden seien. Die Klägerin zu 2) sei als Subunternehmerin auch nicht von der Klägerin zu 1) persönlich abhängig. Sie sei weder in den Betrieb der Klägerin eingegliedert noch unterliege sie einem nach Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Klägerin zu 1). Ihre Tätigkeit sei gekennzeichnet durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit. Unabhängig davon werde an den Bedenken gegen die Zulässigkeit des Bescheides bezüglich der Versicherungspflicht dem Grunde nach festgehalten.

Die Kläger beantragen, die Bescheide vom 23. Juni 2010 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. September 2010 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin zu 2) in ihrer Tätigkeit als Kurierfahrerin für die Klägerin zu 1) in der Zeit vom 1. Februar 2009 bis 30. April 2011 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterlag.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig.

Die Kammer hat die beteiligten Sozialversicherungsträger beigeladen, diese haben keine Anträge gestellt.

Wegen Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1, 56 SGG), aber nicht begründet.

Der jeweilige angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten, denn die Klägerin zu 2) unterlag aufgrund ihrer Tätigkeit als Kurierfahrerin (Zustellerin) für die Klägerin zu 1) in der Zeit vom 1. Februar 2009 bis 30. April 2011 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung.

I.) Entgegen der Auffassung der Kläger hat die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheiden zutreffend nicht nur über das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses entschieden, sondern auch über die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung (vgl. zum Gegenstand des Anfrageverfahrens und zur Unzulässigkeit einer Elementenfeststellung: BSG vom 11. März 2009 – Az: B 12 R 11/07 R – Juris).

II.) Die Beklagte ist auch in dem von der Klägerin zu 1) eingeleiteten Anfrageverfahren gemäß § 7a SGB IV auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls (§ 7a Abs. 2 SGB IV) rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin zu 2) in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stand und dies Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung begründete.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken- (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), Pflege- (§ 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB XI), Renten- (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) und Arbeitslosenversicherung (§ 25 Abs. 1 SGB III) der Versicherungs- und Beitragspflicht. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Der Begriff "Anhaltspunkt" verdeutlicht, dass aus dem Vorhandensein oder Fehlen eines Anhaltspunktes nicht zwingend eine bestimmte Bewertung abgeleitet werden kann, sondern allenfalls ein Hinweis, ein Indiz. Ob selbständige oder nichtselbständige Arbeit vorliegt, ist mit Hilfe einer Vielzahl von Merkmalen zu entscheiden:

Nichtselbständige Arbeit ist gegeben, wenn der Betroffene von seinem Auftraggeber persönlich abhängig ist, seine Arbeitsleistung nicht auf andere Personen übertragen und nicht für andere Auftraggeber tätig werden darf, umfangreichen Berichtspflichten sowie weitreichenden Kontroll- und Mitspracherechten des Auftraggebers unterliegt, über keine eigenen Betriebs- und Produktionsmittel verfügt, gegenüber seinen Kunden nicht unter eigenem Namen und für eigene Rechnung auftreten darf, kein Unternehmerrisiko trägt und eine typische Arbeitnehmerbeschäftigung ausübt (vgl. zu allem: LSG NRW vom 26. Juli 2006 – Az: L 17 U 64/05 – Juris unter Hinweis auf zahlreiche Weitere Nachweise).

Diese Merkmale nennen Teilaspekte der Nichtselbstständigkeit; dabei ist keines dieser Merkmale allein so gewichtig, dass aus seinem Vorhandensein (für sich betrachtet) bereits mit Sicherheit auf das Vorhandensein von Nichtselbstständigkeit geschlossen werden kann. Diese Merkmale sind auch untereinander von der Rechtsprechung nicht eindeutig und zuverlässig gewichtet worden, sie sind eher wie Bestandteile eines Prüfungs-Katalogs, der grundsätzlich stets in seiner Gesamtheit angewendet werden muss (Seewald in: Kasseler Kommentar – SGB IV, 2012 – § 7 Rn 47). Das Ergebnis dieser Gesamtprüfung führt zu Teilergebnissen, die im Rahmen der Gesamtentscheidung bewertet und untereinander abgewogen werden müssen (Seewald a.a.O.).

Weist eine Tätigkeit – wie hier – Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen und der Arbeitsleistung das Gepräge geben. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wobei unerheblich ist, ob rein zahlenmäßig mehr Indizien für oder gegen nichtselbständige Arbeit sprechen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der jeweiligen Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung (vgl. LSG NRW vom 26. Juli 2006 – Az: L 17 U 64/05 – Juris – mit zahlreichen Nachweisen).

Legt man diese Kriterien zugrunde, so spricht vorliegend deutlich mehr dafür als dagegen, dass die Klägerin zu 2) als Zustellerin und Kurierfahrerin abhängig beschäftigt war.

1.) Für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen folgende Anhaltspunkte:

Zunächst steht für das Gericht nach Würdigung der Angaben der Kläger im Verwaltungsverfahren und im Gerichtsprozess fest, dass die Klägerin zu 2) faktisch in den Betrieb der Klägerin zu 1) eingegliedert und deren Weisungen unterworfen war:

a) Entgegen der Auffassung der Kläger war die Klägerin zu 2) in die Arbeitsorganisation der Klägerin zu 1) eingeordnet und auf deren Material und Personal angewiesen. Denn ohne die Lagerung und Sortierung der Post und Pakete in den Betriebsräumen der Klägerin zu 1), Zuteilung der Post und Pakete, Zuweisung des Zustellgebietes und Zurverfügungstellung von Sachmitteln (Tourscanner und Vordruckssammlung) hätte die Klägerin zu 2) ihre Arbeit nicht verrichten können. Für das Vertriebsunternehmen der Klägerin zu 1) war die Klägerin zu 2) unentbehrlich, weil sie als letztes Glied innerhalb einer Kette arbeitsteiligen Zusammenwirkens den unmittelbaren Kontakt zum Endkunden herstellte (vgl. hierzu: LSG NRW a.a.O). Sie war deshalb in die Struktur, Organisation und Logistik der Klägerin zu 1) eingebunden.

Auch trat die Klägerin zu 2) gegenüber den Endkunden nicht wie ein selbständiger Unternehmer mit eigenem Firmennamen, Firmenkleidung oder Firmenlogo auf, sondern war gem. 1.7. des "Subunternehmer-Vertrages" verpflichtet, sich während der Zustell- und Abholtätigkeit anhand ihrer vollständigen Oberkörper-Bekleidung als H -Partner zu erkennen zugeben. Auch dies macht deutlich, dass die Klägerin zu 2) – auch aus Sicht des Endkunden – in einen "übergeordneten Organismus" eingegliedert war (vgl. hierzu: LSG NRW a.a.O).

b) Zudem war die Klägerin zu 2) den Weisungen der Klägerin zu 1) unterworfen. Die Weisungsbefugnis, die der Arbeitgeber in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis hat, erstreckt sich grundsätzlich auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. hierzu LSG NRW a.a.O. m.w.Nw.). Dagegen ist selbständig tätig, wer über die eigene Arbeitskraft bzw. über Arbeitsort und Arbeitszeit im Wesentlichen frei verfügen kann (vgl. § 84 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches [HGB]).

aa) Vorliegend bestand eine enge Bindung an den Ort der Arbeitsleistung. Die Kläger haben – ähnlich wie in einem Arbeitsvertrag – genau vereinbart, in welchem Zustellbezirk die Klägerin zu 2) die Post und Pakete an die Endkunden liefern musste. So hatte die Klägerin zu 2) in der gesamten Zeit ihrer Tätigkeit immer denselben Zustellbezirk zu betreuen, nämlich Eichwalde und Teile von Zeuthen. Zwar geschah dies nach Aussage der Klägerin zu 2) auf ihren eigenen Wunsch hin, aber auch in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis wird der Arbeitgeber auf Wünsche des Arbeitnehmers eingehen und berücksichtigen, soweit dies nach dem Arbeitsablauf möglich ist. So war es offensichtlich auch hier. Soweit die Klägerin zu 2) ausdrücklich in diesem Zusammenhang betont, dass sie zwar immer denselben Zustellbezirk betreute, die genaue Tourfahrt aber jeden Tag entsprechend der Wohnorte der zu beliefernden Endkunden oder der Dringlichkeit der Sendung selbst zusammenstellen durfte, dürfte dies selbstverständlich sein und weder für noch gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen.

bb) Hinsichtlich der Zeit und Dauer der Arbeitsleistung war die Klägerin zu 2) zwar freier als in einem klassischen Arbeitsverhältnis, in dem der Arbeitgeber die (Kern-)Arbeitszeit einseitig festlegen und die Ableistung einer bestimmten Anzahl von Arbeitsstunden verlangen kann. Dennoch konnte die Klägerin zu 2) nicht völlig frei über ihre Arbeitszeit verfügen, weil ihr für eine ordnungsgemäße Zustellung ein zeitlicher Korridor verblieb. Auch nach ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung war der tägliche zeitliche Ablauf im Wesentlichen gleich. So erfolgte die Sendungsübergabe an sie von Montag bis Sonnabend im Zeitraum von ca. 7:00 Uhr bis ca. 10:00 Uhr im Depot. Offensichtlich konnte sie somit flexible Arbeitszeiten für sich in Anspruch nehmen. Dies ist jedoch in der modernen Arbeitswelt kein Ausschlusskriterium mehr für eine abhängige Beschäftigung, sondern hiervon wird – bis hin zur Aufgabe jeglicher Kernzeiten – auch im abhängigen Arbeitsverhältnis immer öfter Gebrauch gemacht. Darüber hinaus ergab sich ein zeitlicher Rahmen für die Tätigkeit der Klägerin zu 2) aus den Serviceanforderungen entsprechend dem Qualitätshandbuch für Zusteller. Und schließlich waren einige Sendungen in einem vom Versender vorgegebenen Zeitraum an dessen Kunden zu übergeben.

Soweit beide Kläger in ihrem Vortrag suggerieren wollen, dass die Zusteller völlig frei in ihrer Arbeitszeit sind, d.h. kommen und gehen können ob und wann sie wollen und ihre Arbeitszeit frei nach eigenem Belieben ausüben können, so kann das Gericht dem nicht folgen. Dies würde nämlich bedeuten, dass sich die Klägerin zu 1) nie darauf verlassen könnte, ob eine ausreichende Anzahl an Zustellern oder überhaupt einer der für sie tätigen Zusteller erscheint. So könnte sie ihre Verpflichtungen gegenüber H nicht erfüllen, denn das zugeteilte Sendungsgut muss täglich rechtzeitig beim Endkunden ankommen. Die Klägerin zu 1) ist vielmehr darauf angewiesen, dass auch die "selbständigen" Zusteller regelmäßig und im ausreichenden Umfang ihre Tätigkeit ausüben. Entweder es gibt daher eine irgendwie geartete Übereinkunft zwischen den Zustellern und der Klägerin zu 1), wonach die tägliche Auslieferung gesichert wird oder die Zusteller sind finanziell und wirtschaftlich faktisch darauf angewiesen, regelmäßig für die Klägerin zu 1) tätig zu sein. In jedem Fall sind sie in ihrer Arbeitszeit nicht völlig frei, sondern müssen sich nach den Vorgaben der Klägerin zu 1) richten.

cc) Auch hinsichtlich der Art und Weise der Arbeitsausführung sind die Zusteller an die Weisungen der Klägerin zu 1) gebunden. Diese beziehen sich nicht nur auf die Verpflichtung, im eingesetzten Kraftfahrzeug einen Hinweis "im Auftrag der H Logistik" zu versehen (Punkt 1.5 des Vertrages) oder sich während der Zustell- und Abholtätigkeit anhand ihrer vollständigen Oberkörper-Bekleidung als H -Partner zu erkennen zu geben und diese Bekleidung aus dem offiziellen H -Bekleidungsangebot in ausreichendem Umfang zu beziehen (Punkt 1.5 des Vertrages). Über Punkt 1.6 des Vertrages war die Klägerin zu 2) darüber hinaus noch verpflichtet, die Serviceanforderungen der Klägerin zu 1) zu erfüllen, die sich insbesondere aus dem "H Qualitätshandbuch" ergeben (vgl. dort u.a. "Die zehn Grundregeln für die kundenorientierte Zustellung und Abholung", z.B. Rauchverbot im eigenen Fahrzeug).

dd) Weitere Einzelanweisungen der Klägerin zu 1) waren überflüssig, weil sich die notwendigen Verrichtungen (Zustellen der Post und Pakete) aus der Natur der Sache ergaben (vgl. hierzu BSG vom 26. Februar 1960 – Az: 3 K 41/57 – SozR Nr. 16 zu § 165 RVO). Dass das Zustellgut jeweils rechtzeitig und ordnungsgemäß verteilt wurde, konnte die Klägerin zu 1) – z.B. mithilfe des EDV-Systems – kontrollieren und sanktionieren, wie dies auch in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis üblich ist.

c) Die Klägerin zu 2) setzte nicht in einem für selbständig Tätige typischen Umfang eigene Betriebsmittel ein, auch nicht, soweit die Austeilung im eigenen Fahrzeug erfolgte. Der Einsatz eigener Betriebsmittel kann zwar grundsätzlich ein Merkmal der selbstständigen Tätigkeit darstellen, wenn er auf eigenem Kapital mit der Gefahr auch des Verlustes beruht. Darin spiegelt sich nämlich ein mögliches Unternehmerrisiko als typisches Merkmal eines Selbstständigen wider. Für die Klägerin zu 2) stellte die Benutzung des genutzten eigenen Pkw kein echtes Unternehmerrisiko dar. Sie hat nämlich kein zusätzliches Kapital aufgewendet, sondern nur das bereits vorhandene auch privat genutzte Kraftfahrzeug. Das belegt ferner der Umstand, dass sich auf dem Pkw keine Werbeaufschrift befand (vgl. hierzu: LSG NRW a.a.O., LSG Schleswig-Holstein vom 20. November 2001 – Az: L 1 KR 42/01; SG Leipzig vom 02. Dezember 2009 – Az: S 8 KR 155/08 – Juris). So beschränkt sich auch das Unternehmerrisiko der Klägerin zu 2) auf den Verlust des ohnehin vorhandenen privaten Kraftwagens.

d) Die Klägerin zu 2) verfügte bei ihrer Tätigkeit auch nicht über einen nennenswerten Spielraum für eigene unternehmerische Initiativen. Sie konnte vor allem nicht – etwa durch verstärkten eigenen Arbeitseinsatz, vermehrte Verwendung von Hilfskräften oder sachlichen Mitteln, höherem Werbeaufwand u.Ä. – das wirtschaftliche Ergebnis ihrer Tätigkeit uneingeschränkt steigern und entsprechende Risiken auf sich nehmen. Vielmehr sah die Klägerin zu 2) in ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung ihren unternehmerischen Spielraum auf die Übernahme von Fahrten anderer Subunternehmer beschränkt. Aushilfstätigkeit für ausgefallene Kollegen ist jedoch auch im Arbeitsverhältnis üblich und notwendig.

e) Schließlich wird die Zustellertätigkeit typischerweise (so etwa die Beschäftigten der Deutschen Post AG usw.) in einem Arbeitsverhältnis und nicht im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. LSG NRW a.a.O.; so auch ausdrücklich: SG Leipzig vom 02. Dezember 2009 – Az: S 8 KR 155/08 – Juris, in einem vergleichbaren Fall). Vor der sukzessiven Aufhebung des staatlichen Postmonopols ab 1991 wurde die Zustellertätigkeit ausschließlich in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt.

2.) Anhaltspunkte, die gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen, sind zwar vorhanden, fallen jedoch nicht entscheidend ins Gewicht.

a) Hier lässt sich zum einen anführen, dass die Klägerin zu 2) befugt war, auch für andere Auftraggeber zu arbeiten. Tatsächlich hat sie davon jedoch nie Gebrauch gemacht und war als Kurierfahrerin im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig. Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang auf die Tätigkeit bei der Fa. A verweisen, ist dies nicht geeignet, eine Tätigkeit zu einem weiteren Auftraggeber in diesem Sinne zu begründen. Denn hierbei handelt es sich nicht um Zustelltätigkeiten, wie die Klägerin zu 2) in ihrem "Hauptberuf" ausübt. Nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung warb sie für die Produkte von A wie Reinigungsmittel und Kosmetika in Form von Produktvorführungen oder Verkaufspartys und verkaufte sie dann auch. Die Tätigkeit hierfür erfolgt meistens abends, aber auch schon mal in der Mittagspause und war daher eine reine Feierabendtätigkeit wie sie auch von vielen anderen Arbeitnehmern zusätzlich ausgeübt wird. Demzufolge entsprachen ihre Einkünfte aus dieser Tätigkeit nur einem geringen Teil der Einnahmen als Kurierfahrerin.

b) Auch die Delegationsbefugnis der Klägerin zu 2) spricht zunächst für eine selbständige Tätigkeit, denn sie war nicht verpflichtet, die Kurierdienste höchstpersönlich durchzuführen, sondern durfte hierfür Hilfskräfte einsetzen. Offensichtlich wurde aber auch von dieser Regelung – mit Ausnahme von Aushilfstätigkeiten anderer "Subunternehmer" – kein Gebrauch gemacht.

c) Gegen eine abhängige Beschäftigung könnte ferner sprechen, dass die rechtlichen Beziehungen zwischen den Klägern in einem "Subunternehmer-Vertrag" geregelt sind und dort die Klägerin zu 2) als Auftragnehmerin bezeichnet wird. Vorrangig maßgeblich ist jedoch gerade nicht die getroffene vertragliche Vereinbarung allein, sondern, wie die Rechtsbeziehung praktiziert wurde (s.o.).

d) Auch die fehlenden typischen Arbeitgeberleistungen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Weihnachts- und Urlaubsgeld oder sonstige Gratifikationen können nicht als entscheidendes Merkmal herangezogen werden. Denn dann hätte es der Arbeitgeber selbst in der Hand, den arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Status des für ihn Tätigen zu bestimmen. Dies ist jedoch dem arbeitsgerichtlichen Prozess und dem Verfahren nach § 7a SGB IV vorbehalten in dem jeweils geprüft wird, ob die Arbeitgeberleistungen und die Sozialversicherungsbeiträge zu Recht nicht gezahlt wurden.

Nach alledem sind Anhaltspunkte, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen, nur in einem untergeordneten Maß vorhanden. Im Rahmen der Gesamtabwägung überwiegen daher eindeutig die Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen.

3.) Soweit die Kläger auf die Eintragung in das Gewerberegister oder auf die Berechtigung zur Zahlung freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung hinweisen, ist nicht ersichtlich, ob und inwiefern vorab hierzu von der jeweiligen zuständigen Behörde das konkrete Beschäftigungsverhältnis geprüft wurde. Selbst wenn, wäre die Beklagte hieran nicht gebunden, sondern entscheidet ausschließlich auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, § 7a Abs. 2 SGB IV. Diese Entscheidung ist – wie dargelegt – zutreffend ergangen.

Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites. Bei Fällen wie im vorliegenden Verfahren, in denen von mehreren Klägern nur einer (oder zumindest nicht alle) nach § 183 SGG kostenprivilegiert ist, handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG vom 26. Juli 2006 – Az: B 3 KR 6/06 B – Juris) insgesamt um kein Gerichtskostenverfahren nach § 197a SGG.
Rechtskraft
Aus
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