L 8 KR 227/09 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 17 KR 106/09 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 227/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 3. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Im vorliegenden Verfahren beansprucht der Antragsteller im vorläufigen Rechtsschutz u.a. die Erstattung von entrichteten Beiträgen zur Krankenversicherung in Höhe von 8.159,14 EUR.

Der Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin freiwillig krankenversichert. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2006 bat er um Prüfung, ob seine Tätigkeit als Zähler und Interviewer in den Zügen der C. AG im Rahmen der Reisendenerfassung ( RES ) (23. Oktober 2000 – 30. Juni 2007) im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde bzw. ausgeübt worden sei. Hierbei ging es um die Ermittlung des Fahrgastaufkommens. Die C. AG konnte so Informationen über das Nutzungsverhalten ihrer Kunden oder wichtige Umsteigerbeziehungen ermitteln. Vertragspartner des Antragstellers für diese Tätigkeit war anfangs das D. Systemforschung GmbH. Seit dem 1. Januar 2006 ist dieses Institut Teil der E-Gruppe (Interviewerfeld von ca. 500 Mitarbeitern). Der Antragsteller machte geltend, dass zwischen ihm und dem Institut ein "Arbeitsverhältnis", nicht aber eine selbständige Tätigkeit bestanden habe. Bei seiner Tätigkeit habe eine von Betreuern des Instituts kontrollierte Weisungsgebundenheit vorgelegen. Nach einer Statusprüfung stellte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 14. September 2007 fest, dass die streitige Tätigkeit nicht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt worden sei. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2009).

Das Sozialgericht Wiesbaden hat mit Beschluss vom 3. Juli 2009 den Antrag des Antragstellers, im Wege der einstweiligen Anordnung
1. vorläufig festzustellen, dass der Antragsteller aufgrund seiner Tätigkeit als Interviewer bei der Firma E. GmbH für den Zeitraum vom 23. Oktober 2000 bis zum 30. Juni 2007 bei der Antragsgegnerin pflichtversichert war,
2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die für diesen Zeitraum zu Unrecht von dem Antragsteller erhobenen Krankenkassenbeiträge in Höhe von 18.827,18 EUR zurückzuerstatten zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 29. Januar 2007,
abgelehnt. Die Anträge seien mangels eines Anordnungsgrundes unbegründet. Eine vorläufige Statusregelung oder Statusfeststellung sei nicht nötig, da die begehrte Feststellung allein einen Zustand in der Vergangenheit betreffe. Gegenwärtig seien keine wesentlichen Nachteile allein in Bezug auf den Status erkennbar, die dem Antragsteller drohten, wenn er das Hauptsacheverfahren abwarte. Gleiches gelte für den Rückerstattungsantrag. Unabhängig davon sei der Antragsteller hinsichtlich der Existenzsicherung auf seinen bereits gestellten Antrag auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu verweisen.

Gegen diesen dem Antragsteller am 8. Juli 2009 zugestellten Beschluss richtet sich die am 5. August 2009 eingelegte Beschwerde, in der der Antragsteller den vorliegend streitigen Betrag mit 8.159,14 EUR beziffert hat. Unter Aufrechterhaltung seines erstinstanzlichen Vorbringens macht der Antragsteller eine gegenwärtige Notlage geltend. Diese lasse eine rückwirkende Gewährung von Ansprüchen zu. Wegen der fehlerhaften Statuseinstufung habe die Antragsgegnerin Kassenbeiträge in der genannten Höhe zu Unrecht erhoben. Seine Konten wären bei rechtmäßiger Statusfeststellung nicht nur ausgeglichen, sondern hätten sogar ein Guthaben ausgewiesen. Die durch die überhöhten Beitragsforderungen entstandenen Kontoüberziehungen wirkten auch in der Gegenwart fort und bewirkten eine gegenwärtige Notlage (Glaubhaftmachung: Umsatzabfragen für den Zeitraum vom 01.09.2006 bis 01.01.2007 sowie Kopie zum Finanzstatus "F." vom 05.08.2009; Bescheid vom 17.07.2009 über die Gewährung von laufenden Leistungen nach dem SGB II; Rechnung zur Bürokostenpauschale vom 01.04.09).

Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss und meint, die angeführte wirtschaftliche Situation des Antragstellers liege außerhalb der Schutzfunktion des § 86 b Abs. 2 SGG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.

II.

Die gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 3. Juli 2009 eingelegte Beschwerde ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts war zu bestätigen. Der Antragsteller und Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verpflichtung der Antrags- und Beschwerdegegnerin auf (vorläufige) Korrektur einer Statusfeststellung und Rückzahlung zu Unrecht eingezogener Krankenkassenbeiträge.

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers (Anordnungsanspruch) vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund; Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). An diesen Voraussetzungen fehlt es. Dies hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss im Ergebnis zutreffend festgestellt.

Auch im Beschwerdeverfahren konnte die Krankenkasse als Antragsgegnerin nicht im Wege einer Regelungsanordnung verpflichtet werden, weil der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Für den Senat bestehen nach summarischer Prüfung auf der Grundlage der sich aus den Gerichtsakten ergebenden Erkenntnisquellen derzeit keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die von dem Antragsteller angegriffene Statusfeststellung der Antragsgegnerin (§ 7 a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) rechtswidrig sein könnte. Für die Abgrenzung der nichtselbständigen Arbeit im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV von einer selbständigen Erwerbstätigkeit kommt es nach der Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil des Senats vom 12. Juli 2007 – L 8/14 KR 280/04 – m.w.N.) darauf an, ob ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis eines Arbeitnehmers gegenüber einem Arbeitgeber infolge der Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation besteht. Typisches Merkmal dieses Abhängigkeitsverhältnisses ist die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers über Zeit, Dauer und Ort der Ausübung der Tätigkeit, wenngleich dieses Weisungsrecht – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein kann. Die selbständige Tätigkeit kennzeichnet demgegenüber das eigene Unternehmerrisiko, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit. Insoweit ist bedeutsam, ob eigenes Kapital und/oder die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr auch eines Verlustes eingesetzt werden kann, der Erfolg des Einsatzes der sachlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Ob eine Tätigkeit abhängig oder selbständig verrichtet wird, entscheidet sich letztlich danach, welche Merkmale überwiegen. Dabei sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen, auch die vertragliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten. Hiervon ausgehend war zunächst der von dem Antragsteller bereits erstinstanzlich vorgelegte "Interviewer-Vertrag" mit dem "D. Systemforschung GmbH" zu berücksichtigen, der von dem Antragsteller am 18.10.2000 und von D. am 23.10.2000 unterzeichnet worden ist. Dieser Vertrag verneint ein arbeitsrechtliches Abhängigkeitsverhältnis. In Ziffer 1. dieses Vertrages heißt es: "Der Interviewer erklärt sich bereit, für das Institut auf Honorarbasis im Rahmen des RES-Projektes Zählungen und Befragungen von Fahrgästen in Zügen der C. AG durchzuführen. Er ist als freier Mitarbeiter tätig, ein arbeitsrechtliches Abhängigkeitsverhältnis wird nicht begründet. Der Interviewer ist in seiner Arbeitsgestaltung frei. Er hat alle ihm zufließenden Einnahmen selbst zu versteuern. Einen Anspruch auf Auftragserteilung hat der Interviewer nicht." Soweit der Antragsteller dazu gleichwohl eine "Weisungsgebundenheit" behauptet und vorträgt, von Betreuern des Instituts sei regelmäßig kontrolliert worden, ob die maßgeblichen Regeln auch eingehalten worden seien, ergibt dies allein noch keine Weisungsgebundenheit im Sinne einer abhängigen Tätigkeit. Dies bedarf einer weiteren Klärung. Auch der Hinweis des Antragstellers auf das erstinstanzlich von ihm vorgelegte Urteil des Landessozialgerichts Baden Württemberg vom 18. November 2005 – L 4 KR 2142/02 – lässt nicht zwingend auf eine abhängige Tätigkeit schließen. Bei seiner summarischen Prüfung musste der Senat insoweit berücksichtigen, dass der Antragsteller bereits seit dem Jahre 1999 zugelassener Rechtsanwalt ist. Nach der erstinstanzlich vorgelegten Eidesstattlichen Versicherung vom 16.05.2009 übte er die Tätigkeit im Rahmen seiner Rechtsanwaltstätigkeit aus. Hieraus geht auch hervor, dass er seinen Lebensunterhalt in den letzten Jahren überwiegend mit Nebenjobs im Bereich der Marktforschung verdient hat. Nicht zuletzt mit Blick hierauf wird deutlich, dass weitere konkrete Ermittlungen zur Statusfeststellung erforderlich sein dürften, was einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Für den erkennenden Senat ergibt sich deshalb keine Notwendigkeit, die Hauptsache im Wege einer einstweiligen Anordnung vorweg zu nehmen.

Auch ein Anordnungsgrund war zu verneinen. Der Senat folgt dazu vollinhaltlich den Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss. Neue durchgreifende Gründe ergeben sich im Beschwerdeverfahren nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden, weil das Beschwerdegericht die Entscheidung getroffen hat (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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