Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 264/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 95/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Der 1949 geborene Kläger leidet u. a. an einer mitochondrialen Myopathie mit erheblichen Schmerzen. Im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie wendet er regelmäßig Entspannungsverfahren an, erhält Krankengymnastik und Schmerzmedikation. Im Hinblick auf die unter der Medikation entwickelten Nebenwirkungen (Albträume, Verschiebung des Tag-/Nacht-Rhythmus, Tagesmüdigkeit, Konzentrationsstörungen), die sich auch nach Umstellung der Medikation nicht verbesserten, beschlossen die behandelnden Ärzte der Klinik für Anästhesiologie – Schmerzambulanz – des Universitätsklinikums X in einer interdisziplinären Schmerzkonferenz mit Einwilligung des Klägers nach ausführlicher Aufklärung einen Therapieversuch mit öligen Dronabinol-Tropfen. Dronabinol (Delta-9-Tetrahydrocannabinol [ETHC]) ist der Hauptinhaltsstoff von Cannabis sativa, seit 1998 in Deutschland verkehrs- und verschreibungspflichtig (Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes) und kann somit als Rezeptursubstanz verwendet werden. In Deutschland ist kein Fertigarzneimittel mit Dronabinol zugelassen. Der (synthetisch hergestellte) Wirkstoff Dronabinol ist unter dem Warennamen Marinol® in den USA als Fertigarzneimittel zugelassen. Die Zulassung in den USA erfolgte für die Behandlung von Anorexie bei AIDS-Patienten sowie zytostatikabedingtem Erbrechen. Nach der Einnahme der Dronabinol-Tropfen verbesserte sich die Symptomatik beim Kläger; er hatte weniger Schmerzattacken, der Tag-/Nacht-Rhythmus pendelte sich wieder ein, er war wacher und konzentrierter; das Arzneimittel wurde gut vertragen (Bericht der Uniklinik Aachen vom 14.04.2014).
Am 26.02.2014 verordneten die Ärzte der Uniklinik X "ölige Dronabinol-Tropfen 2,5 % 10 ml" (entsprechen 250 mg Dronabinol). Nach Einholung einer Stellungnahme der Klinikärzte vom 06.03.2014 und des MDK vom 14.03.2014 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 02.04.2014 eine Versorgung (Kostenübernahme) mit Dronabinol-Tropfen ab. Zur Begründung führte sie aus, es gäbe keine entsprechende Fertigarzneimittelzulassung in Deutschland; für eine Therapie mit Dronabinol als Rezepturarzneimittel fehle es an einer positiven Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA); auch liege kein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gemäß dessen Beschluss vom 06.12.2005 vor.
Dagegen erhob der Kläger am 30.04.2014 Widerspruch. Er wies auf den Erfolg der Therapie mit Dronabinol und eine Stellungnahme der Drogenbeauftragten der Bundesregierung zur Anwendung cannabishaltiger Fertigarzneimittel bei schwerkranken Patienten hin. Desweiteren legt er einen die Therapie beschreibenden Arztbericht der Universitätsklinik X vom 14.04.2014 vor.
Nach Einholung eines weiteren MDK-Gutachtens vom 30.06.2014 und einer Entscheidung des Geschäftsbereichs "Arzneimittel" wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 23.09.2014 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 15.10.2014 Klage erhoben. Er trägt vor, es liege bei ihm eine schwerwiegende lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vor. Es sei keine andere Therapie als die mit Dronabinol verfügbar. Aufgrund der Datenlage bestehe begründete Aussicht, dass mit Dronabinol-Tropfen ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Es handele sich bei der mitrochondrialen Myopathie um eine seltene Erkrankung; er könne nicht als "Versuchskaninchen" auf die "breite Palette der in Deutschland zugelassenen Analgetika" verwiesen werden. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundessozialgerichts erscheine die Verordnung von Dronabinol in den Fällen gut möglich zu sein, in denen eine lebensbedrohliche Erkrankung im engen Sinne vorliege. Die Zeitspanne der lebensbedrohlichen Erkrankung könne bedeuten, dass die verbleibende Lebenszeit nur noch für wenige Monate oder auch wenige Jahre prognostiziert werde. Es könne durchaus durch einen bevorstehenden langen, verzögerten Krankheitsverlauf noch Jahrzehnte lang ein Therapiebedarf verbleiben. Deswegen sei in Rechnung zu stellen, dass die im Zeitablauf typischerweise voranschreitenden medizinischen und pharmakologischen Erkenntnisse in Zukunft Therapiemöglichkeiten eröffnen und (positive wie negative) Ergebnisse zu Tage fördern könnten, die dem Patienten das Leben lebenswert erscheinen ließen. Auch bei langandauernden chronischen Erkrankungen könne eine notstandsähnliche akute Problematik vorliegen. Der Kläger verweist im Übrigen auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin vom 23.07.2007 (7 A 205/05). In diesem sei die Beihilfefähigkeit von Dronabinol-Tropfen für eine an Multipler Sklerose erkrankten Beamtin bejaht worden, weil dadurch die schwere anders nicht therapierbare Krankheit wenigstens gelindert werden könne.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.04.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2014 zu verurteilen, ihn mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel nach ärztlicher Verordnung zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass eine Therapie mit Rezepturarzneimitteln, die vom G-BA bisher nicht empfohlen sei, wegen des Verbotes nach § 135 Abs. 1 SGB V nicht von der Krankenkasse gewährt werden dürfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Der Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen aus §§ 2 Abs. 1 Satz 3 und 12 Abs. 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Bei der Arzneimittelversorgung knüpft das Krankenversicherungsrecht an das Arzneimittelrecht an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments abhängig macht (§ 21 Abs. 2 Arzneimittelgesetz - AMG).
Zulassungspflichtig sind gem. § 21 Abs. 1 AMG grundsätzlich nur Fertigarzneimittel. Das sind Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung in den Verkehr gebracht werden (§ 4 Abs. 1 AMG). Bei den hier streitigen Dronabinol-Tropfen handelt es sich allerdings um ein im Einzelfall hergestelltes so genanntes Rezepturarzneimittel, für das lediglich eine Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG erforderlich ist. Als Rezepturarzneimittel ist Dronabinol nicht zulassungspflichtig. Gleichwohl besteht auch auf die – vorliegend vom Kläger begehrte – Versorgung mit Dronabinol als Rezepturarzneimittel in Tropfenform kein Anspruch. Dies ergibt sich jedoch nicht aus arzneimittelrechtlichen Erwägungen. Bei der Behandlung der mitochondrialen Myopathie mit Dronabinol handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode; denn sie gehört nicht zur medizinischen Standardtherapie der mitochondrialen Myopathie. Es gibt keine durch anerkannte randomisierte Phase-III-Studien erbrachten Nachweise einer höheren und besseren Wirksamkeit gegenüber anerkannten Therapieformen, wie sie der MDK in seinem Sozialmedizinischen Gutachten vom 30.06.2014 aufgeführt hat.
Gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. Solche befürwortenden Empfehlungen des G-BA liegen bisher nicht vor. Ein diesbezügliches Systemversagen ist nicht ersichtlich.
Soweit das BVerfG im Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) darüber hinausgehende Kriterien für eine ausnahmsweise Behandlung mit nicht anerkannten neuen Therapien aufgestellt hat, lässt sich auch hieraus ein Versorgungsanspruch des Klägers mit Dronabinol-Tropfen nicht begründen. Denn es liegt bei ihm mit der mitochondrialen Myopathie zwar eine schwere, seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende, aber keine lebensbedrohliche und regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor, wie es das BVerfG gefordert hat. Ob die Rechtsprechung des BVerfG auf andere besonders gravierende Krankheiten zu übertragen ist (vgl. etwa BSG, Urteil vom 12.06.2005 – B 1 KR 12/06 R), kann dahinstehen. Denn auch in diesen Fällen müsste eine notstandsähnliche Situation bestehen, bei der ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Hieran fehlt es bei dem Kläger (vgl. auch: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2011 – L 4 KR 4903/10; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.12.2008 – L 5 KR 52/08, bestätigt durch BSG, Beschluss vom 30.07.3009 – B 1 KR 22/09 B; LSG Bayern, Urteil vom 11.09.2007 – L 5 KR 132/06; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.08.2006 – L 5 KR 281/06, bestätigt durch BSG, Urteil vom 23.07.2007 – B 1 KR 30/06 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.04.2003 – L 4 KR 3828/01, bestätigt durch BSG, Beschluss vom 06.01.2005 – B 1 KR 51/03 B; LSG Sachsen, Beschluss vom 22.08.2005 L 1 B 102/05 KR-ER).
Der Kläger kann sich für seinen Anspruch auch nicht mit Erfolg auf das rechtskräftige Urteil des VG Berlin vom 23.07.2007 (7 A 205/05) stützen. Das Urteil betrifft ausschließlich die Beihilfefähigkeit Der Versorgung mit Dronabinol-Tropfen. Das VG Berlin ist in seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung des BSG zu § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingegangen, wonach eine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen ist, wenn es sich um eine neuartige Therapie handelt, die vom G-BA bisher nicht empfohlen ist. Eine derartige automatische Einschränkung – so das VG Berlin – enthalte das Beihilferecht hingegen nicht. Im Fall des Klägers findet jedoch nicht das Beihilferecht, sondern das Recht der GKV Anwendung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Der 1949 geborene Kläger leidet u. a. an einer mitochondrialen Myopathie mit erheblichen Schmerzen. Im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie wendet er regelmäßig Entspannungsverfahren an, erhält Krankengymnastik und Schmerzmedikation. Im Hinblick auf die unter der Medikation entwickelten Nebenwirkungen (Albträume, Verschiebung des Tag-/Nacht-Rhythmus, Tagesmüdigkeit, Konzentrationsstörungen), die sich auch nach Umstellung der Medikation nicht verbesserten, beschlossen die behandelnden Ärzte der Klinik für Anästhesiologie – Schmerzambulanz – des Universitätsklinikums X in einer interdisziplinären Schmerzkonferenz mit Einwilligung des Klägers nach ausführlicher Aufklärung einen Therapieversuch mit öligen Dronabinol-Tropfen. Dronabinol (Delta-9-Tetrahydrocannabinol [ETHC]) ist der Hauptinhaltsstoff von Cannabis sativa, seit 1998 in Deutschland verkehrs- und verschreibungspflichtig (Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes) und kann somit als Rezeptursubstanz verwendet werden. In Deutschland ist kein Fertigarzneimittel mit Dronabinol zugelassen. Der (synthetisch hergestellte) Wirkstoff Dronabinol ist unter dem Warennamen Marinol® in den USA als Fertigarzneimittel zugelassen. Die Zulassung in den USA erfolgte für die Behandlung von Anorexie bei AIDS-Patienten sowie zytostatikabedingtem Erbrechen. Nach der Einnahme der Dronabinol-Tropfen verbesserte sich die Symptomatik beim Kläger; er hatte weniger Schmerzattacken, der Tag-/Nacht-Rhythmus pendelte sich wieder ein, er war wacher und konzentrierter; das Arzneimittel wurde gut vertragen (Bericht der Uniklinik Aachen vom 14.04.2014).
Am 26.02.2014 verordneten die Ärzte der Uniklinik X "ölige Dronabinol-Tropfen 2,5 % 10 ml" (entsprechen 250 mg Dronabinol). Nach Einholung einer Stellungnahme der Klinikärzte vom 06.03.2014 und des MDK vom 14.03.2014 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 02.04.2014 eine Versorgung (Kostenübernahme) mit Dronabinol-Tropfen ab. Zur Begründung führte sie aus, es gäbe keine entsprechende Fertigarzneimittelzulassung in Deutschland; für eine Therapie mit Dronabinol als Rezepturarzneimittel fehle es an einer positiven Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA); auch liege kein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gemäß dessen Beschluss vom 06.12.2005 vor.
Dagegen erhob der Kläger am 30.04.2014 Widerspruch. Er wies auf den Erfolg der Therapie mit Dronabinol und eine Stellungnahme der Drogenbeauftragten der Bundesregierung zur Anwendung cannabishaltiger Fertigarzneimittel bei schwerkranken Patienten hin. Desweiteren legt er einen die Therapie beschreibenden Arztbericht der Universitätsklinik X vom 14.04.2014 vor.
Nach Einholung eines weiteren MDK-Gutachtens vom 30.06.2014 und einer Entscheidung des Geschäftsbereichs "Arzneimittel" wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 23.09.2014 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 15.10.2014 Klage erhoben. Er trägt vor, es liege bei ihm eine schwerwiegende lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vor. Es sei keine andere Therapie als die mit Dronabinol verfügbar. Aufgrund der Datenlage bestehe begründete Aussicht, dass mit Dronabinol-Tropfen ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Es handele sich bei der mitrochondrialen Myopathie um eine seltene Erkrankung; er könne nicht als "Versuchskaninchen" auf die "breite Palette der in Deutschland zugelassenen Analgetika" verwiesen werden. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundessozialgerichts erscheine die Verordnung von Dronabinol in den Fällen gut möglich zu sein, in denen eine lebensbedrohliche Erkrankung im engen Sinne vorliege. Die Zeitspanne der lebensbedrohlichen Erkrankung könne bedeuten, dass die verbleibende Lebenszeit nur noch für wenige Monate oder auch wenige Jahre prognostiziert werde. Es könne durchaus durch einen bevorstehenden langen, verzögerten Krankheitsverlauf noch Jahrzehnte lang ein Therapiebedarf verbleiben. Deswegen sei in Rechnung zu stellen, dass die im Zeitablauf typischerweise voranschreitenden medizinischen und pharmakologischen Erkenntnisse in Zukunft Therapiemöglichkeiten eröffnen und (positive wie negative) Ergebnisse zu Tage fördern könnten, die dem Patienten das Leben lebenswert erscheinen ließen. Auch bei langandauernden chronischen Erkrankungen könne eine notstandsähnliche akute Problematik vorliegen. Der Kläger verweist im Übrigen auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin vom 23.07.2007 (7 A 205/05). In diesem sei die Beihilfefähigkeit von Dronabinol-Tropfen für eine an Multipler Sklerose erkrankten Beamtin bejaht worden, weil dadurch die schwere anders nicht therapierbare Krankheit wenigstens gelindert werden könne.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.04.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2014 zu verurteilen, ihn mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel nach ärztlicher Verordnung zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass eine Therapie mit Rezepturarzneimitteln, die vom G-BA bisher nicht empfohlen sei, wegen des Verbotes nach § 135 Abs. 1 SGB V nicht von der Krankenkasse gewährt werden dürfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Der Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen aus §§ 2 Abs. 1 Satz 3 und 12 Abs. 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Bei der Arzneimittelversorgung knüpft das Krankenversicherungsrecht an das Arzneimittelrecht an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments abhängig macht (§ 21 Abs. 2 Arzneimittelgesetz - AMG).
Zulassungspflichtig sind gem. § 21 Abs. 1 AMG grundsätzlich nur Fertigarzneimittel. Das sind Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung in den Verkehr gebracht werden (§ 4 Abs. 1 AMG). Bei den hier streitigen Dronabinol-Tropfen handelt es sich allerdings um ein im Einzelfall hergestelltes so genanntes Rezepturarzneimittel, für das lediglich eine Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG erforderlich ist. Als Rezepturarzneimittel ist Dronabinol nicht zulassungspflichtig. Gleichwohl besteht auch auf die – vorliegend vom Kläger begehrte – Versorgung mit Dronabinol als Rezepturarzneimittel in Tropfenform kein Anspruch. Dies ergibt sich jedoch nicht aus arzneimittelrechtlichen Erwägungen. Bei der Behandlung der mitochondrialen Myopathie mit Dronabinol handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode; denn sie gehört nicht zur medizinischen Standardtherapie der mitochondrialen Myopathie. Es gibt keine durch anerkannte randomisierte Phase-III-Studien erbrachten Nachweise einer höheren und besseren Wirksamkeit gegenüber anerkannten Therapieformen, wie sie der MDK in seinem Sozialmedizinischen Gutachten vom 30.06.2014 aufgeführt hat.
Gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. Solche befürwortenden Empfehlungen des G-BA liegen bisher nicht vor. Ein diesbezügliches Systemversagen ist nicht ersichtlich.
Soweit das BVerfG im Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) darüber hinausgehende Kriterien für eine ausnahmsweise Behandlung mit nicht anerkannten neuen Therapien aufgestellt hat, lässt sich auch hieraus ein Versorgungsanspruch des Klägers mit Dronabinol-Tropfen nicht begründen. Denn es liegt bei ihm mit der mitochondrialen Myopathie zwar eine schwere, seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende, aber keine lebensbedrohliche und regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor, wie es das BVerfG gefordert hat. Ob die Rechtsprechung des BVerfG auf andere besonders gravierende Krankheiten zu übertragen ist (vgl. etwa BSG, Urteil vom 12.06.2005 – B 1 KR 12/06 R), kann dahinstehen. Denn auch in diesen Fällen müsste eine notstandsähnliche Situation bestehen, bei der ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Hieran fehlt es bei dem Kläger (vgl. auch: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2011 – L 4 KR 4903/10; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.12.2008 – L 5 KR 52/08, bestätigt durch BSG, Beschluss vom 30.07.3009 – B 1 KR 22/09 B; LSG Bayern, Urteil vom 11.09.2007 – L 5 KR 132/06; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.08.2006 – L 5 KR 281/06, bestätigt durch BSG, Urteil vom 23.07.2007 – B 1 KR 30/06 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.04.2003 – L 4 KR 3828/01, bestätigt durch BSG, Beschluss vom 06.01.2005 – B 1 KR 51/03 B; LSG Sachsen, Beschluss vom 22.08.2005 L 1 B 102/05 KR-ER).
Der Kläger kann sich für seinen Anspruch auch nicht mit Erfolg auf das rechtskräftige Urteil des VG Berlin vom 23.07.2007 (7 A 205/05) stützen. Das Urteil betrifft ausschließlich die Beihilfefähigkeit Der Versorgung mit Dronabinol-Tropfen. Das VG Berlin ist in seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung des BSG zu § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingegangen, wonach eine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen ist, wenn es sich um eine neuartige Therapie handelt, die vom G-BA bisher nicht empfohlen ist. Eine derartige automatische Einschränkung – so das VG Berlin – enthalte das Beihilferecht hingegen nicht. Im Fall des Klägers findet jedoch nicht das Beihilferecht, sondern das Recht der GKV Anwendung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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