S 32 AS 1687/14 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 32 AS 1687/14 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 59/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Anträge werden abgelehnt.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Der 1978 geborene Antragsteller zu 1) und die 1981 geborene Antragstellerin zu 2) sind die Eltern der 2000, 2002, 2008 und 2009 geborenen Antragsteller zu 3) bis 6). Die Antragsteller halten sich nach eigenen Angaben aus Rumänien kommend seit Mai 2014 in Deutschland auf. Sie sind in B-Stadt ohne festen Wohnsitz und leben vom Sammeln von Pfandflaschen und vom Betteln. Nach ihren eigenen Angaben erhalten sie in Rumänien ca. 10,- EUR Kindergeld pro Kind. Sonstige Einnahmen und Vermögen haben sie nach eigenen Angaben nicht.

Am 3.9.2014 stellten die Antragsteller, vertreten durch den Antragsteller zu 1), bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsteller trug vor, innerhalb der letzten zwei Jahre habe er in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden.

Mit Bescheid vom 19.9.2014 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen unter Hinweis auf den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. In ihrem Widerspruch vom 13.10.2014 trugen die Antragsteller anwaltlich vertreten vor, sie hätten aus Art. 4 i.V.m. Art. 70 der Verordnung (EG) 883/2004 einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 S. 2 SGB II sei daher nicht anwendbar. Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2014 zurück. Ein Klageverfahren ist unter dem Aktenzeichen S 32 AS 1864/14 seit dem 10.11.2014 beim Sozialgericht Frankfurt am Main anhängig.

Mit ihrem am 13.10.2014 beim Sozialgericht Frankfurt am Main gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begehren die Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Leistungsgewährung nach dem SGB II. Der Antragsteller zu 1) erklärt in einer eidesstattlichen Versicherung vom 13.10.2014, die Antragsteller seien im Mai 2014 nach Deutschland gekommen. Sie lebten in einer leerstehenden Gartenhütte in A-Stadt. Bei ihrer Einreise hätten die Antragsteller ca. 260,- EUR dabei gehabt. Dieses Geld sei schon lange aufgebraucht. Sie lebten vom Pfandflaschensammeln und Betteln. Das Guthaben auf dem Bankkonto in Rumänien, auf das das Kindergeld fließe, dürfte zurzeit etwa 40,- EUR betragen. Sonstiges Einkommen oder Vermögen sei nicht vorhanden. Auf Nachfrage der Vorsitzenden erklären die Antragsteller, die Antragsteller zu 3) und 4) besuchten keine Schule, weil ohne festen Wohnsitz keine Beschulung erfolge. Zweck des Aufenthalts in Deutschland sei die Arbeitsuche. Die Antragsteller haben eidesstattliche Versicherungen von Herrn HP vom 11.11.2014 und vom 1.12.2014 vorgelegt, wonach er die sechsköpfige Familie der Antragsteller im Mai 2014 kennengelernt habe und mit seiner Frau und der Familie der Antragsteller zusammen etwa zwei Monate lang in einem Bus in A-Stadt beim Xpark übernachtet habe. Die Antragsteller tragen weiter vor, der Antragsteller zu 1) habe in Rumänien als Taxifahrer gearbeitet. Er spreche Rumänisch und Spanisch und würde gerne einen Deutschkurs besuchen. Er habe bei verschiedenen Reinigungsfirmen vorgesprochen, aber wegen der fehlenden Meldeanschrift nur Absagen erhalten. Der Antragsteller zu 1) habe sich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet. Hierfür wird als Beleg eine Besucherkarte der Bundesagentur für Arbeit vorgelegt, die dem Antragsteller zu 1) eine Kundennummer zuweist.

Die Antragsteller sind der Auffassung, ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ergebe sich aus dem Gleichbehandlungsgebot der Verordnung (EG) 883/2004. Durch den Bezug von Kindergeld sei der persönliche Anwendungsbereich dieser Verordnung eröffnet. Im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 11.11.2014 in der Rechtssache Dano (C-333/13) machen die Antragsteller geltend, dass ein Totalausschluss von Leistungen nach dem SGB II wie auch nach dem SGB XII verfassungswidrig sei. Zumindest seien unabweisbare Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Die Antragsteller beantragen, das Sozialamt der A-Stadt beizuladen.

Die Antragsteller beantragen,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern ab Antragstellung vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner beruft sich auf den Anspruchsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und das Urteil des EuGH vom 11.11.2014 in der Rechtssache Dano (C-333/13). Die Antragsteller hielten sich ohne ausreichende Existenzmittel im Bundesgebiet auf. Damit dürften sie gemäß der Entscheidung des EuGH von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen werden.

Die Kammer hat mit Schreiben vom 12.11.2014 eine Beiladung des Sozialamtes der A Stadt als Leistungsträger nach dem SGB XII abgelehnt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten des Antragsgegners, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

Die Anträge sind zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung darf grundsätzlich die endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen. Deshalb ist es in der Regel nicht zulässig, eine Behörde zum Erlass eines im Hauptverfahren beantragten Verwaltungsakts zu verpflichten. Bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung ist eine einstweilige Anordnung nur möglich, wenn nur eine bestimmte Entscheidung ermessensgerecht sein kann (hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 30a).

Voraussetzung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist damit das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, also eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die Leistung, und eines Anordnungsgrundes, nämlich eines Sachverhalts, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander, es besteht eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderung an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Wenn danach die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dann, auch wenn ein Anordnungsgrund gegeben ist, abzulehnen. Es handelt sich insgesamt um ein im funktionalen Zusammenhang stehendes bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 27 und 29 m.w.N.).

Bei einem offenen Ausgang der Hauptsache ist wiederum eine Interessenabwägung erforderlich. Es sind hierbei die Folgen abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht.

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf mangelnde Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes sind glaubhaft gemacht, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen.

Vorliegend konnte ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht werden. Die Antragsteller gehören nicht zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II.

Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Personen Leistungen nach diesem Buch, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Nach § 7 Abs. 2 erhalten Leistungen auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben.

Die Antragsteller zu 1) und 2) haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht (Nr. 1). Sie sind mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch als erwerbsfähig i.S. des § 8 SGB II anzusehen (Nr. 2) und zwar sowohl in gesundheitlicher Hinsicht (§ 8 Abs. 1 SGB II) als auch in ausländerrechtlicher Hinsicht (§ 8 Abs. 2 SGB II), da den Antragstellern als Unionsbürgern wie Deutschen eine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet erlaubt ist. Die Antragsteller sind nach ihrem Vortrag auch hilfebedürftig (Nr. 3). Zur Glaubhaftmachung der Einkommens- und Vermögensverhältnissen lässt die Kammer die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers zu 1) vom 13.10.2014 genügen. Die Antragsteller haben auch glaubhaft gemacht, sich seit Mai 2014 in A-Stadt aufzuhalten. Sie haben mit ihrem Antrag auf Leistungen nach dem SGB II und der Arbeitsuchendmeldung des Antragstellers zu 1) bei der Bundesagentur für Arbeit auch zum Ausdruck gebracht, dass sie in Deutschland dauerhaft bleiben möchten. Damit haben die Antragsteller ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4).

Die minderjährigen Antragsteller zu 3) bis 6) leben mit ihren Eltern, den Antragstellern zu 1) und 2), in einer Bedarfsgemeinschaft und fallen damit unter § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II.

Nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II sind vom Leistungsbezug allerdings ausgenommen

1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,
3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

Die Antragsteller zu 1) und 2) halten sich allein zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland auf. Ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich allein aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 2. Alt. des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Ein anderes Aufenthaltsrecht nach § 2 FreizügG/EU steht ihnen nicht zu. Die Antragsteller haben insbesondere nicht behauptet und glaubhaft gemacht, sich bereits seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten zu haben oder einen anderen Tatbestand für ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU zu erfüllen.

Damit ist der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf die Antragsteller anwendbar.

Der Leistungsausschluss ist auch nicht wegen Verstoßes gegen Europarecht unanwendbar.

Der EuGH hat in der Rechtssache Dano mit Urteil vom 11.11.2014 (C-333/13, juris) entschieden, dass Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie und Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 in der durch die Verordnung 1244/2010 geänderten Fassung dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art. 70 Abs. 2 der Verordnung (EG) 883/2004 ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38/EG zusteht.

Das in der Rechtssache Dano vorlegende Sozialgericht Leipzig hat die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19a Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) und nach § 1 Abs. 3 SGB II als besondere beitragsunabhängige Leistungen i.S. des Art. 70 Abs. 2 der Verordnung (EG) 883/2004 eingestuft. Dieser Ausgangspunkt liegt dem Urteil des EuGH zugrunde (juris Rn. 47).

Entscheidend für die Zulässigkeit des Ausschlusses von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen ist nach der Entscheidung des EuGH, ob den Antragstellern in Deutschland ein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38/EG zusteht.

In Betracht kommt hier allein ein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate nach Art. 7 Abs.1 Buchstabe a) der Richtlinie 2004/38/EG. Die anderen Tatbestände des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG scheiden aus, denn sie setzen voraus, dass der Betreffende über ausreichende Existenzmittel und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt (Buchstabe b), oder sich in Ausbildung oder Berufsausbildung befindet und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt (Buchstabe c). Die Voraussetzungen dieser Tatbestände sind bei den einkommens- und vermögenslosen und nicht krankenversicherten Antragstellern nicht gegeben. Selbst wenn man die bloße Existenz des Auffangtatbestandes des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) als Nachweis eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes in Deutschland genügen lassen wollte, fehlt es doch jedenfalls an ausreichenden Existenzmitteln oder einem Ausbildungsverhältnis der Antragsteller. Auch ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht aus einer zuvor ausgeübten Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nach Absatz 3 scheidet aus, weil eine entsprechende Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt wurde.

Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Richtlinie 2004/38/EG bestimmt, dass jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten hat, wenn er Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige in Deutschland. Sie sind im Aufnahmemitgliedstaat derzeit nicht erwerbstätig, sondern allein arbeitsuchend. Sie könnten damit in den Genuss des Aufenthaltsrechts nach Art. 7 Abs. Buchstabe a) der Richtlinie 2004/38/EG nur kommen, wenn diese dahin auszulegen wäre, dass auch Arbeitsuchende "Arbeitnehmer" i.S. der Richtlinie wären. Dies ist indessen nicht der Fall. Dagegen spricht schon der Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2004/38/EG, in dem es heißt: "In keinem Fall sollte eine Ausweisungsmaßnahme gegen Arbeitnehmer, Selbstständige oder Arbeitssuchende in dem vom Gerichtshof definierten Sinne erlassen werden, außer aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit." Hier werden Arbeitnehmer und Arbeitsuchende begrifflich voneinander abgegrenzt.

Der EuGH hat zur Arbeitnehmereigenschaft in der Rechtssache Vatsouras/Koupatantze in seinem Urteil vom 4.6.2009 (C-22/08 und C-23/08, juris Rn. 26) ausgeführt: "Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Begriff "Arbeitnehmer" im Sinne von Art. 39 EG nach ständiger Rechtsprechung ein Begriff des Gemeinschaftsrechts ist, der nicht eng auszulegen ist. Als "Arbeitnehmer" ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach dieser Rechtsprechung darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält ( )." Arbeitsuchende sind danach nicht Arbeitnehmer, da sie keine tatsächliche und echte Tätigkeit ausüben.

Arbeitsuchende haben nur ein eingeschränktes Aufenthaltsrechts. Der EuGH hat in der Rechtssache Brey (C-140/12) in seinem Urteil vom 19.9.2013 (juris Rn. 53) ausgeführt: "Hingegen soll die Richtlinie 2004/38/EG zwar die Ausübung des jedem Unionsbürger unmittelbar aus dem Vertrag erwachsenden elementaren und persönlichen Rechts erleichtern und verstärken, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten ( ), doch soll sie auch – wie aus ihrem Art. 1 Buchst. a hervorgeht – näher die Bedingungen regeln, unter denen dieses Recht ausgeübt werden kann ( ), zu denen im Falle eines Aufenthalts von über drei Monaten die Bedingungen gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie gehören, wonach Unionsbürger, die die Arbeitnehmereigenschaft nicht oder nicht mehr besitzen, über ausreichende Existenzmittel verfügen müssen." Das Aufenthaltsrechts nach Art. 7 der Richtlinie (Buchstabe b und c) ist daran geknüpft, dass die betreffende Person für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen muss und sie und ihre Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen. Ein Arbeitsuchender, der – wie die Antragsteller - seine Arbeitsuche gerade nicht über ausreichende Existenzmittel selbst finanzieren kann und über keinen Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt, hat damit nicht das materielle Aufenthaltsrecht aus Art. 7 der Richtlinie.

Damit steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass gemäß dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Dano weder Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie noch Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 in der durch die Verordnung Nr. 1244/2010 geänderten Fassung dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entgegenstehen.

Aus den früheren Ausführungen des EuGH im Urteil vom 2.6.2009 in der Rechtssache Vatsouras/Koupatantze (C-22/08 und C-23/08) zur Vereinbarkeit von Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG mit Art. 39 EG (juris Rn. 34 - 39) - nicht zur Vereinbarkeit des § 7 SGB II mit Europarecht -, folgt nichts anderes. In den dieser Entscheidung des EuGH zugrundeliegenden Ausgangsverfahren waren die Kläger kurzzeitig in Deutschland beruflich tätig bzw. in einem Arbeitsverhältnis in Deutschland beschäftigt gewesen und wurden dann arbeitsuchend. Der EuGH führt aus, dass der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet ist, Arbeitsuchenden während des längeren Zeitraums, während dessen sie dort ein Aufenthaltsrecht haben (gemeint sein kann hier nicht das materielle Aufenthaltsrecht, weil dieses eben voraussetzt, dass der Arbeitsuchende über existenzsichernde Mittel verfügt), einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Es sei legitim, dass ein Mitgliedstaat eine finanzielle Leistung, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates erleichtere, erst gewähre, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates festgestellt wurde. Das Bestehen einer solchen Verbindung könne sich u.a. aus der Feststellung ergeben, dass der Betroffene während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat gesucht habe. Der EuGH führt (juris Rn. 41) weiter aus, es sei Sache der zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls der innerstaatlichen Gerichte, nicht nur das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen, sondern auch die grundlegenden Merkmale dieser Leistung zu prüfen, insbesondere ihren Zweck und die Voraussetzungen ihrer Gewährung.

Vorliegend sieht die Kammer schon eine solche tatsächliche Verbindung der arbeitsuchenden Antragsteller mit dem Arbeitsmarkt in Deutschland nicht gegeben. Die Antragsteller sprechen nach eigenem Vortrag kein Deutsch, weshalb ein Zugang zum Arbeitsmarkt stark erschwert ist. Zu einer Ausbildung oder sonstigen Qualifikation der Antragsteller zu 1) und 2) wird nichts vorgetragen. Die Antragsteller haben nicht behauptet und glaubhaft gemacht, jemals in Deutschland abhängig beschäftigt gewesen zu sein. Die Antragsteller tragen zwar vor, der Antragsteller zu 1) habe sich bei Reinigungsfirmen beworben. Diese Angabe bleibt aber vage, die Firmen werden nicht benannt und die Bewerbungen sind nicht glaubhaft gemacht. Eine tatsächliche Verbindung der Antragsteller mit dem deutschen Arbeitsmarkt ist danach nicht ersichtlich. Die bloße Arbeitsuchendmeldung des Antragstellers zu 1) bei der Bundesagentur für Arbeit genügt hierfür nicht.

Danach ergibt sich auch aus den Erwägungen der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Vatsouras/Koupatantze nicht, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem keine hinreichende tatsächliche Verbindung der Antragsteller mit dem deutschen Arbeitsmarkt erkennbar ist, europarechtswidrig wäre.

Aber selbst wenn eine tatsächliche Verbindung der Antragsteller mit dem deutschen Arbeitsmarkt hätte glaubhaft gemacht werden können, würde nichts anderes gelten.

Die Kammer versteht die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Dano und in der Rechtssache Vatsouras/Koupatantze zusammengenommen dahingehend, dass Arbeitsuchende ohne ausreichende Existenzmittel mangels eines materiellen Aufenthaltsrechts von Sozialhilfeleistungen im Sinne des europäischen Rechts, also im Sinne von Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG, und damit von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (§ 19 a Abs. 1 Nr. 2 SGB I) ausgeschlossen werden können (Dano), dass ihnen aber sonstige finanzielle Leistungen zur Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, z.B. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem 3. Kapitel des SGB II (§ 19 a Abs. 1 Nr. 1 SGB I), bei einem hinreichendem tatsächlichen Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt offenstehen müssen (Vatsouras/Koupatantze). Für diese Auslegung spricht auch, dass die Arbeitsuche im Rahmen des § 7 SGB II kein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal ist, so dass auch Personen, die keine Arbeit suchen, weil sie schon in einem (schlecht bezahlten) Vollzeitarbeitsverhältnis stehen oder etwa wegen Kinderbetreuung keine Arbeit aufnehmen können, Anspruch (im ersten Fall aufstockend) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II haben. Damit dienen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht dem Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Selbst wenn die Antragsteller einen hinreichenden tatsächlichen Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt glaubhaft gemacht hätten, stünden ihnen damit die hier geltend gemachten Grundsicherungsleistungen nicht zu.

Auch ein Anspruch der Antragsteller auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII ist nicht ersichtlich. Die Abgrenzung der Fürsorgesysteme des SGB II und des SGB XII erfolgt grundsätzlich nach der medizinischen Erwerbsfähigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB II). Die konkrete Auslegung der Norm orientiert sich danach, ob der Hilfesuchende in den persönlichen Anwendungsbereich des SGB II einbezogen ist, weil er auch die übrigen Leistungsvoraussetzungen nach §§ 7 ff SGB II erfüllt und auch sonst kein Leistungsausschluss nach dem SGB II vorliegt. Danach sind von dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II betroffene Personen, auch wenn sie erwerbsfähig i.S. des § 8 Abs. 1 SGB II sind, nicht nach dem SGB II "dem Grunde nach leistungsberechtigt" (vgl. § 21 SGB XII) und können damit einen Anspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII haben (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.5.2014, L 8 SO 129/14 B ER, juris Rn. 14 ff mit umfassenden Nachweisen). Allerdings greift für die Antragsteller, da die Antragsteller zu 1) und zu 2) Arbeit suchen, der Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB XII. Die Kammer hält die Erwägungen des EuGH in der Rechtssache Dano auch für den Anspruch auf Sozialhilfe für tragfähig, da Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII ebenso unter den Begriff der beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne der Verordnung (EG) 883/2004 fallen wie Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Der Leistungsausschluss im SGB XII verstößt damit gleichfalls nicht gegen Europarecht.

Die Kammer ist auch nicht von der Verfassungswidrigkeit dieser Rechtslage überzeugt. Im Übrigen könnte und müsste dies auch nur dazu führen, die Sache dem BVerfG vorzulegen. Denn wenn ein Gericht eine gesetzliche Bestimmung, etwa § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II oder § 23 Abs. 3 SGB XII für verfassungswidrig hält, muss es diese nach Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorlegen, darf sich aber nicht aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und sich damit der Bindung an Recht und Gesetz i.S.v. Art. 20 Abs. 3 GG entziehen Das gilt auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. BVerfG, Beschluss v. 7.11.2005 1 BvR 1178/05, juris).

Die Kammer sieht daher einen Anordnungsanspruch für die geltend gemachten Grundsicherungsleistungen nicht gegeben, so dass es auf die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes nicht mehr ankommt.

Ob die Antragsteller Anspruch gegenüber dem Sozialamt auf Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGB XII haben, dessen Anwendung nicht über § 5 Abs. 2 SGB II und § 21 SGB XII ausgeschlossen ist, und worauf dieser Anspruch gerichtet sein kann (z.B. Finanzierung von Rückfahrttickets, Lebensmittelgutscheine zur Überbrückung bis zum Antritt der Rückfahrt o.ä.), ist hier nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls darf die Anwendung des § 73 SGB XII nicht zu einer Aushebelung des gesetzlichen Leistungsausschlusses im SGB II und SGB XII durch eine Gewährung der dort geregelten Grundsicherungsleistungen über § 73 SGB XII führen. Den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums kann dadurch Rechnung getragen werden, dass arbeitsuchenden Unionsbürgern ein Anspruch auf Mindestsicherung nach dem SGB XII eingeräumt wird. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat in seinem Beschluss vom 15.11.2013, L 15 AS 365/13 B ER, hierzu ausgeführt: "Es ist - soweit ersichtlich - in der sozialhilferechtlichen Literatur unumstritten, dass auch bei Vorliegen von Leistungsausschlussgründen Ausländern, die sich in der Bundesrepublik aufhalten, ein Anspruch auf die nach den Umständen des Einzelfalls unabweisbar gebotenen Leistungen erhalten bleibt ( ). Welche Leistungen unabweisbar sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei möglicher und zumutbarer Rückkehr in das Heimatland kommt i. d. R. lediglich die Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts in Betracht (Überbrückungsleistungen). Ist die Rückkehr im Einzelfall vorerst nicht möglich, sind längerfristige Leistungen zu erbringen, die das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum sichern."

Die Kammer sieht es danach als geboten an, dass die Antragsteller sich an das Sozialamt wenden, damit hier unter näherer Aufklärung der Lebensumstände und Rückreisemöglichkeiten geklärt wird, welche Überbrückungsleistungen nach § 73 SGB XII im vorliegenden Fall für welchen Zeitraum in Betracht kommen.

Die Kammer weist darauf hin, dass sie das Sozialamt (§ 18 SGB XII) und das Ordnungsamt der A-Stadt von diesem Beschluss in Kenntnis setzt. Letzteres, damit wegen der an Obdachlosigkeit grenzenden Wohnverhältnisse der Antragsteller (leerstehende Gartenhütte) gegebenenfalls auch Maßnahmen nach dem Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) ergriffen werden können. Die Kammer informiert weiter das Jugendamt der A-Stadt, da zu den Antragstellern vier Kinder gehören und eine Gefährdung des Kindeswohls zu befürchten ist, wenn die Antragsteller auch im kommenden Winter weiter eine mutmaßlich ungeheizte Gartenhütte bewohnen. Außerdem findet derzeit kein Schulbesuch der nach ihrem Alter schulpflichtigen Antragsteller zu 3) und 4) statt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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