Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2744/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2597/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30.04.2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung.
Die 1952 geborene Klägerin ist in der Türkei geboren und aufgewachsen und hat dort fünf Jahre die Schule besucht. Eine Berufsausbildung hat sie nicht absolviert, sondern anschließend als Näherin gearbeitet. 1968 heiratete sie, reiste 1975 in die Bundesrepublik Deutschland ein und arbeitete versicherungspflichtig von 1977 bis 1980 als Küchenhilfe, von 1890 bis 1985 als Arbeiterin in einer Weberei und von 2000 bis 2008 in einem metallverarbeitenden Betrieb. Seit Dezember 2008 ist sie arbeitslos. Bis August 2010 bezog sie Krankengeld bzw Arbeitslosengeld. Sie hat drei Kinder, seit dem Tod ihrer Tochter im Jahr 2001 zieht sie ihre Enkelin groß.
Auf den Antrag der Klägerin vom 01.10.2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Rehabilitationsmaßnahme. Im Zeitraum vom 07.12.2010 bis 28.12.2010 führte die Klägerin diese in der Klinik am S. M. durch. Im Rehaentlassungsbericht vom 26.01.2011 werden folgende Diagnosen mitgeteilt:
1. rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradig, 2. Somatisierungsstörung 3. Panikstörung, 4. Diabetes mellitus Typ II 5. arterielle Hypertonie.
Es wurde ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bescheinigt und ein Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden als Fabrikarbeiterin.
Hinsichtlich des Antrags der Klägerin vom 06.10.2010 auf Rente wegen Erwerbsminderung veranlasste die Beklagte daraufhin im Rentenverfahren die internistische und sozialmedizinische Begutachtung bei Dr. M., die nervenfachärztliche Zusatzbegutachtung bei Dr. B. sowie die orthopädisch/chirurgische Zusatzbegutachtung bei Dr. L. Die Gutachter stellten hierbei folgende Diagnosen:
- Metabolisches Syndrom mit massivem Übergewicht (105 kg bei 148 cm), Bluthochdruckerkrankung, Blutzuckererkrankung und Fettstoffwechselstörung. - Leicht verminderte Belastbarkeit des rechten Kniegelenkes bei leichtem Reizzustand und kernspintomografisch beschriebenen beginnenden Knorpelveränderungen ohne wesentliche Funktionseinbußen. - Gering verminderte Belastbarkeit der Rumpf-Wirbelsäule (WS) bei übergewichtsbedingter Fehlhaltung und muskulärer Insuffizienz mit nur geringen Funktionseinbußen ohne Nervenwurzelreizzeichen. - Schmerzen im Bereich beider Schultergelenke bei beginnenden degenerativen Veränderungen ohne wesentliche Funktionseinschränkungen - Funktionelle Schlafstörungen sowie Neigung zu depressiven Verstimmungen i.S. einer Anpassungsstörung bei Belastung im biographisch/psychosozialen Hintergrund bei vorbestehend etwas unreifen, dependenten Persönlichkeitszügen.
Die Gutachter gelangten zu dem Ergebnis, dass der Klägerin trotz der Gesundheitsstörungen leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ständig im Stehen, Gehen und Sitzen, in Tages-, Früh-, Spätschicht, ohne besonderen Zeitdruck, ohne längere WS-Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Knien/Hocken/Klettern/Steigen/Überkopfarbeiten, nicht auf unebenem Boden, nicht an gefährlichen Maschinen, sechs Stunden und mehr zumutbar seien.
Mit Bescheid vom 28.03.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die Klägerin legte hiergegen am 28.04.2011 Widerspruch ein. Dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2011 zurückgewiesen.
Mit ihrer am 24.06.2011 an das Sozialgericht Karlsruhe (SG) gerichteten Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie habe jahrelang vollschichtig gearbeitet und sei nunmehr aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, die bisher verrichteten Tätigkeiten auszuüben.
Das Gericht hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Dr. K., Gastroenterologe, hat in seiner Auskunft vom 12.09.2011 angegeben, er habe bei der Klägerin eine Koloskopie durchgeführt, Einschränkungen des Leistungsvermögens seien ihm nicht bekannt. Facharzt für Orthopädie Me. hat in seiner Auskunft vom 14.09.2011 verschiedene orthopädische Befunde aufgeführt, aber keine Leistungsbeurteilung abgeben wollen. Ein Befundbericht des St. V.-Krankenhauses, Kardiologie, vom 12.03.2009 hat eine insignifikante Koronarsklerose, gute Linksventrikel-Funktion, LV-Hypertrophie, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie und Adipositas ergeben. Laut Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 30.11.2009 bestehe bei der Klägerin seit sieben Jahren eine große Depression wegen des Todes der Tochter; Unruhe und Schlafstörungen. Facharzt für Psychiatrie Dr. Gü. hat am 26.09.2011 angegeben, die Klägerin 2010 zweimal untersucht und eine schwere depressive Episode befundet zu haben.
Das Gericht hat weiter eine nervenärztliche Begutachtung der Klägerin durch den Neurologen und Psychiater Dr. D. veranlasst. Dieser hat aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 24.11.2011 berichtet, Auffassung und Konzentration seien bei der Klägerin ungestört. Sie habe keine diffusen Ängste. Die Stimmung sei depressiv ausgelenkt, die affektive Schwingungsfähigkeit leicht eingeschränkt, die Appetenz intakt. Die Klägerin sei psychomotorisch nicht bedeutsam eingeengt, das Elektroenzephalogramm unauffällig. Sie habe einen strukturierten Tagesablauf. Der Sachverständige hat daraufhin folgende Diagnosen gestellt:
- Anhaltende depressive Reaktion - Synkopen unklarer Ursache - Diabetische Polyneuropathie
Bis vor zwei Jahren habe die Klägerin vollschichtig gearbeitet, obwohl die psychischen Beschwerden damals bereits bestanden hätten. Es bestünden qualitative Einschränkungen im Leistungsbild. Bei Beachtung dieser Einschränkungen bestehe ein Leistungsvermögen von über sechs Stunden ohne besondere Arbeitsbedingungen. Die Wegefähigkeit sei nervenärztlich nicht eingeschränkt.
Das Gericht hat darüber hinaus die orthopädische Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt Dr. C. veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 07.02.2012 auf Grund der ambulanten Untersuchung der Klägerin mitgeteilt, dass das An- und Auskleiden normal erfolgt sei. Die Klägerin habe beim Sitzen kaum Haltungswechsel vorgenommen. Mit Rollator sei das Gangbild erhalten gewesen, mit Gehhilfe und Konfektionsschuhen bestehe ein kleinschrittiger, aber weitgehend hinkfreier Gang. Die Füße würden normal abgerollt. Die Wegfähigkeit sei nicht relevant eingeschränkt, denn es bestünden keine Funktionseinschränkungen an den unteren Extremitäten, die sich auf das Gehvermögen auswirkten. Die Klägerin könne mit zwei Gehstützen eine Arbeitsstelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufsuchen, wie sie es vor ihrer Arbeitslosigkeit nach eigenen Angaben getan habe. Die Klägerin zeige bei der Untersuchung Verdeutlichungstendenzen, wie bereits im Gutachten von Dr. D. und im Reha-Bericht als Somatisierungsstörung angegeben. Es bestünden an den unteren Extremitäten keine Umfangsdifferenzen, die auf eine Minderbelastbarkeit des rechten Beines schließen ließen. Der Sachverständige stellte insoweit folgende Diagnosen:
- Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule aufgrund degenerativer und fehlstatischer Veränderungen, regionale Muskelverspannungen, z.Zt. ohne segmentale sensomotorische Störungen an oberen oder unteren Extremitäten. - Endgradige Funktionsbehinderung in beiden Schultergelenken ohne klinisch und röntgenologisch eindeutig erkennbare Ursache. - Endgradige Beugeeinschränkung im rechten Kniegelenk aufgrund kernspintomographisch nachgewiesener Knorpelschäden an der inneren Oberschenkelrolle - Gewichtsproblematik
Es bestehe ein Leistungsvermögen von über sechs Stunden für leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen, kurzfristig auch im Stehen oder Gehen, mit Heben und Tragen von Lasten bis fünf Kilogramm, mit gelegentlichem Bücken, an Büromaschinen, in Früh-, Tag- und Spätschicht, in temperierten Räumen. Es bestünden keine derart gravierenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet, dass die Klägerin nicht mit Gehilfen viermal täglich 500 Meter in maximal 20 Minuten zurücklegen könne; sie könne auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen.
Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat das Gericht nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein weiteres orthopädisches Gutachten bei Dr. L. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 14.02.2014 aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 17.01.2014 mitgeteilt, dass die Klägerin einen Rollator benötige. Die HWS-Linksrotation sei drittelgradig einschränkt, die Rechtsrotation hälftig eingeschränkt, es bestehe aber kein Hinweis auf ein cervikales radikuläres Reizsyndrom, es bestehe ein Verdacht auf Carpaltunnelsyndrom, ein hälftig eingeschränkter Schürzengriff und drittelgradig eingeschränkter Nackengriff beidseits, beidseits ungestörter Spitz- und Grobgriff, an der BWS eine drittelgradig eingeschränkte Seitneigungs- und Rotationsfähigkeit, der Finger-Boden-Abstand sei 15 cm, das Lasegue-Zeichen beidseits negativ, es bestehe keine Hyposensibilität, keine Fußheber- oder Senkerschwäche, die Beugefähigkeit der Hüftgelenke betrag links 90 Grad (IRO/ARO 10-0-35°), rechts 85 ° (IRO/ARO 0-5-30°); beide Kniegelenke seien frei beweglich; die Sprunggelenke unauffällig. Der Sachverständige stellte folgende Diagnosen:
- unteres Cervikalsyndrom bei Chrondrose C 5/6 - Impingementsyndrom beider Schultergelenke - BWS-Syndrom bei thorakaler Spondylose - Lumbalgie bei Hyperlordose lumbosacral und Pseudospondylolisthesis L 4/5 - Coxarthrose I.II. Grades beidseits - Varusgon- u. Femoropatellararthrose I. Grades rechtslateral - Knick-, Senk- und Spreizfuß mit Verkalkung am hinteren unteren Calcaneuspol beidseits.
Das Leistungsvermögen sei auf drei bis unter sechs Stunden eingeschränkt. Es bestehe keine Wegfähigkeit wegen der Arthrose der tragenden Gelenke, forciert durch die PNP. Die Differenz zu dem Vorgutachten von Dr. C. bestehe darin, dass der Gesundheitszustand sich offensichtlich seither weiter verschlechtert habe, primär bezüglich der Mobilität. Die Abweichung bestehe auch weil der Vorgutachter "die Konsequenzen doch zu optimistisch" einschätzt habe. Die Mobilität habe sich doch weiter verschlechtert.
Die Fachärztin für Chirurgie Z. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten hat hierzu am 20.03.2014 Stellung genommen. Dem Gutachten von Dr. L. könne nicht gefolgt werden. Dieser habe die Bewegungseinschränkung der HWS nicht auf Plausibilität geprüft. Er habe trotz der angegebenen schlechteren Beweglichkeit der Schultergelenke nicht mitgeteilt, wie das An- und Auskleiden oder die Toilettenhygiene erfolge. Er habe Schmerzen im Daumensattelgelenk links berichtet, eine Rhizarthrose, obwohl die Greiffunktion intakt sei. Weiter habe der Sachverständige das Gangbild nicht beschrieben und keine neurologischen Störungen festgestellt. Eingeschränkt sei nur die Beweglichkeit der Hüfte, die übrigen Gelenke der unteren Extremitäten seien frei beweglich. Damit beschreibe Dr. L. im Wesentlichen die Ausprägungen der funktionellen Einschränkungen wie Dr. C., mit geringer Zunahme bezüglich der Hüftgelenke. Schließlich gebe es keine Angaben von Dr. L. zur Mitarbeit bei der Begutachtung, keine Angaben zur Therapie, keine Angaben über Treppen gehen, keine Angaben zur Freizeitgestaltung.
Mit Urteil vom 30.04.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Sie könne Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Dies stehe zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des im Klageverfahren eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. D. vom 24.11.2011 und dem fachorthopädischen Gutachten von Dr. C. vom 07.02.2012 fest. Der abweichenden Ansicht von Dr. L. könne nicht gefolgt werden. Auch die rentenrechtliche Wegefähigkeit läge bei der Klägerin vor. Nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. C. sei die Wegefähigkeit nicht eingeschränkt. Die Klägerin könne auch während der Hauptverkehrszeiten öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Auch insoweit habe die gegenteilige Beurteilung des Sachverständigen Dr. L. nicht überzeugt. Das Urteil ist der Bevollmächtigten der Klägerin am 22.05.2014 mittel Empfangsbekenntnis zugestellt worden.
Am 17.06.2014 hat die anwaltlich vertretene Klägerin Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben und diese am 19.09.2014 begründet. Sie trägt vor, eine ausreichende Wegefähigkeit sei nicht mehr gegeben. Zudem sei im Hinblick auf die Vielzahl von qualitativen Leistungseinschränkungen von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auszugehen. Insoweit müsse das Zusammenwirken der depressiven Erkrankung und der Erkrankung auf orthopädischem Fachgebiet stärker berücksichtigt werden. Schließlich würde sich vorliegend auch die Frage nach der Anpassungsfähigkeit der Klägerin stellen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30.04.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2011 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sie macht außerdem darauf aufmerksam, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Rente nur erfüllt sind, wenn der Leistungsfall spätestens am 30.09.2014 eingetreten ist.
Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte mit Schreiben vom 01.12.2014 ein Duplikat des Feststellungsbescheids vom 27.11.2014 mit aktueller Rentenauskunft und Versicherungsverlauf vorgelegt. Danach sind Pflichtbeitragszeiten vom 22.01.2001 bis 18.09.2010 enthalten. Vom 19.09.2010 bis 06.12.2010 ist Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug gespeichert.
Mit Schreiben des Berichterstatters vom 08.12.2014 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen, da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 03.01.2015 eingeräumt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Gerichtsakte erster und zweiter Instanz sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.06.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, da sie nicht erwerbsgemindert ist.
Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne die Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden. Soweit die Klägerin um Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder um Zuwarten mit der Entscheidung gebeten hat, musste der Senat dem nicht nachkommen, weil die Klägerin keine Gründe für ihre Bitte genannt hat. Hierauf wurde die Klägerin auch mit Schreiben des Gerichts vom 08.01.2015 und 15.12.2014 hingewiesen.
Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Artikel 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554) haben Versicherte nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünftagewoche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich noch mindestens sechs Stunden erwerbstätig zu sein und ist deshalb nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI). Diese Überzeugung schöpft der Senat aus dem im Klageverfahren eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Facharztes Dr. D. vom 24.11.2011 und dem fachorthopädischen Gutachten des Dr. C. vom 07.02.2012.
Der Sachverständige Dr. D. hat folgende Gesundheitsstörungen beschrieben:
- Anhaltende depressive Reaktion, - Synkopen unklarer Ursache - Diabetische Polyneuropathie (PNP).
Eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens resultiert hieraus nicht. Der Senat folgt der Einschätzung des Sachverständigen, wonach die Gesundheitsstörungen lediglich qualitative Leistungseinschränkungen hervorrufen. So konnte der Gutachter eine ungestörte Auffassung und Konzentration bei der Klägerin feststellen. Die Klägerin hatte keine diffusen Ängste. Die Klägerin war psychomotorisch nicht bedeutsam eingeengt, das Elektroenzephalogramm (EEG) war unauffällig. Die Stimmung war zwar depressiv ausgelenkt und die affektive Schwingungsfähigkeit leicht eingeschränkt, die Appetenz jedoch intakt. Die Klägerin hat einen strukturierten Tagesablauf. Es liegt daher eine depressive Verstimmung, keine ängstliche Affekttönung und eine gewisse Somatisierungstendenz vor. Dementsprechend hat die Klägerin auch bis vor zwei Jahren trotz ihrer damals bereits bestehenden psychischen Beschwerden vollschichtig gearbeitet. Ausgeschlossen sind danach Tätigkeiten mit besonderer psychischer Beanspruchung (Akkord-, Schicht-, Nachtarbeit, Zeitdruck, stark erhöhte Eigenverantwortung); wegen der Synkopen und der PNP kann sie keine Tätigkeiten verrichten, bei denen sie sich oder andere gefährdet, keine Tätigkeiten, die Gang- und Standsicherheit erfordern. Bei Beachtung dieser Einschränkungen besteht noch ein Leistungsvermögen für sechs Stunden ohne besondere Arbeitsbedingungen.
Eine stärkere Einschränkung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der depressiven Reaktion ergibt sich auch nicht aus der Auskunft des Facharztes für Psychiatrie Dr. Gü. vom 26.09.2011 gegenüber dem SG. Dr. Gü. ist zwar vom Vorliegen einer schweren depressiven Episode ausgegangen, er hat aber darauf hingewiesen, dass die Klägerin sich bei ihm nur am 24.03.2010 und am 15.06.2010 in seiner Praxis vorgestellt hat. Bei seiner Untersuchung der Klägerin am 15.06.2010 fanden sich keine Hinweise auf eine psychotische Entwicklung oder eine hirnorganische Leistungsminderung. Ähnliche Befunde wurden während des Rehabilitationsverfahrens erhoben, welches in der Zeit vom 07.12. bis zum 28.12.2010 stattfand. Dort wurde eine rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradig, diagnostiziert. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zB Urteile vom 16.10.2012, L 11 R 5684/11; 14.12.2010, L 11 R 3243/09, 20.07.2010, L 11 R 5140/09 und vom 24.09.2009, L 11 R 742/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgleitet und daran gemessen. Dies hat der vom SG gehörte gerichtliche Sachverständige Dr. D. angemessen berücksichtigt. So hat er zB beachtet, dass die Klägerin ihre sozialen Kontakte zwar eingeschränkt hat, in ihrer Freizeit aber ihren Interessen und Neigungen nachgeht (Gutachten S 12).
Weitere qualitative Leistungseinschränkungen ergeben sich aufgrund der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet. Der Sachverständige Dr. C. hat folgende Diagnosen gestellt: - Funktionsbehinderung der HWS, BWS, LWS aufgrund degenerativer und fehlstatischer Veränderungen, regionale Muskelverspannungen, zur Zeit ohne segmentale sensomotorische Störungen an oberen und unteren Extremitäten. - Endgradige Funktionsbehinderung in beiden Schultergelenken ohne klinisch und röntgenologisch eindeutig erkennbare Ursache. - Endgradige Beugeeinschränkung im rechten Kniegelenk aufgrund kernspintomografisch nachgewiesener Knorpelschäden an der inneren Oberschenkelrolle. - Gewichtsproblematik.
Nachvollziehbar und schlüssig kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass schwere und mittelschwere Arbeiten (ausschließlich sitzend, überwiegend gehend oder stehend, mit häufigem Bücken, in wirbelsäulenbelastender Zwangshaltung, im Knien, Hocken, Überkopf und in Armvorhalte, mit Treppengehen, mit Absturzgefahr, mit und an laufenden Maschinen; Akkord-, Fließband- und Nachtarbeit; Exposition an Kälte, Nässe, und Zugluft) nicht zumutbar sind. Leichte körperliche Arbeiten, überwiegend im Sitzen, kurzfristig auch im Stehen oder Gehen, mit Heben und Tragen von Lasten bis 5 kg, mit gelegentlichem Bücken, an Büromaschinen, in Früh-, Tag- und Spätschicht, in temperierten Räumen sind der Klägerin jedoch über sechs Stunden möglich.
Der abweichenden Ansicht des auf Antrag der Klägerin beauftragten Orthopäden Dr. L. kann nicht gefolgt werden. Zutreffend hat die Fachärztin für Chirurgie Dr. Z. in ihrer Stellungnahme vom 20.03.2014 auf die mangelnde Schlüssigkeit des Gutachtens hingewiesen. So weichen die Befunde von Dr. L. nicht erheblich von den von Dr. C. erhobenen Befunden ab. Zum anderen hat Dr. L. die von der Klägerin angebotenen Bewegungsmaße nicht hinterfragt, sondern unkritisch übernommen. Angesichts der von Dr. C. berichteten erheblichen Verdeutlichungstendenzen mit zunächst erfolgtem Gegenspann bei allen Bewegungsprüfungen hätte Dr. L. bei seinen abweichenden Befunden zur Frage der Verdeutlichung bzw zur Mitarbeit der Klägerin Stellung nehmen müssen. Schließlich fehlen bei Dr. L. auch jegliche Angaben zum Gangbild und Alltagsgestaltung der Klägerin.
Auch bei einer Gesamtschau der Leiden liegt zur Überzeugung des Senats keine quantitative Leistungsminderung vor. Vielmehr geht der Senat in Übereinstimmung mit Dr. D. und Dr. Clement davon aus, dass durch die Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen den Leiden der Klägerin ausreichend Rechnung getragen wird. Dementsprechend kommen auch die Gutachter im Verwaltungsverfahren, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat, bei einer Gesamtbetrachtung zu einem vollschichtigen Leistungsvermögen.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht. Den qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, ausreichend berücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.296, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005 B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Es war im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit der Klägerin noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).
Insbesondere konnte der Senat sich nicht von einer Einschränkungen der Wegefähigkeit überzeugen. Neben der zeitlich ausreichenden Einsatzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG Großer Senat vom 19.12.2096 - GS 2/95 - juris). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie in § 1247 RVO und § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (aF) umschrieben hat. Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung unverändert fort (vgl BSG 28.08.2012, B 5 RJ 12/02, juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht viermal am Tag Wegstrecken von über 500 m bei zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß zu bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, juris).
Nach den Gutachten von Dr. D. und Dr. C. ist die Wegefähigkeit nicht eingeschränkt. Es bestehen keine Gesundheitsstörungen, die zu einer sozialmedizinisch relevanten Beschränkung der Wegstrecke führen. Die Klägerin kann auch während der Hauptverkehrszeiten öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Soweit Dr. L. die gegenteilige Auffassung vertritt, ist auch diese sozialmedizinisch nicht nachvollziehbar. Soweit er diese auf die Arthrosen und die PNP stützt, ist eine Einschränkung der Wegefähigkeit nach dem Ausmaß der Befunde angesichts der auch von ihm frei beweglich befundenen unteren Extremitäten nicht nachvollziehbar. Im Übrigen fehlt es auch insoweit im Gutachten des Dr. L. an Angaben hinsichtlich der von Dr. C. geschilderten Verdeutlichungstendenzen, was angesichts der abweichenden Beurteilung erforderlich wäre.
Soweit die Klägerin eine fehlende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit geltend macht, brauchte dem der Senat nicht nachzugehen. Die Prüfung der Umstellungsfähigkeit ist nach Auffassung des Senats nur vorzunehmen, wenn dem Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss, die er nach seinen Fähigkeiten noch zu leisten vermag. In diesem Zusammenhang hat das BSG entschieden, dass eine Verweisungstätigkeit desto höhere Anforderungen an die Umstellungsfähigkeit stelle, je weiter sich die in Aussicht genommene Verweisungstätigkeit von dem bisherigen Beruf entfernt. Zwar sei die Verweisung auf berufsfremde Tätigkeiten zulässig, ein Versicherter dürfe jedoch nicht nur gesundheitlich, sondern auch in Bezug auf sein Wissen- und Können nicht überfordert werden (BSG 23.08.2001, B 13 RJ 13/01 R, veröffentlicht in juris mwN). Eine konkrete Verweisungstätigkeit muss der Klägerin aber nicht benannt werden. Im Übrigen ist auch in medizinischer Hinsicht nicht erkennbar, dass die vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch die Umstellungsfähigkeit der Klägerin betreffen, der ohnehin nur leichte körperliche Tätigkeiten ohne besondere geistige und berufliche Anforderungen zugemutet werden.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich selbst nach der Leistungseinschätzung des Sachverständigen Dr. L. kein Anspruch auf die begehrte Erwerbsminderungsrente ergibt. Denn wenn man in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Gutachters von einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin ausginge, wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Begutachtung bei Dr. L. nicht erfüllt. Pflichtbeitragszeiten liegen im Zeitraum 22.01.2001 bis 18.09.2010 vor. Vom 19.09.2010 bis 06.12.2010 ist Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug gegeben. Ausgehend von einem Leistungsfall am 17.01.2014 hätte die Klägerin in der Rahmenfrist, vom 17.01.2009 bis 16.01.2014 keine 36 Monate Pflichtbeitragszeiten im Sinne von § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Klägerin im Zeitraum Oktober bis Dezember 2010 die Voraussetzungen des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI erfüllen würde, ergebe sich nichts anderes, da auch bei einer Verlängerung der Rahmenfrist um diesen Zeitraum gem § 43 Abs 4 Nr 1 SGB VI keine 36 Monate Pflichtbeitragszeiten gegeben wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung.
Die 1952 geborene Klägerin ist in der Türkei geboren und aufgewachsen und hat dort fünf Jahre die Schule besucht. Eine Berufsausbildung hat sie nicht absolviert, sondern anschließend als Näherin gearbeitet. 1968 heiratete sie, reiste 1975 in die Bundesrepublik Deutschland ein und arbeitete versicherungspflichtig von 1977 bis 1980 als Küchenhilfe, von 1890 bis 1985 als Arbeiterin in einer Weberei und von 2000 bis 2008 in einem metallverarbeitenden Betrieb. Seit Dezember 2008 ist sie arbeitslos. Bis August 2010 bezog sie Krankengeld bzw Arbeitslosengeld. Sie hat drei Kinder, seit dem Tod ihrer Tochter im Jahr 2001 zieht sie ihre Enkelin groß.
Auf den Antrag der Klägerin vom 01.10.2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Rehabilitationsmaßnahme. Im Zeitraum vom 07.12.2010 bis 28.12.2010 führte die Klägerin diese in der Klinik am S. M. durch. Im Rehaentlassungsbericht vom 26.01.2011 werden folgende Diagnosen mitgeteilt:
1. rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradig, 2. Somatisierungsstörung 3. Panikstörung, 4. Diabetes mellitus Typ II 5. arterielle Hypertonie.
Es wurde ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bescheinigt und ein Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden als Fabrikarbeiterin.
Hinsichtlich des Antrags der Klägerin vom 06.10.2010 auf Rente wegen Erwerbsminderung veranlasste die Beklagte daraufhin im Rentenverfahren die internistische und sozialmedizinische Begutachtung bei Dr. M., die nervenfachärztliche Zusatzbegutachtung bei Dr. B. sowie die orthopädisch/chirurgische Zusatzbegutachtung bei Dr. L. Die Gutachter stellten hierbei folgende Diagnosen:
- Metabolisches Syndrom mit massivem Übergewicht (105 kg bei 148 cm), Bluthochdruckerkrankung, Blutzuckererkrankung und Fettstoffwechselstörung. - Leicht verminderte Belastbarkeit des rechten Kniegelenkes bei leichtem Reizzustand und kernspintomografisch beschriebenen beginnenden Knorpelveränderungen ohne wesentliche Funktionseinbußen. - Gering verminderte Belastbarkeit der Rumpf-Wirbelsäule (WS) bei übergewichtsbedingter Fehlhaltung und muskulärer Insuffizienz mit nur geringen Funktionseinbußen ohne Nervenwurzelreizzeichen. - Schmerzen im Bereich beider Schultergelenke bei beginnenden degenerativen Veränderungen ohne wesentliche Funktionseinschränkungen - Funktionelle Schlafstörungen sowie Neigung zu depressiven Verstimmungen i.S. einer Anpassungsstörung bei Belastung im biographisch/psychosozialen Hintergrund bei vorbestehend etwas unreifen, dependenten Persönlichkeitszügen.
Die Gutachter gelangten zu dem Ergebnis, dass der Klägerin trotz der Gesundheitsstörungen leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ständig im Stehen, Gehen und Sitzen, in Tages-, Früh-, Spätschicht, ohne besonderen Zeitdruck, ohne längere WS-Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Knien/Hocken/Klettern/Steigen/Überkopfarbeiten, nicht auf unebenem Boden, nicht an gefährlichen Maschinen, sechs Stunden und mehr zumutbar seien.
Mit Bescheid vom 28.03.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die Klägerin legte hiergegen am 28.04.2011 Widerspruch ein. Dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2011 zurückgewiesen.
Mit ihrer am 24.06.2011 an das Sozialgericht Karlsruhe (SG) gerichteten Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie habe jahrelang vollschichtig gearbeitet und sei nunmehr aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, die bisher verrichteten Tätigkeiten auszuüben.
Das Gericht hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Dr. K., Gastroenterologe, hat in seiner Auskunft vom 12.09.2011 angegeben, er habe bei der Klägerin eine Koloskopie durchgeführt, Einschränkungen des Leistungsvermögens seien ihm nicht bekannt. Facharzt für Orthopädie Me. hat in seiner Auskunft vom 14.09.2011 verschiedene orthopädische Befunde aufgeführt, aber keine Leistungsbeurteilung abgeben wollen. Ein Befundbericht des St. V.-Krankenhauses, Kardiologie, vom 12.03.2009 hat eine insignifikante Koronarsklerose, gute Linksventrikel-Funktion, LV-Hypertrophie, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie und Adipositas ergeben. Laut Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 30.11.2009 bestehe bei der Klägerin seit sieben Jahren eine große Depression wegen des Todes der Tochter; Unruhe und Schlafstörungen. Facharzt für Psychiatrie Dr. Gü. hat am 26.09.2011 angegeben, die Klägerin 2010 zweimal untersucht und eine schwere depressive Episode befundet zu haben.
Das Gericht hat weiter eine nervenärztliche Begutachtung der Klägerin durch den Neurologen und Psychiater Dr. D. veranlasst. Dieser hat aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 24.11.2011 berichtet, Auffassung und Konzentration seien bei der Klägerin ungestört. Sie habe keine diffusen Ängste. Die Stimmung sei depressiv ausgelenkt, die affektive Schwingungsfähigkeit leicht eingeschränkt, die Appetenz intakt. Die Klägerin sei psychomotorisch nicht bedeutsam eingeengt, das Elektroenzephalogramm unauffällig. Sie habe einen strukturierten Tagesablauf. Der Sachverständige hat daraufhin folgende Diagnosen gestellt:
- Anhaltende depressive Reaktion - Synkopen unklarer Ursache - Diabetische Polyneuropathie
Bis vor zwei Jahren habe die Klägerin vollschichtig gearbeitet, obwohl die psychischen Beschwerden damals bereits bestanden hätten. Es bestünden qualitative Einschränkungen im Leistungsbild. Bei Beachtung dieser Einschränkungen bestehe ein Leistungsvermögen von über sechs Stunden ohne besondere Arbeitsbedingungen. Die Wegefähigkeit sei nervenärztlich nicht eingeschränkt.
Das Gericht hat darüber hinaus die orthopädische Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt Dr. C. veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 07.02.2012 auf Grund der ambulanten Untersuchung der Klägerin mitgeteilt, dass das An- und Auskleiden normal erfolgt sei. Die Klägerin habe beim Sitzen kaum Haltungswechsel vorgenommen. Mit Rollator sei das Gangbild erhalten gewesen, mit Gehhilfe und Konfektionsschuhen bestehe ein kleinschrittiger, aber weitgehend hinkfreier Gang. Die Füße würden normal abgerollt. Die Wegfähigkeit sei nicht relevant eingeschränkt, denn es bestünden keine Funktionseinschränkungen an den unteren Extremitäten, die sich auf das Gehvermögen auswirkten. Die Klägerin könne mit zwei Gehstützen eine Arbeitsstelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufsuchen, wie sie es vor ihrer Arbeitslosigkeit nach eigenen Angaben getan habe. Die Klägerin zeige bei der Untersuchung Verdeutlichungstendenzen, wie bereits im Gutachten von Dr. D. und im Reha-Bericht als Somatisierungsstörung angegeben. Es bestünden an den unteren Extremitäten keine Umfangsdifferenzen, die auf eine Minderbelastbarkeit des rechten Beines schließen ließen. Der Sachverständige stellte insoweit folgende Diagnosen:
- Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule aufgrund degenerativer und fehlstatischer Veränderungen, regionale Muskelverspannungen, z.Zt. ohne segmentale sensomotorische Störungen an oberen oder unteren Extremitäten. - Endgradige Funktionsbehinderung in beiden Schultergelenken ohne klinisch und röntgenologisch eindeutig erkennbare Ursache. - Endgradige Beugeeinschränkung im rechten Kniegelenk aufgrund kernspintomographisch nachgewiesener Knorpelschäden an der inneren Oberschenkelrolle - Gewichtsproblematik
Es bestehe ein Leistungsvermögen von über sechs Stunden für leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen, kurzfristig auch im Stehen oder Gehen, mit Heben und Tragen von Lasten bis fünf Kilogramm, mit gelegentlichem Bücken, an Büromaschinen, in Früh-, Tag- und Spätschicht, in temperierten Räumen. Es bestünden keine derart gravierenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet, dass die Klägerin nicht mit Gehilfen viermal täglich 500 Meter in maximal 20 Minuten zurücklegen könne; sie könne auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen.
Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat das Gericht nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein weiteres orthopädisches Gutachten bei Dr. L. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 14.02.2014 aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 17.01.2014 mitgeteilt, dass die Klägerin einen Rollator benötige. Die HWS-Linksrotation sei drittelgradig einschränkt, die Rechtsrotation hälftig eingeschränkt, es bestehe aber kein Hinweis auf ein cervikales radikuläres Reizsyndrom, es bestehe ein Verdacht auf Carpaltunnelsyndrom, ein hälftig eingeschränkter Schürzengriff und drittelgradig eingeschränkter Nackengriff beidseits, beidseits ungestörter Spitz- und Grobgriff, an der BWS eine drittelgradig eingeschränkte Seitneigungs- und Rotationsfähigkeit, der Finger-Boden-Abstand sei 15 cm, das Lasegue-Zeichen beidseits negativ, es bestehe keine Hyposensibilität, keine Fußheber- oder Senkerschwäche, die Beugefähigkeit der Hüftgelenke betrag links 90 Grad (IRO/ARO 10-0-35°), rechts 85 ° (IRO/ARO 0-5-30°); beide Kniegelenke seien frei beweglich; die Sprunggelenke unauffällig. Der Sachverständige stellte folgende Diagnosen:
- unteres Cervikalsyndrom bei Chrondrose C 5/6 - Impingementsyndrom beider Schultergelenke - BWS-Syndrom bei thorakaler Spondylose - Lumbalgie bei Hyperlordose lumbosacral und Pseudospondylolisthesis L 4/5 - Coxarthrose I.II. Grades beidseits - Varusgon- u. Femoropatellararthrose I. Grades rechtslateral - Knick-, Senk- und Spreizfuß mit Verkalkung am hinteren unteren Calcaneuspol beidseits.
Das Leistungsvermögen sei auf drei bis unter sechs Stunden eingeschränkt. Es bestehe keine Wegfähigkeit wegen der Arthrose der tragenden Gelenke, forciert durch die PNP. Die Differenz zu dem Vorgutachten von Dr. C. bestehe darin, dass der Gesundheitszustand sich offensichtlich seither weiter verschlechtert habe, primär bezüglich der Mobilität. Die Abweichung bestehe auch weil der Vorgutachter "die Konsequenzen doch zu optimistisch" einschätzt habe. Die Mobilität habe sich doch weiter verschlechtert.
Die Fachärztin für Chirurgie Z. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten hat hierzu am 20.03.2014 Stellung genommen. Dem Gutachten von Dr. L. könne nicht gefolgt werden. Dieser habe die Bewegungseinschränkung der HWS nicht auf Plausibilität geprüft. Er habe trotz der angegebenen schlechteren Beweglichkeit der Schultergelenke nicht mitgeteilt, wie das An- und Auskleiden oder die Toilettenhygiene erfolge. Er habe Schmerzen im Daumensattelgelenk links berichtet, eine Rhizarthrose, obwohl die Greiffunktion intakt sei. Weiter habe der Sachverständige das Gangbild nicht beschrieben und keine neurologischen Störungen festgestellt. Eingeschränkt sei nur die Beweglichkeit der Hüfte, die übrigen Gelenke der unteren Extremitäten seien frei beweglich. Damit beschreibe Dr. L. im Wesentlichen die Ausprägungen der funktionellen Einschränkungen wie Dr. C., mit geringer Zunahme bezüglich der Hüftgelenke. Schließlich gebe es keine Angaben von Dr. L. zur Mitarbeit bei der Begutachtung, keine Angaben zur Therapie, keine Angaben über Treppen gehen, keine Angaben zur Freizeitgestaltung.
Mit Urteil vom 30.04.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Sie könne Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Dies stehe zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des im Klageverfahren eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. D. vom 24.11.2011 und dem fachorthopädischen Gutachten von Dr. C. vom 07.02.2012 fest. Der abweichenden Ansicht von Dr. L. könne nicht gefolgt werden. Auch die rentenrechtliche Wegefähigkeit läge bei der Klägerin vor. Nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. C. sei die Wegefähigkeit nicht eingeschränkt. Die Klägerin könne auch während der Hauptverkehrszeiten öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Auch insoweit habe die gegenteilige Beurteilung des Sachverständigen Dr. L. nicht überzeugt. Das Urteil ist der Bevollmächtigten der Klägerin am 22.05.2014 mittel Empfangsbekenntnis zugestellt worden.
Am 17.06.2014 hat die anwaltlich vertretene Klägerin Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben und diese am 19.09.2014 begründet. Sie trägt vor, eine ausreichende Wegefähigkeit sei nicht mehr gegeben. Zudem sei im Hinblick auf die Vielzahl von qualitativen Leistungseinschränkungen von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auszugehen. Insoweit müsse das Zusammenwirken der depressiven Erkrankung und der Erkrankung auf orthopädischem Fachgebiet stärker berücksichtigt werden. Schließlich würde sich vorliegend auch die Frage nach der Anpassungsfähigkeit der Klägerin stellen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30.04.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2011 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sie macht außerdem darauf aufmerksam, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Rente nur erfüllt sind, wenn der Leistungsfall spätestens am 30.09.2014 eingetreten ist.
Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte mit Schreiben vom 01.12.2014 ein Duplikat des Feststellungsbescheids vom 27.11.2014 mit aktueller Rentenauskunft und Versicherungsverlauf vorgelegt. Danach sind Pflichtbeitragszeiten vom 22.01.2001 bis 18.09.2010 enthalten. Vom 19.09.2010 bis 06.12.2010 ist Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug gespeichert.
Mit Schreiben des Berichterstatters vom 08.12.2014 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen, da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 03.01.2015 eingeräumt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Gerichtsakte erster und zweiter Instanz sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.06.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, da sie nicht erwerbsgemindert ist.
Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne die Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden. Soweit die Klägerin um Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder um Zuwarten mit der Entscheidung gebeten hat, musste der Senat dem nicht nachkommen, weil die Klägerin keine Gründe für ihre Bitte genannt hat. Hierauf wurde die Klägerin auch mit Schreiben des Gerichts vom 08.01.2015 und 15.12.2014 hingewiesen.
Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Artikel 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554) haben Versicherte nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünftagewoche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich noch mindestens sechs Stunden erwerbstätig zu sein und ist deshalb nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI). Diese Überzeugung schöpft der Senat aus dem im Klageverfahren eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Facharztes Dr. D. vom 24.11.2011 und dem fachorthopädischen Gutachten des Dr. C. vom 07.02.2012.
Der Sachverständige Dr. D. hat folgende Gesundheitsstörungen beschrieben:
- Anhaltende depressive Reaktion, - Synkopen unklarer Ursache - Diabetische Polyneuropathie (PNP).
Eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens resultiert hieraus nicht. Der Senat folgt der Einschätzung des Sachverständigen, wonach die Gesundheitsstörungen lediglich qualitative Leistungseinschränkungen hervorrufen. So konnte der Gutachter eine ungestörte Auffassung und Konzentration bei der Klägerin feststellen. Die Klägerin hatte keine diffusen Ängste. Die Klägerin war psychomotorisch nicht bedeutsam eingeengt, das Elektroenzephalogramm (EEG) war unauffällig. Die Stimmung war zwar depressiv ausgelenkt und die affektive Schwingungsfähigkeit leicht eingeschränkt, die Appetenz jedoch intakt. Die Klägerin hat einen strukturierten Tagesablauf. Es liegt daher eine depressive Verstimmung, keine ängstliche Affekttönung und eine gewisse Somatisierungstendenz vor. Dementsprechend hat die Klägerin auch bis vor zwei Jahren trotz ihrer damals bereits bestehenden psychischen Beschwerden vollschichtig gearbeitet. Ausgeschlossen sind danach Tätigkeiten mit besonderer psychischer Beanspruchung (Akkord-, Schicht-, Nachtarbeit, Zeitdruck, stark erhöhte Eigenverantwortung); wegen der Synkopen und der PNP kann sie keine Tätigkeiten verrichten, bei denen sie sich oder andere gefährdet, keine Tätigkeiten, die Gang- und Standsicherheit erfordern. Bei Beachtung dieser Einschränkungen besteht noch ein Leistungsvermögen für sechs Stunden ohne besondere Arbeitsbedingungen.
Eine stärkere Einschränkung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der depressiven Reaktion ergibt sich auch nicht aus der Auskunft des Facharztes für Psychiatrie Dr. Gü. vom 26.09.2011 gegenüber dem SG. Dr. Gü. ist zwar vom Vorliegen einer schweren depressiven Episode ausgegangen, er hat aber darauf hingewiesen, dass die Klägerin sich bei ihm nur am 24.03.2010 und am 15.06.2010 in seiner Praxis vorgestellt hat. Bei seiner Untersuchung der Klägerin am 15.06.2010 fanden sich keine Hinweise auf eine psychotische Entwicklung oder eine hirnorganische Leistungsminderung. Ähnliche Befunde wurden während des Rehabilitationsverfahrens erhoben, welches in der Zeit vom 07.12. bis zum 28.12.2010 stattfand. Dort wurde eine rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradig, diagnostiziert. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zB Urteile vom 16.10.2012, L 11 R 5684/11; 14.12.2010, L 11 R 3243/09, 20.07.2010, L 11 R 5140/09 und vom 24.09.2009, L 11 R 742/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgleitet und daran gemessen. Dies hat der vom SG gehörte gerichtliche Sachverständige Dr. D. angemessen berücksichtigt. So hat er zB beachtet, dass die Klägerin ihre sozialen Kontakte zwar eingeschränkt hat, in ihrer Freizeit aber ihren Interessen und Neigungen nachgeht (Gutachten S 12).
Weitere qualitative Leistungseinschränkungen ergeben sich aufgrund der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet. Der Sachverständige Dr. C. hat folgende Diagnosen gestellt: - Funktionsbehinderung der HWS, BWS, LWS aufgrund degenerativer und fehlstatischer Veränderungen, regionale Muskelverspannungen, zur Zeit ohne segmentale sensomotorische Störungen an oberen und unteren Extremitäten. - Endgradige Funktionsbehinderung in beiden Schultergelenken ohne klinisch und röntgenologisch eindeutig erkennbare Ursache. - Endgradige Beugeeinschränkung im rechten Kniegelenk aufgrund kernspintomografisch nachgewiesener Knorpelschäden an der inneren Oberschenkelrolle. - Gewichtsproblematik.
Nachvollziehbar und schlüssig kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass schwere und mittelschwere Arbeiten (ausschließlich sitzend, überwiegend gehend oder stehend, mit häufigem Bücken, in wirbelsäulenbelastender Zwangshaltung, im Knien, Hocken, Überkopf und in Armvorhalte, mit Treppengehen, mit Absturzgefahr, mit und an laufenden Maschinen; Akkord-, Fließband- und Nachtarbeit; Exposition an Kälte, Nässe, und Zugluft) nicht zumutbar sind. Leichte körperliche Arbeiten, überwiegend im Sitzen, kurzfristig auch im Stehen oder Gehen, mit Heben und Tragen von Lasten bis 5 kg, mit gelegentlichem Bücken, an Büromaschinen, in Früh-, Tag- und Spätschicht, in temperierten Räumen sind der Klägerin jedoch über sechs Stunden möglich.
Der abweichenden Ansicht des auf Antrag der Klägerin beauftragten Orthopäden Dr. L. kann nicht gefolgt werden. Zutreffend hat die Fachärztin für Chirurgie Dr. Z. in ihrer Stellungnahme vom 20.03.2014 auf die mangelnde Schlüssigkeit des Gutachtens hingewiesen. So weichen die Befunde von Dr. L. nicht erheblich von den von Dr. C. erhobenen Befunden ab. Zum anderen hat Dr. L. die von der Klägerin angebotenen Bewegungsmaße nicht hinterfragt, sondern unkritisch übernommen. Angesichts der von Dr. C. berichteten erheblichen Verdeutlichungstendenzen mit zunächst erfolgtem Gegenspann bei allen Bewegungsprüfungen hätte Dr. L. bei seinen abweichenden Befunden zur Frage der Verdeutlichung bzw zur Mitarbeit der Klägerin Stellung nehmen müssen. Schließlich fehlen bei Dr. L. auch jegliche Angaben zum Gangbild und Alltagsgestaltung der Klägerin.
Auch bei einer Gesamtschau der Leiden liegt zur Überzeugung des Senats keine quantitative Leistungsminderung vor. Vielmehr geht der Senat in Übereinstimmung mit Dr. D. und Dr. Clement davon aus, dass durch die Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen den Leiden der Klägerin ausreichend Rechnung getragen wird. Dementsprechend kommen auch die Gutachter im Verwaltungsverfahren, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat, bei einer Gesamtbetrachtung zu einem vollschichtigen Leistungsvermögen.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht. Den qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, ausreichend berücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.296, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005 B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Es war im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit der Klägerin noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).
Insbesondere konnte der Senat sich nicht von einer Einschränkungen der Wegefähigkeit überzeugen. Neben der zeitlich ausreichenden Einsatzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG Großer Senat vom 19.12.2096 - GS 2/95 - juris). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie in § 1247 RVO und § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (aF) umschrieben hat. Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung unverändert fort (vgl BSG 28.08.2012, B 5 RJ 12/02, juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht viermal am Tag Wegstrecken von über 500 m bei zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß zu bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, juris).
Nach den Gutachten von Dr. D. und Dr. C. ist die Wegefähigkeit nicht eingeschränkt. Es bestehen keine Gesundheitsstörungen, die zu einer sozialmedizinisch relevanten Beschränkung der Wegstrecke führen. Die Klägerin kann auch während der Hauptverkehrszeiten öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Soweit Dr. L. die gegenteilige Auffassung vertritt, ist auch diese sozialmedizinisch nicht nachvollziehbar. Soweit er diese auf die Arthrosen und die PNP stützt, ist eine Einschränkung der Wegefähigkeit nach dem Ausmaß der Befunde angesichts der auch von ihm frei beweglich befundenen unteren Extremitäten nicht nachvollziehbar. Im Übrigen fehlt es auch insoweit im Gutachten des Dr. L. an Angaben hinsichtlich der von Dr. C. geschilderten Verdeutlichungstendenzen, was angesichts der abweichenden Beurteilung erforderlich wäre.
Soweit die Klägerin eine fehlende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit geltend macht, brauchte dem der Senat nicht nachzugehen. Die Prüfung der Umstellungsfähigkeit ist nach Auffassung des Senats nur vorzunehmen, wenn dem Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss, die er nach seinen Fähigkeiten noch zu leisten vermag. In diesem Zusammenhang hat das BSG entschieden, dass eine Verweisungstätigkeit desto höhere Anforderungen an die Umstellungsfähigkeit stelle, je weiter sich die in Aussicht genommene Verweisungstätigkeit von dem bisherigen Beruf entfernt. Zwar sei die Verweisung auf berufsfremde Tätigkeiten zulässig, ein Versicherter dürfe jedoch nicht nur gesundheitlich, sondern auch in Bezug auf sein Wissen- und Können nicht überfordert werden (BSG 23.08.2001, B 13 RJ 13/01 R, veröffentlicht in juris mwN). Eine konkrete Verweisungstätigkeit muss der Klägerin aber nicht benannt werden. Im Übrigen ist auch in medizinischer Hinsicht nicht erkennbar, dass die vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch die Umstellungsfähigkeit der Klägerin betreffen, der ohnehin nur leichte körperliche Tätigkeiten ohne besondere geistige und berufliche Anforderungen zugemutet werden.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich selbst nach der Leistungseinschätzung des Sachverständigen Dr. L. kein Anspruch auf die begehrte Erwerbsminderungsrente ergibt. Denn wenn man in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Gutachters von einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin ausginge, wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Begutachtung bei Dr. L. nicht erfüllt. Pflichtbeitragszeiten liegen im Zeitraum 22.01.2001 bis 18.09.2010 vor. Vom 19.09.2010 bis 06.12.2010 ist Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug gegeben. Ausgehend von einem Leistungsfall am 17.01.2014 hätte die Klägerin in der Rahmenfrist, vom 17.01.2009 bis 16.01.2014 keine 36 Monate Pflichtbeitragszeiten im Sinne von § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Klägerin im Zeitraum Oktober bis Dezember 2010 die Voraussetzungen des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI erfüllen würde, ergebe sich nichts anderes, da auch bei einer Verlängerung der Rahmenfrist um diesen Zeitraum gem § 43 Abs 4 Nr 1 SGB VI keine 36 Monate Pflichtbeitragszeiten gegeben wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
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