Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 136/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2217/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 11.04.2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Gewährung einer ambulanten Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems im Bereich der Arme sowie auf Kostenerstattung für zwei bereits durchgeführte ambulante Liposuktionen im Bereich der Beine geltend.
Die 1979 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet an einem Lipödem. Am 02.07.2012 beantragte Dr. C., D., für die Klägerin die Übernahme der Kosten für drei geplante Operationen zur Liposuktion in Höhe von ca 14.000 EUR zuzüglich Anästhesiekosten. Die Klägerin leide seit Jahren an einem symmetrisch an Armen und Beinen ausgeprägten Lipödem. Die Verformungen seien alimentär nicht zu beeinflussen. Hierzu führte die Klägerin aus, sie sei keinen Tag und keine Nacht schmerzfrei. Die Erkrankung schränke ihre Mobilität ein und behindere sie an der Teilhabe an der Gesellschaft. Die bisher durchgeführte Lymphdrainage habe nicht den erhofften Erfolg gebracht, die Schmerzen seien geblieben. Ein Fortschreiten der Erkrankung sei hierdurch nicht zu verhindern, weshalb ihr nur eine Liposuktion verbleibe. Sie sei zu keinem Zeitpunkt übergewichtig gewesen.
Am 26.07.2012 führte Dr. C. die erste (Beine außen), am 19.09.2012 die zweite Liposuktion (Beine innen) ambulant durch. Hierfür stellte er der Klägerin insgesamt 10.576,11 EUR in Rechnung (Rechnungen vom 01.08.2012 über 905,91 EUR, vom 27.07.2012 über 4.921,36 EUR, vom 19.09.2012 über 848,14 EUR und vom 20.09.2012 über 3.900,70 EUR).
Die Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Begutachtung nach Aktenlage beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Im Gutachten vom 16.08.2012 wies Dr. H. darauf hin, dass es sich bei der beantragten Liposuktion um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handle. Eine positive Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) liege nicht vor. Eine lebensbedrohliche, notstandsähnliche Situation sei nicht gegeben. Ein entstellendes Äußeres liege nach der vorgelegten Fotodokumentation nicht vor. An Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung seien zu nennen: Tragen von Kompressionsstrümpfen, Lymphdrainage, ggf stationäre Rehabilitation. Mit Bescheid vom 22.08.2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Voraussetzungen für die Kostenübernahme einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht vorlägen.
Mit Widerspruch vom 31.08.2012 wies die Klägerin darauf hin, dass es bereits Sozialgerichtsurteile gebe, wonach Liposuktion zugesprochen worden sei. Der Verweis auf konventionelle Behandlungsmethoden greife nicht, denn diese seien nicht erfolgversprechend und könnten die Gefährdung ihrer Erwerbsfähigkeit nicht beseitigen. Die Beklagte ließ erneut ein Gutachten des MDK erstellen, in dem Dr. W. ausführte, aufgrund der vorliegenden Unterlagen einschließlich Fotodokumentation sei die Diagnose eines Lipödems nicht mit Sicherheit nachzuvollziehen. Eine lebensbedrohliche oder notstandsähnliche Situation liege nicht vor. Ein Wirksamkeitsnachweis anhand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken liege bisher für die beantragte Methode nicht vor. Medizinischer Nutzen und Wirtschaftlichkeit gegenüber anderen Verfahren sei bisher nicht belegt. Eine Kostenübernahme können nicht empfohlen werden. Gestützt auf dieses Gutachten vom 09.10.2012 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2012 den Widerspruch zurück.
Gegen den ihr am 12.12.2012 zugegangenen Widerspruchsbescheid richtet sich die am 14.01.2013 (Montag) zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage. Es bestehe eine schwerwiegende Erkrankung. Da die konservative Therapie des Lipödems durch eine Entstauungstherapie die Erkrankung weder heilen noch eine Verschlimmerung verhüten könne, sei der Anspruch auf Liposuktion gegeben. Wirksame Behandlungsalternativen stünden nicht zur Verfügung. Es liege eine Leistungsverpflichtung aufgrund eines Systemmangels vor. Die Durchführung des Verfahrens zur Beurteilung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode sei verzögert worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 11.04.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung ambulanter Liposuktion bzw auf Erstattung der Kosten der bereits durchgeführten Behandlung. Die Klägerin leide an einem schmerzhaften Lipödem und damit einer behandlungsbedürftigen Erkrankung. Es bestehe jedoch kein Anspruch auf Behandlung mittels einer ambulanten Liposuktion. Ein solcher Anspruch komme grundsätzlich nicht in Betracht, solange der GBA die neue Methode der Liposuktion nicht positiv empfohlen habe. Eine abweichende Beurteilung im Einzelfall ergebe sich nicht. Ein entstellendes Äußeres sei nicht erkennbar. Die durch das Lipödem bedingten Schmerzen könnten durch eine konservative Behandlung beeinflusst werden. Ein Systemmangel liege nicht vor, auch kein Ausnahmefall des § 2 Abs 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), wonach bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder wertungsmäßig vergleichbaren Krankheiten unter weiteren Voraussetzungen abweichende Leistungen beansprucht werden könnten. Lediglich für schwere, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen, könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwas anderes gelten. Ein solcher Fall liege aber hier nicht vor.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigen am 17.04.2014 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 19.05.2014 (Montag) Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Das SG gehe zunächst zutreffend von einer behandlungsbedürftigen Krankheit aus, schließe sich jedoch ohne nähere Begründung der Auffassung des MDK an. Dabei übersehe es, dass der MDK bereits nicht von einer Krankheit ausgehe, so dass auch die weiteren Argumente des MDK nicht herangezogen werden könnten. Der GBA habe nunmehr mit Beschluss vom 22.05.2014 ein Beratungsverfahren eingeleitet, was den von ihr vorgetragenen Systemmangel indiziere und sie in ihrer Rechtsauffassung bestätige. Ergänzend hat die Klägerin die Rechnungen über die durchgeführten Liposuktionen vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 11.04.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 22.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.12.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Behandlung durch Liposuktion als Sachleistung zu gewähren bzw die Kosten für die durchgeführten Liposuktionen in Höhe von 10.861,82 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und die Ausführungen des SG Bezug.
Auf Antrag der Patientenvertretung nach § 140f SGB V vom 20.03.2014 auf Bewertung der Liposuktion gemäß § 135 Abs 1 und § 137c SGB V hat der GBA das diesbezügliche Beratungsverfahren eingeleitet (Beschluss des GBA vom 22.05.2014), welches noch nicht abgeschlossen ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.12.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Erstattung der Kosten wegen der durchgeführten Liposuktionen, noch auf Gewährung von ambulanter Liposuktion im Bereich der Arme als Sachleistung.
Als Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsantrag kommt allein § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V (idF vom 26.03.2007, BGBl I 378) in Betracht, da die Klägerin keine Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V gewählt hatte. Danach sind die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt 2) und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V gibt demnach einen Kostenerstattungsanspruch für den Fall, dass der Versicherte wegen eines Systemversagens gezwungen ist, sich eine Behandlung, die ihm die Krankenkasse an sich als Sachleistung schuldet, außerhalb des für Sachleistungen vorgesehenen Weges selbst zu beschaffen. Hinsichtlich der Höhe sind Kosten in Höhe von 10.576,11 EUR belegt. Die Differenz zu den eingeklagten Kosten von 10.861,82 EUR beruht auf den auf einem Einzelblatt aufgeschlüsselten Sachkosten iHv 285,71 EUR, die jedoch in der Rechnung vom 01.08.2012 bereits berücksichtigt und daher nicht zusätzlich zu addieren sind.
Die Klägerin hat schon wegen der Nichteinhaltung des gesetzlich vorgesehenen Beschaffungsweges keinen Anspruch auf Kostenerstattung.
Die medizinischen Leistungen waren nicht unaufschiebbar, weil es der Klägerin ohne Beeinträchtigung ihrer Gesundheit oder der Behandlung möglich gewesen wäre, vor Beginn der Leistungsinanspruchnahme bei der Beklagten nicht nur anzufragen, sondern das Ergebnis der Befassung auch abzuwarten. Eine dringende OP-Indikation ist weder aus dem Schreiben von Dr. C. noch dem eigenen Vortrag der Klägerin ersichtlich. In der Fachliteratur wird insoweit beschrieben, dass bei einem über Jahrzehnte bestehenden Lipödem die Entwicklung eines sekundären Lymphödems drohe, weshalb in einem frühen Stadium bei noch intaktem Lymphsystem operiert werden solle (Sattler/Bergfeld/Sommer, Liposuktion, Hautarzt 2004, 599, 602; Meier-Vollrath/Schneider/Schmeller, Lipödem: Verbesserte Lebensqualität durch Therapiekombination, Deutsches Ärzteblatt 2005, 1061, 1062, 1067). Ein Zuwarten über einige Wochen wäre der Klägerin damit ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen. Damit liegt erst recht kein Notfall iSv § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V vor. Eine Notfallbehandlung hätte im Übrigen als Sachleistung erbracht werden müssen, so dass sich der Vergütungsanspruch nicht gegen die Klägerin, sondern allein gegen die Krankenkasse gerichtet hätte (Bundessozialgericht (BSG) 19.10.2001, B 1 KR 6/01 R, SozR 3-2500 § 13 Nr 25). Damit scheidet ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB V aus.
Aber auch die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V sind nicht erfüllt. Denn Voraussetzung für eine Kostenerstattung nach rechtswidriger Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse ist der notwendige Kausalzusammenhang zwischen der Entscheidung der Krankenkasse und der Selbstbeschaffung (vgl BSG 01.04.2010, B 1 KR 114/09 B, juris; BSG 30.6.2009, B 1 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 15 stRspr). Hieran fehlt es vorliegend. Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse im Rahmen des § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V ist selbst dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens – etwa aufgrund von Erfahrungen aus anderen Fällen – von vornherein feststeht (vgl BSG 01.04.2010, B 1 KR 114/09 B, juris; BSG 30.6.2009, B 1 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 15 stRspr). Eine Gleichsetzung mit den Fällen unaufschiebbarer Leistungen hätte eine Umgehung des Erfordernisses der vorherigen Entscheidung der Krankenkasse zur Folge, wofür im vorliegenden Fall keinerlei Veranlassung besteht. Im Gegenteil, der Wortlaut des § 13 Abs 3 SGB V verlangt unmissverständlich einen Ursachenzusammenhang zwischen rechtswidriger Ablehnung und Kostenlast. Und auch nach Sinn und Zweck der Regelung kann in Fällen, in denen mit der Ablehnung zu rechnen ist, nicht auf die vorherige Entscheidung der Beklagten verzichtet werden (Senatsurteil vom 15.05.2012, L 11 KR 5586/10). § 13 Abs 3 SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse (BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26). Die Krankenkasse hat den nötigen Überblick über die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und kann beurteilen, ob und wie Leistungen im bestehenden Versorgungssystem realisiert werden können (BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26). Eine vorherige Prüfung durch die Krankenkasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26).
Die ablehnende Entscheidung der Beklagten war hier nicht kausal für den Anfall der Kosten. Die Liposuktion im Bereich der Außenseiten der Beine war bereits am 26.07.2012 und damit vor Erlass des Ablehnungsbescheids vom 22.08.2012 durchgeführt worden. Die bereits geplante und begonnene Behandlung hat die Klägerin dann mit der Liposuktion an den Innenseiten der Beine am 19.09.2012 fortgesetzt. Vom Vorliegen voneinander unabhängiger Behandlungen kann hier nicht ausgegangen werden, die Klägerin wird selbst nicht ernsthaft geltend machen wollen, es könne nach Liposuktion an der Außenseite der Beine etwa die Innenseite unverändert belassen werden. Insoweit war allein aus medizinischen Gründen eine Aufteilung auf zwei Sitzungen mit zeitlichem Abstand geboten. Damit hat die Klägerin die vor dem 22.08.2012 begonnene Behandlung nach Ablehnung durch die Beklagte lediglich zu Ende geführt. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an, denn selbst bei Einhaltung des Beschaffungswegs hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der ihr für die Liposuktionen entstandenen Kosten.
Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 9 stRspr). Das ist hier nicht der Fall, weshalb weder der Kostenerstattungsanspruch noch der Anspruch auf Erbringung ambulanter Liposuktion im Bereich der Arme als Sachleistung besteht.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dabei umfasst der Anspruch des Versicherten nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§§ 2 Abs 1, 12 Abs 1 SGB V). Bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden - wie hier - ist dies gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch diese Richtlinien wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4 stRspr). "Neu" ist eine Methode, wenn sie - wie hier die Liposuktion - zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (BSG 27.09.2005, B 1 KR 28/03 R, juris). Als nicht vom GBA empfohlene neue Methode ist die ambulante Fettabsaugung bei Lipödemen mithin grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 19; Hessisches LSG 07.07.2011, L 8 KR 101/10 und 25.08.2011, L 1 KR 250/10, juris; LSG Baden-Württemberg 23.11.2011, L 5 KR 2519/11).
Ausnahmefälle, in denen es keiner Empfehlung des GBA bedarf, liegen im Falle der Klägerin nicht vor. Weder für einen Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden könnte (dazu BSG 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1) noch für ein Systemversagen (dazu BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12) sind Anhaltspunkte ersichtlich (BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, aaO; LSG Baden-Württemberg 01.03.2013, L 4 KR 3517/11; Senatsurteile vom 24.03.2009, L 11 KR 4438/06 und vom 30.09.2014, L 11 KR 689/13; LSG Rheinland-Pfalz 07.02.2013, L 5 KR 9/12; Thüringer LSG 29.08.2012, L 6 KR 49/12 B; Hessisches LSG 25.08.2011, L 1 KR 250/10). Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (Systemversagen). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R, juris). Auf Antrag der Patientenvertretung vom März 2014 hat der GBA mit Beschluss vom Mai 2014 das Bewertungsverfahren begonnen. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass dieses Bewertungsverfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt wird.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 2 Abs 1a SGB V, eingefügt durch Art 1 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 2983), mit Wirkung vom 01.01.2012, berufen. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (zB BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, alle in juris) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen GBA bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung voraus (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, aaO).
Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist. Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen ua nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Einen solchen Schweregrad erreicht die Erkrankung der Klägerin durch die – wenn auch schmerzhaften - Lipödeme nicht, wie sich aus den Gutachten des MDK vom 16.08.2012 und 09.10.2012 ergibt. Auch nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine wertungsmäßig einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbare Krankheit bei schmerzhaften Lipödemen regelmäßig nicht vor (BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R aaO; ebenso Thüringer LSG 06.08.2014, L 6 KR 645/14 B, juris). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob konservative Therapien für die Klägerin als allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen erfolgsversprechend zur Verfügung gestanden haben und stehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Gewährung einer ambulanten Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems im Bereich der Arme sowie auf Kostenerstattung für zwei bereits durchgeführte ambulante Liposuktionen im Bereich der Beine geltend.
Die 1979 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet an einem Lipödem. Am 02.07.2012 beantragte Dr. C., D., für die Klägerin die Übernahme der Kosten für drei geplante Operationen zur Liposuktion in Höhe von ca 14.000 EUR zuzüglich Anästhesiekosten. Die Klägerin leide seit Jahren an einem symmetrisch an Armen und Beinen ausgeprägten Lipödem. Die Verformungen seien alimentär nicht zu beeinflussen. Hierzu führte die Klägerin aus, sie sei keinen Tag und keine Nacht schmerzfrei. Die Erkrankung schränke ihre Mobilität ein und behindere sie an der Teilhabe an der Gesellschaft. Die bisher durchgeführte Lymphdrainage habe nicht den erhofften Erfolg gebracht, die Schmerzen seien geblieben. Ein Fortschreiten der Erkrankung sei hierdurch nicht zu verhindern, weshalb ihr nur eine Liposuktion verbleibe. Sie sei zu keinem Zeitpunkt übergewichtig gewesen.
Am 26.07.2012 führte Dr. C. die erste (Beine außen), am 19.09.2012 die zweite Liposuktion (Beine innen) ambulant durch. Hierfür stellte er der Klägerin insgesamt 10.576,11 EUR in Rechnung (Rechnungen vom 01.08.2012 über 905,91 EUR, vom 27.07.2012 über 4.921,36 EUR, vom 19.09.2012 über 848,14 EUR und vom 20.09.2012 über 3.900,70 EUR).
Die Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Begutachtung nach Aktenlage beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Im Gutachten vom 16.08.2012 wies Dr. H. darauf hin, dass es sich bei der beantragten Liposuktion um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handle. Eine positive Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) liege nicht vor. Eine lebensbedrohliche, notstandsähnliche Situation sei nicht gegeben. Ein entstellendes Äußeres liege nach der vorgelegten Fotodokumentation nicht vor. An Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung seien zu nennen: Tragen von Kompressionsstrümpfen, Lymphdrainage, ggf stationäre Rehabilitation. Mit Bescheid vom 22.08.2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Voraussetzungen für die Kostenübernahme einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht vorlägen.
Mit Widerspruch vom 31.08.2012 wies die Klägerin darauf hin, dass es bereits Sozialgerichtsurteile gebe, wonach Liposuktion zugesprochen worden sei. Der Verweis auf konventionelle Behandlungsmethoden greife nicht, denn diese seien nicht erfolgversprechend und könnten die Gefährdung ihrer Erwerbsfähigkeit nicht beseitigen. Die Beklagte ließ erneut ein Gutachten des MDK erstellen, in dem Dr. W. ausführte, aufgrund der vorliegenden Unterlagen einschließlich Fotodokumentation sei die Diagnose eines Lipödems nicht mit Sicherheit nachzuvollziehen. Eine lebensbedrohliche oder notstandsähnliche Situation liege nicht vor. Ein Wirksamkeitsnachweis anhand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken liege bisher für die beantragte Methode nicht vor. Medizinischer Nutzen und Wirtschaftlichkeit gegenüber anderen Verfahren sei bisher nicht belegt. Eine Kostenübernahme können nicht empfohlen werden. Gestützt auf dieses Gutachten vom 09.10.2012 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2012 den Widerspruch zurück.
Gegen den ihr am 12.12.2012 zugegangenen Widerspruchsbescheid richtet sich die am 14.01.2013 (Montag) zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage. Es bestehe eine schwerwiegende Erkrankung. Da die konservative Therapie des Lipödems durch eine Entstauungstherapie die Erkrankung weder heilen noch eine Verschlimmerung verhüten könne, sei der Anspruch auf Liposuktion gegeben. Wirksame Behandlungsalternativen stünden nicht zur Verfügung. Es liege eine Leistungsverpflichtung aufgrund eines Systemmangels vor. Die Durchführung des Verfahrens zur Beurteilung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode sei verzögert worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 11.04.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung ambulanter Liposuktion bzw auf Erstattung der Kosten der bereits durchgeführten Behandlung. Die Klägerin leide an einem schmerzhaften Lipödem und damit einer behandlungsbedürftigen Erkrankung. Es bestehe jedoch kein Anspruch auf Behandlung mittels einer ambulanten Liposuktion. Ein solcher Anspruch komme grundsätzlich nicht in Betracht, solange der GBA die neue Methode der Liposuktion nicht positiv empfohlen habe. Eine abweichende Beurteilung im Einzelfall ergebe sich nicht. Ein entstellendes Äußeres sei nicht erkennbar. Die durch das Lipödem bedingten Schmerzen könnten durch eine konservative Behandlung beeinflusst werden. Ein Systemmangel liege nicht vor, auch kein Ausnahmefall des § 2 Abs 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), wonach bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder wertungsmäßig vergleichbaren Krankheiten unter weiteren Voraussetzungen abweichende Leistungen beansprucht werden könnten. Lediglich für schwere, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen, könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwas anderes gelten. Ein solcher Fall liege aber hier nicht vor.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigen am 17.04.2014 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 19.05.2014 (Montag) Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Das SG gehe zunächst zutreffend von einer behandlungsbedürftigen Krankheit aus, schließe sich jedoch ohne nähere Begründung der Auffassung des MDK an. Dabei übersehe es, dass der MDK bereits nicht von einer Krankheit ausgehe, so dass auch die weiteren Argumente des MDK nicht herangezogen werden könnten. Der GBA habe nunmehr mit Beschluss vom 22.05.2014 ein Beratungsverfahren eingeleitet, was den von ihr vorgetragenen Systemmangel indiziere und sie in ihrer Rechtsauffassung bestätige. Ergänzend hat die Klägerin die Rechnungen über die durchgeführten Liposuktionen vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 11.04.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 22.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.12.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Behandlung durch Liposuktion als Sachleistung zu gewähren bzw die Kosten für die durchgeführten Liposuktionen in Höhe von 10.861,82 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und die Ausführungen des SG Bezug.
Auf Antrag der Patientenvertretung nach § 140f SGB V vom 20.03.2014 auf Bewertung der Liposuktion gemäß § 135 Abs 1 und § 137c SGB V hat der GBA das diesbezügliche Beratungsverfahren eingeleitet (Beschluss des GBA vom 22.05.2014), welches noch nicht abgeschlossen ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.12.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Erstattung der Kosten wegen der durchgeführten Liposuktionen, noch auf Gewährung von ambulanter Liposuktion im Bereich der Arme als Sachleistung.
Als Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsantrag kommt allein § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V (idF vom 26.03.2007, BGBl I 378) in Betracht, da die Klägerin keine Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V gewählt hatte. Danach sind die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt 2) und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V gibt demnach einen Kostenerstattungsanspruch für den Fall, dass der Versicherte wegen eines Systemversagens gezwungen ist, sich eine Behandlung, die ihm die Krankenkasse an sich als Sachleistung schuldet, außerhalb des für Sachleistungen vorgesehenen Weges selbst zu beschaffen. Hinsichtlich der Höhe sind Kosten in Höhe von 10.576,11 EUR belegt. Die Differenz zu den eingeklagten Kosten von 10.861,82 EUR beruht auf den auf einem Einzelblatt aufgeschlüsselten Sachkosten iHv 285,71 EUR, die jedoch in der Rechnung vom 01.08.2012 bereits berücksichtigt und daher nicht zusätzlich zu addieren sind.
Die Klägerin hat schon wegen der Nichteinhaltung des gesetzlich vorgesehenen Beschaffungsweges keinen Anspruch auf Kostenerstattung.
Die medizinischen Leistungen waren nicht unaufschiebbar, weil es der Klägerin ohne Beeinträchtigung ihrer Gesundheit oder der Behandlung möglich gewesen wäre, vor Beginn der Leistungsinanspruchnahme bei der Beklagten nicht nur anzufragen, sondern das Ergebnis der Befassung auch abzuwarten. Eine dringende OP-Indikation ist weder aus dem Schreiben von Dr. C. noch dem eigenen Vortrag der Klägerin ersichtlich. In der Fachliteratur wird insoweit beschrieben, dass bei einem über Jahrzehnte bestehenden Lipödem die Entwicklung eines sekundären Lymphödems drohe, weshalb in einem frühen Stadium bei noch intaktem Lymphsystem operiert werden solle (Sattler/Bergfeld/Sommer, Liposuktion, Hautarzt 2004, 599, 602; Meier-Vollrath/Schneider/Schmeller, Lipödem: Verbesserte Lebensqualität durch Therapiekombination, Deutsches Ärzteblatt 2005, 1061, 1062, 1067). Ein Zuwarten über einige Wochen wäre der Klägerin damit ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen. Damit liegt erst recht kein Notfall iSv § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V vor. Eine Notfallbehandlung hätte im Übrigen als Sachleistung erbracht werden müssen, so dass sich der Vergütungsanspruch nicht gegen die Klägerin, sondern allein gegen die Krankenkasse gerichtet hätte (Bundessozialgericht (BSG) 19.10.2001, B 1 KR 6/01 R, SozR 3-2500 § 13 Nr 25). Damit scheidet ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB V aus.
Aber auch die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V sind nicht erfüllt. Denn Voraussetzung für eine Kostenerstattung nach rechtswidriger Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse ist der notwendige Kausalzusammenhang zwischen der Entscheidung der Krankenkasse und der Selbstbeschaffung (vgl BSG 01.04.2010, B 1 KR 114/09 B, juris; BSG 30.6.2009, B 1 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 15 stRspr). Hieran fehlt es vorliegend. Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse im Rahmen des § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V ist selbst dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens – etwa aufgrund von Erfahrungen aus anderen Fällen – von vornherein feststeht (vgl BSG 01.04.2010, B 1 KR 114/09 B, juris; BSG 30.6.2009, B 1 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 15 stRspr). Eine Gleichsetzung mit den Fällen unaufschiebbarer Leistungen hätte eine Umgehung des Erfordernisses der vorherigen Entscheidung der Krankenkasse zur Folge, wofür im vorliegenden Fall keinerlei Veranlassung besteht. Im Gegenteil, der Wortlaut des § 13 Abs 3 SGB V verlangt unmissverständlich einen Ursachenzusammenhang zwischen rechtswidriger Ablehnung und Kostenlast. Und auch nach Sinn und Zweck der Regelung kann in Fällen, in denen mit der Ablehnung zu rechnen ist, nicht auf die vorherige Entscheidung der Beklagten verzichtet werden (Senatsurteil vom 15.05.2012, L 11 KR 5586/10). § 13 Abs 3 SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse (BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26). Die Krankenkasse hat den nötigen Überblick über die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und kann beurteilen, ob und wie Leistungen im bestehenden Versorgungssystem realisiert werden können (BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26). Eine vorherige Prüfung durch die Krankenkasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26).
Die ablehnende Entscheidung der Beklagten war hier nicht kausal für den Anfall der Kosten. Die Liposuktion im Bereich der Außenseiten der Beine war bereits am 26.07.2012 und damit vor Erlass des Ablehnungsbescheids vom 22.08.2012 durchgeführt worden. Die bereits geplante und begonnene Behandlung hat die Klägerin dann mit der Liposuktion an den Innenseiten der Beine am 19.09.2012 fortgesetzt. Vom Vorliegen voneinander unabhängiger Behandlungen kann hier nicht ausgegangen werden, die Klägerin wird selbst nicht ernsthaft geltend machen wollen, es könne nach Liposuktion an der Außenseite der Beine etwa die Innenseite unverändert belassen werden. Insoweit war allein aus medizinischen Gründen eine Aufteilung auf zwei Sitzungen mit zeitlichem Abstand geboten. Damit hat die Klägerin die vor dem 22.08.2012 begonnene Behandlung nach Ablehnung durch die Beklagte lediglich zu Ende geführt. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an, denn selbst bei Einhaltung des Beschaffungswegs hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der ihr für die Liposuktionen entstandenen Kosten.
Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 9 stRspr). Das ist hier nicht der Fall, weshalb weder der Kostenerstattungsanspruch noch der Anspruch auf Erbringung ambulanter Liposuktion im Bereich der Arme als Sachleistung besteht.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dabei umfasst der Anspruch des Versicherten nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§§ 2 Abs 1, 12 Abs 1 SGB V). Bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden - wie hier - ist dies gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch diese Richtlinien wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4 stRspr). "Neu" ist eine Methode, wenn sie - wie hier die Liposuktion - zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (BSG 27.09.2005, B 1 KR 28/03 R, juris). Als nicht vom GBA empfohlene neue Methode ist die ambulante Fettabsaugung bei Lipödemen mithin grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 19; Hessisches LSG 07.07.2011, L 8 KR 101/10 und 25.08.2011, L 1 KR 250/10, juris; LSG Baden-Württemberg 23.11.2011, L 5 KR 2519/11).
Ausnahmefälle, in denen es keiner Empfehlung des GBA bedarf, liegen im Falle der Klägerin nicht vor. Weder für einen Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden könnte (dazu BSG 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1) noch für ein Systemversagen (dazu BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12) sind Anhaltspunkte ersichtlich (BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, aaO; LSG Baden-Württemberg 01.03.2013, L 4 KR 3517/11; Senatsurteile vom 24.03.2009, L 11 KR 4438/06 und vom 30.09.2014, L 11 KR 689/13; LSG Rheinland-Pfalz 07.02.2013, L 5 KR 9/12; Thüringer LSG 29.08.2012, L 6 KR 49/12 B; Hessisches LSG 25.08.2011, L 1 KR 250/10). Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (Systemversagen). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R, juris). Auf Antrag der Patientenvertretung vom März 2014 hat der GBA mit Beschluss vom Mai 2014 das Bewertungsverfahren begonnen. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass dieses Bewertungsverfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt wird.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 2 Abs 1a SGB V, eingefügt durch Art 1 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 2983), mit Wirkung vom 01.01.2012, berufen. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (zB BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, alle in juris) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen GBA bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung voraus (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, aaO).
Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist. Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen ua nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Einen solchen Schweregrad erreicht die Erkrankung der Klägerin durch die – wenn auch schmerzhaften - Lipödeme nicht, wie sich aus den Gutachten des MDK vom 16.08.2012 und 09.10.2012 ergibt. Auch nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine wertungsmäßig einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbare Krankheit bei schmerzhaften Lipödemen regelmäßig nicht vor (BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R aaO; ebenso Thüringer LSG 06.08.2014, L 6 KR 645/14 B, juris). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob konservative Therapien für die Klägerin als allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen erfolgsversprechend zur Verfügung gestanden haben und stehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
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