L 10 R 336/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 3465/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 336/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 17.12.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Die am 1958 geborene Klägerin wuchs in G. auf und erlernte nach eigenen Angaben den Beruf der Näherin. Nach ihrem Zuzug in das Bundesgebiet 1979 widmete sie sich zunächst der Erziehung ihrer Kinder und arbeitete ab 1992 als Montiererin bzw. Bestückerin. Seit Anfang November 2009 ist die Klägerin arbeitsunfähig bzw. arbeitslos und bezog in der Folgezeit zunächst bis April 2012 Krankengeld bzw. Übergangsgeld, daran anschließend bis April 2013 Arbeitslosengeld.

Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente vom 04.05.2012 hin zog die Beklagte medizinische Unterlagen bei, unter anderem einen Befundbericht des Nervenarztes Dr. von Z. vom Frühjahr 2012, in welchem dieser berichtete, die Klägerin habe die verordnete Antidepressiva-Therapie nicht weitergeführt, weshalb kein Behandlungserfolg habe eintreten können. Weiterhin veranlasste die Beklagte eine Begutachtung auf orthopädischem Gebiet durch den Facharzt für Chirurgie Dr. R. sowie auf psychiatrischem Gebiet durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. L ... Dr. R. diagnostizierte bei der Klägerin ein chronisches Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule nach minimalinvasiver Bandscheibenoperation L4/L5 links im November 2009 ohne Wurzelreizzeichen und ohne wesentliche Funktionseinschränkung, sowie daneben zeitweilige Beschwerden im linken Arm ohne Anhalt für entzündliche oder wesentliche degenerative Veränderungen bei freier Funktion. Die Klägerin könne leichte Wechseltätigkeiten ohne häufige Zwangshaltung der Wirbelsäule sechs Stunden und mehr täglich ausüben; die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sei ihr dagegen nur noch unter drei Stunden täglich zuzumuten. Dr. L. stellte auf ihrem Fachgebiet bei der Klägerin eine depressive Anpassungsstörung bei rezidivierender Lumboischialgie fest. Auf nervenärztlichem Gebiet bestünden keine relevanten Einschränkungen, sodass die Klägerin weiterhin in der Lage sei, zumindest eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig sechs Stunden und mehr am Tag zu leisten. Die Beklagte lehnte hierauf gestützt den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 18.05.2012 und Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012 ab.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.10.2012 Klage zum Sozialgericht Heilbronn erhoben. Das Sozialgericht hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Der Neurologe und Psychiater Dr. von Z. hat sich dem Gutachten von Dr. L. inhaltlich angeschlossen. Der Orthopäde Dr. L. hat eine Arbeitsfähigkeit der Klägerin "im aktuellen Zustand" verneint und sie als auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar bezeichnet und im Übrigen auf die Notwendigkeit der Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens verwiesen.

Das Sozialgericht hat weiterhin das Gutachten des Dr. H. , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, erstattet auf Grund ambulanter Untersuchung im September 2012 auf Veranlassung des Sozialgerichts Heilbronn im Rechtsstreit wegen der Höhe des Grades der Behinderung (dortiges Az.: S 14 SB 2/11) beigezogen. Dr. H. hat bei der Klägerin eine depressive Verstimmung festgestellt, die als Dysthymia einzuordnen sei. Die Kriterien für das Vorliegen einer auch leichten depressiven Episode hat er nicht für erfüllt gesehen. Ebenso seien die Kriterien für das Vorliegen einer Erkrankung aus dem Spektrum der somatoformen Störungen nicht eindeutig erfüllt.

Das Sozialgericht hat schließlich den Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. N. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dr. N. hat in seinem Gutachten, beruhend auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin im Juni 2013, u. a. einen Zustand nach Nukleotomie L4/L5, eine segmentale Bandscheibenvorwölbung im Range eines unveränderten, medio-linkslateralen Vorfalls L4/L5 mit degenerativen Veränderungen ohne bedeutsame Spinalkanaleinengung, eine leicht eingeschränkte Rumpfwirbelsäulenbeweglichkeit und einen Zustand des Mittelfingers links nach Verletzung 1992 mit Amputation in Höhe der Mittelphalanx D3 ohne objektivierbare, darüber hinaus gehende Funktionsstörungen, diagnostiziert. Der Klägerin könnten leichte Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen, Gehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin mehr als sechs Stunden täglich abverlangt werden; zu vermeiden seien Heben, Tragen, Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel jenseits von fünf bis acht Kilogramm, häufiges/anhaltendes Bücken/Beugen, sehr weit vorn übergebeugte Körperhaltung oder Rückenüberstreckung, belastende Rumpfdrehbewegungen, Haltungs- und Bewegungsmonotonien, Zwangshaltungen wie Arbeit in Rumpfvorbeugung, Überkopfarbeit oder Verdrehungen sowie Arbeiten in niedrigen Räumen oder Positionen, belastendes Ersteigen von Leitern und Gerüsten bzw. Arbeiten auf ihnen, längeres ununterbrochenes Gehen (mehr als 30 bis 45 Minuten), Gehen auf unebenem Boden und schiefen Ebenen, Erschütterungs- und Vibrationsbelastungen sowie Tätigkeiten in Nässe, Kälte, Zugluft, unter Zeitdruck, in Nachtschicht unter Konzentrationsbelastung, im Akkord oder am Fließband.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.12.2013 hat das Sozialgericht, gestützt im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. N. , sowie die Gutachten von Dr. H. und Dr. L. und die Stellungnahme des sachverständigen Zeugen Dr. Z. die Klage abgewiesen. Die von Dr. N. erhobenen Diagnosen und Befunde auf orthopädischem Fachgebiet stünden einem sechsstündigen Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Tätigkeiten bei Beachtung qualitativer Einschränkungen nicht entgegen. Gleiches gelte aus psychiatrischer Sicht im Hinblick auf die bei der Klägerin vorliegende Dysthymie. Auch die Wegefähigkeit sei bei der Klägerin noch erhalten. Organmorphologische Veränderungen, die die von der Klägerin in der Untersuchungssituation dargebotenen Funktionsstörungen erklären könnten, lägen nicht vor. Im Übrigen könne die Klägerin auch nach eigenen Angaben die geforderte Wegstrecke zurücklegen.

Gegen den ihr am 27.12.2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23.01.2014 Berufung eingelegt und sinngemäß vorgetragen, sie sei auf Grund der erheblichen orthopädischen und nervenärztlichen Einschränkungen sowie der erheblichen Einschränkung ihrer Gehfähigkeit erwerbsgemindert.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 17.12.2013 und den Bescheid vom 18.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI ab dem 01.06.2012 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren, die im Berufungsverfahren vorgelegte Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes sowie auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid.

Der Senat hat zunächst Dr. von Z. neuerlich als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen; dieser hat von einem im Wesentlichen unveränderten Gesundheitszustand der Klägerin aus nervenärztlicher Sicht berichtet.

Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat der Senat weiterhin gemäß 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie R. mit der Erstattung eines Gutachtens auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Gebiet beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten, beruhend auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin im August 2014, eine Dysthymie sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Die Klägerin könne derzeit leichte Tätigkeiten nur noch in einem Umfang von weniger als drei Stunden pro Tag ausüben, da sie auf Grund der Schmerzstörung in ihrem Durchhaltevermögen deutlich reduziert sei. Eine genaue Einschätzung der Gehfähigkeit sei ihm zwar nicht möglich, doch habe er erhebliche Zweifel daran, dass die Klägerin 500 Meter zu Fuß in weniger als 20 Minuten zurücklegen könne.

Für die Beklagte ist Dr. N. , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom September 2014 dem Gutachten entgegengetreten. Angesichts des fast normalen psychopathologischen Befundes, den der Sachverständige R. erhoben habe, könne die sozialmedizinische Schlussfolgerung mit einem aufgehobenen Leistungsvermögen nicht nachvollzogen werden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringen wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchten Renten (§ 43 Abs. 1 und 2 SGB VI) dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt, weil sie zumindest leichte Tätigkeiten mit den von Dr. N. aufgelisteten qualitativen Einschränkungen noch wenigstens sechs Stunden täglich ausüben und Arbeitsplätze auch aufsuchen kann. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Die im Verlaufe des Berufungsverfahrens durchgeführte Beweisaufnahme rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. So hat Dr. von Z. von einem im Wesentlichen unveränderten Gesundheitszustand berichtet. Auch der Sachverständige R. ist von einem seit 2009 unveränderten Befund auf psychiatrischem Gebiet ausgegangen. Er hat keine Bewusstseins-, Orientierungs-, Auffassungs- oder Konzentrationsstörungen feststellen können. Im psychopathologischen Befund wird über eine anlassbezogene Traurigkeit bei ansonsten voll erhaltener affektiver Modulation berichtet. Die Klägerin hat sich mittelgradig klagsam mit ausgeprägter schmerzabhängiger Affektlabilität gezeigt, wobei keine Antriebsstörungen bestanden haben. Sie hat insbesondere im Gespräch über nicht schmerzbezogene Themen lebendig gewirkt und dann - so explizit der Sachverständige - auch lachen können. Der vom Sachverständigen erhobene psychopathologische Befund, welchen Dr. N. schlüssig und nachvollziehbar als im Grunde genommen fast normalen psychopathologischen Befund bewertet, weicht nicht wesentlich von demjenigen ab, den Dr. L. und Dr. H. erhoben haben. In Übereinstimmung mit Dr. H. hat dann auch der Sachverständige R. das Vorliegen der Kriterien für eine depressive Episode verneint und die depressive Verstimmung der Klägerin als Dysthymie eingeordnet, worunter nach ICD-10 ein leichtgradiger affektiver Verstimmungszustand aufgefasst wird, der nicht die Kriterien oder das Ausmaß von Beschwerden einer wenigstens leichten depressiven Episode umfasst (Dr. N. ). Der Sachverständige R. hat dementsprechend die von ihm angenommene quantitative Leistungseinschränkung auf unter drei Stunden täglich auch nicht auf die Dysthymia sondern auf die von ihm erstmalig diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung (differenzialdiagnostisch: chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren) zurückgeführt.

Eine solche anhaltende somatoforme Schmerzstörung wird erstmalig durch den Sachverständigen R. beschrieben. Weder Dr. L. noch Dr. von Z. , der die Klägerin seit langem behandelt hat, haben eine entsprechende Diagnose gestellt. Auch Dr. H. hat die Kriterien für das Vorliegen einer Erkrankung aus dem Spektrum der somatoformen Störungen als nicht eindeutig erfüllt angesehen. Unabhängig von der Frage der zutreffenden Diagnose sind für die sozialmedizinische Beurteilung die hieraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen maßgeblich. Der Senat hat dabei keine Zweifel, dass die Klägerin an Schmerzen leidet. Er kann sich indes nicht mit der notwendigen Sicherheit vom Vorliegen von Schmerzzuständen in einem solchen Ausmaß, welches eine quantitative Leistungseinschränkung begründen könnte, überzeugen. Denn bereits die Gutachter im Verwaltungsverfahren Dr. R. und Dr. L. berichteten über Inkonsistenzen im Beschwerdebild. So demonstrierte die Klägerin sämtliche Bewegungen, insbesondere das Gangbild in Zeitlupentempo, was - so Dr. L. - im Widerspruch zu den eigenen Angaben, fünfzehn Minuten am Tag spazieren zu gehen, stand. Die Klägerin demonstrierte weiterhin in der Untersuchungssituation Schwierigkeiten, ihre Kleider wieder anzuziehen, obwohl sie nach ihren Angaben gegenüber Dr. L. in den Aktivitäten des täglichen Lebens sowie auch in der Küche weitestgehend selbständig war. Bemerkenswert erschien auch die von der Klägerin selbständig abgesetzte schmerzmodulierende antidepressive Behandlung und nicht stattfindende regelmäßige Schmerztherapie. In unauffälligen Situationen wirkte die Klägerin, so Dr. L. , durchaus gewandt und nicht manifest durch die bestehenden Schmerzen eingeschränkt.

Ein gleichermaßen inkonsistentes Beschwerdebild hat auch der Sachverständige Dr. N. festgestellt. Danach hat die Klägerin während der Befragung - ungeachtet der vorgetragen Schmerzproblematik - ca. 85 Minuten auf ihrem Stuhl ohne einen Wechsel der Körperhaltung sitzen können und sie ist auch nicht auf der Sitzfläche hin und her gerutscht. In der Untersuchungssituation hat die Klägerin die Einnahme der Hockstellung mit Abstützung auf die Liegekante zweimal nur "versucht" und dabei keine wesentliche Beugung gezeigt. Dem gegenüber hat die Klägerin bei Aufheben eines Gegenstandes vom Boden keine Schwierigkeiten beim Beugen gehabt. Auch beim späteren Anziehen der Schuhe im Stand hat sich dann eine normale Funktionsfähigkeit gezeigt. Die Klägerin hat sich aus dem Stand weit herunterbeugen können, um mit dem Finger in den Schuh hinten ganz herein zu fahren und dann ein freies weites Beugen, um die Schnürsenkel zu versorgen, demonstriert, was das vorher Gezeigte erkennbar konterkariert hat und - so der Sachverständige - offenbar werden hat lassen, dass die Klägerin auch bewusstseinsnahe Limitierungen eingebracht hat. Auch das neuerlich demonstrierte, stark verlangsamte, "wie am Boden klebend" demonstrierte, kleinschrittige Gangbild ist nach überzeugender Einschätzung des Sachverständigen - jedenfalls aus orthopädischer Sicht - nicht nachvollziehbar und hat funktionell ausgestaltet gewirkt. Der Sachverständige hat daneben weitere wesentliche diskonkordante Präsentationsaspekte beschrieben: So hat die Klägerin beim Hinlegen die Beine in "normaler" Funktion über die Untersuchungsliegenkante hochheben und der Aufforderung, die Beine für die abverlangten fünf Sekunden gestreckt von der Unterlage hochzuheben, gut nachkommen können, was bei den beklagten hochgradigen Rückenschmerzen nicht zu erwarten gewesen wäre. In der Summe hat die Klägerin, so der Sachverständige, ein verdeutlichendes, limitierendes und klagebetontes Verhalten gezeigt. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige nachvollziehbar auch auf den untergeordneten Schmerzmittelkonsum hingewiesen. Die Klägerin hat von einer Einnahme von Ibuflam 600 einmal täglich berichtet. Die Beschränkung auf die Einnahme eines solchen eher kurz wirksamen und nicht so starken Präparats, so der Sachverständige, deutet auf keinen hohen Leidensdruck hin. Das gleichfalls verschriebene Morphinsulfat hat die Klägerin zuletzt ca. zwei Monate vor dem Untersuchungszeitpunkt eingenommen. Bemerkenswert ist auch, dass sich der vom Sachverständigen anamnestisch ermittelten Alltagsgestaltung keine so weitgreifenden Einschränkungen entnehmen lässt, wie es nach dem in der Untersuchungssituation demonstrierten Verhalten zu erwarten gewesen wäre. So hat die Klägerin berichtet, dass sie den Haushalt noch sauber hält, dabei aber Hocken und Knien durch Verwendung eines entsprechend langen Stils vermeide. Sie hat erklärt, nach wie vor den Haushalt weitgehend zu versorgen, das Essen zuzubereiten, die Fenster oder die Böden zu putzen, die Wäsche, die ihr Mann heruntergetragen hat, in die Waschmaschine einzufüllen und die Wäsche anschließend auch aufzuhängen. Der Supermarkt, den sie zum Einkaufen zu Fuß aufsuche, sei ca. 300 Meter entfernt, ohne dass dies beim Hinweg mit Problemen für die Klägerin verbunden wäre. Bei der Rückkehr benötige sie allerdings zwei bis drei Pausen. Täglich gehe sie mit ihrem Mann etwas spazieren. Die Gutachter Dr. Reutter, Dr. L. und Dr. N. haben deshalb übereinstimmend eine quantitative Leistungsminderung verneint. Dr. H. hat sich zwar - entsprechend der Auftragsstellung im Gutachten - nicht zum verbliebenen Leistungsvermögen der Klägerin verhalten, hat aber schon eine somatoforme Schmerzstörung nicht feststellen können.

In Abweichung hiervon ist der Sachverständige R. , im Wesentlichen gestützt auf die Schmerzangaben der Klägerin sowie auf den nach seiner Einschätzung hierzu adäquaten verbalen wie auch nonverbalen Schmerzausdruck, von einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung mit einer daraus resultierenden einer quantitativen Leistungseinschränkung ausgegangen. Dies vermag nicht zu überzeugen, wie Dr. N. in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme schlüssig und nachvollziehbar dargelegt hat. So hat der Sachverständige selbst von einer leicht- bis mittelgradig ausgeprägten "Theatralik", die sich dann auch in einer Aggravation der Symptome zeige, berichtet. In der Zusammenfassung der von ihm erhobenen Testergebnisse hat der Sachverständige selbst sowohl das Ergebnis des Rey-Memory-Tests als auch den hohen Wert der Lügenskala im Eysenk-Persönlichkeitsinventar E-P-I als Hinweis auf das Vorliegen von Aggravation und/oder Simulation gewertet. Die Klägerin hat, befragt nach ihrer Alltagsgestaltung, gegenüber dem Sachverständigen bestätigt, dass sie nach wie vor große Teile der Haushaltstätigkeit wahrnimmt, insbesondere macht sie ihr Bett, kocht, nimmt den Staubsauger zur Hand oder gießt Blumen, spült, räumt auf, und besucht nach wie vor den in der Nähe gelegenen Supermarkt. Bemerkenswert erscheint auch, dass die Klägerin über ein Laufband berichtet hat, welches sie zuhause habe und auf welchem sie zehn Minuten pro Tag trainiere. Soweit der Sachverständige diese von ihm selbst herausgearbeiteten Anhaltspunkte für Inkonsistenzen mit Zitaten aus den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für psychotherapeutische Medizin, in welchen vor der Gefahr einer vorschnellen Bejahung von Aggravation bzw. Simulation gewarnt wird, dem Umstand, dass die Klägerin den Rey-Memory-Test unwillig durchgeführt habe sowie mit einem logorrhoeischen Sprachverhalten und einem theatralischen Ausdrucksverhalten sowie einem bei Patienten östlicher Mittelmeerkulturen durchaus typischen Ausdrucks- und Beschwerdeverhalten zu relativieren versucht, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen. Dr. N. hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf verwiesen, dass im Rahmen der Beschwerdevalidierung in Form des Rey-Memory-Tests gerade nicht Schmerzwahrnehmung überprüft wird, weshalb der auffällige Testbefund nicht auf Grund von Kulturabhängigkeit oder Persönlichkeitsabhängigkeit "wegdiskutiert" werden kann. Auch wenn die von der Klägerin vorgenommene dokumentierte Überzeichnung ihrer Beschwerden einem kulturtypischen Verhalten entsprechen sollte, so führt dies dazu, dass die Beurteilung des verbliebenen Leistungsvermögens jedenfalls nicht ausschließlich auf die Angaben der Klägerin gestützt werden kann. Bei einem fast normalen psychopathologischen Befund, erheblichen Diskrepanzen in der Funktionsdarstellung in der bewussten Untersuchungssituation gegenüber unbeobachteten Momenten - in denen die Klägerin nicht manifest durch bestehende Schmerzen eingeschränkt gewirkt hat -, sowie einer ausgesprochen niedrigschwelligen Behandlung mit nur gelegentlichen Besuchen beim Nervenfacharzt und von diesem beklagten, aber auch von der Klägerin selbst dem Sachverständigen R. berichteten fehlenden Medikamenten-Compliance vermag sich der Senat nicht von einer durch die Schmerzen bedingten quantitativen Leistungsminderung zu überzeugen.

Gleiches gilt in Bezug auf die vom Sachverständigen R. für erforderlich behaupteten Pausen alle halbe Stunde bis Stunde. Denn auch diese Einschränkung führt er auf die Schmerzzustände der Klägerin zurück. Da deren Ausmaß aber - wie ausgeführt - angesichts der aufgezeigten Inkonsistenzen nicht abzuschätzen ist, kann hierdurch auch die Erforderlichkeit betriebsunüblicher Pausen nicht nachgewiesen werden.

Dies gilt auch im Hinblick auf die Wegefähigkeit der Klägerin. Auch insofern hat das Sozialgericht die Anforderungen an die Mindestmobilität des Versicherten als Voraussetzung für die Erwerbsfähigkeit nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zutreffend dargestellt und ist gleichermaßen zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass die Klägerin noch über die erforderliche Mobilität verfügt. Der Senat weist auch insoweit die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung rügt, Dr. N. habe die Wegefähigkeit verneint, trifft dies nicht zu. Die entsprechende Passage auf Seite 61 oben des Gutachtens bezieht sich auf das von der Klägerin gegenüber Dr. N. demonstrierte bzw. angegebene Gehvermögen, das - wäre die Gehfähigkeit tatsächlich derart eingeschränkt - die Annahme hinreichender Gehfähigkeit (ohne Hilfsmittel) in Zweifel zöge. Dabei hat Dr. N. allerdings - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - die demonstrierten Einschränkungen der Gehfähigkeit anhand des organ-morphologischen Befundes und des demonstrativen Verhaltens der Klägerin nicht nachvollziehen können. Das bloße Bestreiten dieses Umstandes durch die Klägerin rechtfertigt nicht die Annahme einer Einschränkung der Wegefähigkeit. Im Übrigen wäre der Klägerin im Falle eines eingeschränkten Gehvermögens die Nutzung von Hilfsmitteln, insbesondere Gehilfen zumutbar. Soweit der Sachverständige R. erhebliche Zweifel geäußert hat, ob die Klägerin 500 m zu Fuß in weniger als 20 Minuten zurücklegen kann, hat er die genannten Inkonsistenzen in den Beschwerdeangaben und im Beschwerdebild der Klägerin außer Acht gelassen. Im Übrigen hat er selbst eingeräumt, dass ihm eine genaue Einschätzung des Gehvermögens der Klägerin nicht möglich sei. Mithin hat selbst er sich nicht die Überzeugung vom Vorliegen einer rentenrelevanten Einschränkung der Wegefähigkeit verschaffen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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