L 11 R 4149/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2044/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4149/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 28.08.2012 und der Bescheid der Beklagten vom 08.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2012 abgeändert und die Beklagte zu verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.01.2015 bis 31.12.2017 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1960 geborene Klägerin ist gelernte Fleischereifachverkäuferin und war nach zwischenzeitlich ausgeübten anderen Tätigkeiten und sechsjähriger Arbeitslosigkeit wieder von März 2008 bis März 2010 und nach erneuter Arbeitslosigkeit ab 01.04.2011 als Fleischereifachverkäuferin versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 30.06.2011 bestand Arbeitsunfähigkeit, das Arbeitsverhältnis endete zum 31.08.2011. Nach Bezug von Krankengeld bezieht die Klägerin derzeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 40 seit 14.10.1999 (Bescheid vom 17.02.2000) und von 70 seit 12.07.2011 (Bescheid vom 12.10.2011) anerkannt.

Vom 03.11. bis 01.12.2010 befand sich die Klägerin in der Reha-Klinik O.d.T. zur stationären Rehabilitation. Im Entlassungsbericht vom 02.12.2010 wurde eingeschätzt, dass die Klägerin mit den Diagnosen Diabetes mellitus Typ I (Erstdiagnose 1998), Adipositas, arterielle Hypertonie, kombinierte Dyslipidämie, Pancolitis ulcerosa (Erstdiagnose 2004, letzter Schub 9/10) und chronisch rezidivierende Cervicocephalgien im Beruf als Fleischereifachverkäuferin sowie in sonstigen leichten bis zeitweise mittelschweren Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich tätig sein könne. Wegen labiler Darmfunktion solle die Möglichkeit einer Toilettennutzung am Arbeitsplatz gegeben sein.

Am 29.07.2011 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie halte sich wegen Colitis ulcerosa, Diabetes mellitus Typ I, Schilddrüsenunterfunktion, Bluthochdruck, Adipositas und Depressionen seit Juni 2011 für nicht mehr in der Lage, auch nur leichte körperliche Tätigkeiten zu verrichten.

Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Internisten Dr. B. ambulant untersuchen und begutachten. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 06.09.2011 folgende Diagnosen: Colitis ulcerosa (Verlauf in Schüben, zuletzt Juni 2011), Diabetes mellitus (angeblich Typ I, bei weitgehender Insulinresistenz und Adipositas eher Typ IIb), metabolisches Syndrom. Es bleibe unverändert bei der Leistungsbeurteilung der Reha-Klinik Ob der Tauber. Mit Bescheid vom 08.09.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.

Die Klägerin erhob am 10.10.2011 Widerspruch und legte Arztbriefe des Internisten Dr. N. vom 16.12.2011, des Orthopäden Dr. R. vom 20.12.2011 und des Nervenarztes Dr. Sch. vom 21.12.2011 vor.

Vom 15.02. bis 21.03.2012 befand sich die Klägerin erneut in stationärer Rehabilitation. Im Entlassungsbericht der Reha-Klinik G. vom 29.03.2012 stellte Dr. Ge. folgende Diagnosen: rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Diabetes mellitus Typ I mit Polyneuropathie, Stoffwechselstörung, Colitis ulcerosa. Zum Entlassungszeitpunkt seien Flexibilität und Umstellungsfähigkeit, Durchhaltevermögen und Selbstbehauptungsfähigkeit noch in mindestens mittelgradiger Ausprägung eingeschränkt gewesen. Für den Beruf als Fleischereifachverkäuferin bestehe ein aufgehobenes Leistungsvermögen. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin dagegen noch vollschichtig ausüben. Auf die Möglichkeit zu kurzfristigen Toilettengängen müsse geachtet werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin könne zwar die Tätigkeit als Fleischereifachverkäuferin nicht mehr ausüben, sie könne jedoch als Registrator, Bürohelferin oder Kassiererin arbeiten. Sie sei daher nicht berufsunfähig und aufgrund des Leistungsvermögens von sechs Stunden täglich auch nicht erwerbsgemindert.

Hiergegen richtet sich die am 21.06.2012 zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage. Seit der letzten Reha-Maßnahme hätten sich die Gesundheitsstörungen weiter verschlechtert. Die Cortison-Dauerbehandlung werde fortgeführt, wegen der Darmkomplikationen habe die Behandlung mit Antidepressiva abgesetzt werden müssen. Es träten regelmäßig und völlig unvermittelt schwere Unterzuckerungen auf. Sie könne auch nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein, wegen der hohen Stuhlfrequenz liege einer schwere spezifische Leistungsbehinderung vor.

Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Dr. F., Klinikum am P. hat mit Schreiben vom 04.09.2012 geäußert, die Erkrankungen Diabetes mellitus Typ I, Colitis ulcerosa, Zn Cholezystektomie 1984, Zn Magen-Operation 2000 und arterielle Hypertonie bedingten keine Einschränkungen bezüglich einer überwiegend sitzenden Tätigkeit. Dr. R. hat mit Schreiben vom 05.09.2012 folgende Gesundheitsstörungen mitgeteilt: Senk-/Spreizfuß beidseits, Lumbalgie, Osteopenie; leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung könnten vollschichtig verrichtet werden. Dr. Sch. hat mit Schreiben vom 11.09.2012 mitgeteilt, bei der letzten Behandlung im Dezember 2011 habe eine leicht bis mittelgradig ausgeprägte depressive Episode vorgelegen, damals seien leichte Tätigkeiten sechs Stunden täglich zumutbar gewesen. Dr. M. (Internist und Diabetologe) hat geäußert, aufgrund der körperlichen Probleme (Fettleibigkeit und Colitis ulcerosa) und der psychischen Einschränkungen sei von einer raschen Ermüdbarkeit auszugehen, weshalb eine Tätigkeit nur bis zu vier Stunden möglich sei. Zusätzlich hat das SG den Befundbericht des Rheumatologen Dr. D. vom 15.04.2013 beigezogen, welcher ein Fibromyalgiesyndrom, Diabetes mellitus, Colitis ulcerosa und keinen sicheren Hinweis für eine entzündliche rheumatische Erkrankung ergibt.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.08.2013 hat das SG die Klage abgewiesen und sich dabei im Wesentlichen auf den Reha-Entlassungsbericht der Klinik G. und die Aussagen der behandelnden Ärzte gestützt. Die Klägerin könne zwar als Fleischereifachverkäuferin nicht mehr arbeiten, sie könne aber auf eine Tätigkeit als Registratorin zumutbar verwiesen werden. Diese Tätigkeit sei auch gesundheitlich zumutbar. Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens bestehe nicht, die notwendigen Kenntnisse für die Tätigkeit könne die Klägerin innerhalb von drei Monaten erwerben.

Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 04.09.2013 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 24.09.2013 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie sei darauf angewiesen, jederzeit eine Toilette in kurzer Zeit zu erreichen. Teilweise benötige sie auch die Möglichkeit sich zu waschen oder zu duschen, da sie phasenweise mehrere Tage an Durchfällen leide. Die normale Verweildauer auf der Toilette betrage ½ Stunde. Darüber hinaus müsse sie wegen der aufgenommenen Flüssigkeitsmenge von bis zu drei Litern häufig die Toilette aufsuchen. Die Diabetessituation habe sich weiter verschlechtert, es bestünden starke Blutzuckerschwankungen und ein- bis zweimal wöchentlich Unterzuckerungen. Auch die Wirbelsäulenerkrankung habe sich weiter verschlechtert. Sie stehe seit 2 ½ Jahren auf der Warteliste für Psychotherapie bei Dr. R., habe aber bisher keinen Therapieplatz bekommen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 28.08.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 08.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.07.2011 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes (Dr. B.-K. vom 25.09.2014).

Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen. Dr. R. berichtet mit Schreiben vom 26.02.2014 über LWS-Beschwerden ohne radikuläre Symptomatik, im MRT-Befund hätten sich deutliche degenerative Veränderung gezeigt, kein Bandscheibenvorfall. Wegen der Rückenschmerzen werde Krankengymnastik und weitere physikalische Therapie durchgeführt. Dr. M. hat mit Schreiben vom 11.04.2014 ausgeführt, hinsichtlich der psychischen Verfassung habe sich keine eindeutige Veränderung ergeben. Das Gewicht nehme stetig zu, wodurch die Leistungsfähigkeit eher abnehme (zuletzt erhobener BMI: 51,6). Seitens der Darmbeschwerden wechsele die Ausprägung.

Zusätzlich hat der Senat ein fachinternistisches Gutachten bei Prof. Dr. Ru. eingeholt. Dieser hat im Gutachten vom 04.07.2014 folgende Gesundheitsstörungen auf internistischem Gebiet festgestellt: Colitis ulcerosa, Diabetes mellitus (phänotypisch Typ II Doppeldiabetes, aktenanamnestisch Typ I, Va beginnende Nephropathie) sowie daneben nach Aktenlage rezidivierende depressive Störung und degenerative LWS-Veränderungen. Die Colitis ulcerosa zeige eine milde Krankheitsaktivität, aktuell ca 6-7 Stühle pro Tag. Es bestehe eine Drangsymptomatik und verlängerte Toilettenbenutzungszeit. Aufgrund der Adipositas bestehe Belastungsluftnot. Der Diabetes mellitus gehe mit gelegentlichen Hypoglykämien einher, manifeste diabetische Folgeschäden bestünden nicht. Aufgrund der Unterzuckerungen dürften keine gefährdenden Tätigkeiten ausgeübt werden, es müsse ein regelmäßiger Tagesablauf ohne Akkord oder Nachtschicht vorliegen. Aus der Kombination von Adipositas permagna mit Belastungsluftnot, Diabetes mellitus mit Hypoglykämien und Pancolitis ulcerosa ergebe sich ein quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden täglich. Bei dieser Einschätzung ist Prof. Dr. Ru. auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21.10.2014 im Hinblick auf die Einwendungen des medizinischen Dienstes von Dr. B.-K. verblieben.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat teilweise Erfolg.

Die form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs 1 SGG) und statthafte (§ 143 SGG) Berufung der Klägerin ist zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 08.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2012 ist aufgrund eines nachträglichen Leistungsfalles rechtswidrig geworden. Die Klägerin hat aufgrund eines Leistungsfalls im Juni 2014 (Untersuchungstag Prof. Dr. Ru.: 11.06.2014) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.01.2015 befristet bis zum 31.12.2017. Ein Rentenanspruch bereits ab Rentenantragstellung besteht dagegen nicht; insoweit ist die Berufung der Klägerin unbegründet.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbs-minderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Diese Voraussetzungen liegen vor. So erfüllt die Klägerin ausweislich des im Berufungsverfahren vorgelegten Versicherungsverlaufs die geforderten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Sie erfüllt die allgemeine Wartezeit (§§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) und auch das Vorliegen von drei Jahren Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung im Juni 2014. Schließlich ist sie auch voll erwerbsgemindert.

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraus-setzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren kann die Klägerin zur Überzeugung des Senats unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich nur noch drei bis unter sechs Stunden arbeiten und ist deshalb teilweise erwerbsgemindert (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes steht der Klägerin dennoch Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird davon ausgegangen, dass der Teilzeitarbeitsmarkt als verschlossen anzusehen ist, wenn – wie hier – kein zumutbarer Arbeitsplatz innegehalten wird (BSG 10.12.1976, GS 2/75 ua, BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr 13).

Der Senat schöpft seine Überzeugung aus dem nachvollziehbaren und plausiblen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Ru. Der Sachverständige hat im Gutachten vom 04.07.2014 (Untersuchungstag 11.06.2014) folgende, für die Leistungsbeurteilung maßgebenden Diagnosen auf internistischem Gebiet gestellt: - Colitis ulcerosa, - Adipositas per magna (BMI 49,5), - Diabetes mellitus, insulinpflichtig seit 1999. Im Vordergrund für die Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit steht nach den überzeugenden Darlegungen Prof. Dr. Ru.s die Kombination aus Colitis ulcerosa, Adipositas per magna und Diabetes mellitus. Bezüglich der Colitis ulcerosa liegt eine milde Krankheitsaktivität vor. Die Stuhlfrequenz beträgt 6 bis 7 weiche Stühle pro Tag mit Drangsymptomatik und einer Toilettenbenutzungszeit von ca ½ Stunde. Die Adipositas per magna hat sich nach Beginn der Insulin- und Glucocorticoidtherapie entwickelt. Vor dieser Therapie 1998 wog die Klägerin 75 kg (BMI 28), bei der Begutachtung wog sie 132 kg. Im Rahmen der Adipositas besteht eine Belastungsdyspnoe NYHA II-III. 1999 wurde nach einem diabetischen Koma ein Diabetes mellitus Typ I LADA diagnostiziert. Die deutlich erhöhten Nüchternglucosewerten mit bis zu 314 mg/dl und die hohen täglichen Insulinmengen von ca 180 IE Insulin sprechen nach den Ausführungen von Prof. Dr. Ru. für eine hepatische Insulinresistenz, ein alleiniger Insulinmangeldiabetes Typ I liege nicht vor. Wöchentlich ein bis zweimal treten Hypoglykämien mit Werten meist um 50-60 mg/dl (minimal 35 mg/dl) auf. Die Klägerin hat hierzu berichtet, dass sie dann Kopfweh und Schweißausbrüche habe, friere und sich für einige Zeit hinlegen müsse. Auch wenn jede der hier maßgebenden internistischen Erkrankungen für sich allein eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht nicht begründen könnte, ist es plausibel und nachvollziehbar, dass jedenfalls in der Zusammenschau der Einschränkungen durch alle drei Erkrankungen zusammen täglich sechs Stunden auch nur leichte Tätigkeiten der Klägerin nicht mehr zumutbar sind. Dem steht entgegen der Auffassung von Dr. B.-K. vom beratungsärztlichen Dienst der Beklagten nicht entgegen, dass noch Therapiereserven bestehen, wie von Prof. Dr. Ru. bestätigt. Maßgebend ist der aktuelle Gesundheitszustand der Klägerin. Dass sich innerhalb kurzer Zeit (weniger als sechs Monate) durch weitere Behandlungen eine derartige Besserung ergeben könnte, dass die Einschränkungen in zeitlicher Hinsicht wegfallen und damit keine dauerhafte Beeinträchtigung vorliegt, lässt sich den Ausführungen Prof. Dr. Ru.s nicht entnehmen. Er bestätigt weitere Therapieoptionen, sieht eine Besserungsmöglichkeit im Hinblick auf das Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht aber nur, wenn neben einer Besserung der Colitis ulcerosa auch eine Gewichtsreduktion mit Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage erfolgt. Dies hält er zwar für möglich, aber wenig wahrscheinlich. So verweist er darauf, dass die Klägerin in der Reha-Klinik G. zwar 7 kg abgenommen, danach aber über das Ausgangsgewicht hinaus wieder zugenommen habe. Die daneben ebenfalls noch bestehenden Beschwerden auf orthopädischem Gebiet mit degenerativen Veränderungen der LWS und die rezidivierende depressive Störung fallen neben den internistischen Erkrankungen derzeit nicht maßgebend ins Gewicht.

Den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung sieht der Senat mit der Untersuchung bei Prof. Dr. Ru. als nachgewiesen an. Für die Zeit vor Juni 2014 war das Leistungsvermögen der Klägerin zwar bereits beeinträchtigt. Es lässt sich aber nicht mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass ihr Leistungsvermögen bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf weniger als sechs Stunden herabgemindert war. Eine zusammenfassende Beurteilung erfolgte bereits während der Rehabilitationsmaßnahmen in Bad M. 2010 und im G. 2012. Nach den dortigen Beobachtungen und Einschätzungen konnte die Klägerin mit Einschränkungen jedenfalls noch leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Gegenüber der Situation bei der Rehabilitation im März 2012 ist hinsichtlich der Colitis ulcerosa zudem eine Verschlechterung eingetreten. Zum damaligen Zeitpunkt wurden 3-5 Stühle normaler Konsistenz angegeben, während es inzwischen 6-7 weiche Stühle täglich sind. Auch die lange Toilettenbenutzungsdauer wird im Entlassungsbericht nicht erwähnt bzw bestand damals noch nicht. Jedenfalls zum Untersuchungszeitpunkt bei Prof. Dr. Ru. bot sich das Bild eines nur zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens.

Ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung der Rente auf Dauer besteht nicht. Regelmäßig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung nur auf Zeit zu gewähren. Eine Ausnahme gilt lediglich unter den Voraussetzungen des § 102 Abs 2 S 4 SGB VI. Danach werden Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Unwahrscheinlich iS des § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann erst dann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht (BSG 29.03.2006, B 13 RJ 31/05 R, SozR 4-2600 § 102 Nr 2); hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten sind alle Maßnahmen zu berücksichtigen (vgl Senatsurteil vom 05.04.2005, L 11 R 3020/03). Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass alle Therapieoptionen ausgeschöpft sind, eine Besserung ist daher nicht unwahrscheinlich. Prof. Dr. Ru. hat ausdrücklich sowohl Therapieoptionen für die Colitis ulcerosa als auch im Bereich Adipositas und dem derzeit nur mäßig eingestellten Diabetes mellitus gesehen. Folglich hat die Klägerin nur Anspruch auf eine befristete Rente. Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs 1 SGB VI), weshalb sich, ausgehend vom Leistungsfall Untersuchungstag bei Prof. Dr. Ru. (11.06.2014) der Rentenbeginn ab 01.01.2015 ergibt. Renten dürfen außerdem nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden (§ 102 Abs 1 Satz 3 SGB VI), weshalb die Rente am 31.12.2017 endet (§ 102 Abs 2 Satz 2 SGB VI).

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit tritt hinter die zustehende Rente wegen voller Erwerbsminderung zurück (§ 89 Abs 1 SGB VI). Im Hinblick auf die bestehende Besserungsmöglichkeit kann auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht auf Dauer zugesprochen werden, denn es steht derzeit nicht fest, dass die Klägerin die Tätigkeit als Fleischereifachverkäuferin auf Dauer nicht mehr ausüben kann. Weitere Ausführungen zu möglichen Verweisungstätigkeiten erübrigen sich daher zum jetzigen Zeitpunkt.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Prof. Dr. Ru. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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