L 20 R 121/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 4048/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 121/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wenn nach den Gegebenheiten des Einzelfalles oder tatsächlich nach den allgemeinen Vorgaben in der DDR die Zahlungen von dritter Seite nicht die Entgeltzahlung durch den Arbeitgeber bewirken oder ersetzen sollten, sondern anderen Zwecken als denen des Arbeitsentgelts dienten, waren sie kein Entgelt im Sinne von § 5 AAÜG, also kein Arbeitsverdientst aus der Systembeschäftigung (BSG Urteil vom 24.07.2003 B 4 RA 40/02 R).
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 09.01.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Feststellung des Zeitraums und der Arbeitsentgelte vom 01.02.1971 bis 30.06.1974 gemäß §§ 5, 8 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).

Am 29.03.2000 beantragte der 1939 geborene Kläger die Feststellung von Zeiten zu einem Zusatzversorgungssystem. Bezüglich seines beruflichen Werdegangs gab der Kläger an, vom 11.03.1964 bis 13.09.1965 bei der Akademie der Wissenschaften tätig gewesen zu sein und zwar als Dipl. Ingenieur, vom 01.10.1965 bis 31.01.1971 als Laboringenieur bei dem VEB T. (T.) B., vom 01.02.1971 bis 30.06.1974 sei er im Rahmen eines Forschungsauftrages des T. beim Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen beschäftigt gewesen, vom 01.07.1974 bis 28.02.1979 als Entwicklungsleiter erneut bei dem VEB T. B., es folgten weitere Zeiten bis 30.06.1990 in verschiedenen Betrieben.

Als Nachweise für den streitgegenständlichen Zeitraum legte der Kläger vor: eine Urkunde vom 14.02.1975 des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik, dass der Kläger aufgrund des durch Beschluss des Rates der Moskauer Hochschule für Energiewirtschaft vom 21.07.1974 zuerkannten akademischen Grades "Kandidat der technischen Wissenschaften" in der Deutschen Demokratischen Republik den akademischen Grad Dr.Ingenieur führen dürfe; eine Urkunde bezüglich der Verleihung des akademischen Grades als Dipl.Ing. vom 09.07.1964 der Technischen Universität A-Stadt.

In den Akten enthalten ist weiter ein Förderungsvertrag vom 11.04.1969 zwischen dem VEB T. und dem Kläger, der zur planmäßigen und systematischen Förderung des Klägers geschlossen wurde mit folgendem wesentlichen Inhalt:
"§ 1
Der VEB T. und Kollege A. vereinbaren folgende Zielstellung der Förderung: Kollege A. übernimmt zum Zwecke seiner Qualifizierung eine Aspirantur in der Sowjetunion mit dem Ziel, den akademischen Grad eines Kandidaten der Technischen Wissenschaften (Dr.Ing.) zu erwerben. Die Aspirantur dauert 3 Jahre.
...§ 4
1. Zur planmäßigen fachlichen Weiterbildung und Qualifizierung werden folgende Maßnahmen vereinbart: Kollege A. berichtet regelmäßig im Abstand von 6 bis 9 Monaten über den Ablauf seiner Arbeiten bei Konsultationen im VEB T ... Die 1. Konsultation findet im Jahr 1970 statt. Wird im Rahmen der KdT etwa 18 Monate nach Beginn seiner Arbeit einen Vortrag über allgemein interessierende Fragen der Arbeit halten, im Verlaufe oder nach seiner Aspirantur einen Vortrag auf einer wissenschaftlichen Tagung halten und mindestens einen Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlichen.
2. Dem Kollegen A. wird folgende konkrete Aufgabe des Betriebs übertragen: Thema der Dissertation (Aspirantur in der SU) "Messwerterfassung für Ströme auf Hochspannungspotential".
Termine: 1. Vorlage eines Zeitplanvorschlags bis 30.05.1968
Erste Konsultation im Januar 1970, weitere Konsultationen in 6 bis 9 Monaten Abstand.
Dabei Übergabe von Arbeitsergebnissen
3. Abschluss der Arbeit bis 30.09.1972
4. Zusätzliche Verteidigung der Arbeit vor dem VEB T.

§ 5
Zur unmittelbaren politischen und fachlichen Betreuung des Kollegen A. wird der Genosse Dr.Ing. H. bestimmt, der über reichlich Kampferfahrung verfügt und Unterstützung zu geben hat.
§ 6
Zur materiellen Sicherstellung der Familie des Kollegen A. während seines Aufenthaltes in der Sowjetunion wird ein besonderer Vertrag zwischen dem VEB T. und dem Kollegen A. spätestens 4 Wochen vor Beginn der Aspirantur abgeschlossen.
§ 7
Nach Abschluss der vereinbarten Förderungsmaßnahmen erfolgt der Einsatz in der unteren Leitungsebene."

Laut Vertragsergänzung vom 26.01.1971 ist folgendes geregelt:

" ... § 2
Die Aspirantur wird im Jahre 1971 aufgenommen und ist innerhalb von 3 Jahren abzuschließen.

§ 3
Das T. fördert die Aspirantur durch folgende Maßnahmen:
- Herr A. erhält für die Zeit seines Aufenthaltes in der Sowjetunion zu seinem Stipendium eine Trennungsentschädigung in Höhe von 100,00 Mark monatlich
- Während der Zeit des Studiums ist die Verbindung zum Werk über die Betriebsakademie aufrecht zu erhalten.

§ 4
Dieser Vertrag gilt vom 01.02.1971 bis zum 31.08.1974.

§ 5
Der Vertrag wird beim Ausscheiden des Kollegen A. aus dem VEB T. und insbesondere dann hinfällig, wenn Herr A. seine Verpflichtungen nicht einhält. Eine Verlängerung bzw. Lösung der vertraglichen Vereinbarung aus anderen Gründen kann nur im gegenseitigen Einvernehmen geschehen."

Es findet sich weiter ein Schreiben des Ministeriums für Hochschulwesen, Sektor Auslandsstudium Betreuungsstelle, vom 12.01.1971 an den Kläger, wonach dem Kläger aufgrund des von ihm gestellten Antrags zur Gewährung eines Sonderstipendiums für die Dauer des geplanten Auslandsstudiums 65 % des monatlichen Netto-Einkommens als Sonderstipendium von 622,50 Mark monatlich auf das angegebene Konto überwiesen werde.

Laut Bescheinigung über Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen gemäß § 8 Abs 1 Satz 2 AAÜG der T. vom 24.11.1992 sind für das Jahr 1971 1.242,00 DM Jahresbruttoverdienst enthalten. Auf weitere Nachfragen der Beklagten legte der Kläger eine Bescheinigung der D. GmbH, Landesdepot B. und Brandenburg vom 30.07.2007 bezüglich des Transformatorenwerks B. vor, wonach im Zeitraum von 1971 bis 1976 keine Lohnkarten aufgefunden worden seien. Der Kläger legte weiter folgende Unterlagen vor: einen Arbeitsvertrag des VEB Transformatorenwerks 01.07.1974, wonach er am 01.07.1974 (01.10.1965) die Tätigkeit als Entwicklungsleiter begonnen habe; eine Bestätigung über eine Treueprämie des Transformatorenwerks, wonach ihm mit Wirkung vom 01.07.1974 als Zuschlag für ununterbrochene Beschäftigung eine Treueprämie in Höhe von 8,00 % des Monatsgehalts gewährt werde; eine Änderung zum Arbeitsvertrag vom 27.02.1973, wonach der bestehende Arbeitsvertrag mit Wirkung vom 01.01.1973 hinsichtlich der Entlohnung auf 1.710,00 Mark geändert werde.

Mit Bescheid vom 06.11.2002 stellte die Beklagte Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung der Technischen Intelligenz vom 01.10.1965 bis 31.01.1971 und vom 01.07.1974 bis 30.06.1990 fest.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Er begehrte die Anerkennung der Zeit vom 01.02.1971 bis zum 30.07.1974 im T. B ... Zur damaligen Zeit sei die Durchführung dieses Forschungsauftrages nur am Moskauer energetischen Institut möglich gewesen. In dieser Zeit habe er auf der Basis seines Netto-Gehaltes monatlich 622,50 Mark als Sondervergütung erhalten. Dies beruhe auf einem Brutto-Gehalt von 1.242,00 Mark, Netto-Gehalt 957,00 Mark. Demzufolge sei für das Jahr 1971 ein Brutto-Gehalt von 13.662,00 Mark, und für die Jahre 1972 und 1973 von 14.904,00 Mark zugrunde zu legen, für das Jahr 1974 (01.01. - 30.06.1974) 7.452,00 Mark. Aus dem Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung gehe hervor, dass während des Auslandsaufenthaltes die Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe entrichtet worden seien. Der Arbeitsvertrag mit dem T. habe weiter Gültigkeit gehabt. Sein Arbeitgeber habe ihm für diese Zeit eine weitere Vergütung von monatlich 100,00 Mark gezahlt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG könnten nur bei einer entgeltlichen Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen. Die Aspirantur und die Ausbildung an einer Hochschule bzw. sonstigen Bildungseinrichtung erfüllten diese Voraussetzungen regelmäßig nicht. Die Ausbildung sei kein Bestandteil des Beschäftigungsverhältnisses gewesen. Etwaig geleistete Zahlungen stellten kein Entgelt aus einem Beschäftigungsverhältnis dar. Dies gelte auch in Anbetracht dessen, dass solche Ausbildungszeiten in der früheren DDR als beitragspflichtige Versicherungszeiten im Sozialversicherungsausweis (von der Bildungseinrichtung) eingetragen worden seien (Hinweis auf BSG Urteil vom 24.10.1996 Az: 4 RA 121/95).

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth am 05.02.2004 erhoben. Im Wesentlichen hat er vorgetragen, die Betriebszugehörigkeit habe während der Aspirantur nicht geendet. Er sei nur im Sommer- und Weihnachtsurlaub zu Hause gewesen. In den Urlauben habe der Kläger in seinem Beschäftigungsbetrieb sog. "Muster" angefertigt und habe Vorträge über sein Forschungsvorhaben im Betrieb abgehalten. Da er in der zunächst veranschlagten Zeit nicht fertig geworden sei, habe der Betrieb die Verlängerung um ein halbes Jahr beantragt. In diesem Zeitraum habe der Kläger seine Arbeit beenden können. Es seien Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden und zwar 60,00 Mark vom Betrieb, 60,00 Mark habe der Kläger selbst zahlen müssen. Die BSG-Entscheidung vom 24.10.1996 sei nicht mit dem vorliegenden Falle vergleichbar. In diesem Fall gehe es um die Anerkennung der Aspirantenzeit als Ausbildungszeit, im hiesigen Falle um die Anerkennung als Ingenieur technischer Arbeit. Der Kläger sei von seinem Arbeitgeber zu der außerplanmäßigen Aspirantur in die Sowjetunion delegiert worden. Das Thema der Arbeiten sei vorgegeben und durch regelmäßige Berichterstattung und Vorträge während des Urlaubs in B. überwacht worden. Das Ergebnis der Arbeit sei vom Betrieb wirtschaftlich verwertet worden. Diese Tätigkeit sei nur im Wege einer Delegation durch den Betrieb zu einer außerplanmäßigen Aspirantur möglich gewesen. Der Kläger hat weiter vorgetragen, dass er 65 % seines monatlichen Nettoeinkommens als Sonderstipendium erhalten habe, hinzu seien 100,00 Mark monatlich als Trennungsentschädigung gekommen. Zusätzlich habe er in Moskau von der DDR-Botschaft pro Monat noch einmal 120,00 Rubel, was nach damaligem Kurs ca. 400,00 DDR-Mark gewesen seien, erhalten. Aus den Arbeitsverträgen ergebe sich, dass eine ununterbrochene Beschäftigung vorgelegen habe. Vorgelegt hat der Kläger weiter einen Arbeitsvertrag zwischen dem VEB T. und ihm vom 01.10.1965, sowie ein Schreiben über die Verlängerung der Aspirantur vom 04.01.1974 vom Werkdirektor der Transformatorenwerke an die Studentenabteilung der Botschaft der deutschen demokratischen Republik in Moskau, wonach aufgrund des verzögerten Anlaufs der Aspirantur des Kollegen A. und des Ablebens seines wissenschaftlichen Betreuers im letzten Jahr der Aspirantur eine Verlängerung um 5 Monate erforderlich sei. Der Antrag des Kollegen A. werde befürwortet, der Betrieb halte es für notwendig, dass die Aspirantur abgeschlossen werde.

Die Beklagte hat daraufhin erwidert, dass selbst wenn während der Aspirantur in der Sowjetunion das Arbeitsverhältnis zum VEB T. weiter bestanden habe, dieses Arbeitsrechtsverhältnis nicht allein zur Berücksichtigung als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem mit der Folge der Berücksichtigung von Einkommen gelte. Maßgeblich sei vielmehr, dass auch in dieser Zeit ein beitragspflichtiges Entgelt bezogen worden sei. Dies sei nicht der Fall gewesen. Nach § 1 Abs 2 der Verordnung über die Pflichtversicherung der Studenten und Aspiranten bei der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten vom 15.03.1962 (Gesetzbl. II Nr 15 S. 126) unterlägen gemäß § 1 Abs 1 der Verordnung alle Studenten an Universitäten der Pflichtversicherung. Nach § 1 Abs 2 der Verordnung sei Voraussetzung, dass der Studierende während der Zeit des Studiums nicht nach anderen Bestimmungen bei der Sozialversicherung pflichtversichert sei. Der Kläger habe nur über das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen - Sektor Auslandsstudium - zur Fortbildung ins Ausland gekonnt. Er habe den Status eines "Zusatzstudenten" erhalten und habe ein Sonderstipendium bekommen, das vom Ministerium aus Mitteln des Staatshaushaltes finanziert worden sei und das sozialversicherungsfrei gewesen sei. Der Kläger habe somit vom 01.02.1971 bis 30.06.1974 eine beitragspflichtige Tätigkeit als Aspirant ausgeübt und kein beitragspflichtiges Entgelt iS des AAÜG bezogen.

Der Kläger hat darauf hingewiesen, dass im Sozialversicherungsausweis die Zeiten vom 01.02.1971 bis zum 30.06.1974 eingetragen worden seien, ebenfalls mit einem beitragspflichtigen Verdienst. Das SG hat Einsicht in den Sozialversicherungsausweis genommen.

Nach Hinweis hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 09.01.2008 die Klage abgewiesen. Die Zeit vom 01.02.1971 bis 30.06.1974 könne nicht als Pflichtbeitragszeit nach § 5 AAÜG anerkannt werden. Der Ausbildungszweck habe im Vordergrund gestanden. Für diese Aspirantur habe das Beschäftigungsverhältnis geendet und sei dann erst am 01.07.1974 durch einen neuen Arbeitsvertrag wieder geschlossen werden.

Gegen das dem Klägervertreter am 14.01.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.02.2008 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Im Wesentlichen hat er vorgetragen, es habe sich nicht um eine Ausbildungsmaßnahme gehandelt, sondern der Kläger habe an dem Problem der Verringerung der Messfehler der Wandler sowie im stationären Bereich als auch bei Scheidvorgängen gearbeitet. Auch im VEB T. sei er als selbstständiger Laboringenieur in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung für Hochspannungsmesswandler beschäftigt gewesen. Um an diesem Problem zu arbeiten, habe es nur die Möglichkeit im Rahmen des Regierungsabkommens des Ministeriums für Hochfachschulwesen der DDR und des entsprechenden Ministeriums in der Sowjetunion gegeben, diese Arbeiten in Moskau durchzuführen. Deshalb habe diese Aufgabe formal im Rahmen einer planmäßigen Aspirantur erfolgen müssen. Es liege ein Erwerbstatbestand vor. Die Entlohnung sei mit einem Sonderstipendium in Höhe von 65 % erfolgt, der Rest sei durch die Botschaft der DDR in Moskau gezahlt worden, insofern habe es keine Änderung der Bezüge gegeben. Grund dafür sei gewesen, dass weder der Rubel noch die Ostmark frei konvertibel gewesen seien. Die Sozialversicherungsbeiträge seien während dieser Zeit in voller Höhe gezahlt worden. Der Kläger habe vor der Forschungsarbeit als Ingenieur gearbeitet, ebenso in der Sowjetunion als Ingenieur und danach in der DDR auch wieder. Der Kläger habe in Moskau für seinen Betrieb geforscht. Die Bezeichnung Aspirantur sei nur aus formalen Gründen gewählt worden. Das Arbeitverhältnis habe fortbestanden.

Die Beklagte hat dazu Stellung genommen und auf die ihrer Ansicht nach richtigen Gründe des SG Bayreuth Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Bevollmächtigte des Klägers Kopien des Sozialversicherungsausweises vorgelegt. Danach ist für den 01.01.1966 bis 01.01.1971 (jeweils ab Beginn) die Tätigkeit Laboringenieur und als Betrieb der VEB T. eingetragen. Für den 01.02.1971 bis 01.01.1972 ist keine Beschäftigung eingetragen, als Betrieb die Botschaft der DDR, Studentenabteilung Moskau. Für den 01.01.1973 und 01.01.1974 ist Auslandsstudium, Aspirant eingetragen und als Betrieb erneut die Botschaft der DDR, Studentenabteilung Moskau, ab 01.01.1973 zusätzlich Hochschule für Ökonomie, B. L., Direktorat für internationale Beziehungen, Betreuungsstelle für Auslandsstudium. Ab 01.07.1974 ist als Beschäftigung Entwicklungsleiter eingetragen und als Betrieb wieder der VEB T ...

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 09.01.2008 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheids der Beklagten vom 06.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2004 zu verurteilen, die Zeit vom 01.02.1971 bis 30.06.1974 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der Technischen Intelligenz und die in diesem Zeitraum erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 09.01.2008
zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Zeit vom 01.02.1971 bis 30.06.1974 gemäß § 5 AAÜG.

Dass das AAÜG auf den Kläger anwendbar ist, ist nicht streitig. Gem. § 5 AAÜG gelten Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, als Pflichtbeitragszeit der Rentenversicherung. Auf diese Zeiten sind vom 01.01.1992 an die Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) anzuwenden, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Ob die Voraussetzungen für die Gleichstellung mit rentenrechtlichen Pflichtbeitragszeiten erfüllt sind, hängt davon ab, ob
1. der Betroffene eine "Beschäftigung" ausgeübt hat, die
2. "entgeltlich" war und die
3. ihrer Art nach von einem Vorsorgungssystem erfasst war (vgl. BSG Urteil vom 24.07.2003, B 4 RA 40/02 R, veröffentlicht in juris).

Bei der Frage, ob eine Beschäftigung vorliegt (BSG vom 24.07.2003, aaO), ist bei Sachverhalten, die sich historisch während und nach Maßgabe der Geltung von Bundesrecht entwickelt haben, das Vorliegen einer Beschäftigung nach § 7 Abs 1 SGB Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) zu beurteilen. Danach ist Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Ausschlaggebende Anhaltspunkte sind das Vorliegen einer Beschäftigung und die Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens des Arbeitgebers. Eine im Voraus zeitlich begrenzte Verlagerung des Erfüllungsortes/Arbeitsortes ins Ausland beseitigt die Versicherungspflicht nicht, wenn sie im Rahmen eines im Inland (fort)bestehenden Beschäftigungsverhältnisses erfolgt. Bei der von § 5 AAÜG angeordneten Anwendung dieses Bundesrechts auf Sachverhalte und Ereignisse, die sich in der DDR zugetragen haben, ist jedoch stets zu beachten, dass die Betroffenen damals ihr Verhalten nicht nach dem Bundesrecht, sondern nach den Vorgaben der DDR ausgerichtet haben. Es ist deshalb stets wertend zu prüfen, ob ein solcher "DDR-Sachverhalt" in seinem wirtschaftlichen und sozialen Sinn und rechtlichen Gehalt der in einer Norm des Bundesrechts ausgeprägten (normativ gedachten) Wirklichkeit entspricht. Der in der DDR gegebene Sachverhalt kann also nicht unmittelbar unter einen Rechtsbegriff des Bundesrechts "subsumiert" werden. Vielmehr ist stets zu prüfen, ob dieser Rechtsbegriff auf einen solchen Sachverhalt nach Sinn und Zweck anwendbar ist und umgekehrt, ob ihm Sachverhalte in der DDR unterfallen. Da der Rechtsbegriff der Arbeitsverhältnisse im rechtlichen (nicht ideologischen) Kern übereinstimmte, und auch die vorübergehende Entsendung nicht unterschiedlich verstanden wurde, ist die Feststellung, der früher Versorgungsberechtigte habe eine "Beschäftigung" ausgeübt oder sei im Rahmen einer solchen entsandt worden, in der Regel unproblematisch zu treffen, wenn in der DDR ein Arbeitverhältnis bestand bzw. im Rahmen eines solchen eine Entsendung erfolgte, wobei es auch hier nicht auf die Bezeichnung, sondern auf den wirtschaftlichen und sozialen Inhalt ankommt.

Im vorliegenden Falle ist also zu klären, ob die Zeit der Aspirantur des Klägers vom 01.02.1971 bis 30.06.1974 im energetischen Institut in Moskau das Beschäftigungsverhältnis zu dem VEB T. unterbrochen hat oder nicht.

Die Regelungen der Aspirantur im Recht der DDR legen dar, dass die planmäßige wissenschaftliche Aspirantur eine Form der Qualifizierung nach abgeschlossenem Studium ("Diplom einen Wissenschaftszweiges") mit dem Ziel, den akademischen Grad "Dr. eines Wissenschaftszweiges" zu erwerben, darstellt (§§ 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2, 4 Abs 1 Anordnung über die wissenschaftliche Aspirantur - Aspirantenordnung - vom 22.09.1972 - GBl II, 648). Dabei handelt es sich grundsätzlich auf ein 3 Jahre befristetes Ausbildungsverhältnis in wissenschaftlichen Einrichtungen. Während der Dauer der Ausbildung waren Aspiranten Angehörige der Ausbildungseinrichtung und einem Hochschullehrer oder erfahrenen Wissenschaftler als Betreuer zugeordnet, der für die Qualität der Ausbildung verantwortlich war und zu sichern hatte, dass der Aspirant einen von ihm selbst ausgearbeiteten Arbeitsplan erfüllte sowie in die Forschung einbezogen wurde. Über die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit hatte der Aspirant regelmäßig dem Betreuer und dem Leiter des Arbeitskollektivs zu berichten. Ein Ausbildungsverhältnis zwischen der Ausbildungseinrichtung und dem Aspiranten bestand nicht. Das Arbeitsverhältnis zwischen einem delegierenden Betrieb und dem Aspiranten ruhte für die Dauer der Aspirantur (vgl. insgesamt BSG Urteil vom 24.06.1993, 11 RAr 77/92; BSG Urteil vom 23.03.1999, B 4 RA 18/98 R; BSG Urteil vom 24.10.1996, 4 RA 121/95, veröffentlicht in juris).

Im vorliegenden Falle ist davon auszugehen, dass es sich um eine Aspirantur in diesem Sinne handelt mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem VEB T. und dem Aspirant für die Dauer der Aspirantur geruht hat. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die o.g. Regelungen, nämlich die Aspirantenordnung erst vom 22.09.1972 stammt. Der Kläger hat die Aspirantur jedoch schon zum 01.02.1971 begonnen. Allerdings ist davon auszugehen, dass - auch ohne ausdrückliche Regelung - die Aspirantur schon vorher den gleichen rechtlichen Vorgaben folgte. Dafür spricht der ganze Ablauf im vorliegenden Fall. Der Kläger war vor der Aspirantur Dipl.Ingenieur. Nach Abschluss der Aspirantur erhielt er den akademischen Grad Dr.Ingenieur. Die Aspirantur war lt. dem Förderungsvertrag vom 11.04.1969 auch auf 3 Jahre angelegt, die Verlängerung erfolgte wegen des Ablebens des wissenschaftlichen Betreuers im letzten Jahr der Aspirantur um 5 Monate (Schreiben des Werkdirektors des VEB vom 04.01.1974 an die Studentenabteilung der Botschaft der deutschen demokratischen Republik in Moskau). Auch die weiteren Formalien weisen auf eine Aspirantur hin. Zum einen sind die Begriffe der Aspirantur im Förderungsvertrag und seiner Ergänzung genannt. Zum anderen war dem Kläger ebenfalls aufgegeben, einen Arbeitsplan (vgl. Zeitplanvorschlag) vorzugeben (vgl. insoweit Förderungsvertrag vom 11.04.1969), ihm wurde zur politischen und fachlichen Betreuung Dr.Ing. H. bestimmt (vgl. § 5 des vorgenannten Vertrages), dem Kläger war aufgegeben, dem Betreuer und dem Leiter des Arbeitskollektivs über die wissenschaftliche Arbeit zu berichten (vgl. insoweit auch § 4 des Vertrages, wonach dem Kläger aufgegeben wurde, regelmäßig im Abstand von 6 bis 9 Monaten über den Ablauf seiner Arbeiten zu berichten, ebenso dass er einen Vortrag darüber halten solle).

Dass der Kläger im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses zu dem VEB lediglich nur an einem anderen Ort, nämlich dem energetischen Institut in Moskau arbeitete, ist hingegen nicht anzunehmen, vielmehr hat das Beschäftigungsverhältnis geruht. Zwar ist eine Gleichstellung von DDR-Beschäftigung mit Auslandsberührung auch dann gegeben, wenn zwar die Arbeit im Ausland erfolgte, wenn sie aber vom DDR-Arbeitgeber im Voraus zeitlich begrenzbar war, dessen Weisungsgewalt jedenfalls iS eines Rückholrechts fortbestand, die Arbeitsleistung im Ausland vom DDR-Arbeitgeber also in seinem Interesse liegend zumindest anerkannt war, wenn eine Rückkehr des Arbeitnehmers nach Beendigung des Auslandseinsatzes auf seinen früheren Arbeitsplatz oder eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt rechtlich geregelt war und wenn die mit dem Bestand des Arbeitsverhältnisses in der DDR verbundenen Nebenberechtigungen und Pflichten grundsätzlich erhalten blieben (vgl. insoweit BSG Urteil vom 24.07.2003 aaO).

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der Kläger am 01.10.1965 in dem VEB T. lt. Vertrag vom 01.10.1965 die Arbeit aufgenommen hat. Für die Frage, ob diese Beschäftigung fortbestanden hat, ist möglicherweise der Arbeitsvertrag aus dem Jahre 1974, der in Klammern das Datum 01.10.1965 setzt, ein Indiz. Danach könnte angenommen werden, die Beteiligten seien von einer ununterbrochenen Beschäftigung ausgegangen. Nach dem Förderungsvertrag und seiner Ergänzung existierte eine zeitliche Begrenzung des Aufenthalts, der Einsatz des Klägers nach Abschluss der Förderungsmaßnahme war in der unteren Leitungsebene vorgesehen. Auch war dem Kläger aufgegeben, während der Zeit des Studiums die Verbindung zum Werk über die Betriebsakademie aufrecht zu erhalten.

Anders als der Kläger jedoch vorgetragen hat, handelte es sich nicht lediglich um eine Fortführung seiner Forschungstätigkeit im VEB T. am Institut für energetische Energie in Moskau, sondern es ist daneben noch zusätzlich die Qualifizierung des Klägers mit dem Doktortitel erfolgt. Auch die Eintragungen im Sozialversicherungsausweis sprechen gegen eine Fortführung der Beschäftigung. Ab Beginn der Aspirantur ist die Botschaft der DDR, Studentenabteilung in Moskau als Betrieb genannt (und nicht der VEB T. wie vor und nach der Aspirantur), als Beschäftigung Auslandsstudium, Aspirant.

Ebenso ist das weitere Tatbestandsmerkmal der Entgeltlichkeit nicht erfüllt.

Nach Bundesrecht ist die Entgeltzahlungspflicht eine Hauptpflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis. Zu ihrer Erfüllung kann er sich grundsätzlich auch Dritter bedienen. Eine Entgeltlichkeit der Beschäftigung hätte jedenfalls dann bestanden, wenn der DDR-Arbeitgeber weiterhin dafür Gehalt gezahlt hätte bzw. nach DDR-Vorgaben hätte zahlen müssen, ferner wenn ein Dritter (z.B. der Staat) die Zahlungen übernommen hätte oder wenn der Kläger darin eingewilligt hätte, dass ein Dritter anstelle des Arbeitgebers das Gehalt unter Umständen mit niedrigerem Betrag zahlen sollte. Wenn aber nach den Gegebenheiten des Einzelfalles oder tatsächlich nach den allgemeinen Vorgaben in der DDR die Zahlungen von dritter Seite nicht die Entgeltzahlung durch den Arbeitgeber bewirken oder ersetzen sollten, sondern anderen Zwecken als denen des Arbeitsentgelts dienten, waren sie kein Entgelt iS von § 5 AAÜG, also kein Arbeitsverdienst aus der Systembeschäftigung (vgl. insoweit BSG vom 24.07.2003 aaO).

Im Fall des Klägers steht fest, dass er 65 % des Netto-Einkommens von dem Ministerium für Hochschulen erhalten hat, zusätzlich durch die DDR-Botschaft noch Rubelzahlungen. Es ist also zu fragen, auf welcher Grundlage diese Zahlungen erfolgt sind, um auf diesem Wege Aufschluss über den Rechtscharakter der bescheinigten Zahlungen zu erhalten. Im vorliegenden Falle handelt es sich in soweit um Stipendien. Die insoweit maßgebliche "Anweisung des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen vom 01.10.1959 über die Zahlung von Stipendien an Hochschulabsolventen, die aus dem Bereich der sozialistischen Praxis zu einem zusätzlichen Qualifizierungsstudium ins Ausland delegiert werden" sowie die "Arbeitsrichtlinie vom 01.10.1962 zur Durchführung der Anweisung des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen über die Zahlung von Stipendien an Hochschulabsolventen vom 01.10.1959" machen deutlich, dass es sich bei den an den Kläger erfolgten Zahlungen um Stipendien handelt. Nach Abschnitt IV Nr 2 der Arbeitsrichtlinie waren promovierte Hoch- und Fachschulkader, die ab 01.09.1962 zur einem Zusatzstudium ins Ausland delegiert wurden, weiterhin auf der Grundlage der Anweisung vom 01.10.1959 materiell zu versorgen sodass entsprechend der Ziffer 1 dieser im Übrigen nicht mehr anzuwendenden Anweisung vom 01.10.1959 den angesprochenen Personen " neben dem in der jeweiligen Währung des Gastlandes auf der Grundlage bestehender Abkommen bezahlten Stipendium ein Teil ihres bisherigen Gehaltes als Stipendium in Mark der Deutschen Notenbank weiter" zu zahlen war (vgl. insoweit LSG B. Brandenburg Urteil vom 06.12.2007, L 8 RA 83/04, veröffentlicht in juris).

Diese Bestimmungen treffen auch die hier vorliegend streitigen Zeiten des Auslandsstudiums in den Jahren 1970 bis 1974. Der Kläger sollte zur weiteren Kaderausbildung die Aspirantur absolvieren (vgl. § 7 des Förderungsvertrages, wonach der Kläger nach Abschluss der Förderungsmaßnahme in der unteren Leitungsebene eingesetzt werde). Dass der Kläger hier 65 % seines Netto-Gehaltes in Mark der Deutschen Notenbank und darüber hinaus einen Geldbetrag in der Währung des Auslandaufenthaltes (hier 120 Rubel) erhalten hat, entspricht den aufgeführten Bestimmungen. Dass sich die Zahlungen an dem letzten Netto-Entgelt orientierten, stellt lediglich die Bemessungsgrundlage für Stipendien dar, macht diese aber nicht zu sozialversicherungspflichtigen Entgelten. Soweit es sich aber bei Zahlungen um Stipendien handelte, unterlagen diese nicht der Beitragspflicht in der Sozialversicherung (BSG vom 24.07.2003 aaO unter Bezugnahme auf die Anordnung über die Gewährung von Stipendien an Direktstudenten der Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR vom 04.07.1968 - GBl. II S. 527, § 16; LSG Baden-Württemberg vom 24.01.2012, L 13 R 5065 /09, veröffentlicht in juris.). Der Eintrag von sozialversicherungspflichtigen Einkommen in der fraglichen Zeit im Sozialversicherungsausweis belegt nicht die Zahlung von Beiträgen.

Nach alledem sind die Voraussetzungen des § 5 AAÜG nicht erfüllt, so dass die Berufung keinen Erfolg hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 161 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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