L 20 R 979/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 552/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 979/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.10.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.04.2009, mit dem die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Erwerbsminderungsrente aufgrund seines Antrags vom 24.09.2008 abgelehnt hat.

Der 1953 geborene Kläger absolvierte vom 01.09.1967 bis 31.01.1971 eine Lehre als Werkzeugmacher und war in diesem Beruf auch bis Oktober 1977 versicherungspflichtig beschäftigt. Von November 1977 bis Dezember 1995 war er als Werkzeugmacher bzw. Maschineneinsteller tätig, von September 1999 bis April 2002 war er als Maschinenarbeiter bzw. Maschinenbediener versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch arbeitgeberseitige Kündigung beendet. Seit April 2002 ist der Kläger arbeitslos.

Am 24.09.2008 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Er leide seit 1995 an Schwindel und HWS-Syndrom. Im Jahr 2007 seien massive Schlafstörungen und eine starke Müdigkeit den ganzen Tag über hinzugekommen. Eine Arbeit könne er sich nicht mehr vorstellen. Die Beklagte holte daraufhin ein sozialmedizinisches Gutachten von Dr.H. ein, der am 17.11.2008 zu dem Ergebnis kam, dass der Kläger Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne. Nicht mehr ausgeübt werden könne die Tätigkeit als Werkzeugmacher, ebenfalls nicht als Maschineneinsteller. Für eine Tätigkeit als Maschinenbediener sei aber noch ein mehr als 6-stündiges Leistungsvermögen gegeben. Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichen Bescheid vom 20.11.2008 einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2009 als unbegründet zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bestehe nicht, da der Kläger Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mehr als 6 Stunden täglich verrichten könne. Auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme nicht in Betracht. Zwar könne der Kläger die letzte Tätigkeit als Maschineneinsteller nicht mehr verrichten. Dabei handele es sich aber um eine Anlerntätigkeit, so dass der Kläger auf die Verweisungsberufe des Warenaufmachers, Montierers sowie des Pförtners an der Nebenpforte verwiesen werden könne.

Zur Begründung der hiergegen am 15.05.2009 zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhobenen Klage hat der Kläger darauf hingewiesen, dass er mit der Leistungseinschätzung durch den Medizinischen Dienst der Beklagten nicht einverstanden sei. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass es sich bei seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit um eine Facharbeitertätigkeit gehandelt habe. Er könne deshalb nicht sozial zumutbar auf die von der Beklagten genannten Verweisungsberufe verwiesen werden.

Das SG hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers Dr.D. und Dr.R. beigezogen und nochmals den letzten Arbeitgeber des Klägers, die Firma O. GmbH, zur Qualität seiner Tätigkeit befragt. Laut Arbeitgeberauskunft vom 31.07.2009 handele es sich bei der Tätigkeit als CNC-Fräser um eine Facharbeitertätigkeit, die genannte Anlernzeit von 6 Monaten beziehe sich auf einen Facharbeiter mit entsprechenden Vorkenntnissen. Mit Schriftsatz der Beklagten vom 10.09.2009 wurden weitere Verweisungsberufe genannt, nämlich Schloss- und Schlüsselmacher in Montageabteilungen der Schloss- und Beschlagindustrie, Bürogehilfe sowie End- und Funktionsprüfer und hierzu jeweils berufskundliche Stellungnahmen vorgelegt.

Das SG hat sodann ein Terminsgutachten von Dr.S. (Facharzt für Chirurgie) eingeholt, der am 30.10.2009 zu folgenden Diagnosen kam:

- Fehlhaltungen im Bereich der Wirbelsäule mit chronischen HWS-Syndrom und Blockierungen der Brustwirbelsäule, leicht- bis mäßiggradig eingeschränkte Beweglichkeit
- geminderter Ernährungs- und Kräftezustand
- Bluthochdruck, Verdacht auf koronare Herzkrankheit, rezidivierendes Schwindelgefühl
- Senk-Spreiz-Fußbildung
- Tinnitus.

Dem Kläger könnten leichte körperliche Arbeiten, überwiegend im Sitzen, aber auch im Gehen und Stehen zugemutet werden unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen wie keine schweren oder mittelschweren Hebe- und Tragearbeiten, Zwangshaltungen, häufige bückende Arbeiten, kein Steigen auf Leitern und Gerüsten, keine Tätigkeit an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen, Schutz vor Nässe, Kälte und Zugluft, Vermeiden von stärkerer Umweltgeräuschbelastung, keine besondere nervliche Belastung. Das Leistungsvermögen des Klägers betrage weniger als 8 Stunden, jedoch mindestens 6 Stunden täglich. Die Limitierung des zeitlichen Leistungsvermögens auf unter 8 Stunden sei durch den geminderten Kräftezustand bedingt und die Kombination zwischen orthopädischen und internistischen Gesundheitsstörungen (Herzkrankheit mit Bluthochdruck). Tätigkeiten als Schloss- und Schlüsselmacher seien möglich, ebenfalls als End- und Funktionsprüfer (leichte Tätigkeiten im Sitzen, kein Stress, keine Belastung des Bewegungsapparates). Als Registraturkraft sei er nicht mehr einsetzbar, da auch Zwangshaltungen sowie Arbeiten auf Stehleitern erforderlich sein könnten.

Das SG hat mit Urteil vom 30.10.2009 die Klage gegen den Bescheid vom 20.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.04.2009 abgewiesen. Ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bestehe nicht, da der Kläger Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI. Ausgehend von dem Beruf des CNC-Fräsers sei der Kläger als Facharbeiter einzustufen. Diese Tätigkeit könne der Kläger allenfalls noch 4 Stunden täglich verrichten. Mit dem bei ihm vorhandenen Leistungsbild könne er jedoch noch als Schloss- und Schlüsselmacher in Montageabteilungen tätig sein, ebenso als End- und Funktionsprüfer in der industriellen Fertigung. Auf diese Tätigkeiten könne der Kläger sowohl medizinisch als auch sozial zumutbar verwiesen werden.

Zur Begründung der hiergegen am 19.11.2009 zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung trägt der Kläger vor, dass der Schwerpunkt der medizinischen Untersuchung in der ersten Instanz vor allem auf orthopädischem Fachgebiet gelegen habe. Die massiven Schwindelanfälle, die er bereits in der ersten Instanz geäußert habe, hätten durch den medizinischen Sachverständigen in dieser Instanz nicht verifiziert werden können. Zwischenzeitlich sei beim Kläger ein Tinnitus beidseitig diagnostiziert worden sowie eine mittelgradig depressive Episode. Das Krankheitsbild habe sich massiv verschlechtert. Er sei vor allen Dingen mit diesem Krankheitsbild nicht in der Lage, die Verweisungsberufe, die die Beklagte in der ersten Instanz benannt habe, tatsächlich auszuüben. Der Kläger sei deshalb mindestens berufsunfähig.

Der Senat hat nach Beiziehung von ärztlichen Befundberichten und der Schwerbehindertenakte des Klägers ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr.C. eingeholt, der am 13.05.2011 zu folgenden Diagnosen kam:
- Undifferenzierte Somatisierungsstörung
- rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode
- degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne radikuläre Symptomatik.

Die Gesundheitsstörungen, die die Erwerbsfähigkeit des Klägers beeinträchtigten, beträfen die Entwicklung körperlicher Beschwerden, insbesondere einer Schwindelsymptomatik aufgrund psychischer Ursache, eine Neigung zu depressiven Verstimmungszuständen sowie Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass bei dem Kläger eine seelische Störung vorliegt, die er auch bei zumutbarer Willensanstrengung sowie mit fremder Hilfe nicht zu überwinden vermöge. Zwar sei einerseits eine Chronifizierung erkennbar, andererseits seien bislang nur sehr unzureichende Therapiemaßnahmen erfolgt. Durch eine medikamentöse antidepressive Behandlung sei eine Besserung der Verstimmungszustände innerhalb von 3 bis 6 Monaten möglich. Auch die körperliche Beschwerdesymptomatik könnte bei konsequenter Anwendung ambulanter wie auch stationärer psychosomatisch-psychotherapeutischer Verfahren zu einem wesentlichen Teil gebessert werden. Auch hier sei ein Zeitrahmen von 3 bis 6 Monaten anzusetzen. Die Tätigkeit eines CNC-Fräsers und Maschineneinstellers könne der Kläger aufgrund seiner Gesundheitsstörungen nicht mehr vollschichtig verrichten. Eine Tätigkeit als Maschinenbediener wäre aber durchaus noch vollschichtig unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes möglich. In den Verweisungsberufen Schloss- und Schlüsselmacher bzw. End- und Funktionsprüfer sei er ebenfalls noch vollschichtig einsetzbar. Die festgestellten Erwerbsfähigkeitsbeschränkungen bestünden sicherlich in dieser Form schon seit langer Zeit, mindestens seit 2002 und damit auch im Zeitpunkt der Rentenantragstellung September 2008. Eine wesentliche Befundänderung lasse sich nicht nachvollziehen. Zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit sollte eine Heilbehandlung in einer psychosomatisch-psychotherapeutischen Klinik durchgeführt werden. Darüber hinaus sollten Maßnahmen, die einer Rückkehr in eine Erwerbstätigkeit dienen könnten, ebenfalls zur Anwendung kommen.

Mit Schriftsatz vom 13.07.2011 nahm die Prozessbevollmächtigte des Klägers zum Gutachten Dr.C. Stellung und legte u.a. ein nervenärztliches Attest der behandelnden Ärztin Frau Dr.S. sowie ein nervenärztliches Attest des Gesundheitsamtes der Stadt A-Stadt vom 06.07.2011 vor. Die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie der Stadt A-Stadt Frau Dr.R. habe darin den Verdacht auf eine wahnhafte Depression bei zwanghafter Grundstruktur, Verdacht auf Einsamkeitsparanoid mit akustischen Halluzinationen geäußert. Auch die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten seien dem Kläger medizinisch nicht mehr zumutbar. Da der Kläger auch fast 10 Jahre aus dem aktiven Arbeitsleben ausgeschieden sei, sei ihm der heutige Stand der Technik nicht mehr bekannt.

Der Senat hat daraufhin eine ergänzende Stellungnahme von Dr.C. eingeholt, der am 04.08.2011 hierzu ausführte, dass in den vorgelegten Attesten im Wesentlichen die Gesundheitsstörungen des Klägers lediglich als Verdacht geäußert und differenzialdiagnostisch mit in Erwägung gezogen worden seien. Eine sichere Diagnosestellung sei bislang nicht möglich. Am bedeutsamsten sei sicherlich das Attest von Frau Dr.R. aufgrund des Kontaktes mit dem sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes der Stadt A-Stadt. Die von dort geäußerte Verdachtsdiagnose stehe im Wesentlichen auch in Übereinstimmung mit dem in seinem Gutachten geäußerten Verdacht. Dennoch sei festzustellen, dass eine relevante Behandlung, welche die Verdachtsdiagnosen möglicherweise erhärten könnte, bislang nicht erfolge. Die Teilnahme an einer derartigen Behandlung könne durchaus erwartet werden, zumal der Kläger auch nervenärztliche und psychotherapeutische Kontakte halte. Allerdings seien die Häufigkeit und die Frequenz bislang eher gering gewesen. Eine stationäre Behandlung, die zwar nicht erzwungen werden könne, sei überhaupt nicht erfolgt. Auch eine sinnvolle medikamentöse Behandlung sei bislang nicht erfolgt. Darüber hinaus sei der Kläger durchaus im Alltag aktiv. Erhebliche Auffälligkeiten seien im Kontakt, auch für die beteiligten Therapeuten, offensichtlich nicht erkennbar. Auch durch die Vorlage der neuen Befunde, die durchaus ernst zu nehmen seien und im Rahmen der Krankenversicherung bzw. Behandlungsplanung auch einer diagnostischen und therapeutischen Intervention bedürften, ergäben sich jedoch im Hinblick auf die Beurteilung der Leistungsfähigkeit zunächst keine geänderten Sachverhalte. Demzufolge werde an der Beurteilung vom 13.05.2011 festgehalten.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.10.2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit aufgrund seines Antrags vom 24.09.2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.10.2009 zurückzuweisen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten, die Akten des Versorgungsamtes A-Stadt (Az: ...) sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist jedoch unbegründet. Das SG A-Stadt hat zu Recht mit Urteil vom 30.10.2009 die Klage gegen den Bescheid vom 20.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.04.2009 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI noch nach § 240 SGB VI auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Gemäß § 43 Abs 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Zur Überzeugung des Senats steht aufgrund der beigezogenen Befundberichte und eingeholten Sachverständigengutachten fest, dass der Kläger in der Lage ist leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen noch im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Sowohl in dem im Verwaltungsverfahren eingeholten sozialmedizinischen Gutachten von Dr.H. als auch in dem im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten chirurgischen Terminsgutachten von Dr.S. ist festgehalten, dass der Kläger aufgrund der bestehenden orthopädischen und internistischen Erkrankungen noch in der Lage ist, mindestens 6 Stunden täglich Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Soweit im Rahmen des Berufungsverfahrens die neurologisch/psychiatrische Situation in den Mittelpunkt gestellt wurde, kommt der vom Senat beauftragte Sachverständige Dr.C. ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Kläger noch mindestens 6 Stunden täglich Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben könne. Der Kläger leidet zweifellos unter einer somatoformen Störung in Form eines phobischen Schwankschwindels. Organische Ursachen hierfür haben sich weder auf orthopädischem Fachgebiet noch auf neurologischem Fachgebiet feststellen lassen. Im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens war festgestellt worden, dass auch die Herz- und Kreislaufbelastbarkeit des Klägers keine Erklärung für den Schwindel darstellen kann. Dr.C. kommt in seinem Gutachten deswegen zu der Feststellung, dass Ursache der psychosomatischen Störung psychosoziale Konflikte sein könnten, die insbesondere offenbar mit der über dem Kläger wohnenden Nachbarin zusammenhängen. Dr.C. führt in seinem Gutachten vom 13.05.2011 hierzu aus, dass der Beginn der Symptomatik in augenfälliger Weise mit den Schwierigkeiten des Klägers an seiner damaligen Arbeitsstelle im Jahr 1995 zusammenhängen und dass es durchaus denkbar sei, dass damals Ängste mobilisiert worden seien, die nicht adäquat hätten bewältigt werden können und zur nachfolgenden Somatisierung geführt haben könnten. Im weiteren Verlauf würden auch Partnerprobleme beschrieben. Inwieweit nachbarschaftliche Konflikte bei der Aufrechterhaltung der Beschwerdesymptomatik beteiligt sein könnten lasse sich nur schwer beurteilen. Unabhängig von der Frage der Ursache der Somatisierungsstörung sei aber festzuhalten, dass auch die behandelnden Ärzte und Therapeuten des Klägers bislang noch keine Notwendigkeit für eine Intensivierung der Behandlung sahen und dass durchaus noch erhebliches Behandlungspotential sowohl therapeutisch als auch medikamentös bestehe.

Im Hinblick auf die vorgelegten neuen Atteste von Frau Dr. S. vom 08.07.2011 und Frau Dr. R. vom 06.07.2011 weist der gerichtliche Sachverständige Dr. C. darauf hin, dass es sich hierbei um geäußerte Verdachtsdiagnosen handelt, die noch nicht ausreichend verifiziert und auch noch nicht behandelt sind. Es sei durchaus denkbar, dass der Kläger unter einer zwanghaften Persönlichkeit leide und er auch mit seiner einsamen Lebensweise nicht zu recht komme. Darauf sei bereits in seinem Gutachten vom 13.05.2011 hingewiesen worden. Der Kläger habe damals über einen mehrjährigen Konflikt mit einer über ihm wohnenden Nachbarin berichtet. Er fühle sich durch den von ihr produzierten Lärm erheblich beeinträchtigt. Die Schilderungen des Klägers ließen durchaus auch an eine paranoide Symptomatik bzw. Wahnstörung denken. Derartige Störungen manifestierten sich nicht selten in Form von ungerechtfertigten Beeinträchtigungsgefühlen durch andere Personen, auch Personen aus der Nachbarschaft. Aufgrund der Schilderung sei es aber nicht möglich, die Angaben des Klägers hinsichtlich ihres Realitätsgehaltes zu beurteilen. Ohne eine geeignete Fremdanamnese lasse sich die Situation nicht beurteilen. Tendenziell gegen ein Wahnerleben spreche, dass die Belästigungen lediglich auf Geräuschempfindung bezogen würden und weder eine generelle Beeinträchtigung durch die Nachbarin noch durch andere Personen beschrieben werde. Auch würden keine bizarr anmutenden Anschuldigungen vorgebracht. Darüber hinausgehende abnorme Erlebnisweisen, beispielsweise in Form von Wahnwahrnehmung, Ichstörungen oder Halluzinationen auf anderem Gebiet fänden sich nicht. Insofern sei die Diagnose einer Wahnstörung allenfalls im weitesten Sinne differenzialdiagnostisch in Erwägung zu ziehen. Falls tatsächlich eine Wahnerkrankung vorliegen würde, wäre dies selbstverständlich von erheblicher Tragweite, auch im Hinblick auf Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers. Allerdings sei aufgrund der vorliegenden Daten eine derartige Diagnose zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Sinnvoll wäre, auch im Hinblick auf die sicherzustellenden Diagnosen, eine mehrwöchige stationäre Behandlung in einer Fachklinik. In seiner Persönlichkeit zeige der Kläger durchaus autistisch-eigenbrötlerische Züge. Er wirke grundsätzlich eher ungesellig und ein gewisser menschenscheuer Rückzug sei aus der Biografie durchaus nachvollziehbar. Andererseits zeigten sich jedoch keine schweren psychischen Auffälligkeiten. Dr. C. verblieb aufgrund dieser Analyse bei seiner im Gutachten vom 13.05.2011 getroffenen Leistungseinschätzung.

Nach Überzeugung des Senates ist aufgrund dieser Ausführungen des Sachverständigen Dr. C. unter Berücksichtigung der beigezogenen Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers davon auszugehen, dass der Kläger noch über ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen verfügt, so dass weder ein Anspruch auf volle noch auf teilweise Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI besteht. Insbesondere bestehen noch zumutbare Behandlungsoptionen auf psychiatrischem bzw. psychotherapeutischem Gebiet, die noch nicht ausgeschöpft sind, die unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Senats einer Rentengewährung gegenwärtig entgegenstehen (vgl. BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.03.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils veröffentlicht bei juris; Urteil Bayer. Landessozialgericht vom 12.10.2011 - L 19 R 738/08; Urteil Bayer. Landessozialgericht vom 30.11.2011 - L 20 R 229/08).

Auch ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI besteht nicht. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Regelung auf den Kläger Anwendung findet (§ 240 Abs 1 Nr 1 SGB VI). Eine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 Abs 2 SGB VI liegt jedoch nicht vor. Der Kläger war ausweislich seiner eigenen Angaben zuletzt als Maschinenbediener versicherungspflichtig beschäftigt. Die zuvor ausgeübte Tätigkeit bis Dezember 1995 wurde von ihm nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben, vielmehr wurde das Beschäftigungsverhältnis wegen Verlagerung der Produktion durch arbeitgeberseitige Kündigung beendet. Die Tätigkeit als Maschinenbediener wäre im Rahmen des Mehrstufenschemas des BSG (BSGE 55, 45 ff.) grundsätzlich als angelernte Tätigkeit einzustufen, so dass der Kläger grundsätzlich auf die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könnte. Hierfür besteht jedoch noch ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen. Soweit das SG jedoch im Hinblick auf die eingeholte Arbeitgeberauskunft vom 31.07.2009 von einem Facharbeiterschutz des Klägers für die Tätigkeit als gelernter Werkzeugmacher und CNC-Fräser ausgeht, hat das SG zutreffend unter Berücksichtigung des Mehrstufenschemas des BSG dargelegt, dass der Kläger die von der Beklagten benannten Verweisungsberufe des Schloss- und Schlüsselmachers in Montageabteilungen sowie Tätigkeiten als End- und Funktionsprüfer in der industriellen Fertigung noch mindestens 6 Stunden täglich ausüben könne. Er kann damit sowohl medizinisch als auch sozial zumutbar auf diese Tätigkeiten verwiesen werden. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des SG und sieht gemäß § 153 Abs 2 SGG von einer weiteren Begründung ab. Der gerichtliche Sachverständige Dr. C. sah für diese Verweisungsberufe auch die erforderliche Umstellungsfähigkeit des Klägers noch als gegeben an.

Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des SG A-Stadt vom 30.10.2009 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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