L 20 R 451/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 4429/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 451/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Begriff des Auftraggebers im Sinne des § 2 S 1 Nr 9 Buchst b SGB VI.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.05.2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Versicherungspflicht des Klägers gemäß § 2 S 1 Nr 9 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Der am 1958 geborene Kläger war vom 01.03.2002 bis 31.05.2006 als Unternehmensberater für Logistik für die P. B. und L. GmbH in B-Stadt tätig. Laut Vertrag vom 28.02.2002 war der Kläger als freier Mitarbeiter mit einem Zeitaufwand von ca. 35 Stunden pro Monat an 8 bis 10 Tagen und einer betrieblichen Anwesenheit von 4 Stunden pro Woche während der Nachtschicht für ein monatliches Pauschalhonorar von 5.112,92 EUR tätig.

Im Rahmen eines von der P. B. und L. GmbH am 01.06.2006 eingeleiteten Verfahrens zur Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status stellte die Beklagte im Rahmen ihrer Funktion als bundesweite Clearingstelle für sozialversicherungsrechtliche Statusfragen mit Bescheiden vom 02.04.2007 sowohl gegenüber der P. B. und L. GmbH wie gegenüber dem Kläger fest, dass die Tätigkeit als Unternehmensberater für den Vertragspartner P. B. und L. GmbH seit dem 01.03.2002 selbstständig ausgeübt werde.

Mit Bescheid vom 27.07.2007 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers ab 01.03.2002 gemäß § 2 S 1 Nr 9 SGB VI für die selbstständige Tätigkeit des Klägers fest. Für den Zeitraum ab 01.03.2002 bis 31.12.2005 wurde ein Betrag in Höhe des halben Regelbeitrags, ab 01.01.2006 ein Beitrag in Höhe des Regelbeitrags monatlich gefordert, insgesamt 19.820,99 EUR.

Dagegen erhob der Kläger durch seine Bevollmächtigte Widerspruch am 07.08.2007 und begründete dies wie folgt: Der Kläger übe eine Vollzeittätigkeit in abhängiger Beschäftigung bei der Firma D. G. D. GmbH und Co. KG aus. Daneben habe er noch in zeitlich untergeordneter Weise seine Beratertätigkeit bei der Firma P. GmbH durchgeführt. Die abhängige Beschäftigung sei als weiterer "Auftraggeber" im Sinne des § 2 S 1 Nr 9 SGB VI zu bewerten. Der Kläger erziele 3/4 seines Einkommens aus abhängiger Beschäftigung und sei vollständig abgesichert. Eine Schutzbedürftigkeit aufgrund seiner Beratertätigkeit auf selbstständiger Basis (1/4 seines Verdienstes) entspreche nicht dem Sinn der Vorschrift. Darüber hinaus habe der Kläger die Tätigkeit zum 31.05.2006 beendet.

Mit Bescheid vom 28.04.2008 half die Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als das Ende der Versicherungspflicht mit dem 31.05.2006 festgestellt wurde. Insgesamt sei ein Betrag in Höhe von 13.063,89 EUR fällig. Dieser Bescheid werde Gegenstand des anhängigen Verfahrens gem. § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Zur Begründung des Widerspruchs verwies der Kläger weiter auf das Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 24.11.2005, Az. B 12 KR 18/04 R (Vorinstanz Landessozialgericht Baden Württemberg vom 30.06.2004, Az. L 11 KR 519/04). Die Gesamtbetrachtung müsse unter Berücksichtigung des aus sämtlichen ausgeübten Erwerbstätigkeiten erzielten Gesamteinkommens vorgenommen werden. Anderes widerspreche dem Gesetzestext.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Das Urteil des BSG vom 24.11.2005 habe diese Frage gerade offen gelassen. Sofern es zu einer Mehrfach-Versicherung komme, sei dies gemäß § 22 Abs 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) zu berücksichtigen.

Dagegen hat der Kläger am 09.10.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben und im Wesentlichen die bisherige Begründung wiederholt.

Auf Anfrage des Gerichtes hat die Beklagte mitgeteilt, die vom Arbeitgeber des Klägers für die Jahre 2002 bis 2006 gemeldeten Entgelte erreichten jeweils die jeweilige Beitragsbemessungsgrenze und zwar 2002 54.000,00 EUR, im Jahr 2003 61.200,00 EUR, im Jahr 2004 61.800,00 EUR, im Jahr 2005 62.400,00 EUR und im Jahr 2006 63.000,00 EUR.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 18.05.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Gemäß § 2 S 1 Nr 9 SGB VI sei der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum für die Tätigkeit als selbstständiger Unternehmensberater für die P.-GmbH versicherungspflichtig gewesen. Nach der Rechtsprechung des BSG, insbesondere dem Urteil vom 04.11.2009, Az. B 12 R 7/08 R, sei der Arbeitgeber der abhängigen Beschäftigung nicht als weiterer (zweiter) Auftraggeber im Sinne des § 2 S 1 Nr 9 Buchst b SGB VI zu betrachten. Deshalb bestehe Versicherungspflicht. Die konkrete (individuelle) Schutzbedürftigkeit des Klägers sei bei einer Erfüllung des formal gesetzlichen Tatbestandes des § 2 S 1 Nr 9 SGB VI gerade nicht zu berücksichtigen.

Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Im Wesentlichen hat er vorgetragen, dass zum einen das Urteil des BSG vom 04.11.2009 mit dem vorliegenden Falle nicht vergleichbar sei, da der Kläger in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum in seiner abhängigen Beschäftigung Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze bezogen habe. Eine höhere Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Annahme, seine zusätzliche selbstständige Tätigkeit unterliege der Rentenversicherungspflicht, sei nicht möglich. Darüber hinaus übersehe das BSG in seiner Entscheidung, dass verschiedene nebeneinander ausgeübte Tätigkeiten nicht jeweils getrennt voneinander versicherungsrechtlich zu beurteilen seien. Das BSG habe sich bei der Auslegung zu Unrecht nicht an dem Sinn der Norm, die auch dem Schutzzweck der Norm entspreche, orientiert.

Die Beklagte hat sich im Wesentlichen weiter auf das Urteil des BSG vom 04.11.2009 gestützt.

Der Kläger hat anhand verschiedener Einzelbeispiele dargelegt, dass eine Einzelfallbetrachtung notwendig sei.

Im Rahmen des weiteren Verfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 03.11.2010 einen Antrag des Klägers vom 01.06.2006 auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige abgelehnt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.05.2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 27.07.2007 und 28.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2008 aufzuheben, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.05.2010 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass die Tätigkeit des Klägers als Unternehmensberater für Logistik vom 01.03.2002 bis 31.05.2006 für die Firma P.-GmbH der Versicherungspflicht gemäß § 2 S 1 Nr 9 SGB VI unterlag.

Gemäß § 2 S 1 Nr 9 SGB VI sind versicherungspflichtig selbstständig tätige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 325,00 EUR im Monat (ab 01.04.2003 400,00 EUR im Monat) übersteigt und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind.

Der Kläger war in seiner selbstständigen Tätigkeit als Unternehmensberater für Logistik im Zeitraum vom 01.03.2002 bis 31.05.2006 als "arbeitnehmerähnlicher" Selbstständiger rentenversicherungspflichtig, weil er im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit keinen Arbeitnehmer beschäftigte und für die P.-GmbH als einzigen Auftraggeber tätig war.

Der Kläger war für die P.-GmbH als Unternehmensberater selbstständig tätig. Der Kläger konnte im Wesentlichen seine Tätigkeit weisungsunabhängig gestalten. Demzufolge hat die Beklagte mit Bescheid vom 02.04.2007 festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers als Unternehmensberater selbstständig ausgeübt wird.

Einziger Auftraggeber des selbstständig tätigen Klägers war im streitigen Zeitraum die P.-GmbH. Der Arbeitgeber der abhängigen Beschäftigung des Klägers, die Firma D. G. war in der Zeit vom 01.03.2002 bis zum 31.05.2006 nicht als weiterer (zweiter) Auftraggeber iS des § 2 S 1 Nr 9 Buchst b SGB VI zu betrachten.

In den Urteilen vom 04.11.2009, Az: B 12 R 7/08 R und zuletzt vom 09.11.2011, Az: B 12 R 1/10 R, veröffentlicht in juris, hat das BSG dargelegt, dass die Verwendung des Begriffes "Auftraggeber" auf Verhältnisse selbstständig Tätiger beschränkt ist. Diese Auslegung erfolge aus dem Bedeutungszusammenhang. Das BSG hat im Wesentlichen ausgeführt, dass für eine enge Auslegung des Begriffs "Auftraggeber", der nur die Verhältnisse selbstständig Tätiger, nicht aber abhängig Beschäftigter erfasse, spreche, dass der für "arbeitnehmerähnliche" Selbstständige geschaffene Versicherungspflichttatbestand in einem (Gesamt-) Zusammenhang mit den übrigen, selbstständig Tätige erfassenden Versicherungspflichttatbestände des § 2 S 1 SGB VI gestellt sei.

Eine andere Auslegung sei auch nicht im Hinblick auf den gesetzlichen (Schutz-) Zweck geboten. Bei dem mit § 2 S 1 Nr 9 SGB VI verfolgten Zweck, "arbeitnehmerähnliche" Selbstständige wegen ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit in die Rentenversicherungspflicht einzubeziehen, sei es konsequent, wenn dieser Versicherungspflichttatbestand auch auf Personen angewandt werde, die daneben abhängig beschäftigt seien. Die Rentenversicherungspflicht setze nicht die individuelle soziale Schutzbedürftigkeit des Versicherungspflichtigen voraus, sondern beruhe auf der Erfüllung des formalen gesetzlichen Tatbestandes, in dem nach Auffassung des Gesetzgebers die soziale Schutzbedürftigkeit typisierend verkörpert sei. Eine konkrete (individuelle) Schutzbedürftigkeit sei bei einer Erfüllung des formalen gesetzlichen Tatbestandes § 2 S 1 Nr 9 SGB VI gerade nicht (mehr) zu berücksichtigen. Seien die normativen und allein subsumtionsfähigen Merkmale des § 2 S 1 Nr 9 SGB VI, die das Vorliegen von wirtschaftlicher Abhängigkeit und demzufolge sozialer Schutzbedürftigkeit indizierten, nicht aus gesetzessystematischen Gründen erweiternd auszulegen, so könne das aus einer Typisierung folgende Ergebnis nicht unter Hinweis auf das Fehlen individueller Schutzbedürftigkeit "überspielt" werden.

Dieser Begründung des Bundessozialgerichts schließt sich der Senat in vollem Umfang an.
Dies zu Grunde gelegt war der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum versicherungspflichtig und das Zusammentreffen mit seiner abhängigen Beschäftigung ist im Rahmen des § 22 Abs 2 SGB IV zu berücksichtigen.

Entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten ist das vorliegende Urteil auch auf den hiesigen Sachverhalt anzuwenden. Das BSG hat nicht unterschieden, in welchem Umfang das Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit zum Umfang des Gesamteinkommens bzw. der abhängigen Beschäftigung steht. Vielmehr hat das BSG dargelegt (BSG vom 04.11.2009, aaO), dass diese Auslegung auch Konsequenzen für Personen hat, die neben einer hauptberuflich ausgeübten Beschäftigung dauerhaft im Nebenberuf einer nach § 2 S 1 Nr 9 SGB VI zu beurteilenden selbstständigen Tätigkeit nachgehen. Diese Personengruppe sei sehr heterogen, könne doch das Verhältnis der Einnahmen aus abhängiger Beschäftigung zu den Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit stark variieren. Trotzdem hat das BSG die typisierende Auslegung bejaht. Die von der Klägerbevollmächtigten dargelegten Berechnungsbeispiele gehen deshalb fehl.

Soweit sich die Klägerbevollmächtigte auf das Urteil des BSG vom 24.11.2005, Az: B 12 KR 18/04 R beruft, ist dieses Urteil gerade nicht anwendbar. Vielmehr hat das BSG die hier im Streite stehende Frage gerade offen gelassen, es hat dargelegt: "Weil es für die von der Beklagten getroffene, auf einzelne Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 2 S 1 Nr 9 SGB VI beschränkte Feststellung an einer gesetzlichen Grundlage fehlt, war über die von den Beteiligten aufgeworfene Frage, ob die vom Kläger im Hauptberuf ausgeübte abhängige Beschäftigung bei der Beurteilung der Versicherungspflicht des Klägers in seiner selbstständigen Tätigkeit mit zu berücksichtigen ist, vom Senat nicht zu entscheiden".

Gegen die Höhe der Beiträge, die die Beklagte gemäß § 165 Abs 1 Satz 2 SGB VI festgesetzt hat, werden Einwendungen vom Kläger nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Wie oben dargelegt, hat das BSG in seinen Entscheidungen vom 04.11.2009 sowie 09.11.2011 schon dargelegt, dass eine abhängige Beschäftigung nicht als "zweiter Auftraggeber" anzusehen ist und es demzufolge weder auf die individuelle Schutzbedürftigkeit noch auf das Verhältnis Einkommen aus selbstständiger und abhängiger Beschäftigung ankommt.
Rechtskraft
Aus
Saved