L 20 R 371/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 R 642/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 371/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum sozialrechtlichen Herstellungsansppruch: Eine Hinweispflicht des Versicherungsträgers vor Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung besteht nicht, wenn die Beratungen der Bundestags Ausschüsse noch nicht abgeschlossen sind und die 2. Beratung des Gesetzentwurfs im Bundestag noch nicht stattgefunden hat.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 17.03.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Zuordnung der Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten zum Versicherungskonto des Klägers.

Der 1940 geborene Kläger erhielt auf seinen Antrag vom 06.08.1997 Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 01.08.1997.

Auf seinen Antrag vom 17.01.2000 hin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 07.03.2000 Altersrente ab 01.05.2000.

Der Kläger und die Beigeladene sind verheiratet, sie haben 2 leibliche Kinder, geboren 1962. Die Beigeladene ist am 1940 geboren. Mit Bescheid vom 22.03.1989 wurden die Kindererziehungszeiten vom 01.09.1962 bis 31.08.1963 und die Berücksichtigungszeiten dem Versicherungskonto der Beigeladenen zugeordnet. Die Beigeladene hatte sich bei der Heirat die Beiträge erstatten lassen, diese auch später nicht wieder eingezahlt. Außer den 24 Monaten Kindererziehungszeiten sind keine weiteren Beitragszeiten vorhanden. Die Beigeladene hat die Wartezeit von 60 Monaten für Regelaltersrente nicht erfüllt und keinen Rentenanspruch.

Am 22.03.2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die Kindererziehungszeiten auf sein Konto übertragen zu lassen. Er und die Beigeladene wären bei verschiedenen Beratungen bei der Beklagten gewesen, es habe sie aber niemand darauf aufmerksam gemacht, dass sie bis zum Jahre 1996 auch eine gemeinsame Erklärung hätten abgeben können. Wären er und die Beigeladene richtig beraten worden, hätten sie die Kindererziehungszeiten auf den Kläger übertragen lassen.

Mit Bescheid vom 29.05.2006 lehnte die Beklagte die Anrechnung von Kindererziehungszeiten beim Kläger ab. Entsprechende Erklärungen hätten die Beteiligten bis 31.12.1996 abgeben können. Eine solche Erklärung liege nicht vor. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Beratung seien nicht gegeben.

Mit Widerspruch vom 27.06.2006 hat der Kläger vorgetragen, sowohl er wie die Beigeladene seien mehrfach im Jahre 1996 zur Beratung bei der Rentenberatungsstelle gewesen. Dort sei bekannt gewesen, dass sich die Beigeladene bei ihrer Heirat die Beiträge habe erstatten lassen und später nicht mehr eingezahlt habe. Die Beigeladene sei zwar im Laufe der Beratungen darauf hingewiesen worden, dass sie die Möglichkeit habe, freiwillige Beiträge für die fehlenden Jahre zur Erfüllung der Wartezeit einzuzahlen, sie habe allerdings angesichts der Höhe der einzuzahlenden Beiträge sogleich erklärt, dass sie diese erhebliche Summe nicht aufbringen könne und deshalb eine Beitragseinzahlung nicht in Frage komme. Eine Aufklärung hinsichtlich der Kindererziehungszeiten sei nicht erfolgt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine übereinstimmende Erklärung sei bis zum 31.12.1996 nicht abgegeben worden. Ein Herstellungsanspruch bestehe nicht, denn die behaupteten Beratungstermine, Orte, Mitarbeiter und Erklärungsinhalte seien nicht bekannt. Eine Verletzung einer obliegenden Pflicht zur Auskunft und Beratung könne dadurch nicht hergeleitet werden.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg am 08.12.2006 erhoben. Im Wesentlichen hat er vorgetragen, er und die Beigeladene wären in den Jahren 1995 und 1996 mehrmals zur Beratung, einzeln wie auch gemeinsam in der Beratungsstelle der Beklagten gewesen. Die Beigeladene habe in der Beratungsstelle erklärt, dass sie weder die freiwilligen Beiträge zahlen könne, noch dass sie künftig eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausüben wolle.

Im Rahmen weiterer Ermittlungen hat die Beklagte anhand ihrer Beratungsliste mitgeteilt, dass am 28.03.1996 ein Beratungsgespräch mit dem Kläger stattgefunden habe. Nach den Unterlagen sei die Beigeladene nicht mit dabei gewesen. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten - auch bezüglich der Beigeladenen - sei nicht Gegenstand des Beratungstermins gewesen. Gegenstand gewesen seien Leistungsanspruch, Leistungshöhe, Leistungsbeginn. Darüber hinaus wäre eine Beratung bezüglich der Übertragung der Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten auf den Vater im Hinblick auf die geltende Regelung nicht sinnvoll gewesen. Nach der bis zum 30.06.1998 geltenden Rechtslage seien Kindererziehungszeiten maximal mit 0,0625 Entgeltpunkten je Monat bewertet worden. Mindestens seien jedoch die Entgeltpunkte für im gleichen Zeitraum liegende Beitragszeiten heranzuziehen gewesen. Waren die Entgeltpunkte nachgewiesener zeitgleicher Beitragszeiten bereits höher, wirkten sich die Kindererziehungszeiten überhaupt nicht aus. Die aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12.03.1996 - veröffentlicht am 27.06.1996 - durch den Gesetzgeber zu schaffende verfassungsgemäße gesetzlich Neuregelung über die Abgeltung von Kindererziehungszeiten beim Zusammentreffen mit Pflichtbeiträgen (additive Bewertung) habe zum Zeitpunkt der Beratung noch keine Rolle spielen können.

Mit Urteil vom 17.03.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger könne keinen Anspruch - auf den Herstellungsanspruch gestützt - geltend machen, dass Kindererziehungszeiten bei ihm anzurechnen seien. Zum einen sei nicht mehr aufklärbar gewesen, ob der Kläger oder die Beigeladene bei Beratungsgesprächen in den Jahren 1995 oder 1996 auf die Gestaltungsmöglichkeiten des § 249 Abs 6 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) aF hingewiesen worden seien oder aus anderen Quellen positiv von dieser Vorschrift Kenntnis erlangt hätten. Der Kläger trage jedoch die Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen. Eine fehlerhafte oder unterlassene Beratung durch die Beklagte sei somit nicht nachgewiesen. Zum anderen sei die Beratung nicht fehlerhaft gewesen, da zwar aus heutiger Sicht die Kindererziehungszeiten, die der Beigeladenen zugeordnet seien, wirkungslos seien, da diese keine weiteren Versicherungszeiten aufweise. Die Beigeladene habe damit keinen Rentenanspruch. Dies sei jedoch zum Zeitpunkt der geltend gemachten Beratungsgespräche noch nicht absehbar gewesen. Die Beigeladene habe die Möglichkeit gehabt, freiwillige Beiträge nach zu entrichten bzw. durch weitere Pflichtbeiträge einen Rentenanspruch zum Entstehen zu bringen. Auch aus weiteren Gründen sei es aus damaliger Sicht nicht eindeutig empfehlenswert gewesen, eine solche Erklärung abzugeben. Nach dem damaligen Recht (vgl. § 70 SGB VI in der bis 30.06.1998 geltenden Fassung) seien dem Rentenkonto des Versicherten Zeiten der Kindererziehung nur dann in vollem Umfang von 6,25 Einheiten je Kalendermonat gutgeschrieben worden, wenn der entsprechende Kalendermonat nicht bereits mit Beitragszeiten belegt gewesen sei und folglich noch keine anrechenbaren Werteinheiten vorhanden gewesen seien. Seien Kindererziehungszeiten dagegen mit entsprechenden Versicherungszeiten zusammengefallen, seien die aufgrund der genannten Zeiten bereits erworbenen Werteinheiten lediglich auf den Wert von 6,25 angehoben worden. Erreichten sie diesen Wert - wie beim Kläger -, hätten sich die Kindererziehungszeiten überhaupt nicht ausgewirkt. Es habe keine additive Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten stattgefunden. Diese Rechtslage habe der Gesetzgeber erst mit Wirkung ab 01.07.1998 geändert. Der Grund hierfür sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.03.1996 gewesen. Mit dieser Entscheidung seien die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen mit dem Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) für unvereinbar erklärt worden, soweit danach beim Zusammentreffen von Beitrags- und Kindererziehungszeiten der monatliche Wert nur in dem Maße erhöht worden sei, wie der Wert der beitragsbelegten Zeiten 6,25 Werteinheiten bzw. 0,0625 Entgeltpunkte in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten unterschritten habe. Der Gesetzgeber sei verpflichtet worden, die verfassungswidrige Regelung spätestens bis 30.06.1998 durch eine verfassungsgemäße Regelung zu ersetzen. Für den vorliegenden Fall ergebe sich daraus, dass zum Zeitpunkt des dokumentierten Beratungsgesprächs am 28.03.1996 die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.03.1996 zwar bekannt gewesen sein konnte, jedoch noch keinesfalls absehbar gewesen sei, wie der Gesetzgeber hierauf reagieren würde. Es hätte somit gegenüber dem Kläger keine Empfehlung ausgesprochen werden können. Zusammenfassend könne festgestellt werden, dass zum damaligen Zeitpunkt (1996) ein eindeutiger Gestaltungshinweis zum Vorteil des Klägers nicht habe gegeben werden können.

Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Er hat vorgetragen, die Beklagte hätte ihn auf die Verfassungswidrigkeit der rentenrechtlichen Bewertung von Kindererziehungszeiten lt. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.03.1996 hinweisen müssen und in diesem Zusammenhang ebenfalls darauf, dass er sich die Kindererziehungszeiten zuordnen lassen könne.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Würzburg vom 17.03.2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kindererziehungszeiten sowie die Kinderberücksichtigungszeiten für die am 26.08.1962 geborenen Kinder dem Versicherungskonto des Klägers zuzurechnen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg vom 17.03.2009 zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf das ihrer Ansicht nach richtige Urteil des SG Würzburg.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die vorliegenden Beklagtenakten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten seiner beiden Kinder bei seinem Versicherungskonto. Der Bescheid der Beklagten vom 29.05.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2006 ist rechtmäßig. Insbesondere besteht kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Insoweit wird in vollem Umfang auf das Urteil des SG Würzburg gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verwiesen.

Ergänzend wird dazu weiter angemerkt, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.03.1996 erst am 27.06.1996 mit den Gründen bekannt gegeben worden ist (so BSG vom 09.04.2003, B 5 RJ 18/02, veröffentl. in juris) und insoweit frühestens ab diesem Zeitpunkt tatsächlich eingehend Kenntnis von den Gründen des Bundesverfassungsgerichts genommen werden konnte. Im Übrigen hat sich der Beschluss auch lediglich mit der Bewertung von den Kindererziehungszeiten befasst und dem Gesetzgeber für eine verfassungsmäßige Regelung bis zum 30.06.1998 Zeit gelassen, so dass die weitere Ausgestaltung der derartigen Regelung noch nicht absehbar gewesen ist. Eine Beratung im Hinblick auf die kommende gesetzliche Neuregelung hat damit zum Zeitpunkt des Beratungsgespräches am 28.03.1996 noch nicht stattfinden können. Zwar hat das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 06.05.1992 (12 BK 1/92, veröffentl. in juris) offen gelassen, ob eine Hinweispflicht schon vor Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung besteht. Es hat eine solche Hinweispflicht jedoch ausdrücklich verneint, wenn die Beratungen der Bundestagsausschüsse noch nicht abgeschlossen seien und die 2. Beratung des Gesetzentwurfs im Bundestag noch nicht stattgefunden hat. Es ist offensichtlich, dass das Verfahren im vorliegenden Falle noch nicht so weit gediehen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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