S 12 KA 655/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 655/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bis zur Dauer von einem Jahr kann ohne weiteres vom Fortbestand einer Praxis bzw. vom Vorhandensein eines Praxissubstrats ausgegangen werden, soweit nicht offenkundig oder ohne weiteres ersichtlich ist, dass die Praxis untergegangen ist. Nach Ablauf von zwei Jahren ist vom Wegfall eines Praxissubstrats auszugehen. Für die Zwischenzeit ist eine substantiierte Darlegung der Fortführungsfähigkeit durch den Vertragsarzt zu verlangen (vgl. LSG Bayern, Beschl. v. 18.12.2012 - L 12 KA 119/12 B ER - juris Rdnr. 32).

2. Bei Praxisnachfolge in eine örtliche oder überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft bzw. der Frage, ob noch ein Praxissubstrat vorhanden ist, kommt dem zeitlichen Gesichtspunkt und einem Vergleich des bisherigen Umfangs der vertragsärztlichen Tätigkeit mit dem Umfang nach Ausscheiden des Vertragsarztes, namentlich der Zahl der Behandlungs- bzw. Arztfälle, die entscheidende Bedeutung zu.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Praxisnachfolge der Klägerin in eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft nach Verzicht der Beigeladenen zu 8) auf einen halben Vertragsarztsitz in C-Stadt und hierbei um die Frage, ob noch ein Praxissubstrat vorhanden ist.

Die 1958 geb. Klägerin ist seit Juni 1988 approbierte Ärztin. Sie ist Fachärztin für Augenheilkunde. Zwischen der Klägerin und Herrn Dr. med. D., der zu 8) beigeladenen Frau C. und Frau Dr. med. E., alle ebf. Fachärzte für Augenheilkunde, besteht seit längerem eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft in der Rechtsform einer BGB-Gesellschaft. Die Hauptbetriebsstätte liegt in A-Stadt (Wetteraukreis), Nebenbetriebsstätten bestehen in D-Stadt (Wetteraukreis), E-Stadt (Main-Taunus-Kreis) und C-Stadt (Hoch-Taunus-Kreis) und in F-Stadt (Hoch-Taunus-Kreis).

Die Klägerin und Herr Dr. med. D. hatten zunächst jeweils einen vollen Versorgungsauftrag in der Hauptbetriebsstätte A-Stadt, die zu 8) beigeladene Frau C. einen vollen Versorgungsauftrag in der Nebenbetriebsstätte C-Stadt und Frau Dr. med. E. einen vollen Versorgungsauftrag in der Nebenbetriebsstätte E-Stadt. Nach Erwerb eines weiteren Vertragsarztsitzes in D-Stadt verzichtete die zu 8) beigeladene Frau C. auf einen halben Vertragsarztsitz (in C-Stadt) zum 01.01.2012 und erhielt in diesen Umfang einen halben Versorgungsauftrag in D-Stadt. Um sich auf den frei werdenden halben Praxissitz in C-Stadt bewerben zu können, verzichtete die Klägerin zugunsten des Dr. D. auf einen halben Versorgungsauftrag (in A-Stadt), damit dieser die halbe Stelle mit einem angestellten Augenarzt nachbesetzen konnte. Nach einer ersten Ausschreibung zog die Klägerin ihren Antrag auf Zulassung für den halben Praxissitz in C-Stadt vom 08.05.2012 am 21.08.2012 zurück.

Nach einer zweiten Ausschreibung beantragte die Klägerin mit Datum vom 20.02.2013 am 28.02.2013 erneut die Zulassung für den halben Praxissitz in C-Stadt.

Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen lehnte mit Beschluss vom 21.05.2013 die Übernahme des halben Versorgungsauftrag in C Stadt durch die Klägerin ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 15.07.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung ihres Widerspruchs führte sie aus, die Wiederaufnahme der augenärztlichen Versorgung für den halben Versorgungsauftrag sei möglich, da entsprechende Patientendaten und eine räumliche wie apparative Ausstattung am Standort C-Stadt weiterhin gegeben sei. Es gehe ihr nicht lediglich um den Vertragsarztsitz, sondern sie wolle tatsächlich den Versorgungsauftrag ausfüllen.

Die Beklagte wies mit Beschluss vom 25.09.2013, ausgefertigt am 13.11.2013 und der Klägerin am 17.07.2012 zugestellt, den Widerspruch als unbegründet zurück. In den Bescheidgründen führte er aus, zwischen dem Verzicht und der Beantragung der Nachfolgezulassung seien fast 14 Monate vergangen, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Zulassungsausschusses fast 17 Monate. Ein Grund für die lange Dauer sei nicht ersichtlich. Nach dem Verzicht seien beide Hälften gesondert zu betrachten. Durch den Weiterbetrieb der einen Hälfte könne nicht das Praxissubstrat für die andere Hälfte aufrechterhalten werden. Dies würde bedeuten, dass in Berufsausübungsgemeinschaften eine unbefristete Nachbesetzungsmöglichkeit bestehe. Mit einer Bedarfsplanung sei dies nicht vereinbar.

Hiergegen hat die Klägerin am 13.12.2013 die Klage erhoben. Sie trägt vor, die ÜBAG habe Ende 2011 eine augenärztliche Praxis in D-Stadt erworben. Die Beigeladene zu 8) sei bereit gewesen, da wohnhaft in D-Stadt, dort einen halben Versorgungsauftrag zu übernehmen und ihren vollen Versorgungsauftrag in C-Stadt auf einen halben Versorgungsauftrag zu reduzieren. Die zu 8) beigeladenen Frau C. habe auf einen halben Versorgungsauftrag in C-Stadt verzichtet und den halben Versorgungsauftrag in D-Stadt übernommen bei Beibehaltung eines weiteren halben Versorgungsauftrags in C Stadt. Ihr seien in C-Stadt zwei angestellte Ärztinnen mit einer Wochenarbeitszeit von jeweils 20 Stunden zugeordnet. Der halbe Vertragsarztsitz in C-Stadt habe nicht nachbesetzt werden können, weshalb sie sich bereit erklärt habe, sich auf die Nachfolge für den halben Versorgungsauftrag in C-Stadt zu bewerben. Sie habe auf einen halben Versorgungsauftrag zugunsten des Dr. D. verzichtet, der die Stelle mit einem angestellten Augenarzt habe nachbesetzen wolle, wofür es noch der Genehmigung durch den Zulassungsausschuss bedürfe. Nach Ausschreibung des halben Vertragsarztsitz in C-Stadt im hessischen Ärzteblatt 12/2011 habe sich doch noch ein Interessent gefunden, weshalb sie ihre Bewerbung zurückgezogen habe. Nach erneuter Ausschreibung im hessischen Ärzteblatt 02/2013 sei der Interessent wegen einer anderen Option zurückgetreten, weshalb sie sich erneut beworben habe. Der Zulassungsausschuss habe dann ihren Antrag abgelehnt. Die Betriebsstätte in C-Stadt benötige weiterhin zwei Vertragsarztsitze, die nächsten Augenarztpraxen befänden sich 17 bis 32 km entfernt mit Fahrzeiten von 25 bis 40 Minuten. Der Standort C-Stadt habe ein großes Einzugsgebiet im nord-östlichen Bereich. Dort befinde sich die nächste Praxis im 32 km entfernten G Stadt. Im Standort C-Stadt würden im Mai Termine erst für November vergeben werden. Es sei widersprüchlich, wenn die Ausschreibung vorgenommen werde, später aber wegen Zeitablaufs eine Nachbesetzung abgelehnt werde. Es gehe auch um die Nachbesetzung in einer Gemeinschaftspraxis. Eine Verflüchtigung des Praxissubstrats sei nicht eingetreten. Der Patientenansturm sei ungebrochen. Materielles Praxisinventar sei gleichfalls nicht entfernt worden. Zwischen dem zum 01.01.2012 wirksam gewordenen Verzicht und der Antragstellung für die zweite Ausschreibung liege ein Zeitraum von etwas über sechs Monaten. Es könne nicht zu ihren Lasten gehen, wenn sich das Zulassungsverfahren in die Länge ziehe. Aufgrund der Umstellung auf ein neues Computersystem sei nicht berücksichtigt worden, dass die Beigeladene zu 8) an drei Standorten tätig sei. Ihre interne Arzt-Nr. sei ausschließlich der Hauptbetriebsstätte A Stadt zugeordnet worden. Dies erkläre, weshalb die Beigeladene zu 1) keine Abrechnung für die Beigeladene zu 8) in C-Stadt ab dem Quartal II/13 festgestellt habe. Ein Praxissubstrat bestehe nicht aus bloßen Patientenzahlen. Aus Versorgungsgesichtspunkten würden in C-Stadt weiterhin insgesamt zwei Vertragsarztsitze benötigt. Das Bundessozialgericht habe es ausgeschlossen, die Nachbesetzungsfrist auf eine Praxisnachfolge anzuwenden.

Die Klägerin beantragt,
den Beschluss vom 25.09.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, sie zur Fortführung des Praxisanteils der Beigeladenen zu 8) mit Vertragsarztsitz in der C-Straße in C-Stadt zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung als Fachärztin für Augenheilkunde zuzulassen.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) bis 6) beantragen,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, es fehle an einem Praxissubstrat. Auf den Umfang der weiteren Praxistätigkeit komme es nicht an, weil nach dem hälftigen Verzicht beide halben Versorgungsaufträge getrennt zu betrachten seien. Bereits aus statusrechtlichen Gründen könne eine Anrechnung für den halben Versorgungsauftrag, auf den verzichtet worden sei, eine Anrechnung nicht erfolgen. So sei bei einem MVZ eine Nachbesetzung nur innerhalb von sechs Monaten möglich. Dies müsse auch für eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft gelten. Im Übrigen schließe er sich den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) an.

Die Beigeladene zu 1) trägt vor, maßgeblich sei allein, was rechtlich erlaubt ist. Die Beigeladene zu 8) könne nicht mit dem halben Versorgungsauftrag Leistungen im Umfang eines ganzen Versorgungsauftrags erbringen. Es könne auch nicht von den übrigen Praxispartnern ein Sitz über Jahre erhalten werden, dies widerspreche der Bedarfsplanung.

Die übrigen Beigeladenen haben sich zur Sache schriftsätzlich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Die Kammer hat mit den Beteiligten am 04.06.2014 bereits eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Hierzu wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten sowie der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Sie konnte dies trotz des Ausbleibens eines Vertreters des Beigeladenen zu 7) tun, weil dieser ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 25.09.2013 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten, sie zur Fortführung des Praxisanteils der Beigeladenen zu 8) mit Vertragsarztsitz in der C-Straße in C-Stadt zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung als Fachärztin für Augenheilkunde zuzulassen. Die Klage war daher abzuweisen.

Als Anspruchsgrundlage kommt § 103 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V i.V.m. § 95 Abs. 2 SGB V in Betracht. Wenn die Zulassung eines Vertragsarztes in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch u.a. Verzicht endet und die Praxis von einem Nachfolger fortgeführt werden soll, hat die Kassenärztliche Vereinigung auf Antrag des Vertragsarztes in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen vorgesehenen Blättern unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen. Dies gilt auch bei hälftigem Verzicht oder bei hälftiger Entziehung der Zulassung.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht, von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung hat, ist Ziel der Ausschreibung und Nachbesetzung die "Fortführung" der Praxis, weshalb im Falle einer Einzelpraxis Ausschreibung und Nachbesetzung nur so lange erfolgen können, als ein Praxissubstrat noch vorhanden ist. Für eine Gemeinschaftspraxis gilt Vergleichbares, nämlich dass hier eine Anknüpfung an die gemeinsam ausgeübte Tätigkeit noch möglich sein muss (vgl. BSG, Urt. v. 28.11.2007 - B 6 KA 26/07 R - BSGE 99, 218 = SozR 4-2500 § 103 Nr. 3 = MedR 2008, 305 = GesR 2008, 304 = USK 2007-116, juris Rdnr. 19). Die Ausschreibung und Nachbesetzung einer Einzelpraxis kann nur so lange erfolgen, wie das Praxissubstrat vorhanden ist. Für eine Berufsausübungsgemeinschaft gilt entsprechend, dass eine Anknüpfung an die gemeinsam ausgeübte Tätigkeit noch möglich sein muss. Wenn eine Arztpraxis, die auf einen Nachfolger übertragen werden könnte, nicht vorhanden ist, gibt es grundsätzlich keine Rechtfertigung für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Gesichtspunkte der Sicherung einer angemessenen vertragsärztlichen Versorgung sind in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, weil das Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 3a Satz 1, Abs. 4 Satz 1 SGB V nur in Planungsbereichen durchzuführen ist, die für die jeweilige Arztgruppe wegen Überversorgung gesperrt sind. In überversorgten Planungsbereichen ist aufgrund angeordneter Zulassungsbeschränkungen ein Hinzutreten weiterer Vertragsärzte grundsätzlich ausgeschlossen. Nach der gesetzlichen Konzeption ist in diesen Planungsbereichen auch die Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen im Grundsatz unerwünscht. Eine vertragsärztliche Tätigkeit setzt den (Mit-)Besitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur voraus. Jedenfalls wenn es an all dem fehlt, dann existiert auch keine Praxis mehr, die fortgeführt werden könnte. Für die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen einer "Fortführung" der Praxis gegeben sind, ist dem zeitlichen Abstand zwischen der Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch den Vorgänger und der Aufnahme der Tätigkeit durch den Nachfolger erhebliche Bedeutung beigemessen worden. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht nur für die Einzelpraxis, sondern in gleicher Weise für den Sitz in einer Berufsausübungsgemeinschaft. Eine generelle Festlegung, nach welcher Zeitspanne eine fortführungsfähige Praxis nicht mehr existiert, hat das BSG jedoch nicht getroffen, sondern dies von der Bewertung der gesamten Umstände des Einzelfalles abhängig gemacht (vgl. BSG, Urt. v. 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 13 = NZS 2014, 352 = GesR 2014, 290 = ZMGR 2014, 202 = USK 2013-112, juris Rdnr. 33 ff. m.w.N.). Wie genau die Länge eines schädlichen Zeitraums der Nichtausübung zu bestimmen ist, hat keine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung und entzieht sich einer generellen Bestimmung. Es unterliegt keinem Zweifel, dass vier Jahre nach dem faktischen Ende der vertragsärztlichen Tätigkeit ein Praxissubstrat nicht mehr vorhanden und eine Nachfolgezulassung ausgeschlossen ist. Nach einem Zeitraum von mehr als einem Jahr, in dem keinerlei vertragsärztliche Leistungen mehr erbracht worden waren, kann angenommen werden, dass die noch vorhandenen Sachmittel keinen Bezug mehr zur vertragsärztlichen Tätigkeit aufweisen (vgl. BSG, Beschl. v. 05.06.2013 - B 6 KA 2/13 B - juris Rdnr. 7 ff.). Auf den Grund für die Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit im Rahmen der Nachfolgezulassung kommt es nicht an. Dass eine lang andauernde Erkrankung zu einer Minderung oder dem Wegfall des Praxiswertes führen kann, wenn der Praxisinhaber dem nicht – etwa durch den Einsatz eines Vertreters – begegnen kann, ist das typische Risiko einer selbstständigen Tätigkeit, die eine höchstpersönliche Leistungserbringung zum Gegenstand hat. Eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, dieses unternehmerische Risiko in jedem Fall auszuschließen, ist nicht ersichtlich (vgl. BSG, Beschl. v. 05.06.2013 - B 6 KA 2/13 B - juris Rdnr. 10).

Bei den auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gerichteten Vornahmesachen sind grundsätzlich alle Änderungen der Sachlage bis zur mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz sowie alle Rechtsänderungen, auch soweit sie erst in der Revisionsinstanz eintreten, zu berücksichtigen. Eine Ausnahme gilt, sofern dem Vornahmebegehren - was vorliegend aber nicht der Fall ist - notwendigerweise eine Abwehrklage in Gestalt einer Drittanfechtung der Begünstigung des für die Praxisnachfolge ausgewählten Bewerbers vorangehen muss (vgl. BSG, Urt. v. 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - a.a.O. Rdnr. 30). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Fortführungsfähigkeit der Praxis bei Vornahmeklagen, soweit nicht eine Drittanfechtung im Raum steht, ist daher der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. LSG Bayern, Urt. v. 09.07.2014 - L 12 KA 57/13 - juris Rdnr. 31).

Auch soweit eine Kassenärztliche Vereinigung gleichwohl auf Antrag den Vertragsarztsitz zur Nachbesetzung ausgeschrieben hat, darf eine Zulassung im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens nicht erteilt werden. Die Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes hat keine konstitutive Wirkung in der Weise, dass für das Verfahren nach § 103 Abs. 4 SGB V im Sinne einer Fiktion oder einer unwiderleglichen Vermutung von der Existenz einer fortzuführenden Praxis auszugehen wäre (vgl. BSG, Urt. v. 29.09.1999 - B 6 KA 1/99 R - SozR 3-2500 § 103 Nr. 5, juris Rdnr. 40).

Vertragsarztsitz der Beigeladenen zu 8) war die Nebenbetriebsstätte C-Stadt, für die sie einen vollen Versorgungsauftrag innehatte. Soweit die Beigeladene zu 8) berechtigt war, im Rahmen der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft auch an den übrigen Betriebsstätten tätig zu sein (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV, §§ 15a Abs. 4 Satz 4 und 8, 17 Abs. 1a Satz 3 BMV-Ä in der ab Oktober 2013 geltenden Fassung, die in den hier maßgeblichen Bestimmungen mit den seinerzeitigen Regelung im BMV-Ä und EKV-Ä identisch ist) und auch tatsächlich tätig war, gehört dies zum Vertragsarztsitz und damit zum Praxissubstrat. Wird dieser Vertragsarztsitz aufgegeben, so kann das Praxissubstrat grundsätzlich durch die übrigen Mitglieder der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft, soweit sie zur Tätigkeit an der ganz oder teilweise verwaisten Betriebsstätte berechtigt sind, aufrechterhalten werden, wobei es sich um eine gegenüber vor Aufgabe des Vertragsarztsitzes erweiterte Tätigkeit handeln muss. Das Praxissubstrat wird durch die bloße Möglichkeit einer solchen Tätigkeit nicht aufrechterhalten, ebenso kann allein aus dem Umstand, dass die Betriebsstätte weiter betrieben wird und damit Geräte, Räume und Personal, eben eine gesamte Praxisinfrastruktur weiter vorgehalten werden, auf ein Fortbestehen des Praxissubstrats geschlossen werden. Ansonsten könnte in örtlichen und überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften, abgesehen von Fällen der Schließung einer Betriebsstätte, unbegrenzt lange nach Aufgabe eines Vertragsarztsitzes eine Nachbesetzung erfolgen, was weder unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes erforderlich ist noch mit der Bedarfsplanung im Einklang wäre. Gleichfalls reicht es nicht aus, dass aus Sicht der Berufsausübungsgemeinschaft eine gemeinsam ausgeübte Tätigkeit noch möglich erscheint, da es sich bei fehlendem Fortbestand des aufgegebenen Praxissitzes um eine - neue - Praxiserweiterung handeln würde. Von daher kommt bei Praxisnachfolge in eine örtliche oder überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft bzw. der Frage, ob noch ein Praxissubstrat vorhanden ist, dem zeitlichen Gesichtspunkt und einem Vergleich des bisherigen Umfangs der vertragsärztlichen Tätigkeit mit dem Umfang nach Ausscheiden des Vertragsarztes, namentlich der Zahl der Behandlungs- bzw. Arztfälle, die entscheidende Bedeutung zu.

Die Kammer geht davon aus, dass bis zur Dauer von einem Jahr ohne weiteres vom Fortbestand einer Praxis bzw. vom Vorhandensein eines Praxissubstrats ausgegangen werden kann, soweit nicht offenkundig oder ohne weiteres ersichtlich ist, dass die Praxis untergegangen ist, z. B. weil sie geschlossen wurde und in ihrem Einzugsbereich eine neugegründete Praxis die Versorgung übernommen hat bzw. offensichtlich eine Abwanderung zu im Einzugsbereich tätigen anderen Vertragsärzten stattgefunden hat. Nach Ablauf eines Jahres besteht aber die - widerlegbare - Vermutung, dass die Praxis untergegangen ist. Es ist Sache des Praxisabgebers oder Praxisnachfolgers, zunächst substantiiert vorzutragen, weshalb ein Praxissubstrat noch bestehen sollte. Bei vollständiger Schließung der Praxis für ein Jahr kann unterstellt werden, dass eine weitgehende Abwanderung des vormaligen Patienstamms zu anderen Vertragsärzten erfolgt ist. Die Neueröffnung einer Praxis am alten Vertragsarztsitz hat lediglich die Chance, aufgrund der lokalen Versorgungssituation wieder einen eigenen Patientenstamm zu erwerben. Bei Fortführung einer Praxistätigkeit am alten Ort, z. B. weil es sich um eine nunmehr aufgelöste Berufsausübungsgemeinschaft gehandelt hat und der verbliebene Partner weiterhin tätig ist, oder weil die Berufsausübungsgemeinschaft am Ort fortbesteht oder weil im Rahmen einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft die vertragsärztliche Tätigkeit in der Betriebsstätte fortgeführt wird, kommt es entscheidend darauf an, ob der auf den ausscheidenden Vertragsarzt entfalle Patientenanteil in annähernd gleichem Umfang aufrechterhalten werden kann. Längstens nach einem weiteren Jahr muss aber davon ausgegangen werden, dass die die Versorgung fortführenden Ärzte dies nunmehr nicht für einen potentiellen Nachfolger, sondern für sich selbst tun. § 32 Abs. 1 Satz 2 und 3 Ärzte-ZV lässt eine Vertretung innerhalb von zwölf Monaten bis zur Dauer von drei Monaten zu, für eine Vertragsärztin in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer Entbindung bis zu einer Dauer von zwölf Monaten. Lediglich während Zeiten der Erziehung von Kindern kann ein Vertreter oder Assistent bis zu einer Dauer von 36 Monaten, wobei dieser Zeitraum nicht zusammenhängend genommen werden muss, beschäftigt werden (§ 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Ärzte-ZV). Bei der Übernahme der Tätigkeit des ausscheidenden Arztes durch in der Berufsausübungsgemeinschaft verbleibende Ärzte handelt es sich zwar nicht um eine Vertretung im rechtlichen Sinn, kommt dem aber faktisch sehr nahe, solange die Tätigkeit erbracht wird, bis ein Nachfolger in die Praxis eintritt. Auch regelt § 32 Ärzte-ZV in erster Linie die persönliche Leistungserbringung und deren Ausnahmen, zeigt aber darüber hinaus, dass der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass die persönliche Leistungserbringung als wesentliches Merkmal der vertragsärztlichen Tätigkeit, die damit auch das Praxissubstrat prägt, eher nur kurz unterbrochen werden kann. Von daher handelt es sich bei einem möglichen Zeitraum von über einem Jahr um eng zu fassende Ausnahmefälle. Ähnlich wie hier ist auch das LSG Bayern der Auffassung, dass einiges für eine zeitabschnittsweise Betrachtung spreche, die innerhalb eines Zeitraums von einem halben Jahr nach dem Ende der Zulassung von einer generellen Fortführungsfähigkeit ausgeht, nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende der Zulassung in Hinblick auf § 81 Abs. 5 SGB V eine Fortführungsfähigkeit verneint und in der Zwischenzeit eine substantiierte Darlegung der Fortführungsfähigkeit durch den Vertragsarzt verlangt (vgl. LSG Bayern, Beschl. v. 18.12.2012 - L 12 KA 119/12 B ER - juris Rdnr. 32).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist daher wesentlich auf die Zahl der Behandlungsfälle in der Betriebsstätte C-Stadt abzustellen, auf die sich offensichtlich die Tätigkeit der Beigeladenen zu 8) bis zu ihrem hälftigen Ausscheiden allein bezogen hat.

Für die Zeit ab dem Quartal II/13 hat die Beigeladenen zu 8) aber keinerlei Behandlungen über die Betriebsstätte C-Stadt abgerechnet. Bereits von daher fehlt es ab diesem Zeitpunkt an einem Praxissubstrat, da maßgeblich ausschließlich die Abrechnung der Beigeladenen zu 8) bzw. der Berufsausübungsgemeinschaft ist. Von daher ist es grundsätzlich unerheblich, dass die Klägerin nunmehr vorträgt, wegen der Umstellung des EDV-Systems innerhalb der gesamten Berufsausübungsgemeinschaft habe die Beigeladene zu 8) nur unter einer Betriebsstätten-Nr. anstatt mehrerer abgerechnet.

Die Angabe der Betriebsstätten-Nr. ist zwingender Bestandteil der Leistungserbringung und der Abrechnung. Nach § 44 Abs. 5 BMV-Ä können Abrechnungen nur vergütet werden, wenn die in § 303 Abs. 3 SGB V geforderten Daten in dem jeweils zugelassenen Umfang maschinenlesbar oder auf maschinell verwertbaren Datenträgern angegeben oder übermittelt worden sind. Dies gilt insbesondere für die in der elektronische Gesundheitskarte enthaltenen Daten sowie die Arzt- und Betriebsstätten-Nr., die – mit Ausnahme im Ersatzverfahren – maschinell auf die Vordrucke für die vertragsärztliche Versorgung zu übertragen sind, und die verschlüsselten Diagnosen. Nach § 44 Abs. 7 BMV-Ä sind bei der Abrechnung die vertragsärztlichen Leistungen nach Maßgabe der von der Kassenärztlichen Vereinigung vorgeschriebenen Regelungen unter Angabe der Arzt-Nr. sowie aufgeschlüsselt nach Betriebsstätten und Nebenbetriebsstätten zu kennzeichnen. Nach § 37a BMV-Ä hat in den vorgeschriebenen Fällen der Vertragsarzt die ihm von der Kassenärztlichen Vereinigung zugewiesene Betriebsstätten-Nr., ggf. eine Nebenbetriebsstätten-Nr. sowie die Arzt-Nr. zu verwenden. In der verbindlichen Vereinbarung über Vordrucke für die vertragsärztliche Versorgung, Anlage 2 zum BMV-Ä, müssen nach Ziff. 1.1.5 Abs. 2 im Personalienfeld der Vordrucke die Betriebsstätten-Nr. und die Arzt-Nr. numerisch (Ziffern 0 bis 9) ausgedruckt werden.

Aber auch wenn man die Angaben der Klägerin zugrunde legt, ist vom Fehlen eines Praxissubstrats auszugehen. Für die Quartale II bis IV/13 gibt sie für die Beigeladene zu 8) 1.368, 1.345 und 1.228 Behandlungsfälle an, damit zusammen für diese drei Quartale 3.941 Behandlungsfälle bzw. durchschnittlich pro Quartal 1.313,7 Behandlungsfälle. Demgegenüber hat die Beigeladene zu 8) nach den Quartalsangaben der Beklagten im Jahr 2011 noch 8.683 Behandlungsfälle bzw. 2.170,8 Behandlungsfälle im Quartal abgerechnet. Dies bedeutet einen Rückgang auf 60,5 %, auf das gesamte Jahr 2011 bezogen (unter Einrechnung des noch mit 1.913 Behandlungsfällen weit überdurchschnittlichen Quartals I/13) auf 67 % (Gesamtfallzahl: 5.857). Für die Betriebsstätte C-Stadt insgesamt, d. h. unter Einbeziehung der von der Beigeladenen zu 1) übermittelten Daten für Frau Dr. F., ergeben sich für die Quartale II bis IV/13 insgesamt 6.210 Behandlungsfälle bzw. durchschnittlich pro Quartal 2.070 Behandlungsfälle. Demgegenüber wurden in der Betriebsstätte C-Stadt nach den Quartalsangaben der Beklagten im Jahr 2011 noch 11.607 Behandlungsfälle bzw. 2.801,8 Behandlungsfälle im Quartal und im Jahr 2012 noch 11.732 Behandlungsfälle bzw. 2.933 Behandlungsfälle im Quartal abgerechnet. Dies bedeutet bezogen auf das Jahr 2011 einen Rückgang auf 70,6 % und auf das Jahr 2012 einen Rückgang auf 68,5 %. Unter Einbeziehung des in C-Stadt weiterhin ausgeübten hälftigen Versorgungsauftrags der Beigeladenen zu 8) bedeutet dies einen signifikanten Rückgang des Behandlungsumfangs, so dass vom Fortbestehen des Praxissubstrats für den weiteren hälftigen Versorgungsauftrag spätestens ab dem Quartal II/13 nicht mehr ausgegangen werden kann.

Im Übrigen liegen zwischen dem Verzicht und der letzten mündlichen Verhandlung der Kammer nunmehr annähernd drei Jahre, so dass bereits von daher ein Wegfall des Praxissubstrats vorliegt. Letztlich musste die Kammer aber hierauf aus den genannten Gründen nicht abstellen. Von daher brauchte die Kammer sich auch nicht mit der Frage auseinanderzusetzten, ob eine solche Verfahrensdauer ausschließlich dem Praxisabgeber bzw. dem Praxisnachfolger anzulasten ist, wenn der Berufungsausschuss in rechtswidriger Weise zum Zeitpunkt seiner Entscheidung das Vorliegen eines Praxissubstrats verneint, da klägerseits wenig Einfluss auf die gerichtliche Verfahrensdauer genommen werden kann. Allerdings sind hier erhebliche Verfahrensverzögerungen dem Umstand geschuldet, dass die erste Ausschreibung erfolglos geblieben ist, was in die Sphäre des Praxisabgebers und damit auch des Praxisnachfolgers fällt.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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