L 3 AL 13/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 19 AL 697/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 13/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Umstand, dass ein Arbeitsvertrag im Insolvenzeröffnungsverfahren beziehungsweise im vorläufigen Insolvenzverfahren geschlossen wurde, verstößt weder gegen Regelungen des Arbeitsförderungsrechts, des Insolvenzrechts noch im konkreten Fall gegen den Beschluss eines Amtsgerichtes über die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Arbeitgeberin gemäß § 21 Abs. 1 und 2 InsO.
2. Für eine erweiternde Auslegung von § 183 Abs. 2 SGB III a. F. zu Lasten der Arbeitnehmer auf die Zeit vor dem Insolvenzereignis, nämlich bereits ab Stellung des Antrages auf Insolvenzeröffnung, fehlen die Voraussetzungen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 10. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten hat die Beklagte dem Kläger zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Insolvenzgeld für August 2011.

Der Kläger war ab dem 26. Juli 2011 bei der KMS K S GmbH als Lagerarbeiter beschäftigt. Grundlage war der Arbeitsvertrag vom 10. August 2011.

Bereits am 27. Juni 2011 beantragte die KMS K S GmbH beim Amtsgericht D die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen in eigener Verantwortung gemäß §§ 270 ff. der Insolvenzordnung (InsO). Mit Beschluss vom 29. Juni 2011 ordnete das Amtsgericht D (Az. 534 IN 1470/11) zur Sicherung des Schuldnervermögens vor nachteiliger Veränderung gemäß § 21 Abs. 1 und 2 InsO die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestimmte zur vorläufigen Insolvenzverwalterin Rechtsanwältin B S. Unter Nummer 2 des Beschlusses war angeordnet, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung der vorläufigen Insolvenzverwalterin wirksam sein sollten. Nummer 4 des Beschlusses enthielt die Regelung: "Die vorläufige Insolvenzverwalterin ist berechtigt, Forderungen der Schuldnerin, insbesondere auch Bankguthaben, auf ein hierauf einzurichtendes Anderkonto einzuziehen. Rechte Dritter bleiben davon unberührt. Eingehende Gelder dürfen für die Forderung des Unternehmens entnommen werden. Die vorläufige Insolvenzverwalterin ist nicht allgemeiner Vertreter der Schuldnerin. Das Recht zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnis verbleibt bei der Schuldnerin. Die vorläufige Insolvenzverwalterin hat die Aufgabe, die Unternehmensführung zu überwachen und das Vermögen im Gläubigerinteresse zu sichern."

Mit Beschluss vom 1. September 2011 wurde über das Vermögen der KMS K S GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwältin B S zur Insolvenzverwalterin bestellt.

Am 15. September 2011 beantragte der Kläger für die Zeit vom 26. Juli 2011 bis zum 31. August 2011 die Gewährung von Insolvenzgeld.

Am 20. September 2011 fragte die Beklagte bei der Insolvenzverwalterin S bezüglich des Antrages auf Zustimmung zur Vorfinanzierung gemäß § 188 Abs. 4 des Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) an und wies darauf hin, dass der Kläger bei dem Antrag auf Zustimmung zur Vorfinanzierung nicht benannt worden sei, weshalb eine Erstattung durch die Beklagte nicht erfolgen könne. Des Weiteren sei der Kläger nach der Beantragung des Insolvenzverfahrens neu eingestellt worden. Gemäß der Dienstanweisung der Beklagten zu § 183 SGB III hätten nur Arbeitnehmer mit sogenannten Schlüsselfunktionen, die nach der Beantragung des Insolvenzverfahrens eingestellt worden seien, Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn die Einstellung dringend notwendig gewesen sei um die unmittelbare Betriebsschließung zu verhindern. Es werde um eine schriftliche Begründung gebeten, weshalb die Einstellung des Klägers erforderlich gewesen sei. Hierzu nahm die Insolvenzverwalterin mit Schriftsatz vom 28. September 2011 Stellung. Die Einstellung des Klägers sei notwendig gewesen, um einen sicheren Produktionsablauf zu gewährleisten, da die zuvor von der Schuldnerin beschäftigten Leiharbeitnehmer sämtlich ungelernt und unzuverlässig gewesen seien. Die Einstellung habe nicht lediglich der Bewältigung von Kapazitätsengpässen beziehungsweise der Ausweitung der Produktion gedient, sondern sei zwingend geboten gewesen, um eine drohende Betriebsschließung zu verhindern. Parallel zur Fortführung der angelaufenen Produktion sei es erforderlich gewesen, die begonnenen Baumaßnahmen abzuschließen, insbesondere die Backofenanlagen der Schuldnerin abschließend zu errichten und in Gang zu setzen. Ohne diese Maßnahmen wäre der Schuldnerin die nunmehr erfolgreich abgeschlossene Zertifizierung versagt worden.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2011 lehnte die Beklagte die Gewährung von Insolvenzgeld für den Zeitraum vom 26. Juli 2011 bis zum 31. August 2011 ab. Das Insolvenzeröffnungsverfahren sei nach dem Eigenantrag vom 27. Juni 2011 bereits an diesem Tag eingeleitet worden. Für Arbeitnehmer bestünde erst dann ein Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie eine sogenannte Schlüsselfunktion innegehabt hätten, die Einstellung somit zwingend notwendig gewesen sei, um die unmittelbare Betriebsschließung zu verhindern. Wenn hingegen die Neueinstellung durch den oder mit Zustimmung des Insolvenzverwalters zur Bewältigung von Kapazitätsengpässen beziehungsweise zur Ausweitung der Produktion erfolgt sei, komme ein Anspruch auf Insolvenzgeld für diese Arbeitnehmer nicht in Betracht. Nach den Schilderungen der Insolvenzverwalterin sei der Kläger eingestellt worden, um beginnende Baumaßnahmen abzuschließen und den Fortgang der Produktion sicherzustellen. Diese Tätigkeit hätten auch andere Arbeitnehmer verrichten können, notfalls unter Inanspruchnahme von Überstunden. Der Kläger habe keine Funktion von entscheidender Bedeutung (Schlüsselfunktion) ausgeübt.

Hiergegen hat der Kläger am 2. Dezember 2011 Klage erhoben. Insolvenzereignis im Sinne von § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III sei vorliegend die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KMS K S GmbH. Die Auffassung der Beklagten, ein Anspruch auf Insolvenzgeld komme für den Kläger nur dann in Betracht, wenn er eine sogenannte Schlüsselfunktion inngehabt habe, entbehre jedweder Rechtsgrundlage. Eine derartige Voraussetzung sei § 183 SGB III nicht zu entnehmen.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 10. Dezember 2012 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2011 verurteilt, dem Kläger im Insolvenzgeldzeitraum Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Bei Eröffnung des Insolvenzgeldverfahrens über das Vermögen der KMS K S GmbH am 1. September 2011 sei der Kläger unstreitig bei der KMS beschäftigt gewesen. Er habe daher für Juli 2011 Anspruch auf ein Bruttoarbeitsentgelt von 283,94 EUR und für August 2011 auf das Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.432,81,25 EUR. Der zugrunde liegende Arbeitsvertrag sei wirksam zustande gekommen und verstoße weder gegen ein Gesetz noch gegen die guten Sitten. Insbesondere verstoße der durch die KMS K S GmbH mit dem Kläger geschlossene Arbeitsvertrag weder gegen bindende Vorschriften der Insolvenzordnung noch gegen den Beschluss des Amtsgerichts D vom 29. Juni 2011, mit welchem der KMS K S GmbH kein allgemeines Verfügungsverbot gemäß § 22 Abs. 1 InsO auferlegt worden sei. Dem Anspruch auf Insolvenzgeld stehe auch nicht entgegen, dass der Arbeitsvertrag des Klägers im Insolvenzeröffnungsverfahren geschlossen worden sei. Voraussetzung für einen Anspruch auf Insolvenzgeld sei nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 183 Abs. 1 SGB III nur, dass ein im Inland beschäftigter Arbeitnehmer im Insolvenzgeldzeitraum liegende Arbeitsentgeltansprüche gegen seinen Arbeitgeber habe, die nicht erfüllt worden seien, und beim Arbeitgeber ein Insolvenzereignis eingetreten sei. Dies sei hier der Fall. Eine analoge Anwendung des § 183 Abs. 2 SGB III scheide, wie das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Urteil vom 6. Februar 2009 (Az. L 8 AL 4096/06) entschieden habe, aus, weil es an der hierfür erforderlichen planwidrigen Gesetzeslücke fehle.

Gegen den am 19. Dezember 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 22. Januar 2013 Berufung eingelegt. Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der KMS K S GmbH sei nach der Stellung des Insolvenzgeldantrages im Rahmen der gemäß Beschluss vom 29. Juni 2011 durch das Amtsgericht D beschlossenen vorläufigen Insolvenzverwaltung abgeschlossen worden. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass der Kläger bei Beginn seines auf drei Monate befristeten Arbeitsverhältnisses nicht nur von der Insolvenzverwaltung, sondern auch von der etwaigen Möglichkeit einer Insolvenzgeldzahlung gewusst habe. Bei der Neueinstellung des Klägers habe festgestanden, dass das Arbeitsentgelt tatsächlich nicht gezahlt werde. Eine derartige Vereinbarung ziele von vornherein auf eine Belastung der Versichertengemeinschaft ab und verstoße gegen Treu und Glauben. Nach Rechtsauffassung der Beklagten hätten in Anwendung des Rechtsgedankens des § 98 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b SGB III grundsätzlich nur Arbeitnehmer mit sogenannten Schlüsselfunktionen, die nach Beantragung des Insolvenzverfahrens eingestellt würden, einen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn diese Einstellung ausnahmsweise zwingend notwendig sei, um die unmittelbare Betriebsschließung zu verhindern. Bei einem Produktionsmitarbeiter mit einem Stundenlohn von 7,00 EUR handele es sich nach Überzeugung der Beklagten nicht um eine solche Schlüsselposition.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 10. Dezember 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Selbst wenn von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten der Arbeitgeberin, der KMS K S GmbH, auszugehen sei, übersehe die Beklagte, das Anspruchssteller vorliegend weder der Insolvenzverwalter beziehungsweise der vorläufige Insolvenzverwalter noch das schuldnerische Unternehmen, sondern der betroffene Arbeitnehmer sei. Der Hinweis auf § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) laufe auf eine Sanktion des Arbeitnehmers wegen eines vorwerfbaren Verhaltens des Arbeitgebers hinaus. Jedoch auch dieses sei nicht zu erkennen. Das Insolvenzgeld nur für Arbeitnehmer in sogenannten Schlüsselpositionen zu gewähren entbehre jedweder Grundlage. Allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer im Laufe eines Insolvenzeröffnungsverfahrens neu eingestellt worden sei, könne kein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Arbeitgebers sein.

Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2014 hat der Kläger seine Klage bezüglich des Insolvenzgeldzeitraumes vom 26. bis zum 31. Juli 2011 zurückgenommen, weil in diesem Zeitraum ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 208,62 EUR aus der Insolvenzgeldvorfinanzierung erhalten hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 10. Dezember 2012 den Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2011 aufgehoben, weil diese rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (vgl. § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG)].

Es wird insoweit auf die zutreffenden Erwägungen in den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Lediglich ergänzend wird ausgeführt:

Der Kläger hat Anspruch auf Insolvenzgeld für die Zeit seiner Beschäftigung bei der KMS K S GmbH für 31. August 2011.

Die Rechtsgrundlagen für den geltend gemachten Anspruch finden sich in § 183 SGB III in der vom 1. Januar 2002 bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 54a des Gesetzes vom 10. Dezember 2001 [BGBl. I S. 3443]).

Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. hatten Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden war und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kam, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hatten. Insolvenzgeld war gemäß § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der vom 1. Januar 1998 bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997 [BGBl. I S. 594]) innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen.

Hatte ein Arbeitnehmer in Unkenntnis des Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen, bestand der Anspruch für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses (vgl. § 183 Abs. 2 SGB III a. F.).

Diese Voraussetzungen sind beim Kläger erfüllt. Er war aufgrund des Arbeitsvertrages vom 10. August 2011 im Inland beschäftigt. Insolvenzereignis ist unstreitig die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KMS K S GmbH. Der Tag des Insolvenzereignisses war der 1. September 2011. Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III a. F hat der Kläger somit für die dem 1. September 2011 vorausgehenden drei Monate Anspruch auf Insolvenzgeld. Da das Arbeitsverhältnis nicht diesen dreimonatigen Zeitraum ausfüllte, ist der Anspruch auf den Zeitraum des bestehenden Arbeitsverhältnisses vom 1. August 2011 bis 31. August 2011 beschränkt. Die noch offenen Ansprüche auf das Netto-Arbeitsentgelt in Höhe von 1.039,4 EUR ergeben sich insoweit aus der bei der Beklagten eingereichten Insolvenzgeldbescheinigung.

Der Arbeitsvertrag vom 10. August 2011 zwischen dem Kläger und seiner damaligen Arbeitgeberin ist, wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, nicht unwirksam. Er kam wirksam durch übereinstimmende Willenserklärungen zustande. Er verstößt nicht gegen ein gesetzliches Verbot (vgl. § 134 BGB). Der Umstand, dass der Arbeitsvertrag im Insolvenzeröffnungsverfahren beziehungsweise im vorläufigen Insolvenzverfahren geschlossen wurde, verstößt weder gegen Regelungen des Arbeitsförderungsrechts, des Insolvenzrechts noch gegen den Beschluss des Amtsgerichtes D vom 29. Juni 2011 über die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Arbeitgeberin gemäß § 21 Abs. 1 und 2 InsO. Mit diesem Beschluss auferlegte das Amtsgericht der Arbeitgeberin kein allgemeines Verfügungsverbot im Sinne von § 22 InsO. Vielmehr verblieb ausdrücklich das Recht zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnis bei der Schuldnerin.

Der Arbeitsvertrag verstößt auch nicht gegen die guten Sitten (vgl. § 138 BGB). Nach dem schlüssigen und glaubhaften Vortrag des Klägers, der von der Insolvenzverwalterin im Schreiben vom 28. September 2011 bestätigt wurde, wurde der Arbeitsvertrag in redlicher Absicht aus dem Grunde geschlossen, den anfallenden Mehrbedarf bei der Abwicklung des Unternehmens und zum Abschluss von Baumaßnahmen an der Backofenanlage zu bewältigen. Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitsvertrag vom 10. August 2011 alleine aus dem zu missbilligenden Grund geschlossen worden wäre, dem Kläger überhaupt Insolvenzgeldansprüche zu sichern oder seine damalige Arbeitgeberin von einer Lohnzahlungsverpflichtung zu befreien, liegen nicht vor.

Für die von der Beklagten vertretene erweiternde Auslegung von § 183 Abs. 2 SGB III a. F. zu Lasten der Arbeitnehmer auf die Zeit vor dem Insolvenzereignis, nämlich bereits ab Stellung des Antrages auf Insolvenzeröffnung (vgl. § 13 InsO), fehlen die Voraussetzungen. Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. z. B. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11BVerfGE 133, 168 ff. = NJW 2013, 1058 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 66; vgl. z. B. auch BSG, Urteil vom 30. September 2008 – B 4 AS 28/07 RSozR 4-4200 § 7 Nr. 9 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 18).

Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift (vgl. z. B. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013, a. a. O.). Dieser ist vorliegend eindeutig. Der Gesetzgeber stellte in § 183 Abs. 2 SGB III a. F. auf die Unkenntnis "des Insolvenzereignisses" ab. Was ein Insolvenzereignis war, war in § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. legal definiert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff des Insolvenzereignisses in § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. einerseits und in § 183 Abs. 2 SGB III a. F. andererseits einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt haben sollte.

Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus der Gesetzessystematik. Der Gesetzgeber hatte in § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. definiert, was Insolvenzereignis und damit Tatbestandsvoraussetzung für den arbeitsförderungsrechtlichen Insolvenzgeldanspruch war. Er verschob für alle drei Fälle des Insolvenz des Arbeitgebers nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB III a. F. den Insolvenzzeitraum auf die letzten, dem Tag der Kenntnisnahme des einzelnen Arbeitnehmers von dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses (vgl. Krodel, in: Niesel/Brand, SGB III [5. Aufl., 2010], § 183 Rdnr. 111). Nach der Gesetzessystematik stellte § 183 Abs. 2 SGB III a. F. eine Sonderregelung zu § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. dar. Sie baute auf dem Insolvenzereignisbegriff des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. auf, ohne dass ein anderer Insolvenzereignisbegriff geschaffen worden wäre.

Dies wird durch die Entstehungsgeschichte der Regelung und die Gesetzgebungsmaterialien bestätigt. § 183 Abs. 2 SGB III a. F. ging auf die Regelung in § 141b Abs. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zurück, die zusammen mit weiteren Regelungen zum Konkursausfallgeld durch Artikel 1 Nr. 5 des Gesetzes über Konkursausfallgeld (Drittes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes) vom 17. Juli 1974 (BGBl. I S. 1481) mit Wirkung vom 20. Juli 1974 eingeführt worden war. Obwohl die in § 141b Abs. 1 und 3 AFG geregelten Konkursereignisse denen im späteren § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. entsprachen, war die Sonderregelung des § 141b Abs. 4 AFG zunächst nur auf Fälle des Nachlasskonkurses beschränkt (vgl. auch BT-Drs. 7/1750 S. 12). Die Regelung wurde dann durch Artikel 1 Nr. 52 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes) vom 23. Juli 1979 (BGBl. I S. 1189) dahingehend geändert, dass sie auf das Insolvenzereignis der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse (§ 141b Abs. 3 Nr. 1 AFG) bezogen wurde. Durch Artikel 1 Nr. 42 Buchst. b des Gesetzes vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2044) wurde in der Sonderregelung der Fall der Weiterarbeit durch den der Arbeitsaufnahme ergänzt. Erst durch Artikel 1 des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Reformgesetz – AFRG) vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594) wurde im Zuge der Einordnung des Arbeitsförderungsrechtes in das Sozialgesetzbuch als Drittes Buch zum 1. Januar 1998 auch § 183 Abs. 2 SGB III in der Fassung geschaffen, die er bis zu seiner Ablösung durch § 165 SGB III zum 1. April 2012 (vgl. Artikel 2 Nr. 18 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) behielt. Während der Gesetzgeber mit § 183 Abs. 1 SGB III "in Übernahme des geltenden Rechts den Rechtsanspruch auf Insolvenzgeld bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers" regelte (vgl. BT-Drs. 13/4941 S. 188 [zu § 183 – Anspruch, Zu Absatz 1]), erweiterte er mit § 183 Abs. 2 SGB III den Insolvenzgeldzeitraum "in allen Fällen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers" (vgl. BT-Drs. 13/4941 S. 188 [zu § 183 – Anspruch, Zu Absatz 2]). Somit ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien nicht, dass in § 183 Abs. 1 und 2 SGB III a. F. zwei unterschiedliche Begriffe des Insolvenzereignisses verwendet werden sollte.

Schließlich liegt auch keine planwidrige Gesetzeslücke vor, die eine analoge Anwendung des § 183 Abs. 2 SGG a. F. erfordern würde. Diesbezüglich hat, worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat, das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Urteil vom 6. Februar 2009 unter Hinweis auf die frühere Rechtslage und die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung eingehend dargelegt, dass das Ziel der Erweiterung der Bezugsberechtigung in § 141b Abs. 4 AFG durch das Gesetz vom 18. Dezember 1992 war, sozialpolitisch nicht vertretbar erscheinende Härten zu vermeiden. § 183 Abs. 2 SGB III a. F. trug einzig dem Schutz der Arbeitnehmeransprüche auf Insolvenzgeld Rechnung. Sinn und Zweck der zur Vermeidung von Härten geregelten Erweiterung der Bezugsberechtigung steht damit einer einschränkenden Anwendung bei im Insolvenzeröffnungsverfahren geschlossenen Arbeitsverhältnissen entgegen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 6. Februar 2009 – L 8 AL 4096/06NZS 2010, 163 = info also 2010, 187 = JURIS-Dokument Rdnr. 39). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Der erkennende Senat teilt auch die Rechtsauffassung des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg im Urteil vom 6. Februar 2009, dass der der Sache nach von der Beklagten vorgetragene Einwand, die Einstellung von Personal nach Beginn der vorläufigen Insolvenz aber noch vor dem Zeitpunkt eines Insolvenzereignisses im Sinne von § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. könne nicht zu Lasten der Insolvenzversicherung erfolgen, nicht die erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung dieser Regelung in dem von der Beklagten geforderten Sinne rechtfertigt. Allein der Umstand, dass Personalkosten, die zur Verbesserung der Insolvenzmasse anfallen, auf die Insolvenzgeldausfallversicherung verlagert werden, steht einem Anspruch auf Insolvenzgeld nicht entgegen. Es bedürfte vielmehr einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, die einen Insolvenzgeldanspruch bei Arbeitsverträgen, die erst im Insolvenzeröffnungsverfahren abgeschlossen werden, ausschließt oder einschränkt. Eine solche gibt es aber nicht (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 6. Februar 2009 – L 8 AL 4096/06NZS 2010, 163 = info also 2010, 187 = JURIS-Dokument Rdnr. 39).

Soweit die Beklagte ausgehend von ihrer Rechtsauffassung zur zeitlichen Reichweite von § 183 Abs. 2 SGG a. F. wiederum eine Rückausnahme für Arbeitnehmer, welche in sogenannten Schlüsselfunktionen eingestellt worden sind, gelten lassen will, würde es hierfür ebenfalls an einer gesetzlichen Grundlage fehlen. Zudem wäre eine sachliche Rechtfertigung im Sinne von Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) für die gewählte unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmergruppen nicht gegeben. Zwar kann es – auch arbeitsförderungsrechtlich – im Einzelfall ein billigenswertes Interesse in Bezug auf den Versuch, ein insolventes Unternehmen sanieren und damit Arbeitsplätze erhalten zu wollen, geben. Hierfür kann es sich erforderlich machen, neue Arbeitnehmer einzustellen. Weshalb dann aber nur Arbeitnehmer mit Schlüsselfunktionen privilegiert werden sollen und nicht alle Arbeitnehmer, die zum Erhalt und zur Fortführung des Unternehmens beitragen können, lässt die Beklagte offen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

III. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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