S 30 VG 11/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
30
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 VG 11/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 15.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist eine Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen Spätfolgen vielfacher Gewalttaten sexuellen Charakters. Die am XX.XX.1967 geborene Klägerin beantragte erstmals am 08.09.2008 eine Versor-gung nach dem OEG wegen umfassender Schädigungen in ihrer Kindheit. Sie trug vor, unter einer rezidivierenden depressiven Störung, einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus, einem Benzodiazepin-Missbrauch, einer Opiatabhängigkeit und einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden, nachdem sie "im Alter von 5-15 Jahren durch wechselnde Beziehungen ihrer Mutter missbraucht oder verkauft???!!!" worden sei. Die Beklagtenakte beginnt mit einer ausführlichen biografischen Schilderung mit den Elementen einer Überforderung durch in die Herkunftsfamilie aufgenommene Pflegekinder, eines Suizidversuches mit etwa 11 Jahren, eines Missbrauchs durch eine Frau und einen Patenonkel, eines exzessiven Alkoholkonsums ab dem 13. Lebensjahr, sodann nach dem Tod der Mutter 1983 der Vergewaltigung durch zwei Männer, schwieriger Partnerbeziehungen u.a. mit einem 27 Jahre älteren und 1999 in ihren Armen verstorbenen Alkoholiker, einer Medikamentenabhängigkeit, eines erneuten Selbsttötungsversuchs 1994 und einer Inzest-Beziehung zu ihrem Bruder von 1984 bis 2001. Der Beklagte richtete am 03.09.2008 konkrete Fragen bezüglich aller Sachverhalte an die Klägerin. Am 04.11.2008 folgten von Seiten der Betreuerin hierzu weitere detaillierte An-gaben. Nach Tatkomplexen aufgegliedert wurde vorgetragen (hier nur auszugsweise in Stichworten zitiert):
- E. E.: Oralsex und genitale Manipulationen über Jahre hinweg im Lebensalter von circa 5 bis 10. - Missbrauch durch 4 bis 5 Männer im Alter von circa 40-50 Jahren wahrscheinlich amerikanischer Herkunft: Oralsex, vollzogener Geschlechtsverkehr, Küsse, gemeinsames Baden, Nötigung zu Manipulationen an männlichen Geschlechtsteilen ab Lebensalter 9 Jahre bis zum 13. Lebensjahr durchgehend alle 2-3 Tage. Hilfsappelle u.a. mit Briefchen in die Postkästen der Nachbarn.

- Schwabinger Krankenhaus: nach einem mit 11 Jahren begangenen Suizidversuch Ende Oktober 1978 von F. (etwa 15 Jahre alt) erwirkte gegenseitige genitale Manipulationen.

- Patenonkel G. G.: Missbrauch beginnend etwa mit dem 13. Lebensjahr über etwa 2 Jahre, zeitweise täglicher Missbrauch, zweimal in Gestalt von Analverkehr. - Gemeinsam mit "H." erlittene Vergewaltigung Oktober 1986: Bericht über Gesichts- und Genitalverletzungen, keine näheren Angaben zum Tathergang.

Der Beklagte wertete frühere ärztliche Äußerungen über die Klägerin aus. Ältestes Dokument war ein Krankenhausbericht über eine psychologische Untersuchung der damals zwölfjährigen Klägerin vom 21.12.1979 nach einem Suizidversuch.

Die familiäre Vorgeschichte und damit die Kindheitsbedingungen der Klägerin unter den Bedingungen einer Alleinerziehung durch die vielfach suchtkranke Mutter werden darin als sehr belastend beschrieben. Anklänge an eine sexuell-traumatische Thematik finden sich in der sorgfältigen Familienanalyse nicht. Aussagekräftig war des weiteren ein Bericht der Nervenklinik N-Stadt vom 31.12.1993. Darin wurden eine "Frühstörung", ein Tranquilizer- und Alkoholabusus und ein Verdacht auf Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Gequält und zögerlich habe die Klägerin mitgeteilt, im Alter von 7-8 Jahren von einem Partner ihrer Mutter mehrmals missbraucht worden zu sein. Die Missbrauchssituation sei ihr erst vor kurzem durch den Psychotherapeuten in Erinnerung gerufen worden. Ansonsten lag der Schwerpunkt der Kindheitsanamnese auf Elementen von Einsamkeit und Überforderung und der Problematik der Heimunterbringung nach dem Tod der Mutter im 16. Lebensjahr der Klägerin. Im Bericht über den Therapieverlauf wird eine "Missbrauchssymptomatik durch verschiedene Bezugspersonen" erwähnt, "die sich durch die ganze Kindheit und Jugend zieht". Neuere Begutachtungen hatten eine volle Erwerbsminderung der Klägerin aufgrund "vordiagnostizierter Borderline-Störung bei Zustand nach sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung, Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung und Benzodiazepin-Abhängigkeit" (beispielhaft Diagnostik laut Gutachten der Nervenärztin Dr. I. vom 29.10.2008) ergeben. Im Entlassungsbericht nach einer Entzugsbehandlung von 12.12.2007 bis 02.04.2008 war von einem Missbrauch der Klägerin durch die Partner der Mutter ab dem 5. Lebensjahr berichtet worden, in der Zeit der Pubertät auch durch den Patenonkel. Die Suchtanamnese war erheblich. Hinsichtlich des Alkohol- und Medikamentenkonsums wurde gegenwärtige Abstinenz bilanziert, ein intensiver Nikotinabusus bestand fort. Am 07.12.2009 wurde im Auftrag des Beklagten von Frau Dipl.-Psych. Dr. K. nach persönlicher Einvernahme vom 15. und 22.10.2009 eine ausführliche aussagepsychologische Stellungnahme gefertigt. Sie bejahte die Aussagetüchtigkeit der Klägerin, kam jedoch zu dem Ergebnis, hinsichtlich aller infrage stehenden Vorfälle sei die Hypothese einer unbewussten Falschaussage auf der Grundlage autosuggestiver Prozesse nicht zurückzuweisen. Maßgeblich waren folgende Überlegungen: - Die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung vom Typus Borderline sei bekannt für eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Umdeutung selbst erlebter Inhalte. - Der Klägerin seien laut Angabe der fragliche Missbrauch durch ihren Onkel und ihren Bruder sowie die fragliche Vergewaltigung in einer Kneipe schon immer bewusst gewesen, die restlichen Missbrauchsvorfälle hätten sich jedoch ab 1993 im Rahmen ihrer Therapiegespräche "herauskristallisiert". Die Klägerin habe das Bedürfnis verspürt, sich ihr Leben und ihre Verhaltensweisen erklären zu können. Die aktive gedankliche Suche nach Gründen und Erklärungen für aktuell als problematisch empfundene Verhaltensweisen sei ein typisches Merkmal für autosuggestive Prozesse. - Der Klägerin sei in ihrer Therapie bestätigt worden, dass es zwischen den von ihr erlebten Symptomen und dem Missbrauch einen Zusammenhang gebe. Eine derartige Plausibilitätsbekundung könne autosuggestive Prozesse und die Bildung einer Pseudoerinnerung gefördert haben. - Die Klägerin habe nach eigener Angabe mehrere Bücher zu den Themen Borderline-Persönlichkeitsstörung und sexueller Missbrauch gelesen. Mit den dort beschriebenen Gefühlen habe sich gut identifizieren können. Es wäre denkbar, dass die dort angeführten Fallbeispiele ihr als Vorlage für autosuggestive Prozesse gedient haben. - Schließlich sei es möglich, dass die Klägerin ihre sexuelle Unlust aus Beziehungen jüngerer Zeit auf vermeintliche Erinnerungen übertragen hat.

Nach alledem könne auch die Annahme einer unbewussten Falschaussage (Scheinerin-nerung) nicht verworfen werden. Auf dieser Basis wurde der Antrag mit Bescheid vom 15.02.2010 abgelehnt. Der Widerspruch der Klägerin wurde nach Einholung einer psychiatrischen Stellungnahme von Frau Dr. L. mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2012 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Klage. Zu deren Begründung wird der Aussagepsychologin Dr. K. vorgeworfen, zu starken Wert auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung zu legen. Sie habe offensichtlich nicht geprüft, inwieweit dieses Syndrom bei der Klägerin noch ausgeprägt ist und ob es nicht von einer posttraumatischen Belastungsstörung überlagert ist. Für die Klägerin sei zuletzt durch einen (zur Akte genommenen) Bericht der Fachklinik St. L. vom 13.11.2013 aufgrund eines stationären Aufenthaltes vom 04.09. bis 29.10.2013 eine schwere Traumatisierung nachgewiesen. Schon 2008 und 2012 sei eine posttraumatische Belastungsstörung gesichert gewesen. In einem wegen einer stationären Behandlung der Klägerin bzw. auf anwaltlichen Wunsch mehrfach verschobenen Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweiserhebung am 20.02.2014 beharrte die Klägerin auf ihrer Darstellung der vorgetragenen Geschehnisse in ihrer Kindheit. Das Gericht erklärte die Bereitschaft zur Einleitung einer nochmaligen aussagepsychologischen Begutachtung nunmehr durch Prof. Dr. D. in D-Stadt. Die Beweisanordnung sah entsprechend dem Vorschlag des Sachverständigen vor, dass einer Gutachtenserstellung nach Aktenlage erst dann eine persönliche Einvernahme erfolgen sollte, wenn die Aktenlage hierfür einen im Sinne des Klagebegehrens hinreichen-den Erfolg wahrscheinlich machen würde. Das Gutachten wurde am 15.05.2014 erstellt. Es gliedert die vorgetragenen Sachverhalte wie folgt auf: 1. sexueller Missbrauch in der Wohnung der Mutter durch mehrere Partner der Mutter im Alter von 5-15 Jahren,
2. nach Suizidversuch mit circa 11 Jahren zweimaliger sexueller Missbrauch im Schwabinger Krankenhaus durch eine Zimmernachbarin F.,
3. sexueller Missbrauch durch einen Patenonkel,
4. Vergewaltigung durch zwei Männer nach Kinobesuch mit Freundin H.
5. und Inzestbeziehung von 1984 bis 2001 mit dem Bruder.

Prof. Dr. D. schickt seiner Beurteilung die Feststellung voraus, dass Frau Dr. K. sehr umfangreich und sachgerecht exploriert habe. Er stimme ihren Beurteilungen insofern zu, als Gegenüberlegungen zur Erlebnisannahme für alle infrage stehenden Sachverhalte nicht stringent zurückgewiesen werden könnten. Mit aussagepsychologischer Methodik könne keine positive Substantiierung für den Erlebnisgehalt der Sachverhalte erfolgen. Er kün-digte allerdings aussagepsychologische Nuancierungen auch unter Beachtung der Forderungen aus der neueren BSG-Rechtsprechung vom April 2013 an. Es folgt eine ausführli-che Rekapitulation der Krankheits- und Behandlungsgeschichte der Klägerin. Schon vor den ersten Angaben der Klägerin über schädigende Ereignisse habe bei der Klägerin die Borderline-Symptomatik bestanden, die in der aussagepsychologischen Argumentation von Frau Dr. K. nur einen Begründungsfaktor neben anderen dargestellt habe. Die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ermögliche auch keine generelle Annahme der Unzuverlässigkeit von Aussagen und der mangelnden Aussagetüchtigkeit. Hinsichtlich der anwaltlich zu bedenken gegebenen Beziehung zwischen Borderline-Störung und posttraumatischer Belastungsstörung sei zum einen darauf hinzuweisen, dass eine partielle Symptomgleichheit bestehe. Zum anderen habe die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ohne Basis eines gesicherten Traumas und lediglich aufgrund der An-gabe eines Patienten in aussagepsychologischer Hinsicht keinen Erkenntniswert, weil sie anhand einer Symptomatik den Tatbestand voraussetze, der zu prüfen ist. Bei der Klägerin sei prinzipiell Aussagetüchtigkeit anzunehmen. Relativierungen insbesondere bezüglich des Erinnerungsvermögens würden sich jedoch aus mitgeteiltem Derealisations- und Depersonalisierungserleben, langjährigem Alkohol- und Medikamentenabusus sowie dem langen Zeitablauf zwischen den infrage stehenden Ereignisse und dem Erstbekunden durch die Klägerin ergeben. Der Sachverständige legt sodann dar, dass sich aus den inzwischen vielfältigen mündlichen und schriftlichen Formulierungen der angeschuldigten Sachverhalte so viele in aussagepsychologischer Hinsicht störende Faktoren ergeben würden, dass eine erneute Begutachtung unter (gemeint: persönlicher) Einbeziehung der Klägerin keinen Erkenntnisgewinn erwarten lasse. Sodann geht das aussagepsychologische Gutachten auf die einzelnen vorgetragenen Tatkomplexe ein. Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs in der Kindheit in der Wohnung der Mutter zitiert das Gutachten das Gesprächsprotokoll 5 von Frau Dr. K., wonach sich die Klägerin hinsichtlich des Beginns des Missbrauchs "Erinnerungsbruchstücke aus Flashbacks zusammengereimt" habe. Aus dem Protokoll 11 zitiert er, dass der sexuelle Missbrauch "erst in der Klinik herausgekommen" sei, mithin 1992 oder 1993.

Die Klägerin habe "das mit ihrem Onkel und Bruder sicher gewusst", doch der sexuelle Missbrauch durch die Partner der Mutter und durch " E." habe sich erst in der Klinik "herauskristallisiert", durch das, was die Mitpatienten geredet hätten. Den Missbrauch durch einen älteren Sohn der Mutter namens E. habe die Klägerin selbst einmal als möglichen Inhalt eines Traumes bezeichnet. Hinsichtlich des vorgetragenen jahrelangen Missbrauchs mehrmals wöchentlich durch mehrere Partner der Mutter gibt Prof. Dr. D. zu bedenken, dass ein Fehlen jeglicher Erinnerung hieran bis zum 26. Lebensjahr wenig plausibel sei. Vergleichsweise sei dieser Vortrag mit größerer Wahrscheinlichkeit das Ergebnis einer Erklärungssuche aufgrund von persönlichen Problemen. Für den Klinikaufenthalt im Dezember 1979 wird zu bedenken gegeben, dass die Klägerin den damals angeblich noch andauernden sexuellen Missbrauch durch eine entsprechende Mitteilung hätte beenden können. Im Ergebnis gelangt der Gutachter zu der Auffassung, zu den Angaben eines Missbrauchs in der Kindheit bestehe die überwiegende Wahrscheinlichkeit von Scheinerinnerungen aufgrund von Suggestionen. Die Angaben eines Missbrauchs durch F. sei nicht a priori unrealistisch. Anhand des Protokolls 7 von Frau Dr. K. werde jedoch nicht klar, ob es sich hierbei nicht auch um "Vermutungen" der Klägerin erst aus dem Jahre 1993 handelte. Von Bedeutung sei die Äußerung der Klägerin, nicht unterscheiden zu können, ob Inhalte von Flashbacks Traum oder Erlebtes sein, es sei ein "totales Durcheinander, Chaos". Die insgesamt kurzen Angaben würden keine ausreichende Substantiierung ermöglichen. Zum vorgetragenen Missbrauch durch den Patenonkel G. G. macht das Gutachten auf deutliche Unterschiede in den Angaben der Klägerin zwischen 1993 und 2008 hin. Insgesamt sei hierzu jedoch eine Lügen- oder Suggestionshypothese nicht sehr deutlich her-auszuarbeiten, ebenso jedoch nicht der positive Beleg eines Erlebnisgehalts. Hinsichtlich der Vergewaltigung 1986 falle auf, dass der immerhin vorgetragene Detail-reichtum "schemabasiert" wirke, nämlich landläufigen Vorstellungen vom typischen Ablauf einer Vergewaltigung entspreche. Ein unauflösbarer Widerspruch bestehe zwischen den Angaben einer Vergewaltigung durch einen oder durch zwei Männer. Nicht plausibel sei, dass die Klägerin sich zwar von "H." beim Herrichten der Kleidung habe helfen lassen, mit ihr jedoch nicht über die Vergewaltigung gesprochen habe. In der Bilanz zu den Tatkomplexen "Vergewaltigung" und "Gewalttätigkeiten von G." hält der Aussagepsychologe eine irgendwie geartete Erlebnisgrundlage für wahrscheinlich, vermutet also nicht die bezüglich des Missbrauchs als Kind angenommenene vollkommene Scheinerinnerung.

Sodann befasst sich Prof. Dr. D. mit dem vorgetragenen Komplex "Inzest mit dem Bruder" von 1984 bis 2001. Ein entsprechender Bericht sei in der Erstbekundung über kindheitlichen Missbrauch 1993 noch nicht enthalten gewesen, obwohl die Inzestbeziehung damals noch angedauert haben müsste. Eine Erwähnung finde sich erst in einem psychiatrischen Gutachten vom Dezember 2005. Dennoch wird die Klägerin aus dem Jahre 2008 mit der Aussage zitiert, von der Inzestbeziehung "immer gewusst" zu haben. Aus aussagepsychologischer Sicht liege allerdings beim Vergleich der Schilderungen hierüber und über die sonstigen Sachverhalte zu diesem Komplex die qualitativ hochwertigste Aussage vor. Sie enthalte eine Reihe von markanten Realkennzeichen wie zum Beispiel die Selbstbelastung im Sinne einer eigenen Initiative, die Kontextbedingungen und die mitgeteilten Lustgefühle. Eine positive aussagepsychologische Beweisführung sei auch mit Blick auf eine generelle Disposition der Klägerin zur Ausbildung suggestiver Prozesse in sexueller Hinsicht nicht möglich. Die Annahme einer sicheren Überlegenheit der Erlebnishypothese gegenüber der Suggestionshypothese würde eine Überinterpretation der aussagepsychologischen Möglichkeiten bedeuten. In einem Kapitel "Ergänzungen und Zusammenfassung" überlegt Prof. Dr. D., ob es sich nicht bei der Erstbekundung eines sexuellen Kindesmissbrauchs 1993 um eine bewusste Ablenkung von der noch andauernden Inzestbeziehung gehandelt haben könnte. Die nachfolgende langjährige Beschäftigung mit diesem Thema könnte dann Suggestionseffekte gehabt haben. Die Ausweitung von einem auf viele Amerikaner und die Ausweitung der Missbrauchsangaben von 1993 auf weitere Missbrauchserfahrungen würden ebenfalls für alle infrage stehenden Sachverhalte die Suggestionshypothese stützen. Zusammen-fassend sei die Klägerin zwar als allgemein aussagetüchtig zu beurteilen, doch sei mit aussagepsychologischer Methodik w E. nach Aktenlage noch durch eine zukünftige per-sonenbezogene Begutachtung einer positiven Substantiierung der Angaben der Klägerin über diverse sexuelle Übergriffe möglich. Das Gericht leitete dem Klägervertreter das Gutachten zu und fasste die Ergebnisse zusammen. Das Gericht erinnerte auch an den Grundsatz, dass der Rückschluss von einer für Gewaltfolgen typischen Symptomatik auf eine Gewalttat im Sinne einer Beweisführung unzulässig ist. Es entspreche ständiger sozialmedizinischer Erfahrung, dass bei Antragstellerinnen und auch Antragstellern, die eine sexuelle Traumatisierung vortragen, erhebliche psychische Auffälligkeiten vorliegen, von denen manche tatsächlich als Spätfolgen einer solchen Traumatisierung in Betracht kommen. Ob aber beispielsweise für eine Borderline-Störung tatsächlich die vorgetragenen Missbrauchshandlungen oder Vergewal-tigungen ursächlich sind, sei mit der Bestätigung einer solchen Symptomatik noch längst nicht bewiesen.

Ein Anspruch nach dem OEG könne nicht anhand der wohlwollenden Vermutung begründet werden, dass jedenfalls ein zur Verursachung des gegenwärtigen psychischen Zustandsbildes hinreichendes Trauma mit größerer Wahrscheinlichkeit stattgefunden haben dürfte. Zum Beleg eines Tatbestandes nach dem OEG sei vielmehr die behördliche bzw. gerichtliche Überzeugung notwendig, dass wenn auch möglicherweise mit gewissen Unschärfen doch die unverwechselbar vorgetragenen Gewalttaten stattgefunden haben. Das Gericht bekundete, entsprechend der Empfehlung von Prof. Dr. D. keine persönliche Exploration der Klägerin anordnen zu wollen. Der Klägervertreter hatte schon am 02.05.2014 vor Erhalt des Gutachtens seinen Hinweis erneuert, dass in mehreren nervenärztlichen Gutachten von einer posttraumatischen Belastungsstörung der Klägerin die Rede ist. Es sei nicht ausreichend, dass der beauftragte Sachverständige sich ausschließlich nach Aktenlage gutachtlich äußert. Man halte eine persönliche Exploration der Klägerin für unverzichtbar. Dieser Schriftsatz solle dem Sachverständigen noch zugesandt werden. Auf Anfrage teilte das Gericht dem Klägervertreter mit, dass dieser Schriftsatz dem Sachverständigen versehentlich nicht mehr vor Erstellung des Gutachtens zugeleitet worden war. Er erwiderte, von daher seien die Zweifel an dem ohne persönliche Exploration erstellten Gutachten nicht ausgeräumt. Prof. Dr. D. sei um eine ergänzende Stellungnahme unter Beachtung dieses Schriftsatzes zu ersuchen. Das Gericht erwiderte am 26.06.2014 ausführlich. Es erklärte die selbstverständliche und generelle Bereitschaft, Sachverständige zu ergänzenden Stellungnahmen aufzufordern. Diese Bereitschaft stehe jedoch unter der Voraussetzung der Vorlage wesentlich neuen Materials. Dieses habe der am 02.05.2014 eingegangene Schriftsatz nicht enthalten. Das indirekt von Prof. Dr. D. zu überprüfende Gutachten von Frau Dr. K. sei nicht deshalb fehlerhaft, weil darin angeblich zu wenig auf die aktenkundige Attestierung einer posttraumatischen Belastungsstörung worden ist. Wie schon im vorigen gerichtlichen Brief zu bedenken gegeben sei der Rückschluss von der Diagnose auf das speziell geltend gemachte Trauma nicht zulässig. Der Rechtsstreit sei auf der Basis des Gutachtens von Prof. Dr. D. entscheidungsreif. Mit einem am 16.07.2014 eingegangenen Schriftsatz bekundete der Vertreter der Klägerin, die Klärung, ob sich durch den Inhalt seines Schriftsatzes vom 29.04.2014 (bei Gericht eingegangen am 02.05.2014) die Meinung des Sachverständigen über die Notwendigkeit einer persönlichen Exploration ändern würde, könne nicht allein in den Händen des Gerichts liegen. Er halte es für unverzichtbar, diesem den Schriftsatz zur Überprüfung und gegebenenfalls zur Ergänzung des Gutachtens zu übersenden mit der Bitte zu überprüfen, ob sich aufgrund des dieses weiteren Sachvortrags die Notwendigkeit ergebe, seine Stellungnahme zu überdenken oder zu ändern.

Für den Fall, dass das Gericht dieser Bitte nicht nachkomme, beantragte er eine Entscheidung auf schriftlichem Wege mittels Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Gericht unterstellt insoweit die Zustimmung des Beklagten.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 zu einer Versorgung nach dem OEG zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten des Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsver-fahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gibt demjenigen einen Anspruch auf staatliche Versorgung, der infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen An-griffs gegen seine oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Auf das BVG wird verwiesen. § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG gebietet zur Prüfung des Anspruchs auf Beschädigtenrente die Beurteilung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolgen anerkannten körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen, S. 2 der Vorschrift. Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 sind vorübergehende Gesundheitsstörungen nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt nach § 30 Abs. 1 Satz 4 ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Nach § 30 Abs. 2 BVG ist der GdS höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird.

Das ist insbesondere der Fall, wenn 1. aufgrund der Schädigung w E. der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann, 2. zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder 3. die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg in Beruf gehindert hat.

§ 31 BVG lässt einen Rentenanspruch ab einem GdS von 30 zu. Nach § 29 BVG entsteht ein Anspruch auf höhere Bewertung des Grades der Schädigungsfolgen nach § 30 Abs. 2 GVG frühestens in dem Monat, in dem erfolgversprechende und zumutbare Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgeschlossen werden.

Ein Anspruch nach dem OEG setzt den Nachweis voraus, dass eine Antragstellerin bzw. Klägerin Opfer einer vorsätzlichen rechtswidrigen strafbaren Gewalttat geworden ist. Unter dem Gewaltbegriff wird seit langem auch der sexuelle Missbrauch subsumiert, auch wenn er vordergründig als Zärtlichkeit sogar gegenseitigen Charakters getarnt wird und anders als eine Vergewaltigung keinen Widerstand des körperlich ohnehin unterlegenen und emotional wehrlosen Kindes brechen muss. Für das Gericht liegt klar auf der Hand, dass die Klägerin eine außerordentlich belastende und emotional defizitäre Kindheit und Jugend erlebt hat, sicherlich mit deutlichen Elementen der Vernachlässigung, des Mangels an Schutz, Zuwendung und Förderung, vermutlich auch mit dem Erleiden von Gewalt, mit der frühzeitig empfundenen Notwendigkeit einer Trostsuche mit Drogen und/oder problematischen Beziehungen und mit großer Wahrscheinlichkeit auch mit einer Komponente des sexuellen Missbrauchs. Als ein nach dem OEG anerkennungsfähiger Tatbestand kann jedoch nicht einfach ein aus dem gegenwärtigen Leidensdruck rückschließbares und qualitativ wie quantitativ an-zunehmendes Gesamtausmaß von körperlicher und mentaler Belastung genügen. Viel-mehr muss eine oder müssen mehrere konkrete Straftaten gegenüber dem Opfer mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist nicht erst gegeben, wenn der Täter rechtskräftig verurteilt ist. Allein schon bei anonymer Begehung, zwischenzeitlichem Tod des Täters oder strafrechtlicher Verjährung der Tat kann diese Voraussetzung nicht erfüllt werden. Eine persönliche Täterschaft einer hin-reichend identifizierten Person und ein konkret vorstellbarer Tathergang in einem örtlich und zeitlich definierten Rahmen müssen jedoch gefordert werden.

Einen diesen Forderungen genügenden Vortrag hat die Klägerin nicht geliefert. Für diese Bilanz ist anders als anwaltlich vorgetragen die wiederholte Zuschreibung einer Borderline-Störung unerheblich. Die Rechtsordnung kennt keine generelle Unglaubwürdigkeit von Personen. Auch psychotische, suchtkranke, deutlich minderbegabte oder hirnverletzte Menschen verfügen über ein episodisches Gedächtnis und die Fähigkeit zur verbalen Reproduktion von Erinnerungen. Psychose, Borderline-Störung, hirnorganische Schädigung oder altersbedingte Demenz gewinnen ihre Bedeutung im Gesamtbild erst dann, wenn Aussagen von Antragstellern, Klägern, Angeklagten oder Zeugen nach inhaltlichen Krite-rien nicht glaubhaft sind und sich demgemäß die Frage stellt, wie sich die unglaubhafte Äußerung erklären lässt. Im Bereich des gesamten Sozialrechts hat die Hypothese einer bewussten Lüge nur geringen Raum und wird eher ein Krankheitsbild angenommen, das geeignet ist, die Präzision von Erinnerungen zu trüben. Das Gericht hat den Klägervertreter bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die Zuschreibung einer posttraumatischen Belastungsstörung keinesfalls geeignet ist, die gesicherte Feststellung einer konkreten Gewalterfahrung entbehrlich zu machen. Ein psychisch belastendes Trauma kann selbstverständlich auch ohne rechtswidriges Zutun an-derer Menschen entstehen. Zu erinnern ist an die Konfrontation mit gefährlichen Tieren, an Naturkatastrophen oder an die Belastungen durch notwendig werdende intensivmedizinische Behandlungen, Operationen und Amputationen. Nicht außer Acht gelassen wer-den darf auch, dass der relativ neue Begriff der posttraumatischen Belastungsstörung doch bereits einer gewissen Inflationierung unterliegt. Dem Gericht sind viele Beispiele bekannt, in denen Ärzte und Therapeuten ohne jede diagnostische Sorgfalt einerseits Mobbing, kräftezehrendende Ehescheidungsprozesse, Arbeitslosigkeiten oder anstrengende ärztliche Begutachtungen leichthin als auslösende Traumata anerkennen und andererseits in den Begriff der posttraumatischen Belastungsstörung auch die langfristige und späte Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung undifferenziert einbeziehen. Vorliegend ist wie bereits ausgeführt für die Klägerin eine bis hin zur Traumatisierung belastende und defizitäre Kindheit und Jugend jederzeit anzuerkennen, doch verbietet sich hieraus der Rückschluss auf ein konkretes Trauma oder deren mehrere. Die auf Verwaltungs- und Gerichtsebene tätig gewordenen Aussagepsychologen haben sich mit den einzelnen Tatkomplexen sorgfältig auseinandergesetzt. Der älteste Komplex wäre der Missbrauch durch E. E. ab einem Lebensalter der Klägerin von etwa 5 Jahren. Die aussagepsychologische Bewertung hat plausibel herausgearbeitet, dass dieser wenig detailreich formulierte Vorwurf erst Jahrzehnte später im Zusammenhang mit einer therapeutischen Aufarbeitung der Kindheit der Klägerin erhoben wurde. Die Klägerin konnte selbst nicht ausschließen, dass es sich um Trauminhalte handelte. Der bei unterstelltem Zutreffen bei weitem schwerste Komplex wäre der fortgesetzte Missbrauch der Klägerin im Alter von 9 bis 13 Jahren durch mehrere erwachsene Amerikaner in einer Frequenz von 2-3 Tagen. Dieser Vortrag begegnet auch ohne Heranziehung aussagepsychologischer Kriterien schweren Bedenken hinsichtlich der Plausibilität. Leider ist nur allzu bekannt, dass Männer auch gegenüber Kindern vor der Pubertät einen sexuellen Missbrauch bis zum vollendeten Geschlechtsverkehr vorantreiben. Vor dem Hintergrund der schweren Strafbarkeit dieses Verhaltens und dem auch beim Täter vorhandenen Bewusstsein von Unrecht und Tabubruch werden diese Taten jedoch typischerweise heimlich und in Einzeltäterschaft begangen, am häufigsten in der abgeschotteten Sphäre einer Familie, eines Heimes oder einer Klinik und oftmals unter geradezu ritualisierten Geheimhaltungsabreden mit dem Opfer. Die gemeinsame oder wechselseitige Begehung durch 4-5 einvernehmlich handelnde Männer über Jahre hinweg würde deren Gemeinsamkeit pädophiler Neigungen, das völlige Fehlen jeder Befürchtung von Aufdeckung oder Denunziation etwa für den Fall eines Zerwürfnisses in der Gruppe, den stabilen Konsens über die Regularien des Missbrauchs in Parallelität zu sonstigen sozialen Kontakten und nicht zuletzt in der Parallelität zu wechselnden Partnerschaften der Männer mit der Mutter der Klägerin voraussetzen. Bei einem über Jahre hinweg fortgesetzten Missbrauch eines vorpubertären Mädchens einschließlich sämtlicher Formen des vollendeten Geschlechtsverkehrs stellen sich unabweisbar Fragen der physischen Überlebensmöglichkeit und der nach außen gezeigten Funktionen eines unauffälligen Schulkindes. Das Gericht zieht wie die Sachverständigen insoweit eine bewusste Lüge der Klägerin keinesfalls in Betracht, sondern kann sich vorstellen, dass die Klägerin eine Geschichte entwickelt hat, in der die für ihre Kindheit prägenden Elemente des Ausgeliefertseins, der körperlichen und emotionalen Not und der ständig übersexualisierten Lebenssphäre ihrer Mutter einen symbolhaft dramatischen Ausdruck gefunden haben. Wie bereits ausgeführt genügt für einen Entschädigungsanspruch jedoch nicht die Annahme, dass die Klägerin eine wenn schon nicht genau feststehende so doch dem Schweregrad des vorgebrachten Tatbestandes entsprechende Traumatisierung erlitten hat. Zum Tatkomplex "F." ist nicht nur der tatsächliche Ablauf unbewiesen, sondern bleibt auch bei Unterstellung als Wahrheit eine vorsätzliche und rechtswidrige Missbrauchshandlung fraglich. Bekanntlich kommt es vor und in und nach der Pubertät zwischen Kindern und Jugendlichen in gleichgeschlechtlichen und verschiedengeschlechtlichen Freundschaften, kurzzeitigen Partnerschaften und Zufallsbegegnungen zu gemeinsamen sexuellen Handlungen und Erlebnissen. Erinnert sei an die sprichwörtlichen kindlichen "Doktorspiele", die gemeinsame Selbstbefriedigung und die flüchtigen homoerotischen Versuche auch zwischen heterosexuellen Heranwachsenden.

Vieles spricht dafür, dass solche Frühversuche ihre Funktion für die Entwicklung einer ausgereiften Sexualität haben. Nicht etwa in der Absicht, der Klägerin eigene Aussagen zum Nachteil gereichen zu lassen, sondern im Sinne eines entwicklungspsychologischen Verständnisses darf die Klägerin mit dem Hinweis auf "eine Art, die ich auch genossen habe", zitiert werden. Kriminellen Charakter wiederum hätte die vorgetragene Handlungsweise des Patenonkels G. G ... Hierzu geben die beiden aussagepsychologischen Gutachten zu bedenken, dass der Aussageumfang zu gering für eine Wahrheitsannahme ist. Unter der Voraussetzung eines Erlebens etwa vom 12. bis zum 14. Lebensjahr müsste ein weitaus größerer Detailreichtum der Schilderung erwartet werden können. Von so verschiedenen Tatorten wie der Wohnung in B-Stadt und dem Ferienaufenthalt in A-Land aus müsste auch während einer Phase von zwei Jahren irgendeine Gegenstrategie im Sinne von verbalem oder körperlichem Widerstand oder im Sinne eines Hilfeappells möglich gewesen sein, selbst wenn die Klägerin den Verzicht auf das äußerste Mittel einer Strafanzeige mit ihrer Hilflosigkeit und Einsamkeit plausibel begründet. Mit dem Vortrag einer im Oktober 1986 erlittenen Vergewaltigung in der Toilette einer Stehkneipe tritt die vorgetragene Leidensgeschichte vom Missbrauch in Kindheit und Jugend in die Thematik der Gewaltkriminalität zwischen Erwachsenen über. Die Klägerin wäre damals 19 Jahre alt gewesen. Der Vortrag des Tathergangs und des anschließenden Verhaltens der Klägerin wirft unlösbare Zweifel auf. Im ersten Anschreiben berichtet die Klägerin von einer brutalen Vergewaltigung durch zwei "Typen". Unter den berichteten Bedingungen hätte allein schon ein lautes Schreien der Klägerin mindestens die Begleiterin "H." aufmerksam gemacht, vermutlich aber auch das Personal und andere Gäste. Warum "H." erst nach einer auffällig langen Zeit des Ausbleibens der Klägerin aktiv geworden sein sollte, bleibt offen. Die sogar ausfindig gemachte H. konnte sich 2009 (Bl. 111 Beklagtenakte) "nur sehr vage erinnern", obwohl es sich doch gegebenenfalls um einen sehr dramatischen Vorfall gehandelt haben müsste. In einer detaillierten Schilderung anlässlich der aussagepsychologischen Begutachtung durch Frau Dr. K. glaubt sich die Klägerin dann an einer Vergewaltigung durch (nur) einen Mann zu erinnern. Rätselhaft und schwer nachvollziehbar ist die Aussage (Gesprächsprotokoll Nr. 8 von Frau Dr. K.): "Irgendwie kam dann der andere noch. Also ich hab‘ immer das Gefühl, dass das die zwei waren, aber das weiß ich nicht mehr. Ich war dann irgendwie nicht mehr da." Mit Recht weist Prof. Dr. D. darauf hin, das im Hinblick auf ein anzunehmendes Vertrauensverhältnis kaum plausibel sei, dass die Klägerin nicht unmittelbar nach dem schlimmen Erlebnis mit "H." darüber gesprochen haben sollte.

Das Gericht zweifelt im übrigen auch an der Naivität der im Heim diensthabenden Erzieherin M., die sich angeblich mit der Erklärung blutender Verletzungen durch einen Sturz von der Treppe zufriedengegeben haben soll. Die mit der Betreuung junger Menschen in schwierigen Lebenssituationen betrauten Fachkräfte waren gewiss auch schon vor drei Jahrzehnten hoch sensibel für Hinweise auf Sexualdelikte, Suchterkrankungen und ähnliche für den psychosozialen Status der anvertrauten Menschen überaus bedeutsame Tatbestände. Vielleicht nicht am Abend der Tat in alkoholisiertem Zustand, aber doch nach Besprechung mit H. und irgend einer Vertrauensperson im Heim wäre im übrigen eine alsbaldige Strafanzeige doch sehr wahrscheinlich gewesen. Nach zwei Jahrzehnten je-doch besteht ein unauflöslicher Beweisnotstand. Die relativ größte Tatsachennähe erkennt Prof. Dr. D. für die vorgetragene Inzestbeziehung der Klägerin mit ihrem Bruder zwischen 1984 und 2001. Dieser Tatbestand kann jedoch zu keiner Entschädigung nach dem OEG führen, weil es sich auch bei Wahrunterstellung nicht um eine von der Klägerin erlittene strafbare Gewaltanwendung handeln würde. Die Klägerin war beim vorgetragenen Beginn der Beziehung 17 Jahre alt und demgemäß nicht mehr im Schutzbereich des § 176 StGB (sexueller Missbrauch von Kindern unter 14 Jahren) oder 182 Abs. 3 StBG (sexuelle Handlungen gegenüber Personen unter 16 Jahren unter Ausnutzung einer fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung). Das Verbot des Beischlafs zwischen Verwandten nach § 173 StGB ahndet nicht Gewalt oder Ausnutzung einer emotionalen Zwangslage, sondern schützt (bekanntlich nicht ganz unumstritten) durch Aufrechterhaltung eines klassischen Tabus die familiäre Ordnung und die genetische Gesundheit des Nachwuchses. Eine entsprechende Beziehung der Klägerin zwischen dem 17. und dem 34. Lebensjahr wäre möglicherweise durch eine traumatische Vorgeschichte erklärbar, würde aber keinen eigenständigen Entschädigungstatbestand begründen. Aus einer glaubhaft von Krankheit und Alkoholismus wie auch mindestens von sexueller Unsensibilität geprägten Partnerschaft der Klägerin im Erwachsenenalter kann das Gericht keine Schilderung einer konkreten Straftat herauskristallisieren. Noch weniger ist insoweit die Kausalität zu einer dauerhaften gesundheitlichen Schädigung evident. Eine nochmalige Anhörung von Prof. Dr. D. ist entbehrlich. Er hätte zweifellos eine persönliche Einvernahme der Klägerin nicht allein deshalb für notwendig erachtet, weil ihm diese Notwendigkeit mit wenigen anwaltlichen Worten vorgetragen worden wäre. Insoweit ist also nicht anzunehmen, dass die gerichtliche Verspätung bei der Weiterleitung des entsprechenden Schriftsatzes irgendeinen Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Sachverständigen gehabt hat. Gleiches gilt für den erneuten gebieterischen Hinweis auf die frühere Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Prof. Dr. D. hat in völliger Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Wissensstand dargelegt, dass die oftmals ohne sehr genaue Exploration von behandelnder oder begutachten-der Seite erfolgende Zusprache dieser Diagnose nicht zum Beleg eines konkreten Traumas geeignet ist. Wie bereits mehrfach angeklungen bedeutet die sorgfältige und im Ergebnis für jeden einzelnen Tatkomplex negative Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Vortrag der Klägerin keineswegs, dass sie im Verdacht einer Lüge gegenüber Beklagten, Sachverständigen und Gericht steht. Das Gericht bezweifelt nicht einmal eine erhebliche Traumatisierung durch außerordentlich ungünstige Lebensbedingungen und Beziehungen in ihrer Kindheit und Jugend. Das Recht der sozialen Entschädigung kommt aber wie das gesamte Recht beispielsweise auch der zivilrechtlichen Entschädigung für von dritter Seite verursachtes Unrecht nicht ohne ein gewisses Mindestmaß des Nachweises entsprechender Tatbestände aus. Solche Tatbestände sind nicht im Sinne einer Äquivalenz von jedenfalls anzunehmenden Mindesttraumatisierungen austauschbar. Jedesmal geht es vorliegend und in vergleichbaren OEG-Fällen darum, anderen Menschen, seien sie verstorben oder noch am Leben, unmittelbar benannt oder anonym geblieben, schwere Straftaten zuzuschreiben. Hierbei sind generelle Vorsicht und Zurückhaltung unerlässlich. Die glaubhaftigkeitspsychologische Begutachtung ist letztes Mittel zur Behebung des Beweisnotstandes. Umso mehr müssen deren auf spezieller Fachkompetenz beruhende Ergebnisse ernst genommen werden. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Rechtsstreits mittels Gerichtsbescheid sind insofern gegeben, als das Gericht nicht erwarten kann, von der ihm persönlich bekannten Klägerin in einem Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme noch Informationen zu erlangen, die über die aus Aktenlage, bisheriger Begutachtung und bereits abgehaltenem Termin gewonnenen Erkenntnisse hinausreichen könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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