S 8 AL 57/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AL 57/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 274/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Feststellung einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger arbeitete von August 1995 bis zum 02.07.2002 als Produktionshelfer der Firma C GmbH. Am 27.06.2002 meldete er sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. In der Arbeitsbescheinigung teilte die Arbeitgeberin mit, das Arbeitsverhältnis sei am 01.07.2002 zum 02.07.2002 durch den Arbeitgeber wegen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers (unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz) beendet worden.

Mit Bescheid vom 21.08.2002 stellte die Beklagte für die Zeit vom 03.07.2002 bis zum 24.09.2002 (12 Wochen) eine Sperrzeit fest. Sie stützte die Entscheidung auf "§ 144 SGB III", der Kläger sei unentschuldigt von der Arbeit ferngeblieben und habe damit gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.

Der Kläger hatte gegen die Kündigung beim Arbeitsgericht Aachen geklagt (Geschäftsnummer 000). Am 23.01.2003 schlossen die Parteien folgenden Vergleich:

1. Die Parteien sind sich einig, dass das Beschäftigungsverhältnis aufgrund ordentlicher betrieblich bedingter Kündigung seitens der beklagten Arbeitgeberin vom 01.07.2002 fristgerecht mit Ablauf des 31.07.2002 sein Ende gefunden hat.

2. Die Parteien sind sich einig, dass der Kläger in der Zeit vom 24.06.2002 bis zum 31.07.2002 unter Fortzahlung seiner Vergütung und unter Anrechnung etwaiger Urlaubs- und sonstiger Freizeitausgleichsansprüche von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt war.

3. Die Beklagte verpflichtet sich, entsprechend der Vorgabe zu Ziffer 2 das Beschäftigungsverhältnis bis zum Beendigungszeitpunkt vollständig abzurechnen.

4. Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 1.500,00 EUR (i. W. eintausendfünfhundert Euro) brutto = netto nach §§ 9, 10 KSchG 3 Ziffer 9 EStG bis spätestens zum 31.03.2003 zu zahlen.

5. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen, das keine Hinweise auf die streitgegenständlichen Vorfälle enthält.

6. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger auf Verlangen und nach Vorlage eines entsprechenden Formulars eine Bescheinigung nach § 312 SGB III nach Maßgabe des heute geschlossenen Vergleichs ausgefüllt zu übersenden.

7. Damit ist der Rechtsstreit 000 erledigt.

Auf Nachfrage durch die Beklagte teilte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 13.02.2003 mit, dass trotz dieses Vergleiches der Vorwurf des vertragswidrigen Verhaltens aufrechterhalten bleibe. Sie habe sich lediglich aus wirtschaftlichen Erwägungen entschlossen, den arbeitsgerichtlichen Vergleich zu schließen. Der Kläger habe noch erhebliche Urlaubsansprüche gehabt, die durch die Zahlung des Abfindungsbetrages abgegolten worden seien. Die Arbeitgeberin übersandte eine nur hinsichtlich des Beendigungszeitpunkts geänderte Arbeitsbescheinigung. Sie hielt im Übrigen am Vorwurf des vertragswidrigen Verhaltens des Klägers fest.

Mit Schreiben vom 10.03.2003 übersandte die Beklagte dem Kläger den Bescheid vom 21.08.2002 in Fotokopie. Sie führte aus, dieser Bescheid behalte auch nach dem Vergleich vor dem Arbeitsgericht seine Gültigkeit.

Hiergegen legte der Kläger am 27.03.2003 Widerspruch ein. Er meinte, aus dem vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich ergebe sich, dass am Vorwurf des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens nicht festgehalten werden dürfe.

Nach Beiziehung der Klageerwiderung des Bevollmächtigten der Beklagten im arbeitsgerichtlichen Verfahren, in dem der Vorwurf des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens - unentschuldigtes Fehlen - näher präzisiert wird, wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 22.05.2003 zurück. Der vor dem Arbeitsgericht geschlossene Vergleich sei unmaßgeblich, weil der Arbeitgeber auf Anfrage bestätigt habe, dass am Vorwurf des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens festgehalten werde.

Hiergegen richtet sich die am 04.06.2003 erhobene Klage. Der Kläger meint, die Arbeitgeberin sei nicht mehr berechtigt, den Vorwurf des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens zu erheben. Dies sei widersprüchlich zu dem Inhalt des arbeitsgerichtlichen Vergleiches. Der Vorsitzende des arbeitsgerichtlichen Verfahrens habe darauf hingewiesen, dass aufgrund des widersprechenden beiderseitigen Vortrages die Berechtigung zur fristlosen Kündigung nicht nachweisbar sei. An den Inhalt des Vergleiches seien die Beklagte und das Sozialgericht gebunden. Er hat insoweit beantragt, die Akte des Arbeitsgerichtes beizuziehen und den damaligen arbeitsgerichtlichen Vorsitzenden, Richter am Arbeitsgericht C1, als Zeugen zu vernehmen.

Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 10.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Rücknahme des Bescheides vom 21.08.2002 Arbeitslosengeld ohne Feststellung einer Sperrzeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Betriebsleiters C2. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 24.10.2003 verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat die Sperrzeit zu Recht festgestellt.

Gegenstand des Widerspruchs- und Klageverfahrens ist der Bescheid vom 10.05.2003. Dieses Schreiben ist nicht nur eine Wiederholung des Bescheides vom 21.08.2002, sondern es enthält eine eigenständige Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X, weil die Beklagte nach Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahrens die Rechtmäßigkeit zur Feststellung der Sperrzeit erneut geprüft hat (§ 44 SGB X).

Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III tritt eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe ein, wenn der Arbeitslose durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet und beträgt 12 Wochen (§ 144 Abs. 2, 3 SGB III). Das sperrzeitbegründende Ereignis ist grundsätzlich das rechtliche Ende des Beschäftigungsverhältnisses (Niesel, SGB III, 2. Aufl., Rdnr. 93 zu § 144 SGB III). Das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis mit der Firma C GmbH endete am 02.07.2002. Die nachträgliche vergleichsweise Regelung ändert am Ende des Beschäftigungsverhältnisses nichts.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger sich arbeitsvertragswidrig verhalten hat. Zu den arbeitsvertraglichen Hauptpflichten gehört die Verpflichtung des Arbeitnehmers, die Arbeit in Person zu leisten (§ 613 BGB). Eine Verletzung dieser Arbeitspflicht stellt arbeitsvertragswidriges Verhalten dar (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 51 Rdnr. 1 ff).

Der Kläger hat seine Arbeitspflicht verletzt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger nach dem 21.06. 2002 nicht mehr gearbeitet hat. Das Vorbringen des Klägers dahingehend, ihm sei gesagt worden, er habe entweder die Abmahnung zu unterschreiben oder könne nach Hause gehen", hält die Kammer für widerlegt. Der Zeuge C2 hat den Sachverhalt glaubhaft und nachvollziehbar geschildert. Hieraus ergibt sich, dass er nach der Auseinandersetzung über die Berechtigung einer Abmahnung wegen mangelhafter Qualitätskontrolle den Kläger - ebenso wie die anderen Kollegen - aufgefordert hat, die Arbeit um 14:00 Uhr aufzunehmen. Dies hat der Kläger verweigert. Stattdessen hat er sich mit weiteren Kollegen getroffen, um ein weiteres Vorgehen wegen der - nach Auffassung des Klägers unberechtigten - Abmahnung zu besprechen. Die Kammer hat keinen Grund, an der Richtigkeit der Zeugenaussage des Betriebsleiters C2 zu zweifeln. Nach Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleiches hat dieser keinerlei Eigeninteresse mehr an der Bejahung des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens. Vielmehr hat der Zeuge in der mündlichen Verhandlung sein Unverständnis bezüglich der Notwendigkeit einer Zeugenaussage kundgetan. Die Ausführungen des Zeugen waren in sich widerspruchsfrei. Der Kläger hat Einwendungen gegen die Richtigkeit der entsprechenden Aussage nicht erhoben.

Aufgrund dieser Arbeitsverweigerung war die Arbeitgeberin berechtigt, das Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen (§ 626 Abs. 1 BGB). Hiernach kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Kläger nicht nur aufgrund einer einmaligen eventuell nachvollziehbaren Erregung, sondern beharrlich und gemeinsam mit Kollegen die weitere Ausführung der Arbeit verweigert hat. Sein Verhalten stellt damit zugleich eine empfindliche Störung des Betriebsfriedens und des betrieblichen Ablaufs dar. Der Zeuge C2 hat glaubhaft und nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Produktion nur aufrechterhalten werden konnte, weil andere Mitarbeiter Überstunden geleistet hatten. In einem derartigen Fall ist eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich, denn eine Abmahnung wegen Verstößen im Leistungsbereich ist dann entbehrlich, wenn diese so schwerwiegend sind, dass der Arbeitnehmer damit rechnen muss, dass das Vertrauen des Arbeitgebers endgültig zerstört ist (Schaub a.a.O., Rdnr. 51 zu § 125).

Der Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleiches und die Meinung des Vorsitzenden des arbeitsgerichtlichen Verfahrens sind unerheblich, weshalb die beantragte Beweisaufnahme entbehrlich ist. Im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes haben die Beklagte bzw. das Sozialgericht den wirklichen Sachverhalt zu erforschen (§§ 20 SGB X, 103 SGG). Die Parteien des arbeitsgerichtlichen Verfahrens sind zudem nicht befugt, über öffentlich-rechtliche Leistungsansprüche zum Nachteil der Bundesanstalt für Arbeit zu disponieren. Soweit sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine der Prozessparteien dazu verpflichtet, entgegen ihrer Überzeugung eine Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III zu erteilen (nur so ist Ziffer 6 des arbeitsgerichtlichen Vergleiches zu verstehen, denn die Pflicht, überhaupt eine Arbeitsbescheinigung zu erstellen, ergibt sich aus der öffentlich-rechtlichen Norm des § 312 SGB III und bedarf keiner vertraglichen bzw. vergleichsweisen Begründung) , so ist dies rechtswidrig und möglicherweise strafrechtlich relevant. Denn der Arbeitgeber hat sowohl im Verwaltungs- als auch im Klageverfahren die Rechtsstellung eines Zeugen (§§ 21 Abs. 1 Nr. 2 SGB X, 118 Abs. 1 SGG, 373 ff ZPO). Als solcher ist der Arbeitgeber selbstverständlich verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Andernfalls macht er sich nicht nur eines Aussagedeliktes schuldig, sondern beteiligt sich am Versuch eines Prozessbetruges. Dies gilt auch, wenn die Falschaussage aufgrund einer arbeitsgerichtlichen Aufforderung erfolgt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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