L 3 U 47/12

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 36 U 85/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 47/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist, ob die Klägerin Verletztenrente auch für einen Zeitraum vor dem 1. Januar 2004 beanspruchen kann.

Die am xxxxx 1957 geborene Klägerin erlitt am Morgen des 12. Juli 2000 gegen 07.05 Uhr einen Arbeitsunfall, als sie auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle noch in der Nähe ihrer Wohnung von einem bereits wegen mehrfacher Sexualdelinquenz verurteilten Mann, der sich im Klinikum N. in H. als Freigänger im Maßregelvollzug befand, in der Absicht überfallen wurde, sie sexuell zu missbrauchen und sie hierbei erheblich verletzt wurde. Dabei kam es zu sexuellen Handlungen nur deshalb nicht, weil der Täter – wegen des Widerstandes und der Schreie der Klägerin Entdeckung fürchtend – von ihr abließ und die Flucht antrat. Die Verletzte begab sich vom Tatort zu ihrer nahe gelegenen Wohnung und beschrieb den Täter gegenüber der herbeigerufenen Polizei. Einen Transport ins Krankenhaus lehnt sie ab mit der Erklärung, sich unmittelbar in die Behandlung ihrer Hausärztin begeben zu wollen.

Am Folgetag suchte sie den Durchgangsarzt Dr. R. auf, der multiple Prellungen (parietal rechts, rechte/linke Stirnhälfte, Gesichtsregion beiderseits, BWS und thorakal), ein Kompressionstrauma cervikal ventral, eine HWS-Distorsion, Kratz- Schürfwunden am rechten Ober- Unterlid, an der rechten Wange und am Nasenrücken, eine oberflächliche Platzwunde an der Oberlippe (Innenseite) sowie einen psychischen Erschöpfungszustand feststellte. Er vermerkte auf dem Durchgangsarztbericht vom 13. Juli 2000, dass der Hausarzt wegen Dringlichkeit bereits Arbeitsunfähigkeit bis 14. Juli 2000 bescheinigt habe und ferner, dass die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich länger als drei Tage andauern werde.

Noch am 13. Juli 2000 wurde die Klägerin im Institut für Rechtsmedizin der Universität H. gerichtsärztlich untersucht. Dort gab sie gegenüber dem Untersucher "Schluckbeschwerden, jetzt rückläufig, deutliche Kopfschmerzen und Nackenschmerzen, Kopfdrehen erschwert, ebenfalls die Mundöffnung, starke Rückenschmerzen" an. In dem an das Landeskriminalamt gerichteten Bericht des Medizinaldirektors Dr. S. vom selben Tag heißt es, bei der Untersuchung hätten sich Merkmale frischer bzw. frischerer äußerer Gewalteinwirkungen gefunden. Es hätten sich Schürfungen (möglicherweise Kratzspuren) über der Nase und über dem Bereich des rechten Auges, eine Schleimhautblutung im Bereich der Oberlippe sowie eine Kopfschwartenblutung in der linken vorderen Scheitelregion gezeigt. Die subjektiven Beschwerden im Halsbereich sprächen für eine mechanische Kompression der Halsweichteile wie geschildert. Schmerzhafte Schwellungen in der rechten Scheitelregion und über dem linken Unterkiefer sowie Rückenschmerzen seien Folgen weiterer Gewalteinwirkungen gegen diese Region.

Mit Schreiben vom 18. Juli 2000 erbat die Beklagte von der Klägerin Angaben zum Unfallereignis auf Formblattfragebogen, den diese am 28. Juli 2000 ausgefüllt zurückreichte. Die Beklagte erhielt auf diese Weise Kenntnis vom Aktenzeichen des Ermittlungsverfahrens und forderte von der Polizei H. die Akte zur Einsicht an. Der seinerzeitige Arbeitgeber meldete den Unfall mit Unfallanzeige vom 23. August 2000, die am 11. September 2000 bei der Beklagten einging. Dort heißt es, die Verletzte habe die Arbeit am 31. Juli 2000 wieder aufgenommen. Nachdem die Polizei H. mitgeteilt hatte, dass die Ermittlungsakte bereits an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde, forderte die Beklagte diese unter dem 7. Dezember 2000 von dort an. In einem Sachbearbeitervermerk in der Akte der Beklagten vom 16. Januar 2001 heißt es:

Kosten am 16. Jan. 2001: 93,50 DM Da wegen Geringfügigkeit auf Regress verzichtet werden kann, ist eine Fortführung der Ermittlungen unwirtschaftlich. zdA 16. Jan. 2001

Durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 9. November 2001 (614 KLs 17/01) wurde der Täter wegen versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und seine Sicherungsverwahrung angeordnet. Auf seine Revision wurde dieses Urteil vom Bundesgerichtshof aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen. Dieses verurteilte den Täter durch Urteil vom 25. Februar 2003 (611 KLs 6/02) wegen versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe und ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. In beiden Verfahren hatte die Klägerin als Zeugin auszusagen.

Mit Bescheid vom 20. April 2005 zuerkannte das Versorgungsamt Hamburg der Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen einer Wirbelkanalenge, eines Bandscheibenschadens und eines Schulter-Arm-Syndroms. Auf ihren Neufeststellungsantrag vom 27. Juni 2007, mit dem sie erstmalig auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Überfall" hinwies, erkannte das Versorgungsamt mit Neufeststellungsbescheid vom 28. April 2008 einen GdB von 60 an und berücksichtigte hierbei zusätzlich eine posttraumatische Belastungsstörung mit einem Teil-GdB von 40.

Mit Schreiben vom 30. September 2008 meldete sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin bei der Beklagten, wies auf die Verurteilung des Täters sowie des Weiteren darauf hin, dass die Klägerin noch immer unter den Folgen der Tat leide und bat um Mitteilung des Standes der seit dem Eingang der Unfallanzeige des Arbeitgebers getätigten Ermittlungen. Vor diesem Hintergrund kam es am 10. Oktober 2008 zu einem Telefonat zwischen der Prozessbevollmächtigten und der Beklagten. In dem hierzu bei der Beklagten gefertigten Vermerk heißt es:

Es wurde ausführlich über den Unfall von Frau W. gesprochen und über unseren Aktenstand informiert. Nachdem Frau W. zunächst versucht habe alleine mit der Verarbeitung des Überfalles zurechtzukommen, haben sich im Laufe der Zeit doch erhebliche psychische Probleme eingestellt. Sie sei seit einiger Zeit auch arbeitsunfähig, beziehe Krankengeld und sei in psychiatrischer Therapie. Frau W. geht es um die Feststellung der Beschwerden als Unfallfolge und weiterer Therapiemöglichkeiten.

Unter dem 30. Dezember 2008 stellte die Klägerin bei dem Versorgungsamt Hamburg einen Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz. Als Folgen des Überfalls gab sie eine posttraumatische Belastungsstörung, schwere Erschöpfung, schwere HWS-Beschwerden sowie Kopf- und Nackenschmerzen an. Die Dauer der schädigungsbedingten Arbeitsunfähigkeit gab sie mit 2 ½ Wochen an.

Die Beklagte ließ die Versicherte zunächst chirurgisch begutachten. Der Arzt für Chirurgie-Unfallchirurgie M. vermochte auf seinem Fachgebiet Unfallfolgen am 27. Juli 2009 nicht mehr festzustellen. Des Weiteren holte die Beklagte ein nervenärztliches Gutachten von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. ein. Dieser untersuchte die Klägerin am 5. November 2009. Ihm gegenüber berichtete sie, dass sich an die Arbeitsunfähigkeit nach dem Ereignis zunächst ein Urlaub angeschlossen habe. Eigentlich habe sie vorgehabt, zusammen mit ihrem Lebensgefährten nach Kärnten zu fahren, was aber durch den Überfall "ins Wasser gefallen" sei. Daraufhin habe man die Familie des Lebensgefährten in Süddeutschland besucht. Zu der Familie habe auch ein Arzt gehört, mit dem sie den Überfall "durchgesprochen habe". Sie habe einfach "rauskommen" wollen, da sie die Überfallstelle ja immer vom Fenster ihrer Wohnung habe sehen können. Bei ihrem Arbeitgeber habe sie weiter gearbeitet, bis dieser den Betrieb nach München verlegt habe. Da hätte sie mitgehen können, habe aber aus privaten Gründen davon Abstand genommen. Sie habe bei einem anderen Arbeitgeber auf Empfehlung eine Anstellung mit gleicher Wertigkeit bekommen. Von der Gesetzlichen Unfallversicherung habe sie nie Rente bekommen, habe aber auch nie einen Antrag gestellt. Es habe sie das alles damals wahnsinnig belastet, dass sie auch so viele Formulare auszufüllen gehabt hätte. Auf die Frage, warum sie gerade jetzt den Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz und bei der Gesetzlichen Unfallversicherung gestellt habe, gab die Verletzte gegenüber Dr. F. an, dass sie in der Psychotherapie erkannt habe, dass sie es nicht allein schaffen würde. Dies sei der Grund für die Anträge. Anfangs habe sie gemeint, sie sei stark, könne alles und schaffe es. Da habe sie alle Nachteile und Schwierigkeiten selbst ausgeglichen. Auch die Psychotherapie habe sie erst im Sommer 2008 begonnen, weil der Leidensdruck einfach stärker geworden sei. Sie habe ja versucht, alles zu verstecken, auch aus Scham, habe nicht gewollt, dass die Leute was mitkriegen. So habe sie das Ereignis und seine Folgen vor ihrer gesamten Familie, mit Ausnahme der engen Familie des Lebenspartners, die man ja besucht habe, geheim gehalten und auch nur wenige Kollegen hätten davon gewusst. Auch im Betrieb sei es sonst nicht bekannt gewesen.

Dr. F. stellte als Unfallfolge eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert fest. Mangels entsprechender Dokumentation des Störungsbildes empfahl er eine Anerkennung erst ab Aufnahme der Psychotherapie im November 2008.

Mit Bescheid vom 7. April 2010 erkannte die Beklagte als Folge des Arbeitsunfalls eine posttraumatische Belastungsstörung an und gewährte der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 20 vom Hundert für den Zeitraum ab 1. Januar 2004 bis auf Weiteres. Ansprüche auf Leistungen vor dem 1. Januar 2004 seien nach § 45 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) verjährt. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Ihre Ansprüche seien nicht verjährt, denn in der Gesetzlichen Unfallversicherung sei keine Antragstellung erforderlich. Vielmehr setze die Verpflichtung des Unfallversicherungsträgers ein, sobald er von möglichen leistungserheblichen Tatsachen Kenntnis erlange. Es seien in nicht nachvollziehbarer Weise keine weiteren Ermittlungen mehr angestellt worden, obwohl das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft bekannt gewesen sei und auch der Durchgangsarzt von einem psychischen Erschöpfungszustand gesprochen habe. Die Erhebung der Einrede der Verjährung sei auch unzulässig, weil die Beklagte eigene Fehler in ihre Entscheidung habe mit einbeziehen müssen. Die Entscheidung lasse schließlich Ermessenserwägungen vermissen.

Mit Ergänzungsbescheid vom 6. Januar 2011 begründete die Beklagte die Erhebung der Einrede der Verjährung. Zwar seien grundsätzlich die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung von Amts wegen zu erbringen. Jedoch müssten hierzu Tatsachen bekannt sein, die Anhaltspunkte für einen eventuellen Leistungsanspruch ergäben. Nach den eingegangenen Unterlagen sei die Behandlung durch den Durchgangsarzt nicht fortgesetzt worden und es sei die Arbeit am 31. Juli 2000 wieder aufgenommen worden. Auch im Hinblick auf die Diagnose habe sich für die Verwaltung kein zwingender Hinweis auf weiterbestehende Unfallfolgen ergeben. Dies gelte auch für die Diagnose "psychischer Erschöpfungszustand" im Hinblick auf die abgeschlossene Behandlung und die Arbeitsaufnahme. Bis zum 16. Januar 2001 hätten keine Informationen für eine weitere Behandlungsbedürftigkeit vorgelegen, so dass die Akte zu diesem Zeitpunkt abgelegt worden sei. Der Vermerk zur Geringfügigkeit habe sich lediglich auf das nicht weiter zu verfolgende Regressverfahren bezogen. Dies sei mit Blick auf die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Kosten in Höhe von 93,50 DM sachgerecht gewesen. Bis zum Jahr 2008 hätten sich dann keine weiteren Anhaltspunkte für mögliche Leistungsansprüche ergeben. Der von der Klägerin ausgefüllte und zurückgesandte Wegeunfallfragebogen habe ausschließlich der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des Versicherungsfalls gedient. Als Leistungsantrag könne er nicht gewertet werden. Da erst der am 30. September 2008 gestellte Antrag die Hemmung der Verjährung bewirkt habe, seien nach allem die Leistungen vor dem 1. Januar 2004 verjährt. Im Sinne pflichtgemäßen Ermessens sei die Einrede der Verjährung zu erheben gewesen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Eintritt der Verjährung unabhängig von etwaigem Verschulden allein durch Zeitablauf und Nichtgeltendmachung des Anspruchs eintrete. Ein krasser Pflichtenverstoß, welcher von der Rechtsprechung zum Ausschluss der Verjährungseinrede gefordert werde, könne eben so wenig festgestellt werden wie ein Verstoß gegen Treu und Glauben. Die Zuständigkeit der Beklagten sei bekannt gewesen, ohne dass bis zum Jahre 2008 eine Kontaktaufnahme erfolgt sei. Nach allem sei die Bearbeitung sachgerecht gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2011 wies die Beklagte auch den Widerspruch gegen ihre Entscheidung zurück.

Daraufhin hat die Klägerin fristgerecht Klage erhoben und vorgetragen, dass bei pflichtgemäßer Akteneinsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft und bei einem Abwarten des Abschlusses des Strafverfahrens der Beklagten unweigerlich bekannt geworden wäre, dass sie – die Klägerin – aufgrund des Überfalls in sehr erheblicher Weise traumatisiert wurde. Es sei auch unverständlich, dass die Beklagte bis zur Einstellung des Verfahrens nicht weitere ärztliche Befunde abgerufen habe.

Die Beklagte hat entgegnet, dass alle beteiligten Behandler gehalten gewesen wären, sie über die weitere Entwicklung in Kenntnis zu setzen. Letztlich habe auch die Krankenkasse die Behandlungskosten getragen, jedoch sie - die Beklagte – nicht informiert. So habe man davon ausgehen können, dass die Folgen des Arbeitsunfalls glimpflich und rasch zur Abheilung gebracht worden seien.

Durch Urteil vom 27. September 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Vor dem 1. Januar 2004 entstandene Einzelansprüche seien verjährt. Hierauf habe die Beklagte sich auch berufen dürfen, weil sie nicht verpflichtet gewesen sei, weitere Sachaufklärung zu betreiben, um den gesundheitlichen Zustand der Klägerin auszuforschen. Auch aus der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte hätten sich zum Zeitpunkt des Weglegens der Akte keine weiteren Hinweise ergeben, weil auch die gerichtsärztliche Untersuchung keine psychischen Schäden dokumentiert habe. Auf die der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. Oktober 2012 zugestellte Entscheidung wird ergänzend Bezug genommen.

Die Klägerin hat am 12. November 2012 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, am 29. Mai 2013 sei sie von Dr. F. erneut untersucht worden. Hierbei habe sich keine wesentliche Änderung der Unfallfolgen geben, so dass weiterhin die bisherige Rente nach der bisher festgestellten MdE von 20 gewährt werde. Dr. F. habe auch eine weitere Nachuntersuchung nicht mehr für erforderlich gehalten. Insoweit werde auf das schriftliche Gutachten vom 24. Juni 2013 verwiesen, aus welchem sich ergebe, dass sie als Folge des Arbeitsunfalles vom 12. Juli 2000 bis heute schwerwiegend durch die Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung beeinträchtigt sei. Im Übrigen könne sie es nach wie vor nicht fassen, dass trotz unbestreitbar offenkundig für erforderlich gehaltenem und noch laufendem Antrag auf Akteneinsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft deren Durchführung nicht abgewartet wurde. Diese Akteneinsicht hätte zu dem Ergebnis einer schweren und brutalen Straftat mit erheblichen Auswirkungen auf das körperliche und psychische/seelische Befinden führen müssen. Stattdessen sei das Verfahren mit dem Vermerk, es könne wegen Geringfügigkeit auf Regress verzichtet werden, weshalb eine Fortführung der Ermittlungen unwirtschaftlich sei, ohne jede Anhörung oder Information an sie, die Verletzte, welche ihr die Möglichkeit verschafft hätte, auf die Schwere der erlittenen Verletzungen und den Stand bzw. das Ergebnis des Strafverfahrens hinzuweisen und gegebenenfalls einen Anwalt einzuschalten, eingestellt und diese Vorgehensweise nicht nur von der Beklagten selbst, sondern auch noch vom erstinstanzlichen Gericht als angeblich rechtmäßig angesehen worden. Dabei handele es sich um ein Amtsermittlungsverfahren, für welches gemäß § 19 Satz 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) kein Antrag erforderlich sei. Es werde vielmehr durch eine Unfallanzeige des Arbeitgebers bzw. durch den Durchgangsarzt in Gang gesetzt. Nach der durch die Beklagte erfolgten Belehrung, dass sie zur Mitwirkung verpflichtet sei, habe keine Verjährung eintreten können, weil diese durch die Rücksendung des Fragebogens im Rahmen der Mitwirkungspflicht durch Antragstellung gemäß § 45 Abs. 3 S. 1 SGB I gehemmt worden sei. Da das Ermittlungsverfahren dann ohne ihre Anhörung eingestellt worden sei, die Hemmung der Verjährung aber erst sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag ende, habe Verjährung gar nicht eintreten können. Denn eine Entscheidung über ihren Antrag sei erst mit Bescheid vom 7. April 2010 bekannt gegeben worden. Dieser Bescheid sei aber aufgrund des vorliegenden Verfahrens und insbesondere durch die nun vorliegende Berufung bis zum heutigen Tage nicht bestandskräftig geworden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2012 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 7. April 2010 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 6. Januar 2011 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. Juli 2000 Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 vom 100 auch für Zeiträume vor dem 1. Januar 2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und Ihren Bescheid und weist – erneut – darauf hin, dass sich aus dem Akteninhalt bis zum Antrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 30. September 2008 als Unfallfolgen lediglich multiple Prellungen, ein Kompressionstrauma, eine HWS-Distorsion, Kratz-Schürfwunden am rechten Ober-Unterlid, an der rechten Wange und am Nasenrücken, eine oberflächliche Platzwunde an der Oberlippe und ein psychischer Erschöpfungszustand ergäben. Da zeitlich danach weder weitere ärztliche Behandlungsberichte noch sonstige Unterlagen übersandt worden seien, sei davon auszugehen gewesen, dass die vorgenannten Unfallfolgen folgenlos verheilt gewesen seien. Deshalb stelle die Nichtvornahme weiterer Ermittlungen zum seinerzeitigen Zeitpunkt keine krasse Pflichtwidrigkeit im Rahmen der grundsätzlich bestehenden Amtsermittlungspflicht dar. Ein schriftlicher Antrag habe im Übrigen erst durch das Schreiben der Prozessbevollmächtigten vorgelegen. Ein solcher sei nicht in der Rücksendung des Wegeunfallfragebogens zu sehen. Die Einstellung des Verfahrens stelle auch keinen krassen Pflichtverstoß dar. Denn zu jenem Zeitpunkt sei davon auszugehen gewesen, dass lediglich Kosten in Höhe von 93,50 DM entstanden waren. Es sei auch noch darauf hinzuweisen, dass die Anforderung der Akten der Staatsanwaltschaft lediglich der Prüfung von Regressfragen gegenüber Dritten diene und nicht der Prüfung der Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten. Bei der Frage, was als rechtsmissbräuchliche Erhebung der Verjährungseinrede anzusehen sei, sei auch die Regelung des §§ 44 Abs. 4 SGB X zu beachten. Insoweit werde eine Ausstrahlungswirkung auf die Verjährungsregelung nach § 45 SGB I ausgeübt. Beide Bestimmungen sollten nämlich eine rückwirkende Leistungs¬erbringung für die Vergangenheit einschränken.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist nicht begründet. Ihr stehen mit Blick auf den am 12. Juli 2000 in Gestalt eines Überfalls erlittenen Arbeits- (Wege-) Unfall (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII)) weitere Entschädigungsleistungen nicht zu, weil der nach entsprechender Beschränkung der Berufung allein noch streitige Anspruch gegen den Unfallversicherungsträger auf Gewährung von Verletztenrente für Zeiträume vor dem 1. Januar 2004 nicht festgestellt werden kann, ein solcher aber nach § 45 SGB I jedenfalls verjährt und es der Beklagten auch nicht verwehrt ist, die Einrede der Verjährung gegenüber dem Zahlungsverlangen der Verletzten zu erheben.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche hinaus nach dem Versicherungsfall um wenigstens 20 vom Hundert infolge des Versicherungsfalls gemindert ist, Anspruch auf Rente. Dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin auch bereits vor dem 1. Januar 2004 in derart rentenberechtigender Weise durch das Unfallereignis gemindert war, lässt sich nicht feststellen. So verneint bereits der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. in dem von der Beklagten eingeholten Gutachten vom 5. Januar 2010 eine derartige Erwerbsminderung unter Hinweis auf eine fehlende Dokumentation entsprechender Unfallfolgen. Dies deckt sich mit den aktenkundigen Zeiten der Erwerbsunfähigkeit der Klägerin, wie sie sich aus der von der Krankenkasse erstellten Übersicht ergeben. Danach war die Verletzte sowohl vor dem Unfallereignis als auch danach zwar vielfach arbeitsunfähig erkrankt, lediglich der Zeitraum vom 12. bis zum 28. Juli 2000 ist jedoch mit Blick auf die dokumentierten Diagnosen ohne Weiteres auf das Unfallereignis zurückzuführen. Wenn Dr. F. im Rahmen des aus Anlass der Nachuntersuchung der Klägerin am 29. Mai 2013 erstellten weiteren Gutachtens vom 24. Juni 2013 erneut darauf hinweist, es sei davon auszugehen, dass erst mit Beginn der Behandlung bei der Nervenärztin Dr. B. der Nachweis entsprechender Gesundheitsstörungen erbracht sei, dann stützt dies die Einschätzung, dass eine unfallbedingte Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Grade vor dem 1. Januar 2004 nicht vorgelegen hat. Letztlich bestätigt auch der Blick auf den zeitlichen Verlauf des Schwerbehindertenverfahrens, des Verfahrens nach dem Opferentschädigungsgesetz und schließlich des vorliegenden Verfahrens diese Einschätzung. Jeweils stellte die Klägerin ihre Anträge erst weit nach dem Unfallereignis. Aus allem folgt, dass der Senat die Feststellung, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei auch vor dem 1. Januar 2004 unfallbedingt bereits in nennenswerter Weise eingeschränkt gewesen, nicht treffen kann.

Ungeachtet des Vorstehenden sind etwaige Ansprüche für Zeiträume vor dem 1. Januar 2004 jedenfalls verjährt.

Nach § 45 Abs. 1 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Leistungen der Gesetzlichen Unfallversicherung werden nach § 19 Satz 2 SBG IV von Amts wegen erbracht. Eines Antrages bedarf es nicht. Der Anspruch auf Verletztenrente entsteht, sobald die in § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII normierten Voraussetzungen vorliegen. Soweit die Klägerin seit dem Unfallereignis bis zum 31. Dezember 2003 um mehr als 20 vom Hundert in der Erwerbsfähigkeit gemindert war, hatte sie nach § 96 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf den Monatsbetrag der entsprechenden Teilrente. Ein solcher Anspruch ist aber in Gestalt der monatlichen Einzelansprüche jeweils (etwaige Ansprüche aus dem Jahr 2000 mit Ablauf des Jahres 2004, solche aus dem Jahr 2001 mit Ablauf des Jahres 2005, solche aus dem Jahr 2002 mit Ablauf des Jahres 2006 und solche aus dem Jahr 2003 mit Ablauf des Jahres 2007) verjährt.

Die Verjährung ist auch nicht nach § 45 Abs. 2, 3 SGB I durch Stellung eines Antrages auf Sozialleistungen gehemmt worden. Ob dabei dem Schreiben der Prozessbevollmächtigen vom 30. September 2008 die Qualität als Antrag im Sinne des § 45 Abs. 3 SGB I zukommt, dürfte zu bezweifeln sein, denn eine Sozialleistung, die ausdrücklich beantragt wird, ist dort nicht benannt. Vielmehr handelte es sich um eine bloße Sachstandsanfrage. Jedenfalls aber konnte dieses am 30. September 2008 bei der Beklagten eingegangene Schreiben die Verjährung von Einzelansprüchen erst für die Jahre ab 2004 hemmen. Dies hat die Beklagte anerkannt und die Verletztenrente entsprechend gewährt.

Auch dem Wegeunfallfragebogen, den die Klägerin am 28. Juli 2000 bei der Beklagten eingereicht hat, kommt nicht die Wirkung eines Antrages auf Sozialleistungen zu. Denn der Fragebogen enthält nur Erhebungen zum Unfallhergang. Fragen bezüglich etwaiger Leistungen beinhaltet der von der Verletzten ausgefüllte Vordruck hingegen nicht. Auch im Übrigen hat die Klägerin damit nicht im Sinne der Vorschrift eine bestimmte Leistung, namentlich weder Verletztengeld oder Verletztenrente geltend, sondern lediglich die von ihr erbetenen Angaben zur Sache gemacht, welche zur Beurteilung, ob überhaupt ein Versicherungsfall vorliegt, erforderlich waren.

War danach Verjährung etwaiger Leistungen für Zeiträume vor dem 1. Januar 2004 bereits durch Zeitablauf eingetreten, so war der Beklagten die Erhebung der Einrede der Verjährung auch nicht mit Blick auf Treu und Glauben verwehrt. Insoweit nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die angefochtene Entscheidung Bezug und folgt ihr. Auch das Berufungsgericht vermag eine der Berufung auf die Einrede entgegenstehende Pflichtverletzung der Beklagten nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) nicht zu erkennen. Vielmehr durfte diese in der Zusammenschau des Durchgangarztberichts und der Unfallanzeige des Arbeitgebers davon ausgehen, dass weitere Unfallfolgen seinerzeit nicht bestanden, die Klägerin vielmehr nach Ablauf der Zeit der Arbeitsunfähigkeit ihre Tätigkeit wieder aufgenommen hatte und Unfallfolgen nicht verblieben waren. Es gab für die Beklagte schlicht keinen Anhaltspunkt für eine insbesondere psychische Unfallfolge, welche die Arbeitsunfähigkeit überdauerte. Dies gilt mit Blick auf Zeitpunkt und Ergebnis der gerichtsärztlichen Untersuchung auch bei unterstellter Einsicht in die Strafakte.

Wenn die Klägerin schließlich meint, die Beklagte sei den gegenüber einem schwer geschädigten Unfallopfer bestehenden Verpflichtungen zur Fürsorge nicht in angemessener Weise nachgekommen und dürfe sich auch deshalb nicht auf Verjährung berufen, so ist demgegenüber auf § 26 Abs. 3 SGB VII zu verweisen. Danach haben Leistungen zur Heilbehandlung und zur Rehabilitation stets Vorrang vor Rentenleistungen. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 SGB VII hat der Träger der Unfallversicherung mit allen geeigneten Mitteln unter anderem frühzeitig den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern. Die Berufsgenossenschaft kann dieser Verpflichtung aber nur nachkommen, wenn sie von der Behandlungsbedürftigkeit Kenntnis erlangt. Hierzu ist das Durchgangsarztverfahren nach § 24 des Vertrages nach § 34 Abs. 3 SGB VII zwischen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V., Berlin, dem Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung, Kassel, einerseits und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Berlin, andererseits über die Durchführung der Heilbehandlung, die Vergütung der Ärzte sowie die Art und Weise der Abrechnung der ärztlichen Leistungen (Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger) durchzuführen. Der Verletzte hat sich gemäß § 26 Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger beim Durchgangsarzt vorzustellen. Dieser allein entscheidet nach § 27 Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger über Art und Umfang der vorzunehmenden Behandlung. Dass die Beklagte von etwaigen weiteren Gesundheitsschäden keine Kenntnis erhielt, ist hiervon ausgehend ausschließlich dem Verhalten der Klägerin geschuldet, die es – so ihre Schilderung gegenüber Dr. F. – unternommen hatte, den Unfall vor Arbeitskollegen, im Betrieb und auch vor der Familie geheim zu halten. Hiermit in Übereinstimmung steht, wenn sie ihre Prozessbevollmächtigte im Oktober 2008 gegenüber der Beklagten erklären lässt, dass sie versucht habe, allein mit der Verarbeitung des Überfalls zurechtzukommen. Wenn die Klägerin zur Erklärung für dieses Verhalten gegenüber dem Senat auf ihre hohen Fehlzeiten bereits vor dem Unfall und ihre Angst vor einer Kündigung hinweist, wird dies nur bestätigt. Diese Kenntniserlangung hat die Klägerin durch den aus eigenem Antrieb vorgenommenen Abbruch der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung vereitelt und damit eine gegenüber der Beklagten bestehende Obliegenheit verletzt. Denn der Durchgangsarzt ist aufgrund seiner vertraglichen Bindung zum Unfallversicherungsträger verpflichtet, diesen über den Stand der Behandlung zu unterrichten (§§ 34, 201 SGB VII i.V.m. § 27 Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger), andere nicht vertraglich mit der Berufsgenossenschaft verbundene Behandler sind dies nicht. Bei dieser Sachlage ist es nicht der Beklagten anzulasten, dass sie erst spät Kenntnis von dem wahren Ausmaß der Schädigung erlangte.

Mit Blick auf die Finanzierung der Aufwendungen der Beklagten durch nachträgliche Umlagen ist es auch gerechtfertigt, wenn durch die Erhebung der Einrede der Verjährung eine Beschränkung von Nachzahlungen an Versicherte bewirkt und so Sicherheit bei der Aufgabenfinanzierung erreicht wird. Dies gebieten – worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat – der Grundsatz der Gleichbehandlung und derjenige der sparsamen Haushaltsführung. Ihr Ermessen hat die Beklagte nach allem fehlerfrei dahingehend ausgeübt, dass die Einrede der Verjährung zu erheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits in der Hauptsache.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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