Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 2701/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 909/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Der Beklagte hatte bei der am 10.04.1960 geborenen Klägerin unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Versorgungsarztes Boivin vom 24.08.2010, in der dieser als Behinderungen eine Depression, ein chronisches Schmerzsyndrom und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem GdB von 40 eingeschätzt hatte, mit Bescheid vom 02.09.2010 den GdB mit 40 seit 25.06.2010 festgestellt.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. A. vom 28.01.2011, des Arztbriefes des Neurochirurgen Dr. B. vom 08.04.2011, des Entlassungsberichts des Dr. C., Klinik im Hofgarten Bad Waldsee, vom 17.05.2011 und der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. A. vom 30.06.2011 mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.2011 zurück.
Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Konstanz (SG) mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2012 ab.
Die hiergegen eingelegte Berufung nahm die Klägerin, nachdem das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) die sachverständigen Zeugenauskünfte des Dr. D. vom 11.05.2012, des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. E. vom 16.05.2012 und des Neurochirurgen Dr. F., Wirbelsäulen-Zentrum V., vom 13.06.2012 eingeholt und die Arztbriefe des Dr. E. vom 30.10.2009, 11.01.2010, 23.02.2010 und 19.12.2011, des Dr. B. vom 18.02.2010, des Prof. Dr. G., Chefarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie H., vom 01.04.2010, des Dr. F. vom 12.08.2011, der Klinik Bad I. vom 15.09.2011, des Chirurgen Dr. J. vom 15.02.2012 und des Dr. K., Leiter der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie des ZfP Südwürttemberg in L., vom 10.07.2012 beigezogen hatte, am 27.07.2012 zurück.
Bereits am 27.09.2011 hatte die Klägerin die Neufeststellung des GdB beantragt. Aktenkundig wurde zunächst der Entlassungsbericht des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. M., Klinik Bad I., vom 23.09.2011, in dem ein Zustand nach osteoligamentärer Dekompression L4/5 und L5/S1 im August 2011 bei Spinalkanalstenose und ein Zustand nach Bandscheiben-Operation L4/5 im März 2011, eine leichtgradige depressive Episode, eine chronische Schmerzstörung sowie eine chronische Cervikalgie mit spinaler Enge HWK3/4 bis 5/6 beschrieben wurden. Sodann holte der Beklagte den Befundbericht der Dipl.-Psych. N. vom 29.02.2012 ein, in dem dargelegt wurde, dass die Klägerin aufgrund ihrer Schmerzsymptomatik und depressiven Symptomatik in psychotherapeutischer Behandlung stehe. Die Klägerin bemühe sich zwar um eine soziale Integration, scheitere jedoch wiederholt an der immer wieder auftretenden Schmerzsymptomatik und verzweifle dann daran. Dr. O. hielt in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.03.2012 an der bisherigen GdB-Bewertung fest. Mit Bescheid vom 15.08.2012 lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2012 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 29.10.2012 Klage beim SG erhoben.
Das SG hat zunächst die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der Neurologe und Psychiater Dr. P. ist in seiner Auskunft vom 11.03.2013 von einer anhaltenden, agitiert depressiven Störung mit Fixierung auf chronische körperliche Beschwerden, insbesondere Schmerzstörungen, ausgegangen, die zumindest mittelschwere soziale Anpassungsschwierigkeiten bedingten. Dr. D. hat in seinem Bericht vom 18.03.2013 dargelegt, die Klägerin klage insbesondere über eine depressive Verstimmung mit Anpassungsstörung und immer wiederkehrende Schmerzen im Halswirbel- und Lendenwirbelsäulenbereich. Dipl.-Psych. N. hat unter dem 23.03.2013 dargelegt, bei der Klägerin liege eine posttraumatische Belastungsstörung mit massiven psychosomatischen Schmerzen und depressiven Symptomen, die teilweise mittelgradig seien, vor.
Dr. Q. hat in der vom Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.06.2013 ausgeführt, nach den vorgelegten Unterlagen sei eine Schwerbehinderteneigenschaft nicht ableitbar.
Sodann hat das SG von Amts wegen das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. R., Chefarzt am Krankenhaus St. S. in T., vom 20.09.2013 eingeholt. Der Sachverständige hat dargelegt, es liege ein leicht- bis mäßiggradig ausgeprägtes nozizeptives Schmerzsyndrom bei Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation LWK4/5 vor. Dieses werde derzeit ein- bis zweimal täglich mit Ibuprofen 800 behandelt. Darüber hinausgehende Maßnahmen diesbezüglich seien nicht erforderlich. Es hätten sich keine Hinweise auf das Vorliegen einer depressiven Störung, sondern allenfalls Symptome, die im weitesten Sinne zu einer Anpassungsstörung bei anhaltendem Arbeitsplatzkonflikt passen würden, ergeben. Eine antidepressive Medikation werde derzeit nicht verabreicht. Bereits im Jahr 2010 habe Prof. Dr. G. eine depressive Symptomatik ausgeschlossen. Im Arztbrief des ZfP Südwürttemberg in L. vom 10.07.2012 sei dokumentiert, dass die Klägerin eher ein fröhlicher Mensch sei und keine Antriebsstörung habe. In der Gesamtbetrachtung handele es sich bei der Klägerin um eine im Kontext abhängige Symptomatik, die sich gegenwärtig ausschließlich auf den Arbeitsplatzkonflikt beziehe, wobei die Klägerin in einer anerkannten Schwerbehinderteneigenschaft eine Lösung des Problems am Arbeitsplatz sehe. Psychopathologische Symptome sowie eine Destabilisierung, die zu einer ersten psychiatrischen Behandlung im Jahr 2004 geführt habe, sei im Zusammenhang mit der Trennung von ihrem Ehegatten aufgetreten, so dass bei der Klägerin von einer Prädisposition zur psychoreaktiven Symptombildung ausgegangen werden könne. Psychoreaktive Symptome seien nicht geeignet, um als GdB Anerkennung zu finden. Medizinische Befunde oder Ausfälle auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet, die die Anerkennung einer Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigen würden, hätten sich nicht finden lassen. Der Sachverständige hat das leicht- bis mäßiggradig ausgeprägte Schmerzsyndrom sowie die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 und die Anpassungsstörung mit gelegentlich depressiver Verstimmung mit einem Einzel-GdB von 20 beurteilt. Die Aussage des Dr. P., dass die Klägerin völlig sozial zurückgezogen lebe, entspreche nicht der Aktenlage und ihren ihm gegenüber gemachten Angaben. Die Klägerin habe berichtet, sie habe seit sieben Jahren einen festen Lebenspartner, von dem sie eine entsprechende Wertschätzung und Liebe erfahre. Sie nehme entsprechend ihren Möglichkeiten an den Aktivitäten des täglichen Lebens teil. Sie habe ferner über eine im vergangenen Sommer durchgeführte Türkeireise berichtet, in deren Rahmen sie den Abstand vom Arbeitsplatz sowie von den daran gekoppelten Problemen habe genießen können. Entgegen der Einschätzung der Dipl.-Psych. N. liege eine posttraumatische Belastungsstörung definitiv nicht vor.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 12.02.2014 die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, eine Höherbewertung des GdB sei alleine deshalb nicht vorzunehmen, da die behandelnden Ärzte ausnahmslos keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes hätten feststellen können. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Schmerzsyndrom sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach der Aktenlage ergäben sich keine Hinweise für eine Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule in Form einer Bewegungseinschränkung. So sei die Klägerin nicht fachärztlich orthopädisch behandelt worden. Auch werde in dem Entlassungsbericht der Klinik im Hofgarten Bad Waldsee vom 17.05.2011eine Wirbelsäule ohne pathologischen Befund benannt. Mithin sei den überzeugenden Ausführungen des Dr. R. folgend die allenfalls leichtgradige Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule und die Berücksichtigung des mäßiggradig ausgeprägten nozizeptiven Schmerzsyndroms mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die Anpassungsstörung bedinge ebenfalls nur einen Einzel-GdB von 20. Nach den überzeugenden und schlüssigen Ausführungen des Dr. R. leide die Klägerin nicht unter einer depressiven Störung. Damit liege alleine eine leichtere psychovegetative oder psychische Störung in Form einer Anpassungsstörung vor, die mit einem Einzel-GdB zwischen 0 und 20 zu bewerten sei. Die Vergabe eines Einzel-GdB von 20 bewege sich am oberen Grenzwert dieses vorgegebenen Rahmens und dürfte mithin wohlwollend sein. Ausgehend von diesen Einzel-GdB-Werten wäre ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden. Die seitens des Beklagten vorgenommene Bewertung mit einem Gesamt-GdB von 40 dürfte mithin äußerst wohlwollend sein.
Hiergegen hat die Klägerin am 20.02.2014 Berufung zum LSG eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, schon allein aus den Ausführungen der Dipl.-Psych. N. ergebe sich, dass eine gesundheitliche Verschlechterung eingetreten sei. Es treffe auch nicht zu, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nicht vorliege. Denn sie habe einen schweren Unfall erlitten, der ein zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führendes Trauma darstelle. Es bestehe außerdem die Möglichkeit, dass im Bereich der Bandscheiben mehrere Bereiche betroffen seien, so dass in diesem Zusammenhang ein höherer Einzel-GdB festgestellt werden könne. Die Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren rechtfertige bereits einen GdB von 50. Eine Schmerzbehandlung habe keinerlei Erfolg gebracht. Das Schmerzsyndrom habe sich vielmehr massiv verschlimmert. Sie sei nicht in der Lage, sich zu Fuß außerhalb des Hauses zu bewegen. Die fehlende Besserung der Schmerzsymptomatik und eine deutliche Depression ergäben sich schon aus dem Entlassungsbericht der Klinik im Hofgarten Bad Waldsee vom 17.05.2011. Ferner sei Dr. P. von mindestens mittelschweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten ausgegangen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12. Februar 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 15. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit 50 seit 27. September 2011 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. U. vom 22.08.2014 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, es liege ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom bei nachgewiesenen degenerativen Veränderungen und mehr-etagigen operativen Interventionen cervikal und lumbal, mit aktuell Cervikocephalgien, vertebrobasilärem Schwindel, Lumbalgien beziehungsweise Ischialgien, vornehmlich linksseitig, vor. Hierfür sei der Einzel-GdB mit 30 gerechtfertigt. Klinisch und elektrophysiologisch nachweisbar liege ein persistierendes Carpaltunnelsyndrom, auch nach stattgehabter operativer Intervention, vor. Hierfür sei ein Einzel-GdB von 20 gerechtfertigt. Im Vordergrund der Beeinträchtigungen stehe eine seit vielen Jahren rezidivierende Depressivität und Angst. Eine histrionische Persönlichkeitsstörung oder posttraumatische Belastungsstörung liege hingegen nicht vor. Die bei der Klägerin bestehende Depressivität sei als mittelschwer einzuschätzen. Eine effektive psychiatrische und psychopharmakologische oder psychotherapeutische Behandlung finde nicht statt. Auch die angegebene abendliche Medikation mit Amitriptylin sei nicht regelmäßig eingenommen. Vor dem Hintergrund der rezidivierenden depressiven Störung, der Einengung, des Rückzugs und der mannigfaltigen Probleme auch im psychosozialen Umfeld sei durchaus eine stärker behindernde Einschränkung der Lebens- und Gestaltungsfähigkeit anzunehmen. Hierfür sei ein Einzel-GdB von aktuell 40 unbedingt gerechtfertigt. Dieser GdB-Wert gelte als Durchschnittswert für die vergangenen Jahre. In der Gesamtschau betrage der Gesamt-GdB mindestens 50. Dr. R. habe teilweise die anhaltenden lumbalen Wurzelreizerscheinungen nicht erkannt, das schmerzhafte Wirbelsäulensyndrom nicht ausreichend gewürdigt und das anhaltend bestehende Carpaltunnelsyndrom nicht festgestellt. Eventuell habe im Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. R. eine etwas stabilere Stimmungslage bestanden. Aktuell, wie auch in den Jahren davor, bestehe jedoch eine deutlich stärkere Depressivität.
Dr. Wolf hat in der vom Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.12.2014 ausgeführt, der GdB-Bewertung des Dr. U. sei nicht zu folgen. Ein Einzel-GdB von 30 für ein Wirbelsäulensyndrom entspräche mittelgradigen Funktionseinschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten oder einer schwergradigen Funktionseinschränkung in einem Wirbelsäulenabschnitt. Dem Gutachten des Dr. U. ließen sich keine entsprechenden Befunde entnehmen. In Bezug auf das Carpaltunnelsyndrom hat er darauf hingewiesen, dass Dr. U. über die Hypästhesie und Hyperalgesie im Medianus-Versorgungsgebiet beidseits hinaus keine weitergehenden Defizite festgestellt habe. Da das Carpaltunnelsyndrom also allenfalls zu sensiblen Störungen führe, könne ihm keine den Gesamt-GdB beeinflussende Funktionseinschränkung zukommen. Auch treffe die GdB-Bewertung des Dr. U. für das psychiatrische Fachgebiet nicht zu. Der Sachverständige hat ausdrücklich ausgeführt, dass eine effektive psychiatrische und psychopharmakologische, auch psychotherapeutische Behandlung nicht stattfinde. Auch die angegebene abendliche Medikation mit dem Antidepressivum werde nicht regelmäßig eingenommen. Bei fehlender ärztlicher Behandlung könne jedoch in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinaus gehe und bereits eine stärker behindernde Störung darstelle. Nach alledem sei der bisher zuerkannte Gesamt-GdB von 40 weitreichend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 12.02.2014, mit dem die auf die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 15.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2012 und auf Verurteilung des Beklagten, den GdB mit 50 seit 27.09.2011 festzustellen, gerichtete Klage abgewiesen worden ist. Die Klägerin erstrebt neben der Aufhebung dieses Gerichtsbescheides des SG die Aufhebung des Bescheides des Beklagten und dessen Verpflichtung, bei ihr den GdB mit 50 seit 27.09.2011 festzustellen. Dieses prozessuale Ziel verfolgt die Klägerin zulässigerweise gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist bei einer Änderung im Gesundheitszustand auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gelten für die Bemessung des GdB folgende Grundsätze (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris, mit weiteren Nachweisen):
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der Fassung des Gesetzes vom 23.04.2004 (BGBl. I 606) gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Durch diesen Verweis wird auf die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe für das versorgungsrechtliche Bewertungssystem abgestellt, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden im Sinne der Nr. 5 Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG sind. Von diesem leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ab. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der Fassung vom 13.12.2007 (BGBl. I 2904) wird zusätzlich auf die aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG (bis zum 30.06.2011) beziehungsweise des § 30 Abs. 16 BVG (ab dem 01.07.2011) erlassene Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) Bezug genommen, so dass ab 01.01.2009 die VersMedV vom 10.12.2008 (BGBl. I 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I 2904), 14.07.2010 (BGBl. I 928), 17.12.2010 (BGBl. I 2124), 28.10.2011 (BGBl. I 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I 2122) geändert worden ist, anstelle der AHP Grundlage für die Feststellung des GdB ist. Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) veröffentlicht worden, in denen unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind nach Teil A Nr. 2 VG auch für die Feststellung des GdB maßgebend.
Die AHP und die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die GdB-Bewertung auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln.
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den AHP und der VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - nach Teil A Nr. 19 Abs. 1 AHP und Teil A Nr. 3 Buchst. a VG in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind nach Teil A Nr. 19 Abs. 2 AHP und Teil A Nr. 3 Buchst. b VG bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der AHP und der VG feste Grade angegeben sind.
Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom Tatsachengericht die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs. 1, § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX; danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft maßgebend.
Im vorliegenden Fall ist bei der Prüfung einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X der Zeitraum ab der letztmaligen Feststellung des Gesamt-GdB mit Bescheid vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2011 zu beurteilen.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze ist bei der Klägerin keine wesentliche Änderung der Gesundheitsverhältnisse eingetreten, so dass sie keinen Anspruch auf Neufeststellung des Gesamt-GdB mit 50 seit 27.09.2011 hat.
Im Bereich des Funktionssystems "Rumpf" ist der Einzel-GdB höchstens mit 20 zu bewerten. Nach den Arztbriefen des Dr. E. vom 30.10.2009, 11.01.2010, 23.02.2010 und 19.12.2011 leidet die Klägerin seit einem Verkehrsunfall im Herbst 2009 an einer therapieresistenten Cervicobrachialgie und einer damit verbundenen Schmerzsymptomatik. In diesem Zusammenhang hat Dr. B. in seinem Arztbrief vom 18.02.2010 eine cervicale Spinalkanalstenose HWK5/6 diagnostiziert. Ferner ist bei der Klägerin nach dem Arztbrief des Dr. B. vom 08.04.2011 und dem Entlassungsbericht der Klinik im Hofgarten Bad Waldsee vom 17.05.2011 wegen einer Gefügestörung im Segemnt L5/S1 am 30.03.2011 eine operative Dekompression im Segment LWK4/5 vorgenommen worden, woraufhin sich nach Abschluss der anschließenden Rehabilitationsmaßnahme ein Teil der Symptomatik gebessert hat und im Wesentlichen auch hier ein Schmerzsyndrom verblieben ist. Ausweislich der Angaben des Wirbelsäulen-Zentrums V. im Arztbrief vom 12.08.2011 und in der sachverständigen Zeugenauskunft vom 13.06.2012 ist die dort diagnostizierte Spinalkanalstenose L4/5/S1 am 08.08.2011 operativ und ein medianer Bandscheibenvorfall HWK5/6 ab Oktober 2011 ambulant behandelt worden. Festgestellt worden ist aber nur im Bereich der Lendenwirbelsäule eine chronische Restsymptomatik. Aus keinem der aktenkundigen Arztbriefe oder sachverständigen Zeugenauskünfte ergeben sich aber GdB-relevante Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule. Die Klägerin hat sich auch nicht in eine dauerhafte fachorthopädische Behandlung begeben, sondern steht im Wesentlichen wegen des von ihr entwickelten Schmerzsyndroms in neurologischer Behandlung. Ein anderes Bild ergibt sich auch nicht aus dem Entlassungsbericht der Klinik Bad I. vom 23.09.2011, in dem ein Zustand nach osteoligamentärer Dekompression L4/5 und L5/S1 bei Spinalkanalstenose und ein Zustand nach Bandscheiben-Operation L4/5, eine chronische Schmerzstörung sowie eine chronische Cervikalgie mit spinaler Enge HWK3/4 bis 5/6 beschrieben worden sind. Im Rahmen der Aufnahme- und Abschlussuntersuchungen hat sich die Halswirbelsäule als frei beweglich dargestellt, während - wohl wegen der angegebenen Schmerzen - eine Beweglichkeitsprüfung der Lendenwirbelsäule unterblieben ist. Aus all dem zieht der Senat - ebenso wie Dr. R. in seinem Gutachten vom 20.09.2013 - den Schluss, dass es sich bei dem Wirbelsäulenleiden der Klägerin in Abgleich mit den VG, Teil B, Nr. 18.9 nur um mit einem GdB von 20 einzuschätzende mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt - nämlich im Bereich der Lendenwirbelsäule - und noch nicht um mit einem GdB von 30 einzuschätzende schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder gar mit einem GdB zwischen 30 und 40 einzuschätzende mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten handelt. Diese Einschätzung beruht weniger auf valide festgestellte Bewegungseinschränkungen, zumal auch die bei Dr. R. durchgeführte allgemein-körperliche Untersuchung bis auf einen Hartspann im Lendenwirbelsäulen-Bereich ein regelrechtes Ergebnis erbracht hat, sondern mehr auf dem von den behandelnden Ärzten dokumentierten und - derzeit ein- bis zweimal täglich mit Ibuprofen 800 behandelten - vornehmlich in der Lendenwirbelsäule lokalisierten Schmerzsyndrom. Demgegenüber lässt sich die von Dr. U. in seinem Gutachten vom 22.08.2014 vorgeschlagene Bewertung mit einem GdB von 30 nicht rechtfertigen.
Im Bereich des Funktionssystems "Gehirn einschließlich Psyche" ist der Einzel-GdB mit 20 zu bewerten. Zutreffend hat sich das SG hierbei auf das schlüssige und in sich widerspruchsfreie Gutachten des Dr. R. vom 20.09.2013 gestützt. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung gemäß § 153 Abs. 2 SGG unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides zur Vermeidung von Wiederholungen an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Die Einschätzung des Sachverständigen, die Anpassungsstörung mit gelegentlich depressiver Verstimmung mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, korrespondiert mit den von ihm erhobenen Befunden. Auch der Senat hat sich davon überzeugt, dass in Abgleich mit den VG, Teil B, Nr. 3.7 die psychische Erkrankung der Klägerin lediglich eine mit einem GdB zwischen 0 und 20 zu bewertende leichtere psychovegetative oder psychische Störung und noch keine mit einem GdB zwischen 30 und 40 zu bewertende stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bedingt. Denn der Sachverständige hat zutreffend das Vorliegen einer depressiven Erkrankung verneint, indem er darauf hingewiesen hat, dass eine antidepressive Medikation derzeit nicht verabreicht wird. Er hat ferner zu Recht dargelegt, dass die Klägerin lediglich situativ - so im Jahr 2004 im Zusammenhang mit der Trennung von ihrem Ehegatten und gegenwärtig ausschließlich auf den Arbeitsplatzkonflikt bezogen - psychoreaktive Symptome entwickelt, aber eben noch keine depressive Grunderkrankung angenommen werden kann, zumal die Klägerin glücklich rund sieben Jahre einen festen Lebenspartner gehabt hat und entsprechend ihren Möglichkeiten an den Aktivitäten des täglichen Lebens teilnimmt. So übt sie nicht nur ihre berufliche Tätigkeit als Montagearbeiterin vollschichtig in Wechselschicht aus, sondern läuft mit ihrem Hund kürzere Strecken und hat einen Türkei-Urlaub unternommen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholten Gutachten des Dr. U. vom 22.08.2014. Aus den oben dargelegten Gründen folgt der Senat nicht dessen Einschätzung, es liege bei der Klägerin eine als mittelschwer einzuschätzende rezidivierende Depressivität und Angst vor, zumal auch er dargelegt hat, dass eine effektive psychiatrische und psychopharmakologische oder psychotherapeutische Behandlung derzeit nicht stattfindet. Soweit er seine Beurteilung damit rechtfertigt, dass Dr. R. teilweise die anhaltenden lumbalen Wurzelreizerscheinungen nicht erkannt habe, verkennt er, dass diese bereits bei der GdB-Bewertung des Funktionssystems "Rumpf" Berücksichtigung gefunden haben.
Eine GdB-relevante funktionelle Einschränkung resultiert entgegen der Einschätzung des Dr. U. aus dem Carpaltunnelsyndrom der Klägerin nicht. Insoweit hat Dr. Wolf in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.12.2014 zu Recht ausgeführt, dass Dr. U. über die Hypästhesie und Hyperalgesie im Medianus-Versorgungsgebiet beidseits hinaus keine weitergehenden Defizite festgestellt hat und daher das Carpaltunnelsyndrom allenfalls zu sensiblen Störungen führt, denen keine den Gesamt-GdB beeinflussende Funktionseinschränkung zukommen.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB höchstens 20 für das Funktionssystem "Rumpf" und Einzel-GdB 20 für das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche") hat der Beklagte und ihm folgend das SG den Gesamt-GdB rechtsfehlerfrei seit 28.05.2010 nicht - wie aber von der Klägerin beansprucht - mit 50 festgestellt. Denn bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den VG, Teil A, Nr. 2 und 3 von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und ist dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Bei der Bemessung des Gesamt-GdB ist auch ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen. Denn nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. Gemessen an diesen Voraussetzungen sind die bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen insgesamt nicht mit Gesundheitsschäden zu vergleichen, deren Funktionsbeeinträchtigungen einen Gesamt-GdB von 50 begründen.
Mithin ist seit Erlass des Bescheides vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2011 eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin nicht eingetreten, so dass der Gesamt-GdB nicht auf 50 heraufzusetzen war. Der Gerichtsbescheid des SG, mit dem die auf die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung des GdB mit 50 gerichtete Klage abgewiesen worden ist, hat sich daher als rechtmäßig erwiesen.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlie-gen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Der Beklagte hatte bei der am 10.04.1960 geborenen Klägerin unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Versorgungsarztes Boivin vom 24.08.2010, in der dieser als Behinderungen eine Depression, ein chronisches Schmerzsyndrom und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem GdB von 40 eingeschätzt hatte, mit Bescheid vom 02.09.2010 den GdB mit 40 seit 25.06.2010 festgestellt.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. A. vom 28.01.2011, des Arztbriefes des Neurochirurgen Dr. B. vom 08.04.2011, des Entlassungsberichts des Dr. C., Klinik im Hofgarten Bad Waldsee, vom 17.05.2011 und der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. A. vom 30.06.2011 mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.2011 zurück.
Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Konstanz (SG) mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2012 ab.
Die hiergegen eingelegte Berufung nahm die Klägerin, nachdem das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) die sachverständigen Zeugenauskünfte des Dr. D. vom 11.05.2012, des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. E. vom 16.05.2012 und des Neurochirurgen Dr. F., Wirbelsäulen-Zentrum V., vom 13.06.2012 eingeholt und die Arztbriefe des Dr. E. vom 30.10.2009, 11.01.2010, 23.02.2010 und 19.12.2011, des Dr. B. vom 18.02.2010, des Prof. Dr. G., Chefarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie H., vom 01.04.2010, des Dr. F. vom 12.08.2011, der Klinik Bad I. vom 15.09.2011, des Chirurgen Dr. J. vom 15.02.2012 und des Dr. K., Leiter der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie des ZfP Südwürttemberg in L., vom 10.07.2012 beigezogen hatte, am 27.07.2012 zurück.
Bereits am 27.09.2011 hatte die Klägerin die Neufeststellung des GdB beantragt. Aktenkundig wurde zunächst der Entlassungsbericht des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. M., Klinik Bad I., vom 23.09.2011, in dem ein Zustand nach osteoligamentärer Dekompression L4/5 und L5/S1 im August 2011 bei Spinalkanalstenose und ein Zustand nach Bandscheiben-Operation L4/5 im März 2011, eine leichtgradige depressive Episode, eine chronische Schmerzstörung sowie eine chronische Cervikalgie mit spinaler Enge HWK3/4 bis 5/6 beschrieben wurden. Sodann holte der Beklagte den Befundbericht der Dipl.-Psych. N. vom 29.02.2012 ein, in dem dargelegt wurde, dass die Klägerin aufgrund ihrer Schmerzsymptomatik und depressiven Symptomatik in psychotherapeutischer Behandlung stehe. Die Klägerin bemühe sich zwar um eine soziale Integration, scheitere jedoch wiederholt an der immer wieder auftretenden Schmerzsymptomatik und verzweifle dann daran. Dr. O. hielt in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.03.2012 an der bisherigen GdB-Bewertung fest. Mit Bescheid vom 15.08.2012 lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2012 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 29.10.2012 Klage beim SG erhoben.
Das SG hat zunächst die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der Neurologe und Psychiater Dr. P. ist in seiner Auskunft vom 11.03.2013 von einer anhaltenden, agitiert depressiven Störung mit Fixierung auf chronische körperliche Beschwerden, insbesondere Schmerzstörungen, ausgegangen, die zumindest mittelschwere soziale Anpassungsschwierigkeiten bedingten. Dr. D. hat in seinem Bericht vom 18.03.2013 dargelegt, die Klägerin klage insbesondere über eine depressive Verstimmung mit Anpassungsstörung und immer wiederkehrende Schmerzen im Halswirbel- und Lendenwirbelsäulenbereich. Dipl.-Psych. N. hat unter dem 23.03.2013 dargelegt, bei der Klägerin liege eine posttraumatische Belastungsstörung mit massiven psychosomatischen Schmerzen und depressiven Symptomen, die teilweise mittelgradig seien, vor.
Dr. Q. hat in der vom Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.06.2013 ausgeführt, nach den vorgelegten Unterlagen sei eine Schwerbehinderteneigenschaft nicht ableitbar.
Sodann hat das SG von Amts wegen das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. R., Chefarzt am Krankenhaus St. S. in T., vom 20.09.2013 eingeholt. Der Sachverständige hat dargelegt, es liege ein leicht- bis mäßiggradig ausgeprägtes nozizeptives Schmerzsyndrom bei Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation LWK4/5 vor. Dieses werde derzeit ein- bis zweimal täglich mit Ibuprofen 800 behandelt. Darüber hinausgehende Maßnahmen diesbezüglich seien nicht erforderlich. Es hätten sich keine Hinweise auf das Vorliegen einer depressiven Störung, sondern allenfalls Symptome, die im weitesten Sinne zu einer Anpassungsstörung bei anhaltendem Arbeitsplatzkonflikt passen würden, ergeben. Eine antidepressive Medikation werde derzeit nicht verabreicht. Bereits im Jahr 2010 habe Prof. Dr. G. eine depressive Symptomatik ausgeschlossen. Im Arztbrief des ZfP Südwürttemberg in L. vom 10.07.2012 sei dokumentiert, dass die Klägerin eher ein fröhlicher Mensch sei und keine Antriebsstörung habe. In der Gesamtbetrachtung handele es sich bei der Klägerin um eine im Kontext abhängige Symptomatik, die sich gegenwärtig ausschließlich auf den Arbeitsplatzkonflikt beziehe, wobei die Klägerin in einer anerkannten Schwerbehinderteneigenschaft eine Lösung des Problems am Arbeitsplatz sehe. Psychopathologische Symptome sowie eine Destabilisierung, die zu einer ersten psychiatrischen Behandlung im Jahr 2004 geführt habe, sei im Zusammenhang mit der Trennung von ihrem Ehegatten aufgetreten, so dass bei der Klägerin von einer Prädisposition zur psychoreaktiven Symptombildung ausgegangen werden könne. Psychoreaktive Symptome seien nicht geeignet, um als GdB Anerkennung zu finden. Medizinische Befunde oder Ausfälle auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet, die die Anerkennung einer Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigen würden, hätten sich nicht finden lassen. Der Sachverständige hat das leicht- bis mäßiggradig ausgeprägte Schmerzsyndrom sowie die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 und die Anpassungsstörung mit gelegentlich depressiver Verstimmung mit einem Einzel-GdB von 20 beurteilt. Die Aussage des Dr. P., dass die Klägerin völlig sozial zurückgezogen lebe, entspreche nicht der Aktenlage und ihren ihm gegenüber gemachten Angaben. Die Klägerin habe berichtet, sie habe seit sieben Jahren einen festen Lebenspartner, von dem sie eine entsprechende Wertschätzung und Liebe erfahre. Sie nehme entsprechend ihren Möglichkeiten an den Aktivitäten des täglichen Lebens teil. Sie habe ferner über eine im vergangenen Sommer durchgeführte Türkeireise berichtet, in deren Rahmen sie den Abstand vom Arbeitsplatz sowie von den daran gekoppelten Problemen habe genießen können. Entgegen der Einschätzung der Dipl.-Psych. N. liege eine posttraumatische Belastungsstörung definitiv nicht vor.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 12.02.2014 die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, eine Höherbewertung des GdB sei alleine deshalb nicht vorzunehmen, da die behandelnden Ärzte ausnahmslos keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes hätten feststellen können. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Schmerzsyndrom sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach der Aktenlage ergäben sich keine Hinweise für eine Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule in Form einer Bewegungseinschränkung. So sei die Klägerin nicht fachärztlich orthopädisch behandelt worden. Auch werde in dem Entlassungsbericht der Klinik im Hofgarten Bad Waldsee vom 17.05.2011eine Wirbelsäule ohne pathologischen Befund benannt. Mithin sei den überzeugenden Ausführungen des Dr. R. folgend die allenfalls leichtgradige Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule und die Berücksichtigung des mäßiggradig ausgeprägten nozizeptiven Schmerzsyndroms mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die Anpassungsstörung bedinge ebenfalls nur einen Einzel-GdB von 20. Nach den überzeugenden und schlüssigen Ausführungen des Dr. R. leide die Klägerin nicht unter einer depressiven Störung. Damit liege alleine eine leichtere psychovegetative oder psychische Störung in Form einer Anpassungsstörung vor, die mit einem Einzel-GdB zwischen 0 und 20 zu bewerten sei. Die Vergabe eines Einzel-GdB von 20 bewege sich am oberen Grenzwert dieses vorgegebenen Rahmens und dürfte mithin wohlwollend sein. Ausgehend von diesen Einzel-GdB-Werten wäre ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden. Die seitens des Beklagten vorgenommene Bewertung mit einem Gesamt-GdB von 40 dürfte mithin äußerst wohlwollend sein.
Hiergegen hat die Klägerin am 20.02.2014 Berufung zum LSG eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, schon allein aus den Ausführungen der Dipl.-Psych. N. ergebe sich, dass eine gesundheitliche Verschlechterung eingetreten sei. Es treffe auch nicht zu, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nicht vorliege. Denn sie habe einen schweren Unfall erlitten, der ein zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führendes Trauma darstelle. Es bestehe außerdem die Möglichkeit, dass im Bereich der Bandscheiben mehrere Bereiche betroffen seien, so dass in diesem Zusammenhang ein höherer Einzel-GdB festgestellt werden könne. Die Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren rechtfertige bereits einen GdB von 50. Eine Schmerzbehandlung habe keinerlei Erfolg gebracht. Das Schmerzsyndrom habe sich vielmehr massiv verschlimmert. Sie sei nicht in der Lage, sich zu Fuß außerhalb des Hauses zu bewegen. Die fehlende Besserung der Schmerzsymptomatik und eine deutliche Depression ergäben sich schon aus dem Entlassungsbericht der Klinik im Hofgarten Bad Waldsee vom 17.05.2011. Ferner sei Dr. P. von mindestens mittelschweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten ausgegangen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12. Februar 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 15. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit 50 seit 27. September 2011 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. U. vom 22.08.2014 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, es liege ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom bei nachgewiesenen degenerativen Veränderungen und mehr-etagigen operativen Interventionen cervikal und lumbal, mit aktuell Cervikocephalgien, vertebrobasilärem Schwindel, Lumbalgien beziehungsweise Ischialgien, vornehmlich linksseitig, vor. Hierfür sei der Einzel-GdB mit 30 gerechtfertigt. Klinisch und elektrophysiologisch nachweisbar liege ein persistierendes Carpaltunnelsyndrom, auch nach stattgehabter operativer Intervention, vor. Hierfür sei ein Einzel-GdB von 20 gerechtfertigt. Im Vordergrund der Beeinträchtigungen stehe eine seit vielen Jahren rezidivierende Depressivität und Angst. Eine histrionische Persönlichkeitsstörung oder posttraumatische Belastungsstörung liege hingegen nicht vor. Die bei der Klägerin bestehende Depressivität sei als mittelschwer einzuschätzen. Eine effektive psychiatrische und psychopharmakologische oder psychotherapeutische Behandlung finde nicht statt. Auch die angegebene abendliche Medikation mit Amitriptylin sei nicht regelmäßig eingenommen. Vor dem Hintergrund der rezidivierenden depressiven Störung, der Einengung, des Rückzugs und der mannigfaltigen Probleme auch im psychosozialen Umfeld sei durchaus eine stärker behindernde Einschränkung der Lebens- und Gestaltungsfähigkeit anzunehmen. Hierfür sei ein Einzel-GdB von aktuell 40 unbedingt gerechtfertigt. Dieser GdB-Wert gelte als Durchschnittswert für die vergangenen Jahre. In der Gesamtschau betrage der Gesamt-GdB mindestens 50. Dr. R. habe teilweise die anhaltenden lumbalen Wurzelreizerscheinungen nicht erkannt, das schmerzhafte Wirbelsäulensyndrom nicht ausreichend gewürdigt und das anhaltend bestehende Carpaltunnelsyndrom nicht festgestellt. Eventuell habe im Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. R. eine etwas stabilere Stimmungslage bestanden. Aktuell, wie auch in den Jahren davor, bestehe jedoch eine deutlich stärkere Depressivität.
Dr. Wolf hat in der vom Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.12.2014 ausgeführt, der GdB-Bewertung des Dr. U. sei nicht zu folgen. Ein Einzel-GdB von 30 für ein Wirbelsäulensyndrom entspräche mittelgradigen Funktionseinschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten oder einer schwergradigen Funktionseinschränkung in einem Wirbelsäulenabschnitt. Dem Gutachten des Dr. U. ließen sich keine entsprechenden Befunde entnehmen. In Bezug auf das Carpaltunnelsyndrom hat er darauf hingewiesen, dass Dr. U. über die Hypästhesie und Hyperalgesie im Medianus-Versorgungsgebiet beidseits hinaus keine weitergehenden Defizite festgestellt habe. Da das Carpaltunnelsyndrom also allenfalls zu sensiblen Störungen führe, könne ihm keine den Gesamt-GdB beeinflussende Funktionseinschränkung zukommen. Auch treffe die GdB-Bewertung des Dr. U. für das psychiatrische Fachgebiet nicht zu. Der Sachverständige hat ausdrücklich ausgeführt, dass eine effektive psychiatrische und psychopharmakologische, auch psychotherapeutische Behandlung nicht stattfinde. Auch die angegebene abendliche Medikation mit dem Antidepressivum werde nicht regelmäßig eingenommen. Bei fehlender ärztlicher Behandlung könne jedoch in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinaus gehe und bereits eine stärker behindernde Störung darstelle. Nach alledem sei der bisher zuerkannte Gesamt-GdB von 40 weitreichend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 12.02.2014, mit dem die auf die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 15.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2012 und auf Verurteilung des Beklagten, den GdB mit 50 seit 27.09.2011 festzustellen, gerichtete Klage abgewiesen worden ist. Die Klägerin erstrebt neben der Aufhebung dieses Gerichtsbescheides des SG die Aufhebung des Bescheides des Beklagten und dessen Verpflichtung, bei ihr den GdB mit 50 seit 27.09.2011 festzustellen. Dieses prozessuale Ziel verfolgt die Klägerin zulässigerweise gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist bei einer Änderung im Gesundheitszustand auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gelten für die Bemessung des GdB folgende Grundsätze (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris, mit weiteren Nachweisen):
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der Fassung des Gesetzes vom 23.04.2004 (BGBl. I 606) gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Durch diesen Verweis wird auf die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe für das versorgungsrechtliche Bewertungssystem abgestellt, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden im Sinne der Nr. 5 Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG sind. Von diesem leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ab. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der Fassung vom 13.12.2007 (BGBl. I 2904) wird zusätzlich auf die aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG (bis zum 30.06.2011) beziehungsweise des § 30 Abs. 16 BVG (ab dem 01.07.2011) erlassene Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) Bezug genommen, so dass ab 01.01.2009 die VersMedV vom 10.12.2008 (BGBl. I 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I 2904), 14.07.2010 (BGBl. I 928), 17.12.2010 (BGBl. I 2124), 28.10.2011 (BGBl. I 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I 2122) geändert worden ist, anstelle der AHP Grundlage für die Feststellung des GdB ist. Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) veröffentlicht worden, in denen unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind nach Teil A Nr. 2 VG auch für die Feststellung des GdB maßgebend.
Die AHP und die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die GdB-Bewertung auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln.
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den AHP und der VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - nach Teil A Nr. 19 Abs. 1 AHP und Teil A Nr. 3 Buchst. a VG in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind nach Teil A Nr. 19 Abs. 2 AHP und Teil A Nr. 3 Buchst. b VG bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der AHP und der VG feste Grade angegeben sind.
Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom Tatsachengericht die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs. 1, § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX; danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft maßgebend.
Im vorliegenden Fall ist bei der Prüfung einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X der Zeitraum ab der letztmaligen Feststellung des Gesamt-GdB mit Bescheid vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2011 zu beurteilen.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze ist bei der Klägerin keine wesentliche Änderung der Gesundheitsverhältnisse eingetreten, so dass sie keinen Anspruch auf Neufeststellung des Gesamt-GdB mit 50 seit 27.09.2011 hat.
Im Bereich des Funktionssystems "Rumpf" ist der Einzel-GdB höchstens mit 20 zu bewerten. Nach den Arztbriefen des Dr. E. vom 30.10.2009, 11.01.2010, 23.02.2010 und 19.12.2011 leidet die Klägerin seit einem Verkehrsunfall im Herbst 2009 an einer therapieresistenten Cervicobrachialgie und einer damit verbundenen Schmerzsymptomatik. In diesem Zusammenhang hat Dr. B. in seinem Arztbrief vom 18.02.2010 eine cervicale Spinalkanalstenose HWK5/6 diagnostiziert. Ferner ist bei der Klägerin nach dem Arztbrief des Dr. B. vom 08.04.2011 und dem Entlassungsbericht der Klinik im Hofgarten Bad Waldsee vom 17.05.2011 wegen einer Gefügestörung im Segemnt L5/S1 am 30.03.2011 eine operative Dekompression im Segment LWK4/5 vorgenommen worden, woraufhin sich nach Abschluss der anschließenden Rehabilitationsmaßnahme ein Teil der Symptomatik gebessert hat und im Wesentlichen auch hier ein Schmerzsyndrom verblieben ist. Ausweislich der Angaben des Wirbelsäulen-Zentrums V. im Arztbrief vom 12.08.2011 und in der sachverständigen Zeugenauskunft vom 13.06.2012 ist die dort diagnostizierte Spinalkanalstenose L4/5/S1 am 08.08.2011 operativ und ein medianer Bandscheibenvorfall HWK5/6 ab Oktober 2011 ambulant behandelt worden. Festgestellt worden ist aber nur im Bereich der Lendenwirbelsäule eine chronische Restsymptomatik. Aus keinem der aktenkundigen Arztbriefe oder sachverständigen Zeugenauskünfte ergeben sich aber GdB-relevante Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule. Die Klägerin hat sich auch nicht in eine dauerhafte fachorthopädische Behandlung begeben, sondern steht im Wesentlichen wegen des von ihr entwickelten Schmerzsyndroms in neurologischer Behandlung. Ein anderes Bild ergibt sich auch nicht aus dem Entlassungsbericht der Klinik Bad I. vom 23.09.2011, in dem ein Zustand nach osteoligamentärer Dekompression L4/5 und L5/S1 bei Spinalkanalstenose und ein Zustand nach Bandscheiben-Operation L4/5, eine chronische Schmerzstörung sowie eine chronische Cervikalgie mit spinaler Enge HWK3/4 bis 5/6 beschrieben worden sind. Im Rahmen der Aufnahme- und Abschlussuntersuchungen hat sich die Halswirbelsäule als frei beweglich dargestellt, während - wohl wegen der angegebenen Schmerzen - eine Beweglichkeitsprüfung der Lendenwirbelsäule unterblieben ist. Aus all dem zieht der Senat - ebenso wie Dr. R. in seinem Gutachten vom 20.09.2013 - den Schluss, dass es sich bei dem Wirbelsäulenleiden der Klägerin in Abgleich mit den VG, Teil B, Nr. 18.9 nur um mit einem GdB von 20 einzuschätzende mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt - nämlich im Bereich der Lendenwirbelsäule - und noch nicht um mit einem GdB von 30 einzuschätzende schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder gar mit einem GdB zwischen 30 und 40 einzuschätzende mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten handelt. Diese Einschätzung beruht weniger auf valide festgestellte Bewegungseinschränkungen, zumal auch die bei Dr. R. durchgeführte allgemein-körperliche Untersuchung bis auf einen Hartspann im Lendenwirbelsäulen-Bereich ein regelrechtes Ergebnis erbracht hat, sondern mehr auf dem von den behandelnden Ärzten dokumentierten und - derzeit ein- bis zweimal täglich mit Ibuprofen 800 behandelten - vornehmlich in der Lendenwirbelsäule lokalisierten Schmerzsyndrom. Demgegenüber lässt sich die von Dr. U. in seinem Gutachten vom 22.08.2014 vorgeschlagene Bewertung mit einem GdB von 30 nicht rechtfertigen.
Im Bereich des Funktionssystems "Gehirn einschließlich Psyche" ist der Einzel-GdB mit 20 zu bewerten. Zutreffend hat sich das SG hierbei auf das schlüssige und in sich widerspruchsfreie Gutachten des Dr. R. vom 20.09.2013 gestützt. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung gemäß § 153 Abs. 2 SGG unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides zur Vermeidung von Wiederholungen an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Die Einschätzung des Sachverständigen, die Anpassungsstörung mit gelegentlich depressiver Verstimmung mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, korrespondiert mit den von ihm erhobenen Befunden. Auch der Senat hat sich davon überzeugt, dass in Abgleich mit den VG, Teil B, Nr. 3.7 die psychische Erkrankung der Klägerin lediglich eine mit einem GdB zwischen 0 und 20 zu bewertende leichtere psychovegetative oder psychische Störung und noch keine mit einem GdB zwischen 30 und 40 zu bewertende stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bedingt. Denn der Sachverständige hat zutreffend das Vorliegen einer depressiven Erkrankung verneint, indem er darauf hingewiesen hat, dass eine antidepressive Medikation derzeit nicht verabreicht wird. Er hat ferner zu Recht dargelegt, dass die Klägerin lediglich situativ - so im Jahr 2004 im Zusammenhang mit der Trennung von ihrem Ehegatten und gegenwärtig ausschließlich auf den Arbeitsplatzkonflikt bezogen - psychoreaktive Symptome entwickelt, aber eben noch keine depressive Grunderkrankung angenommen werden kann, zumal die Klägerin glücklich rund sieben Jahre einen festen Lebenspartner gehabt hat und entsprechend ihren Möglichkeiten an den Aktivitäten des täglichen Lebens teilnimmt. So übt sie nicht nur ihre berufliche Tätigkeit als Montagearbeiterin vollschichtig in Wechselschicht aus, sondern läuft mit ihrem Hund kürzere Strecken und hat einen Türkei-Urlaub unternommen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholten Gutachten des Dr. U. vom 22.08.2014. Aus den oben dargelegten Gründen folgt der Senat nicht dessen Einschätzung, es liege bei der Klägerin eine als mittelschwer einzuschätzende rezidivierende Depressivität und Angst vor, zumal auch er dargelegt hat, dass eine effektive psychiatrische und psychopharmakologische oder psychotherapeutische Behandlung derzeit nicht stattfindet. Soweit er seine Beurteilung damit rechtfertigt, dass Dr. R. teilweise die anhaltenden lumbalen Wurzelreizerscheinungen nicht erkannt habe, verkennt er, dass diese bereits bei der GdB-Bewertung des Funktionssystems "Rumpf" Berücksichtigung gefunden haben.
Eine GdB-relevante funktionelle Einschränkung resultiert entgegen der Einschätzung des Dr. U. aus dem Carpaltunnelsyndrom der Klägerin nicht. Insoweit hat Dr. Wolf in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.12.2014 zu Recht ausgeführt, dass Dr. U. über die Hypästhesie und Hyperalgesie im Medianus-Versorgungsgebiet beidseits hinaus keine weitergehenden Defizite festgestellt hat und daher das Carpaltunnelsyndrom allenfalls zu sensiblen Störungen führt, denen keine den Gesamt-GdB beeinflussende Funktionseinschränkung zukommen.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB höchstens 20 für das Funktionssystem "Rumpf" und Einzel-GdB 20 für das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche") hat der Beklagte und ihm folgend das SG den Gesamt-GdB rechtsfehlerfrei seit 28.05.2010 nicht - wie aber von der Klägerin beansprucht - mit 50 festgestellt. Denn bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den VG, Teil A, Nr. 2 und 3 von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und ist dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Bei der Bemessung des Gesamt-GdB ist auch ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen. Denn nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. Gemessen an diesen Voraussetzungen sind die bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen insgesamt nicht mit Gesundheitsschäden zu vergleichen, deren Funktionsbeeinträchtigungen einen Gesamt-GdB von 50 begründen.
Mithin ist seit Erlass des Bescheides vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2011 eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin nicht eingetreten, so dass der Gesamt-GdB nicht auf 50 heraufzusetzen war. Der Gerichtsbescheid des SG, mit dem die auf die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung des GdB mit 50 gerichtete Klage abgewiesen worden ist, hat sich daher als rechtmäßig erwiesen.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlie-gen.
Rechtskraft
Aus
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