L 3 SB 1729/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 1860/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1729/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 31. März 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Die am 22.06.1961 geborene Klägerin beantragte am 06.09.2012 die Feststellung des GdB. Sie machte als Gesundheitsstörungen eine koronare Herzkrankheit, eine ischämische Kardiomyopathie mit Herzinsuffizienz, eine arterielle Hypertonie, eine Adipositas, ein metabolisches Syndrom, einen mit Metformin 1000 und Diät sowie zweimal wöchentlich kontrollierten Diabetes mellitus Typ II, eine Psiorasis vulgaris und ein degeneratives Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit Lumboischialgien geltend. Der Beklagte zog die Entlassungsberichte der Dr. A., Stationsärztin an der Kardiologie der Klinik B., vom 18.04.2012 und des Dr. C., Chefarzt an der Rheintal-Klinik Bad D., vom 02.08.2012 bei. Aus den beiden Berichten geht hervor, dass bei der Klägerin im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung eine koronare Ein-Gefäß-Erkrankung mit ischämischer Kardiomyopathie sowie mittelgradig eingeschränkter Ventrikel-Funktion festgestellt und eine erfolgreiche perkutane transluminale Koronarangioplastie (PTCA) sowie ein DE-Stenting der Ader zur Vorderwand des Herzens (LAD) durchgeführt und ferner eine Adipositas permagna mit metabolischem Syndrom, ein Diabetes mellitus Typ II sowie eine arterielle Hypertonie diagnostiziert wurden. Dr. E. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.10.2012 eine koronare Herzkrankheit, eine Herzmuskelerkrankung, eine Stent-Implantation, einen Bluthochdruck und eine Herzleistungsminderung mit einem Einzel-GdB von 30, eine Schuppenflechte mit einem Einzel-GdB von 10 sowie eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 30. Mit Bescheid vom 12.11.2012 stellte der Beklagte den GdB mit 30 seit 06.09.2012 fest.

Hiergegen legte die Klägerin am 07.12.2012 Widerspruch ein. Sie legte die Arztbriefe des Orthopäden Dr. F. vom 27.11.2012 mit den Diagnosen Adipositas permagna, Lumboischialgie sowie Bandscheibenschäden an der Lendenwirbelsäule mit Radikulopathie und des Radiologischen Zentrums B. vom 30.11.2012 mit den Diagnosen Prolaps im Segment L5/S1 mit konsekutiver Kompression der L5-Wurzel links, erosive Osteochondrose sowie flache Bandscheibenprotrusion im Segment L4/L5 vor. Dr. G. berücksichtigte in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.03.2013 die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen nun mit einem Einzel-GdB von 20 und unter Aufrechterhaltung der sonstigen bislang angenommenen Einzel-GdB-Werte den Gesamt-GdB mit 40. Mit Teil-Abhilfebescheid vom 02.04.2013 stellte der Beklagte den GdB mit 40 seit 06.09.2012 fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2013 wies der Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 10.06.2013 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben.

Das SG hat zunächst die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Die Psychiaterin Dr. H. hat unter dem 05.08.2013 ihren Arztbrief vom 17.07.2013, in dem eine Angst und depressive Störung gemischt diagnostiziert worden ist, vorgelegt und ausgeführt, die geklagten Beschwerden erschienen mittelgradig ausgeprägt zu sein. Die Allgemeinmedizinerin Dr. I. hat in ihrer Arztauskunft vom 12.08.2013 ausgeführt, aufgrund ihrer Erkrankungen sei die Belastbarkeit der Klägerin erheblich reduziert. Schon bei leichten Belastungen, zum Beispiel Laufen auf der Ebene, komme es zu Dyspnoe und Schwitzen, bei größeren Anstrengungen, zum Beispiel Treppensteigen und Hausarbeit, leide sie unter thorakalen Druckschmerzen, vergleichbar mit einer Belastungs-Angina-Pectoris. Erschwerend kämen Lumbalgien, einhergehend mit Parästhesien der Oberschenkel beidseits und Gonalgien beidseits, hinzu. Zusätzlich leide die Klägerin unter Depressionen mit Grübelneigung, Zukunftsangst und Schlafstörungen, die ihre Lebensqualität erheblich einschränkten und die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit reduzierten. Sie hat unter anderem die Arztbriefe des Internisten K. vom 28.06.2013 und der Internistin Dr. L. vom 04.07.2013 vorgelegt. Der Internist K. hat eine stabile koronare Herzkrankheit ohne Zeichen einer Belastungskoronarinsuffizienz bis 75 Watt beschrieben. Dr. L. hat über den mit Metformin behandelten Diabetes mellitus Typ II ohne Hinweise für eine diabetische Polyneuropathie berichtet.

Sodann hat das SG von Amts wegen das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. M. vom 26.09.2013 eingeholt. Der Sachverständige hat auf seinem Fachgebiet eine Anpassungsstörung mit längerer depressiv-ängstlicher Reaktion, mit einem Einzel-GdB von 10 sowie das degenerative Lendenwirbelsäulen-Syndrom ohne neurologische Ausfälle mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet und unter Berücksichtigung eines Einzel-GdB von 30 für die Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet den Gesamt-GdB mit 40 eingeschätzt.

Daraufhin hat Dr. I. in ihrer weiteren sachverständigen Zeugenauskunft vom 20.12.2013 die Psoriasis, deren Effloreszenzen großflächig ausgeprägt, auf die typischen Prädilektionsstellen beschränkt und ohne erscheinungsfreie Intervalle seien, als mäßig schwer beschrieben.

Mit Gerichtsbescheid vom 31.03.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Für die Herzerkrankung sei ein Einzel-GdB von 30 anzunehmen. Bei der Klägerin liege eine koronare Ein-Gefäß-Erkrankung mit einer Stent-Implantation vor. Da die fahrradergometrische Stufenbelastung bei dem Internisten K. bis 75 Watt erfolgt und der vorzeitige Abbruch auf eine periphere Erschöpfung zurückzuführen sei sowie eine Angina pectoris, eine Arrhythmie oder signifikante belastungsinduzierte Endstrecken-Veränderungen hierbei nicht aufgetreten seien, habe der Internist K. die koronare Herzkrankheit als stabil ohne Zeichen einer Belastungskoronar-Insuffizienz bis 75 Watt beschrieben. Hierfür sei ein Einzel-GdB von 30 angemessen. Für den Funktionsbereich der Psyche sei ein Einzel-GdB von 10 anzunehmen. Nach den Feststellungen des Dr. M. habe die Klägerin einen geregelten Tagesablauf, sei sie sozial aktiv und habe viele Freunde und Bekannte. Ferner habe der Sachverständige die Klägerin im psychopathologischen Befund als zu den Qualitäten Ort, Zeit, Person und Situation voll orientiert beschrieben. Das Lang- und Kurzzeit-Gedächtnis seien intakt, Zeitgitterstörungen hätten sich nicht gefunden. Die Konzentration und Aufmerksamkeit habe sich während der Untersuchung als unauffällig dargestellt. Auch sei das formale Denken geordnet gewesen. Eine verstärkte Grübelneigung habe der Sachverständige nicht feststellen können. Zwar habe die Klägerin ihm gegenüber angegeben, innerliche Unruhezustände in geschlossenen Räumen beziehungsweise bei Menschenansammlungen zu haben. Ein Vermeidungsverhalten oder ein Zwangsdenken habe er allerdings nicht erkennen können. Die Schwingungsfähigkeit der Klägerin sei erhalten geblieben. Hinweise über eine eigenständige Zwangs- oder Angsterkrankung, eine schwergradige depressive Störung oder eine Erkrankung aus dem psychotischen Formenkreis habe der Sachverständige nicht erkannt. Für die Erkrankungen der Wirbelsäule sei ein Einzel-GdB von 20 zugrunde zu legen. Es sei weder vorgetragen worden, noch bestünden Anhaltspunkte dafür, dass die hieraus bedingenden Funktionsbeeinträchtigungen schwergradiger und bislang zu niedrig bewertet worden seien. Die Psoriasis-Erkrankung sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Die Hauterkrankung beschränke sich auf die typischen Prädilektionsstellen, so dass eine Höherbewertung nicht in Betracht komme. Ein ausgedehnter Befall sei nicht nachgewiesen. Insbesondere seien die Hände nicht betroffen. Der Bluthochdruck sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Weitere Erkrankungen, die mindestens einen Einzel-GdB von 10 bedingten und zur Erhöhung des Gesamt-GdB beitrügen, seien nicht ersichtlich. Insbesondere führe die Diabetes-Erkrankung zu keinem eigenständigen Einzel-GdB, da Hinweise darauf, dass die Klägerin erheblich oder überhaupt in ihrer Lebensführung beeinträchtigt sei, nicht erkennbar seien.

Gegen den Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 07.04.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie vertritt der Ansicht, die psychische Erkrankung und die Adipositas seien jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Eine Feststellung des Gesamt-GdB mit 50 sei gerechtfertigt. Die Klägerin hat das in einem Rentenverfahren für das SG erstellte Gutachten des Internisten, Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. N. vom 24.02.2014 vorgelegt. Darin sind als Diagnosen depressive Verstimmungen bei körperlichen Erkrankungen und belastender sozialer Situation im Sinne von Anpassungsstörungen, eine koronare Ein-Gefäß-Erkrankung mit erfolgter Stent-Anlage, ein metabolisches Syndrom mit einer Adipositas, einer arteriellen Hypertonie, einem Diabetes mellitus und einer Fettstoffwechselstörung, degenerative Wirbelsäulen-Veränderungen ohne radikuläre Reiz- oder Ausfall-Symptomatik sowie ein Ekzem am linken distalen Unterarm aufgeführt und ist der Verdacht auf das Vorliegen eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms geäußert worden. Der Gutachter hat ferner ausgeführt, eine relevante psychische Erkrankung liege bei der Klägerin nicht vor. Sie habe ein primär beziehungsweise nahezu ausschließlich somatisches Krankheitsgefühl.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 31. März 2014 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 12. November 2012 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 2. April 2013 und des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wolf vom 28.04.2014 vorgelegt, in der die koronare Herzkrankheit mit Herzmuskelerkrankung, Stent-Implantation, Bluthochdruck und Herzleistungsminderung mit einem Einzel-GdB von 30, die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 20, die Schuppenflechte mit einem Einzel-GdB von 10 sowie die seelische Störung mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt und der Gesamt-GdB wie bisher mit 40 eingeschätzt worden sind. Aus dem Gutachten des Dr. N. ergäben sich keinerlei Gesichtspunkte dafür, die seelische Störung höher zu bewerten. Es bestehe insgesamt eine ausgeglichene Grundstimmung bei allenfalls leichterer Herabstimmung. Es bestünden gute soziale Kontakte. Eine regelmäßige neurologische, nervenfachärztliche, psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung finde nicht statt. Eine durchgehende wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sei der Schilderung des Alltags nicht zu entnehmen. Eine relevante psychische Erkrankung liege bei der Klägerin nicht vor. Das Medikament Velmetia, mit dem der Diabetes mellitus behandelt werde, führe nicht zu Hypoglykämien, so dass damit der Diabetes mellitus keinen Einzel-GdB bedinge.

Die Klägerin hat unter anderem den Arztbrief des Internisten K. vom 09.05.2014 (fahrradergometrische Belastung mit 50 Watt über 2 Minuten; unverändert Dyspnoe bei leichter bis mittelschwerer Belastung) sowie die Atteste der Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. O.-P. vom 15.05.2014 (die Klägerin sei hochsensibel, verarbeite den Tod des Bruders depressiv, leide nach wie vor an starken Versagensängsten und könne sich auf ihre körperlichen Kräfte nicht mehr verlassen, es bestünden erhebliche Konzentrationsstörungen und starke depressive Stimmungsschwankungen mit Niedergeschlagenheit) und der Dr. I. vom 20.05.2014 (mit ihrer Arztauskunft vom 12.08.2013 weitgehend inhaltsgleich) vorgelegt.

Mit Beschluss vom 22.10.2014 hat der Senat den Antrag der Klägerin auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt.

Daraufhin hat die Klägerin die Atteste der Dr. I. vom 03.11.2014 (die Klägerin sei chronisch krank und leide unter Belastungsdyspnoe, Schwindel und Schwäche) und der Dr. O.-P. vom 11.11.2014 (es sei absolut unwahrscheinlich, dass die Klägerin eine tägliche körperliche Arbeit von 6 Stunden durchhalten könne) vorgelegt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 31.03.2014, mit dem die auf die Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 12.11.2012 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 02.04.2013 und des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2013 und auf Verurteilung des Beklagten, den GdB mit 50 festzustellen, gerichtete Klage abgewiesen worden ist. Die Klägerin erstrebt neben der Aufhebung dieses Gerichtsbescheides des SG die Abänderung dieses Bescheides des Beklagten und dessen Verpflichtung, bei ihr den GdB mit 50 festzustellen. Dieses prozessuale Ziel verfolgt die Klägerin zulässigerweise gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Feststellung des GdB ist § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gelten für die Bemessung des GdB folgende Grundsätze (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris, mit weiteren Nachweisen):

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der Fassung des Gesetzes vom 23.04.2004 (BGBl. I 606) gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Durch diesen Verweis wird auf die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe für das versorgungsrechtliche Bewertungssystem abgestellt, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden im Sinne der Nr. 5 Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG sind. Von diesem leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ab. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der Fassung vom 13.12.2007 (BGBl. I 2904) wird zusätzlich auf die aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG (bis zum 30.06.2011) beziehungsweise des § 30 Abs. 16 BVG (ab dem 01.07.2011) erlassene Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) Bezug genommen, so dass ab 01.01.2009 die VersMedV vom 10.12.2008 (BGBl. I 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I 2904), 14.07.2010 (BGBl. I 928), 17.12.2010 (BGBl. I 2124), 28.10.2011 (BGBl. I 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I 2122) geändert worden ist, anstelle der AHP Grundlage für die Feststellung des GdB ist. Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) veröffentlicht worden, in denen unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind nach Teil A Nr. 2 VG auch für die Feststellung des GdB maßgebend.

Die AHP und die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die GdB-Bewertung auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln.

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den AHP und der VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - nach Teil A Nr. 19 Abs. 1 AHP und Teil A Nr. 3 Buchst. a VG in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind nach Teil A Nr. 19 Abs. 2 AHP und Teil A Nr. 3 Buchst. b VG bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der AHP und der VG feste Grade angegeben sind.

Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom Tatsachengericht die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs. 1, § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX; danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft maßgebend.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist bei der Klägerin der Gesamt-GdB nicht höher als mit 40 festzustellen.

Das SG hat zu Recht die Ein-Gefäß-Erkrankung mit Stent-Implantation mit einem Einzel-GdB von 30 im Funktionssystem "Herz-Kreislauf" bewertet, indem es zutreffend auf den Bericht des Internisten K. vom 28.06.2013 abgestellt hat, wonach es sich um eine stabile koronare Herzkrankheit ohne Zeichen einer Belastungsinsuffizienz bis 75 Watt handelt und nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.1 bei einer Einschränkung der Herzleistung mit einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung beziehungsweise bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei einer Ergometerbelastung mit 75 Watt für wenigstens 2 Minuten ein GdB zwischen 20 und 40 zu vergeben ist. Anhaltspunkte für ein Ausschöpfen dieses GdB-Rahmens bis an die Obergrenze hat auch der Senat nicht, zumal nach dem oben genannten Bericht der vorzeitige Abbruch der Ergometerbelastung durch die Klägerin auf eine periphere Erschöpfung zurückgegangen ist und eine Angina pectoris, eine Arrhythmie oder signifikante belastungsinduzierte Endstreckenveränderungen nicht aufgetreten sind. Hinzu kommt, dass auch in dem Bericht des Internisten K. vom 14.04.2014 bei der fahrradergometrischen Belastung mit 50 Watt über 2 Minuten keine Stenokardie, Arrhythmie oder signifikanten Endstreckenveränderungen aufgetreten sind. Eine Heraufsetzung dieses Einzel-GdB von 30 hat nach Ansicht des Senats auch nicht unter Berücksichtigung des vom SG nach den VG, Teil B, Nr. 9.3 zutreffend nur mit einem GdB von 10 zu bewerteten Bluthochdrucks zu erfolgen.

Der Senat folgt auch der vom SG vorgenommenen Einschätzung des Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem "Rumpf". Aus den aktenkundigen Befundberichten ergeben sich derzeit keine Bewegungseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule, die im Sinne der VG, Teil B, Nr. 18.9 einen höheren GdB rechtfertigende schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten bedingen.

Das SG ist ferner zutreffend im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" von einem Einzel-GdB von 10 ausgegangen, indem es sich auf die Einschätzung des Dr. M. in seinem von Amts wegen eingeholten Gutachten vom 26.09.2013 gestützt hat, in welchem dieser eine Anpassungsstörung mit einer depressiven Reaktion diagnostiziert und für den Senat angesichts der beschriebenen Befunde und den Angaben zur Tagesstrukturierung und zum sozialem Aktionsradius überzeugend dargelegt hat, dass diese nur leichte Auswirkungen ohne wesentliche Beeinträchtigungen der psychischen Erlebnisfähigkeit beziehungsweise Gestaltungsfähigkeit des Alltags bedingen, so dass es sich um nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 nur mit einem GdB zwischen 0 und 20 zu bewertende leichtere psychovegetative oder psychische Störungen handelt. Auch hier hat der Senat keine Anhaltspunkte für ein Ausschöpfen dieses GdB-Rahmens bis an die Obergrenze, zumal auch das im Berufungsverfahren von der Klägerin vorgelegte für das SG in einem Rentenverfahren erstellte Gutachten des Dr. N. vom 24.02.2014 keine relevante psychische Störung ergeben hat. Dieser Sachverständige hat in weitgehender Übereinstimmung mit Dr. M. dargelegt, dass die Klägerin über einen strukturierten Tagesablauf verfügt. Sie steht morgens auf, frühstückt mit ihrem Ehegatten und kümmert sich sodann um den Haushalt, ehe sie nach dem gemeinsamen Abendessen fernsieht oder Gesellschaftsspiele durchführt. Sie verfügt auch über gute soziale Kontakte, besucht insbesondere ihre Schwester sowie den Stammtisch des Schützenvereins und trifft sich vierzehntägig mit Freunden zum Kartenspielen. Demgegenüber berechtigen die Atteste der Dr. O.-P. vom 15.05.2014 und 11.11.2014 sowie der Dr. I. vom 20.05.2014 und 03.11.2014 zu keiner anderen Einschätzung. Aus den Angaben der Dr. O.-P., die Klägerin sei hochsensibel, verarbeite den Tod des Bruders depressiv, leide nach wie vor an starken Versagensängsten, könne sich auf ihre körperlichen Kräfte nicht mehr verlassen, habe erhebliche Konzentrationsstörungen und leide an starken depressiven Stimmungsschwankungen mit Niedergeschlagenheit, ergibt sich keine mit einem GdB von mindestens 20 zu bewertende dauerhafte depressive Erkrankungssymptomatik. Nichts Neues ergibt sich aus den insoweit ohnehin fachfremden Angaben der Dr. I ...

Auch hat der Senat derzeit keine Zweifel an dem vom SG dargelegten weiteren Einzel-GdB von 10 für die Psoriasis und damit im Funktionssystem "Haut". Der Diabetes mellitus Typ II hat keine GdB-relevanten Auswirkungen, da die eingesetzten Medikamente nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. Wolf vom 28.04.2014 zu keinen Hypoglykämien führen.

Entgegen der im Berufungsverfahren geäußerten Ansicht der Klägerin ist deren zu Bewegungseinschränkungen und Schweißausbrüchen führende Adipositas - nach dem oben genannten Gutachten des Dr. N. mit einem Body-Mass-Index von 48 kg/m² beschrieben - nicht mit einem eigenständigen Einzel-GdB von 20 zu berücksichtigen. Dies ergibt sich aus den VG, Teil B, Nr. 15.3, wonach die Adipositas allein keinen GdB bedingt. Vielmehr sind die hiervon ausgehenden funktionellen Auswirkungen in den jeweiligen Funktionssystemen zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für eine von der Adipositas ausgehenden besonderen und damit GdB-relevanten Auswirkung auf die Herzleistungsfähigkeit oder die Wirbelsäulenbeweglichkeit sind aber nicht aktenkundig.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB 30 für das Funktionssystem "Herz-Kreislauf", Einzel-GdB 20 für das Funktionssystem "Rumpf", Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" und Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem "Haut") hat der Beklagte und ihm folgend das SG den Gesamt-GdB rechtsfehlerfrei mit 40 festgestellt. Denn bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den VG, Teil A, Nr. 2 und 3 von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und ist dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen von Ausnahmefällen abgesehen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Bei der Bemessung des Gesamt-GdB ist auch ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen. Denn nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. Gemessen an diesen Voraussetzungen sind die bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen insgesamt mit Gesundheitsschäden zu vergleichen, deren Funktionsbeeinträchtigungen einen Gesamt-GdB von 40 begründen.

Mithin ist der Gesamt-GdB zu Recht mit 40 festgestellt worden. Der Gerichtsbescheid des SG, mit dem die auf die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung des GdB mit 50 gerichtete Klage abgewiesen worden ist, hat sich daher als rechtmäßig erwiesen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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