L 2 R 3215/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 4220/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 3215/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1962 geborene Klägerin, türkische Staatsangehörige, zog im Jahr 1976 in die Bundesrepublik Deutschland zu. Sie hat in der Türkei 5 Jahre die Schule besucht, keinen Beruf erlernt und arbeitete von September 1977 bis Mai 1981 als Zimmermädchen und anschließend bis Dezember 2005 als Service-Angestellte in einer Rheumaklinik in B ... Seit der betriebsbedingten Kündigung ist sie arbeitslos. Der Grad der Behinderung (GdB) ist seit 2002 mit 70 festgestellt (Bl. 477 VA).

Der erste im November 2007 gestellte Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung blieb nach nervenärztlicher Begutachtung durch Dr. U. (Gutachten vom 1.2.2008, Diagnose: Mäßiggradig ausgeprägte depressive Episode, Somatisierungsstörung, Zustand nach Gastrektomie 1985 bei Präcancerose, Bl. 61 VA) erfolglos (Bescheid vom 20.2.2008, Widerspruchsbescheid vom 24.3.2009 Bl. 119, 211 VA). Die anschließende Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG - S 6 R 1758/09) nahm die Klägerin nach Befragung der behandelnden Ärzte zurück.

Am 4.2.2011 beantragte die Klägerin unter Vorlage des Entlassungsberichts der Klinik G., Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie vom 22.4.2010 erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und verwies auf Ganzkörperbeschwerden, Migräne und Gelenkschmerzen sowie Magenschmerzen.

Der Nervenarzt Dr. St. diagnostizierte in seinem im Auftrag der Beklagten erstellten Gutachten vom 2.3.2011 bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung mittelgradige Episode (F33.1) und somatoforme Schmerzstörung (F45.4). Die Klägerin habe die Arbeitssituation durchgehend als überfordernd und belastend und die nach langjähriger Tätigkeit erfolgte betriebsbedingte Kündigung als persönliche Kränkung empfunden. Zunehmend sei es zu einer Verlagerung der depressiven Symptomatik aus der Erlebens- in die somatische Sphäre gekommen, ohne dass weder eine psychotherapeutische Behandlung über ein Jahr noch die adäquate Medikation mit Antidepressiva Veränderungen bewirkt habe. Es bestehe eine fixierte, chronifiziert erscheinende enge Verzahnung zwischen psychiatrischem und psychosomatischem Befund. Unter gewissen qualitativen Einschränkungen könne die Klägerin 6 Stunden und mehr täglich arbeiten (Bl. 525 VA). Mit Bescheid vom 13.5.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.9.2011 zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 10.10.2011 Klage zum SG erhoben und sich zur Weiterverfolgung ihres Rentenbegehrens im Wesentlichen auf die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung im Reha-Entlassungsbericht der Luisenklinik Bad D. vom 5.1.2012 gestützt, nach dem das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter 3 Stunden herabgesunken sei (Bl. 16 SG Akte). Diese Leistungsbeurteilung hielt Dr. H. vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten nicht für nachvollziehbar (Stellungnahme vom 23.1.2012, Bl. 12 SG Akte).

Die vom SG als sachverständige Zeugen schriftlich befragten behandelnden Ärzte, Allgemeinmedizinerin Dr. Sch., Nervenarzt Dr. S. und Orthopäde Dr. H. beurteilten die Leistungsfähigkeit mit unter 3 Stunden bzw. 3 Stunden arbeitstäglich.

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung des fachpsychiatrischen Gutachtens von Dr. S., Chefarzt Psychiatrisches Zentrum N., vom 14.10.2012 (Bl. 68 SG Akte). Er diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige depressive Störung (F33.0) und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4). Quantitative Leistungsdefizite resultierten aus den psychischen Gesundheitsstörungen nicht. Auf Befundebene sei keine Störung des Antriebs festzustellen gewesen, ebenso wenig haben sich Hinweise auf verstärkt ausgeprägte kognitive oder motorische Ermüdungszeichen gezeigt. Die diesbezüglichen Beschwerden der Klägerin seien in Diskrepanz zum objektivierbaren Befund gestanden, so dass die erhöhte Ermüdbarkeit ganz dem Subjektiven zuzuordnen sei. Die Klägerin könne qualitativ zumutbare berufliche Tätigkeiten vollschichtig, d.h. bis zu 8 Stunden pro Werktag absolvieren, was definitiv nicht ihrer nicht realistischen Selbstbeurteilung entspräche.

Auf das Kostenrisiko der Klägerin hat das SG gemäß § 109 SGG das weitere nervenärztliche Gutachten vom 17.4.2013 bei Dr. N. eingeholt (Bl. 125 SG Akte). Dieser stellte fest eine rezidivierende depressive Störung in den letzten drei bis vier Jahren ohne volle Remissionen zwischen den Episoden, zurzeit mittelschwere mit somatischem Syndrom (F33.10), chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41), Cervikobrachialsyndrom (M53.1), rezidivierende Lumbalgien (M54.5), Zustand nach Gastrektomie und Splenektomie wegen Karzinom 1985 (C16.9), funktionelle Darmstörungen (K59), Hypertonus (I10), Tinnitus aurium (H93.1). Aufgrund der herabgesetzten körperlichen und psychischen Belastbarkeit seien Arbeiten nur unter 3 Stunden täglich zumutbar. Spätestens nach dem Aufenthalt in der Klinik G. im April 2010 sei die Klägerin durch die affektive Störung auch in Kombination mit der inzwischen immer stärker ausgeprägten Schmerzsymptomatik voll erwerbsgemindert.

Die Beklagte ist dem Gutachten mit der sozialmedizinischen Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 3.5.2013 (Bl. 175 SG Akte) entgegengetreten. Die Klägerin hat noch Befundberichte des Facharztes für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. M. vom 8.7.2013, des Neurologen und Psychiater Dr. Schad vom 15.6.2013 und des Orthopäden Dr. H.vom 24.5.2013 vorgelegt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.7.2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert sei, da ihr arbeitstägliches Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gestützt auf die Gutachten des Psychiaters Dr. Sch. und des Nervenarztes Dr. St. mindestens 6 Stunden betrage. Die festgestellten Erkrankungen schränkten ihre berufliche Leistungsfähigkeit zwar in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht ein. Ihr seien noch körperlich leichte Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis max. 10 Kilo und ohne Zwangshaltungen 6 Stunden arbeitstäglich möglich. Ausgeschlossen seien Arbeiten mit erhöhter Stressbelastung wie Zeitdruck und Nachtarbeit sowie mit unmittelbarem Kundenkontakt oder erhöhter Verantwortung für Personen oder Sachwerte und besonderer Lärmbelastung. Der reduzierten Leistungseinschätzung des Nervenarztes Dr. N. könne nicht gefolgt werden, da er nicht nachvollziehbar dargelegt habe, worauf er die quantitative Leistungseinschränkung stütze, noch habe er wesentlich andere Befunde erhoben als Dr. Sch ... Der von Dr. N. beschriebene psychische Befund enthalte keine Anzeichen für eine derart schwere Ausprägung des psychiatrischen Krankheitsbildes, das ein quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen nahe legen könne. Demgegenüber habe Dr. Sch. unter Berücksichtigung des von der Klägerin geschilderten Tagesablaufes, der neben Hausarbeiten, der Zubereitung von Mahlzeiten, der Erledigung von Einkäufen auch Freizeitaktivitäten wie Stricken, Lesen, die Benutzung sozialer Netzwerke im Internet und die Pflege sozialer Kontakte enthält, schlüssig und gut nachvollziehbar eine erhaltene Antriebsfähigkeit beobachtet. Aus der angegebenen Einschränkung der Gedächtnisleistung resultiere ebenfalls keine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens. Die im Beschwerdevalidierungstest WMT erzielten schlechten Ergebnisse auf Demenzniveau seien als Ausdruck einer instruktionswidrigen Anstrengungsminderleistung zu werten. Ebenso könne dem Reha Entlassungsbericht der L. Bad D. nicht gefolgt werden. Angesichts des psychischen Aufnahmebefundes, der auch im Wesentlichen dem Reha-Ergebnis entspreche, fehle es an einer schlüssigen Begründung des unter drei stündigen Leistungsvermögens. Ein schwerwiegendes Krankheitsbild, das eine quantitative Leistungseinschränkung rechtfertigen könne enthalte dieser Befund, der im Wesentlichen den Beobachtungen von Dr. Sch. entspreche, nicht. Im Hinblick auf die überzeugenden Ausführungen von Dr. Sch., der rentenrechtlich relevante Auswirkungen auf das zeitliche Leistungsvermögen verneint habe, schließe sich die Kammer auch nicht der Einschätzung der Sachverständigen Zeugenaussage von Dr. Sch. und Dr. Sc. an. Auch die auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden Erkrankungen führten nicht zu einer quantitativen Leistungseinschränkung. Der Orthopäde Dr. H.habe das reduzierte Leistungsvermögen mit der Schmerzerkrankung und der depressiven Störung begründet, nicht aber mit den orthopädischen Erkrankungen. In psychiatrischer Hinsicht verfüge die Klägerin allerdings unter Zugrundelegung des Gutachtens von Dr. Sch. über ein mindestens 6 stündiges Leistungsvermögen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Befundberichten. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme bereits aus Altersgründen gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI nicht in Betracht.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 31.7.2013 zugestellte Urteil hat dieser am 6.8.2013 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt und vorgetragen, dass die in der Unterzahl liegenden negativen Gutachten auf einem lediglich einmaligen Kontakt zwischen dem Gutachter und der Klägerin beruhten, wohingegen alle positiven Bewertungen/Begutachtungen für die Klägerin (selbst das Gutachten nach § 109 SGG) auf einem mehrfachen Kontakt, teilweise auf einem jahrelangen/wochenlangen intensiven, auch stationärem Kontakt mit der Klägerin beruhten. Dies sei deshalb von besonderer Bedeutung, weil es sich vorliegend um eine rezidivierende depressive Erkrankung handele, die wellenförmig mit besseren und schlechteren Phasen und Abschnitten verlaufe. Besonders wichtig sei eine Querschnittsbetrachtung über einen längeren Verlauf. Hier komme dem Rehabilitations-Entlassungsbericht der Luisenklinik vom 5.1.2012 besondere Bedeutung zu, da diese Einschätzung auf einem einen Monate währenden stationären Aufenthalt der Klägerin beruhe. Die kritische Betrachtung des negativen Gutachtens des Dr. Sch. werde im SG Verfahren vermisst. So seien etwa die gegen eine Verdeutlichungstendenz sprechenden Ergebnisse der Tests unerwähnt und unbeachtet geblieben, der erhobene reduzierte Befund zum Tagesprofil, ebenso die Angabe von suizidalen Gedanken, die telefonisch mitgeteilte somatische Reaktion auf die Begutachtung bei Dr. Sch. sei nicht zu Gunsten der Klägerin gewürdigt worden. Möglicherweise habe Dr. Sch. tatsächlich eine der Remission zuzuordnende Phase bei der Begutachtung angetroffen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Juli 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. September 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise ein Gutachten nach § 103 SGG auf neurologischem Fachgebiet einzuholen zum Beweis der Tatsache, dass bei der Klägerin ein epileptisches Anfallsleiden vorliegt, das zur Leistungsaufhebung führt, hilfsweise, die mündliche Verhandlung zu vertagen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat das neurologisch-psychiatrische Fachgutachten vom 22.3.2014 bei Dr. W., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie eingeholt, der ebenfalls eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig leichter depressiver Episode und zudem eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert hat. Bei der Klägerin habe durchgehend eine erhebliche Diskrepanz zwischen angegebener Schmerzstärke und fehlender Beeinträchtigung während der gesamten Untersuchungssituation vorgelegen. In dieselbe Richtung weise auch die Diskrepanz zwischen dem im Hinblick auf kognitive Störungen völlig unauffälligen psychopathologischen Befund und Verhalten während der Untersuchung und der angegebenen erheblichen Einschränkungen von Konzentration und Gedächtnisleistung durch die Klägerin selbst. Auch das Ergebnis des strukturierten Fragebogens simulierter Symptome dürfe nicht vergessen werden, in dem die Klägerin einen deutlich erhöhten Punktwert erreicht habe. Unter Berücksichtigung dessen, dass bei der Klägerin doch in erheblichem Ausmaß eine Neigung zur nicht authentischen Beschwerdeschilderung bestehe, könne letztlich mit hinreichender Sicherheit für die Beurteilung des Leistungsvermögens nur der objektivierbare Befund herangezogen werden. Es seien keinerlei neurologische Defizite erkennbar gewesen, auch die Schmerzsymptomatik habe zu keinen relevanten Ausgleichsbewegungen geführt. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sollten möglich sein. Aufgrund der Depressivität seien Tätigkeiten unter Zeitdruck wie Akkord- oder Fließbandarbeiten sowie Tätigkeiten im Schichtbetrieb nicht zumutbar. Während der gesamten Untersuchung seien jedoch keine relevanten kognitiven Einschränkungen erkennbar gewesen, so dass die Klägerin durchaus auch Tätigkeiten verrichten könne, die ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration erforderten. Tätigkeiten mit Publikumsverkehr erschienen im Hinblick auf das bisherige Tätigkeitsprofil der Klägerin als auch auf den Befund während der Untersuchung eher sinnvoll. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könne die Klägerin leichte Tätigkeiten 6 Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche ausüben. Dem Gutachten von Dr. N.vermöge er nicht zu folgen, weil dem von ihm erhobenen Befund eine so tiefgreifende depressive Störung, aus der eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit resultieren könnte, nicht zu entnehmen sei. Insbesondere habe er die Authentizität der geklagten Beschwerden nicht hinterfragt.

Die Klägerin hat vortragen lassen, das Gutachten sei tendenziös und nicht schlüssig. Dr. W. hat zu den Einwänden ergänzend Stellung genommen (Stellungnahme vom 7.5.2014, Bl. 83 LSG Akte).

Die Klägerin hat noch das von ihr selbst in Auftrag gegebene Privatgutachten des Dr. St., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vom 10.9.2014 vorgelegt. Danach besteht bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4) und dringender Verdacht auf temporale (partielle) Epilepsie (G40.2) sowie Migräne (G43.9). Ein Teil der geklagten Symptomatik sei durchaus auf ein temporales epileptisches Anfallsgeschehen verdächtig, worauf auch leichte Auffälligkeiten im EEG hinwiesen. Unterstützt werde dieser Verdacht durch die Besserung auf die Gabe von Carbamazepin, einem Medikament gegen Epilepsie. Den Vorgutachten mangele es an einer differenzialdiagnostischen Erwägung und kritischen Auseinandersetzung mit den Vorbefunden. So werde nicht diskutiert, weshalb die auf die bei der Probandin gestellte Diagnose ausgerichtete Behandlung nicht einmal zu einer geringfügigen Besserung geführt habe, was jedoch üblicherweise der Fall sei. Unberücksichtigt geblieben seien auch die schweren traumatischen Erfahrungen in der früheren Ehe, die durch das Verhalten des Vorgesetzten am Arbeitsplatz reaktiviert worden seien. Diagnostisch müsse daher von einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen werden. Das berufliche Leistungsvermögen sei aufgehoben.

Die Beklagte ist dem Privatgutachten mit der erneuten Stellungnahme von Dr. N. vom 23.10.2014 entgegengetreten, auf die Dr. St. unter dem 13.11.2014 erwidert hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten, da ein Anspruch auf eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht.

Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1).

Voll erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Kebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Gem. § 43 Abs. 3 SGB VI ist jedoch nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen der Beklagten und ausweislich des vorgelegten Versicherungsverlaufs bei der Klägerin vor, insbesondere hinsichtlich der notwendigen Pflichtbeiträge und der Wartezeit.

Zum Berufungsvorbringen ist zunächst auszuführen, dass eine Mehrheit von ärztlichen Meinungen nicht dazu führt, dass ihr automatisch zu folgen ist. Im Rahmen der Beweiswürdigung (§ 128 SGG) ist vielmehr die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit der ärztlichen Aussagen zu überprüfen, auf die die richterliche Überzeugung gestützt werden kann. Zuzugeben ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin, dass durch eine Betrachtung über einen längeren Zeitraum ein zuverlässigeres berufliches Leistungsvermögen zu ermitteln sein mag, da Tagesform abhängige Schwankungen besser eingeordnet werden können, dies aber nicht zwangsläufig sein muss. Bei der hier in Rede stehenden rezidivierenden depressiven Erkrankung können zeitweise Verschlechterungen auch eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit begründen, die nicht zu einem Absinken der beruflichen Leistungsfähigkeit auf Dauer führen muss. So ist der Reha-Bericht der Luisenklinik sicherlich ein wichtiges Indiz, was die Befundmitteilung anbelangt. Der Leistungsbeurteilung kann jedoch nur gefolgt werden, wenn diese durch objektivierbare Befunde nachvollziehbar ist. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat und was nochmals vom Gutachter Dr. W. bestätigt wurde.

Der Senat nimmt deshalb zunächst Bezug auf die zutreffende, rechtsfehlerfreie und ausführliche Würdigung des Beweisergebnisses durch das SG. Das SG hat danach zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung oder - bereits aus rechtlichen Gründen - auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hat. Der Senat sieht insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Im Hinblick auf die weitere Beweiserhebung durch den Senat ist ergänzend auszuführen, dass hierdurch das Beweisergebnis des SG bekräftigt worden ist. Auch das von Amts wegen nach § 103 SGG eingeholte Gutachten des Dr. W. vom 22.3.2014 mit der ergänzenden Stellungnahme vom 7.5.2014 bestätigt für den Senat überzeugend, dass das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin für ihr zumutbare Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen auf Grund der bei ihr vorliegenden Erkrankungen nicht in rentenberechtigendem Maße herabgesunken ist. Die Klägerin ist noch in der Lage 6 Stunden und mehr eine leichte körperliche Tätigkeit an fünf Tagen in der Woche auszuüben.

Dr. W. bestätigt die von Dr. Sch. gestellte Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig leichter depressiver Episode und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, wie sie bisher von allen Nervenärzten mit gradueller Schwankung hinsichtlich der Ausprägung übereinstimmend gestellt wurde. Ebenso wie Dr. Sch. ist auch bei seiner Untersuchung eine erhebliche Verdeutlichungstendenz der Beschwerden und eine erhebliche Diskrepanz zwischen geklagter Schmerzstärke und fehlender Beeinträchtigung während der gesamten Untersuchung erkennbar und für einen Nachweis der vorhandenen Leistungsfähigkeit bedeutsam gewesen. Dies zeigte sich z.B. bei der Prüfung des Lasègue Zeichens, das bei der direkten Prüfung bei der Klägerin unter Aufschreien bei 60 Grad positiv war. Bei passiver Prüfung hingegen ist die Klägerin in der Lage gewesen im Langsitz zu verbleiben, was ein objektiver Widerspruch ist, weil der Langsitz einem unauffälligen Lasègue Zeichen entspricht. Trotz Angabe erheblichster Schmerzen auch in der Untersuchungssituation waren danach zu erwartende Ausgleichsbewegungen beim Sitzen in einem Holzstuhl mit Armlehne, was auf mangelnde Bequemlichkeit hindeutet, nicht zu verzeichnen. Auch beim An- und Auskleiden waren trotz Stöhnens relevante Bewegungseinschränkungen nicht erkennbar.

Der psychische Befund war weitgehend unauffällig. Aufmerksamkeit und Konzentration sowie Merkfähigkeit, Kurz- und Langzeitgedächtnis sowie Altgedächtnis waren ungestört. Antrieb und Psychomotorik waren im Gespräch regelrecht, Mimik und Gestik etwas reduziert modulierbar. Die Stimmungslage war allenfalls gedrückt, eine tiefgreifende Depression nicht erkennbar, die affektive Schwingungsfähigkeit etwas eingeschränkt, die Klägerin jedoch auflockerbar. Im Gegensatz zu dem objektivierbaren psychopathologischen Befund ergab sich testpsychologisch das Bild einer zumindest mittelschweren depressiven Verstimmung. Diese Diskrepanz hat Dr. W. übereinstimmend mit Dr. Sch. als Verdeutlichungstendenz gewertet. Die geschilderte tiefgreifende Antriebsstörung war nicht objektivierbar. Zu Recht stützt Dr. W. bei den dargestellten Diskrepanzen die Leistungsbeurteilung auf die objektivierbaren Befunde, weil auch bei der erneuten Begutachtung erhebliche Zweifel an der Validität der Angaben der Klägerin aufgetreten sind. Von daher ist die Leistungseinschätzung von Dr. W., die sich mit der von Dr. Sch. deckt, mit 6 Stunden und mehr für den Senat schlüssig begründet und nachvollziehbar. Die Klägerin hat eine zeitliche Leistungseinschränkung nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen.

Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen das Gutachten des Dr. W. vorgebrachten Einwände, das Gutachten sei tendenziös und unschlüssig, vermögen die Überzeugung des Senats nicht zu erschüttern und sind zudem von Dr. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 7.5.2014 mit zutreffender Begründung widerlegt worden. Nachvollziehbar ist, dass der Gutachter zur Erklärung der Schmerzskala von 1 bis 10, insbesondere bei Probanden mit geringem Bildungsniveau wie bei der Klägerin (5 Jahre Schulbesuch in der Türkei ohne Abschluss und ohne Ausbildung), eine beispielhafte Verdeutlichung für stärkste Schmerzen vornimmt (hier: Amputation beider Beine ohne Narkose), damit eine entsprechende Zuordnung der gefühlten Schmerzen durch die Klägerin erfolgen konnte. Die danach von der Klägerin angegebenen immensen Schmerzen (Zahlenwerte von 8 bis 9) deckten sich jedenfalls nicht mit dem zu erhebenden Untersuchungsbefund, was neben Weiterem nicht nur als nachvollziehbare Verdeutlichungstendenz in der Begutachtungssituation, sondern zutreffend als Tendenz zur nicht authentischen Beschwerdeschilderung zu werten war. Von daher begegnet es keinen Bedenken, wenn der Gutachter dem auf den Schilderungen der Klägerin beruhenden Tagesablauf im Gutachten keinen großen Stellenwert in der Argumentation beimisst, wie vom Klägerbevollmächtigten bemängelt. Im Übrigen deuten die im Privatgutachten von Dr. St. mitgeteilten Freizeitaktivitäten mit dem Nachgehen von Hobbies (Stricken und Pflanzen), gelegentlicher Besuch von kulturellen oder geselligen Veranstaltungen und die Tagesstruktur mit der Übernahme von Haushaltsarbeiten nach morgendlichen Anlaufschwierigkeiten, Kochen für den Partner, Einkaufengehen unter Beachtung von Sonderangeboten nicht auf schwerwiegende krankheitsbedingte Einschränkungen hin.

Nicht zu folgen vermag der Senat dem nervenärztlichen Privatgutachten des Dr. St. vom 10.9.2014, das als urkundlich belegter, qualifizierter Beteiligtenvortrag zu würdigen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. § 128 Rn. 7g). Unklar bleibt zunächst, auf welcher Grundlage außer der Untersuchung am 5.9.2014 das Gutachten erstattet wurde und woraus der Gutachter die Kenntnis über die Aktenlage schöpft, nachdem ihm die Akten vom Senat nicht überlassen wurden. Nicht nachvollziehbar ist bereits die Diagnosestellung im Gutachten, die erheblich von dem abweicht, was bisher die einschlägigen Nervenärzte festgestellt haben. Anstelle der bisher übereinstimmend diagnostizierten depressiven Störung, die Dr. St. nicht als gegeben sieht, wird nun eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ausgehend von schweren Misshandlungen in der frühen Ehe, die sich klinisch erstmals 2004 nach Problemen mit dem Geschäftsführer am Arbeitsplatz manifestiert habe, diagnostiziert. Hiermit wird erklärt, dass die mit einer depressiven Störung nicht kompatibel erscheinenden Verhaltensweisen nicht als Hinweis auf eine Aggravation zu werten seien, sondern mit der jetzt gefundenen Störung - PTBS - vereinbar seien. Dies überzeugt nicht. Zunächst hat kein weiterer Arzt früher die Diagnose einer PTBS gestellt. Den Angaben der Klägerin ist zu entnehmen, dass die vom Gutachter für die Erkrankung verantwortlich gemachte Ehe mit 2 jähriger Unterbrechung von 1979 bis 1985 bestanden hat, also lange zurückliegend ist, ohne dass jemals Brückensymptome beschrieben worden wären. Nach der Scheidung hat die Klägerin über 13 Jahre allein gelebt und lebt nach ihren Angaben seit über 15 Jahren in einer verständnisvollen Beziehung mit einem neuen Partner. Der dem Gutachter nach psychoanalytisch gewonnene Erklärungsversuch durch Dr. St., weshalb sich der Auftritt der Symptome statt innerhalb der geforderten 6 Monate nach dem belastenden Ereignis - also spätestens nach dem Ende der Ehe im Laufe des Jahres 1986 - erst im Jahre 2004, nämlich reaktiviert stellvertretend durch die Konflikte mit dem Arbeitgeber, gezeigt haben soll, ist nicht nachvollziehbar und kann, wie Dr. N. in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme ausgeführt hat, allenfalls nur als Spekulation bezeichnet werden. Inwiefern die bei einer einmaligen gutachterlichen Untersuchung generierten Übertragungsmanifestationen eine ambivalente, hochkritische Vaterbeziehung mit unbewusster Schuldzuweisung für den ständigen Streit der Eltern und die ebenfalls schuldhaft besetzte ständige Abwesenheit des geliebten Vaters in der Kindheit beweisen sollen, wird nur behauptet aber nicht erklärt. Ebenso wenig nachvollziehbar ist die Deutung von Dr. St., in ein völlig normales Einkaufsverhalten mit der Suche nach günstigen Angeboten in verschiedenen Geschäften eine Vermeidung von emotionaler Nähe hineinzuinterpretieren, damit die Klägerin nicht von der gleichen Kassiererin freundlich begrüßt werde. Zudem können die günstigen Angebote auch in den gleichen Geschäften wiederkehren, so dass dadurch nicht zum Ausdruck gebracht wird, dass die Klägerin aus Vermeidungsverhalten ständig in jeweils anderen Geschäften einkauft. Dass die Klägerin hierdurch emotionale Nähe vermeidet, ist auch vor dem Hintergrund einer langjährigen guten Partnerschaft, worin emotionale Nähe inbegriffen ist, nicht nachvollziehbar.

Ebenso muss der vom Gutachter geäußerte dringende Verdacht auf temporale Epilepsie als spekulativ bezeichnet werden. Ein beweisendes EEG hat Dr. St. nicht abgeleitet. Worin die Auffälligkeiten im EEG von Dr. W., der dieses in seinem Gutachten als normal bewertet hat, bestehen sollen, wird nicht erklärt. Die Erkrankung aus der angeblichen Wirkung des Medikaments Carbamazepin abzuleiten, überzeugt ebenso wenig, zumal dieses Medikament zwar vorwiegend gegen fokale Epilepsien eingesetzt wird, darüber hinaus aber auch als Phasenprophylaktikum bei verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen, wie sie bisher mit der rezidivierenden depressiven Störung von den anderen Ärzten bei der Klägerin diagnostiziert wurde, zum Einsatz kommt (vgl. www.wikipedia.de). Nachdem bereits die Diagnosestellung durch Dr. St. nicht nachvollziehbar ist, kann eine zuverlässige Leistungsbeurteilung auf die als zentral bezeichneten Leiden hierauf nicht gestützt werden.

Den Hilfsanträgen brauchte der Senat nicht nachzugehen. Die Einholung eines weiteren Gutachtens auf neurologischem Fachgebiet zum Nachweis eines epileptischen Anfallsleidens war nicht erforderlich, weil die Verdachtsdiagnose des Dr. St. nur spekulativ ist, wie sich aus dem og. ergibt. Dr. St. hat einen entsprechenden Befund nicht selbst erhoben und auch die Klägerin hat ein Anfallsleiden nicht geschildert. Dass die Klägerin auf ihre Bitte hin - so ausweislich das vorgelegte Schreiben vom 9.12.2014 - am 16.6.2015 einen Untersuchungstermin im Epilepsie-Zentrum der Diakonie K. erhalten hat, liefert keinen neuen medizinischen Sachverhalt in Bezug auf das tatsächliche Vorliegen einer Epilepsie. Das Abwarten des Termins und die Vertagung der mündlichen Verhandlung waren deshalb nicht veranlasst. Ebenso wurde in den mit Schriftsatz vom 19.1.2015 vorgelegten Attesten von Dres. Sch.(vom 20.10.2014) und H.(vom 19.8.2014) kein neuer Befund mitgeteilt.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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