Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 40 AS 381/14 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 214/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Von dem Bestehen einer Partnerschaft ist auszugehen, wenn subjektiv und objektiv eine Ausschließlichkeit der Beziehung gegeben ist.
Bei einem auch äußerlichen Zusammenleben wie bei einem Ehepaar widerlegt auch eine strikte finanzielle Trennung der Konten und Verfügungsberechtigung nicht die Vermutung nach § 7 Abs. 3a SGB II.
Bei besonderen wirtschaftlich erdrückenden finanziellen Beeinträchtigungen des Einkommensbeziehers sind insbesondere hinsichtlich nicht gemeinsamer Kinder in der Bedarfsgemeinschaft Ausnahmeregelungen von der fiktiven Anrechnung von Einkommen im Rahmen der Horizontalberechnung zu prüfen.
Bei einem auch äußerlichen Zusammenleben wie bei einem Ehepaar widerlegt auch eine strikte finanzielle Trennung der Konten und Verfügungsberechtigung nicht die Vermutung nach § 7 Abs. 3a SGB II.
Bei besonderen wirtschaftlich erdrückenden finanziellen Beeinträchtigungen des Einkommensbeziehers sind insbesondere hinsichtlich nicht gemeinsamer Kinder in der Bedarfsgemeinschaft Ausnahmeregelungen von der fiktiven Anrechnung von Einkommen im Rahmen der Horizontalberechnung zu prüfen.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 1. Dezember 2014 aufgehoben, soweit der Antragsgegner verpflichtet wird, der Antragstellerin zu 1) Leistungen in Höhe von mehr als 407,80 EUR, also ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des Herrn E H , vorläufig zu leisten. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) wird die Beschwerde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Leistungen in Höhe von 301,33 EUR vorläufig zu erbringen sind. Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Gegenstand des einstweiligen Anordnungsverfahrens ist die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) an die Antragstelle¬rinnen. Die Beteiligten streiten dabei im Wesentlichen darüber, ob die Antragstelle¬rinnen mit dem Zeugen E H eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3, 3a SGB II bilden. Das Sozialgericht Kiel hat den Antragsgegner unter Ablehnung einer Bedarfsgemeinschaft mit Beschluss vom 1. Dezember 2014 verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig ab dem 7. November 2014 (Eingang der Eilanordnung beim Sozialgericht) und bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Antrag – längstens jedoch für sechs Monate – Leistungen der Grundsicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des Herrn H zu gewähren.
Auf die Beschwerde und den nach § 199 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hin hat die Vorsitzende mit Beschluss vom 10. Dezember 2014 die Vollstreckung aus dem Beschluss zunächst vollständig ausgesetzt. Nach Vorlage von Einkommensunterlagen von Herrn H hat die Vorsitzende mit Beschluss vom 23. Dezember 2014 diesen Beschluss geändert mit der Folge, dass der Antragsgegner aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung bis zur Entscheidung des Senats zu einer Teilauszahlung von Leistungen in Höhe von 329,82 EUR insgesamt verpflichtet ist (L 6 AR 63/14 AS ER).
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 1. Dezember 2014 ist gemäß § 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 SGG statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere schriftlich und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegt.
Die Beschwerde ist auch teilweise begründet. Hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Regelung nach § 86b Abs. 2 SGG wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen.
Entgegen der Bewertung des Sozialgerichts sind der Antragstellerin zu 1) vorläufige Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung jedoch nur unter Berücksichtigung des Einkommens von E H zuzuerkennen. Hinsichtlich der Antragstelle¬rin zu 2) ist die Beschwerde nicht begründet, da nach einer Gesamtwürdigung aller Erkenntnisse im Eilverfahren einschließlich der Befragung der Antragstellerinnen und der Zeugenvernehmung wegen der finanziellen Situation von einem Härtefall auszugehen ist.
Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c gehört als Partner des erwerbsfähigen leistungsberechtigten Hilfebedürftigen die Person zur Bedarfsgemeinschaft, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Das Gesetz knüpft damit an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur eheähnlichen Gemeinschaft an. Diese liegt bei einer Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau vor, wenn sie auf Dauer angelegt ist, daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Erfasst sind nur Gemeinschaften, in denen die Bindungen der Partner so eng sind, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur, wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den jeweiligen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist eine eheähnliche Lebensgemeinschaft anzunehmen. Ob eine solche Gemeinschaft besteht, lässt sich nur anhand von Indizien wie der Dauer des Zusammenlebens, der Versorgung von Kindern und Angehörigen und der Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des Partners zu verfügen, feststellen (grundlegend Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/86 –, Juris). Derartige Indizien hat der Gesetzgeber in § 7 Abs. 3a SGB II aufgegriffen. Danach wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, u. a. vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben (Nr. 1). Diese Vermutungsregelung führt bei Vorliegen bestimmter Tatbestände zu einer teilweisen Umkehr der Beweislast.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 7 Abs. 3 und 3a SGB II handelt es sich bei dem Kriterium der Partnerschaft und des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt um objektive Tatbestandsvoraussetzungen, die nach der Systematik des Gesetzes kumulativ zu der subjektiven Voraussetzung des Einstehens- und Verantwortungswillens gegeben sein müssen (BSG, Urteil vom 23. August 2012 – B 4 AS 34/12 R -, juris mwN).
Bezogen auf diese Maßstäbe ist nach summarischer Würdigung der Angaben der Antragstellerinnen einschließlich der ausführlichen Anhörungen vor dem Gericht (am 21. Januar 2010 vor dem Sozialgericht Kiel – S 36 AS 96/09 ER – und am 14. Januar 2015 im vorliegenden Verfahren vor dem Landessozialgericht) ergibt sich ein widerspruchsfreies und glaubhaftes Bild über die Art und Weise des Zusammenlebens zwischen den Antragstellerinnen und Herrn H. Die Antragstellerin zu 1) und Herr H haben sich Mitte 2008 im Internet auf einem Flirtportal kennengelernt. Sie waren schon ein Jahr als Paar zusammen, ehe sie auch räumlich zusammengezogen sind. Es handelt sich um eine Liebesbeziehung, die eine Ausschließlichkeit auch in dem Sinne besitzt, dass keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben möglich ist. Die Art und Weise der Lebensgestaltung spricht auch für ein Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II. Die Antragstellerin zu 1) und Herr H benutzen nicht nur gemeinschaftlich die Räume wie Küche, Badezimmer und Flur. Lange Zeit (während des Zusammenlebens mit der Tochter des Zeugen) war das Schlafzimmer von Herrn H das Durchgangszimmer für die Antragstellerin zu 1) zu deren eigenem Schlafzimmer. Die Umgestaltung der Zimmer einschließlich des Rückbaus eines zweiten Badezimmers zu Gunsten weiterer Nutzräume erfolgte in Absprache. Insbesondere die täglichen gemeinsamen Mahlzeiten zum Mittagessen, die von der Antragstellerin zu 1) zubereitet werden, und die zwanglose Haushaltsführung (ohne konkreten Reinigungsplan oder formal fixierte Verantwortlichkeiten) sprechen gegen eine Zweckgemeinschaft in Form einer Wohngemeinschaft. Mit täglich zwei bis drei Stunden verbringt die Antragstellerin zu 1) mit Herrn H nicht weniger, sondern möglicherweise statistisch sogar mehr Zeit als ein verheiratetes Paar. Auch im Übrigen vermitteln sowohl die Anhörung im Jahr 2010 als auch der Hausbesuch und die Anhörung im Termin vom 14. Januar 2015 den Eindruck einer intakten Partnerschaft mit einer auch nach außen dokumentierten persönlichen und emotionalen Verbundenheit. Dem Zusammenleben im Rechtssinne stehen auch die formal strikt getrennte Kontoführung, die pauschalierte Einzelabrechnung bei den Einkäufen und die Eigenständigkeit bei wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten nicht entgegen. Auch Ehepaare leben heute oft so zusammen, dass sie getrennte Konten führen, eigenständig und ohne gemeinsame Vorplanungen oder Besprechungen Anschaffungen tätigen und keine Kontovollmacht besitzen. Nach soziologischen Erkenntnissen gelten ein selbstbestimmtes Leben und persönliche Unabhängigkeit als wichtige Güter in der individuellen Lebensperspektive (weiterführend: Erster Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/6240). Das konkrete Zusammenleben zwischen den Antragstellerinnen und dem Zeugen stellt sich jedenfalls so dar, dass auch Synergie-Effekte eines partnerschaftlichen Haushalts (insbesondere bei der Zubereitung von Mahlzeiten) genutzt werden. Soweit der Zeuge angibt, dass er seine Wäsche alleine wasche, spricht auch dies nicht gegen ein gemeinsames Wirtschaften, da nach eigenen Angaben sogar die 14 jährige Antragstellerin zu 2) ihre Wäsche alleine wäscht, es sich hierbei also um ein besonderes Merkmal der Wirtschaftsführung in diesem Haushalt zu handeln scheint.
Das Zusammenleben über inzwischen mehr als vier Jahre führt dazu, dass der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II vermutet wird. Jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vermochten die Antragstellerinnen auch nach Anhörung und Zeugenvernehmung diese gesetzliche Vermutung nicht zu widerlegen. Neben den bereits vorstehend erörterten Umständen des tatsächlichen Zusammenlebens wie in einer Ehe, die in ihrer Gesamtheit gerade den umgekehrten Schluss auf eine eheähnliche Gemeinschaft begründen, spricht auch die gemeinsame Umgestaltung der Wohnung nach dem Auszug der Tochter des Zeugen und die Mietpreisgestaltung im Rahmen der Untermiete, die nämlich trotz Veränderung der Wohnräume und Anzahl der Haushaltsmitglieder nach Auszug der Tochter des Zeugen nicht angepasst wurde, für eine Einstandsgemeinschaft. Schließlich spricht auch das Verhalten des Zeugen im Zusammenhang mit der Vorlage seiner Unterlagen über die Einkommensverhältnisse für das Bestehen einer ausgeprägten Verantwortungsgemeinschaft mit der Antragstellerin zu 1). Obwohl er – wie glaubhaft in der Zeugenvernehmung bekundet – selbst keinen Antrag auf Leistungen zur Grundsicherung stellen will und wird, weil ihm seine finanzielle Unabhängigkeit auch gegenüber einem Jobcenter ein persönlich besonders hohes Gut ist, hat er seine Einkommensunterlagen im Rahmen des Aussetzungsverfahrens vorgelegt, damit die Antragstellerin zu 1) in ihrem Gerichtsverfahren keinen Schaden aus seinem persönlichen Verhalten trägt.
Nach alledem stehen der Antragstellerin zu 1) auf der Grundlage der bekannt gewordenen Einkommensverhältnisse des Zeugen und unter Berücksichtigung seiner Krankenversicherungs- und Unterhaltspflicht nur Leistungen in Höhe von 407,80 EUR zu (zu den Einzelheiten vgl. Berechnung des Antragsgegners vom 14. Januar 2015).
Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) hat die Beschwerde keinen Erfolg. Bezogen auf die Konstellation eines nicht gemeinsamen minderjährigen Kindes in eheähnlichen Gemeinschaften ist auch durch das Bundessozialgericht hervorgehoben worden, dass bei einer möglichen Gefährdung des Existenzminimums des Kindes insbesondere bei besonderen wirtschaftlich erdrückenden finanziellen Beeinträchtigungen des Einkommensbeziehers eine Ausnahmeregelung von der fiktiven Einkommensanrechnung zu prüfen ist (vgl. grundlegend zur Stiefkindproblematik BSG, Urteil vom 23. Mai 2013 – B 4 AS 67/11 R –, juris Rn. 24 ff.). Da der Zeuge angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse selbst hilfebedürftig wäre, wenn er als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft einen Antrag nach dem SGB II stellen würde, liegt es auf der Hand, dass nach den Hilfserwägungen in der Rechtsprechung zur so genannten Stiefkindproblematik (Selbstbehalt des Einkommensbeziehers in Höhe des doppelten Sozialhilfesatzes oder Eigenbedarf nach der Düsseldorfer Tabelle, vgl. BSG a.a.O. Rn. 26, 27) dem Zeugen durch die Einkommensanrechnung bezogen auf die Antragstellerin zu 2) nicht mehr als das eigene Existenzminimum verbleibt. Wegen der Gefährdung des Existenzminimums der Antragstellerin zu 2) ist daher im vorliegenden vorläufigen Verfahren keine fiktive Einkommensanrechnung vorzunehmen. Bei folgerichtiger Betrachtung der Anrechnungsvorschriften zum Einkommen müsste der nicht auf die Antragstellerin zu 2) entfallende Betrag auf den Bedarf der Antragstellerin zu 1) und – fiktiv – auch auf den Bedarf des Zeugen angerechnet werden. Allerdings ist das Einkommen des Zeugen ohnehin geschätzt, so dass insoweit eine genauere Berechnung dem Verwaltungs– und ggfs. Hauptsacheverfahren vorbehalten ist.
Die einheitliche Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Sie berücksichtigt einerseits, dass erst im Beschwerdeverfahren die notwendigen Unterlagen vorgelegt und vorläufige Leistungen nur unter Anrechnung des Einkommens von Herrn H der Antragstellerin zu 1) zuerkannt werden und andererseits, dass der Antragsgegner trotz der vorgelegten Unterlagen auch keinen teilweisen vorläufigen Anspruch anerkannt hat.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Gründe:
I.
Gegenstand des einstweiligen Anordnungsverfahrens ist die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) an die Antragstelle¬rinnen. Die Beteiligten streiten dabei im Wesentlichen darüber, ob die Antragstelle¬rinnen mit dem Zeugen E H eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3, 3a SGB II bilden. Das Sozialgericht Kiel hat den Antragsgegner unter Ablehnung einer Bedarfsgemeinschaft mit Beschluss vom 1. Dezember 2014 verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig ab dem 7. November 2014 (Eingang der Eilanordnung beim Sozialgericht) und bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Antrag – längstens jedoch für sechs Monate – Leistungen der Grundsicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des Herrn H zu gewähren.
Auf die Beschwerde und den nach § 199 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hin hat die Vorsitzende mit Beschluss vom 10. Dezember 2014 die Vollstreckung aus dem Beschluss zunächst vollständig ausgesetzt. Nach Vorlage von Einkommensunterlagen von Herrn H hat die Vorsitzende mit Beschluss vom 23. Dezember 2014 diesen Beschluss geändert mit der Folge, dass der Antragsgegner aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung bis zur Entscheidung des Senats zu einer Teilauszahlung von Leistungen in Höhe von 329,82 EUR insgesamt verpflichtet ist (L 6 AR 63/14 AS ER).
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 1. Dezember 2014 ist gemäß § 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 SGG statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere schriftlich und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegt.
Die Beschwerde ist auch teilweise begründet. Hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Regelung nach § 86b Abs. 2 SGG wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen.
Entgegen der Bewertung des Sozialgerichts sind der Antragstellerin zu 1) vorläufige Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung jedoch nur unter Berücksichtigung des Einkommens von E H zuzuerkennen. Hinsichtlich der Antragstelle¬rin zu 2) ist die Beschwerde nicht begründet, da nach einer Gesamtwürdigung aller Erkenntnisse im Eilverfahren einschließlich der Befragung der Antragstellerinnen und der Zeugenvernehmung wegen der finanziellen Situation von einem Härtefall auszugehen ist.
Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c gehört als Partner des erwerbsfähigen leistungsberechtigten Hilfebedürftigen die Person zur Bedarfsgemeinschaft, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Das Gesetz knüpft damit an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur eheähnlichen Gemeinschaft an. Diese liegt bei einer Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau vor, wenn sie auf Dauer angelegt ist, daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Erfasst sind nur Gemeinschaften, in denen die Bindungen der Partner so eng sind, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur, wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den jeweiligen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist eine eheähnliche Lebensgemeinschaft anzunehmen. Ob eine solche Gemeinschaft besteht, lässt sich nur anhand von Indizien wie der Dauer des Zusammenlebens, der Versorgung von Kindern und Angehörigen und der Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des Partners zu verfügen, feststellen (grundlegend Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/86 –, Juris). Derartige Indizien hat der Gesetzgeber in § 7 Abs. 3a SGB II aufgegriffen. Danach wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, u. a. vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben (Nr. 1). Diese Vermutungsregelung führt bei Vorliegen bestimmter Tatbestände zu einer teilweisen Umkehr der Beweislast.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 7 Abs. 3 und 3a SGB II handelt es sich bei dem Kriterium der Partnerschaft und des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt um objektive Tatbestandsvoraussetzungen, die nach der Systematik des Gesetzes kumulativ zu der subjektiven Voraussetzung des Einstehens- und Verantwortungswillens gegeben sein müssen (BSG, Urteil vom 23. August 2012 – B 4 AS 34/12 R -, juris mwN).
Bezogen auf diese Maßstäbe ist nach summarischer Würdigung der Angaben der Antragstellerinnen einschließlich der ausführlichen Anhörungen vor dem Gericht (am 21. Januar 2010 vor dem Sozialgericht Kiel – S 36 AS 96/09 ER – und am 14. Januar 2015 im vorliegenden Verfahren vor dem Landessozialgericht) ergibt sich ein widerspruchsfreies und glaubhaftes Bild über die Art und Weise des Zusammenlebens zwischen den Antragstellerinnen und Herrn H. Die Antragstellerin zu 1) und Herr H haben sich Mitte 2008 im Internet auf einem Flirtportal kennengelernt. Sie waren schon ein Jahr als Paar zusammen, ehe sie auch räumlich zusammengezogen sind. Es handelt sich um eine Liebesbeziehung, die eine Ausschließlichkeit auch in dem Sinne besitzt, dass keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben möglich ist. Die Art und Weise der Lebensgestaltung spricht auch für ein Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II. Die Antragstellerin zu 1) und Herr H benutzen nicht nur gemeinschaftlich die Räume wie Küche, Badezimmer und Flur. Lange Zeit (während des Zusammenlebens mit der Tochter des Zeugen) war das Schlafzimmer von Herrn H das Durchgangszimmer für die Antragstellerin zu 1) zu deren eigenem Schlafzimmer. Die Umgestaltung der Zimmer einschließlich des Rückbaus eines zweiten Badezimmers zu Gunsten weiterer Nutzräume erfolgte in Absprache. Insbesondere die täglichen gemeinsamen Mahlzeiten zum Mittagessen, die von der Antragstellerin zu 1) zubereitet werden, und die zwanglose Haushaltsführung (ohne konkreten Reinigungsplan oder formal fixierte Verantwortlichkeiten) sprechen gegen eine Zweckgemeinschaft in Form einer Wohngemeinschaft. Mit täglich zwei bis drei Stunden verbringt die Antragstellerin zu 1) mit Herrn H nicht weniger, sondern möglicherweise statistisch sogar mehr Zeit als ein verheiratetes Paar. Auch im Übrigen vermitteln sowohl die Anhörung im Jahr 2010 als auch der Hausbesuch und die Anhörung im Termin vom 14. Januar 2015 den Eindruck einer intakten Partnerschaft mit einer auch nach außen dokumentierten persönlichen und emotionalen Verbundenheit. Dem Zusammenleben im Rechtssinne stehen auch die formal strikt getrennte Kontoführung, die pauschalierte Einzelabrechnung bei den Einkäufen und die Eigenständigkeit bei wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten nicht entgegen. Auch Ehepaare leben heute oft so zusammen, dass sie getrennte Konten führen, eigenständig und ohne gemeinsame Vorplanungen oder Besprechungen Anschaffungen tätigen und keine Kontovollmacht besitzen. Nach soziologischen Erkenntnissen gelten ein selbstbestimmtes Leben und persönliche Unabhängigkeit als wichtige Güter in der individuellen Lebensperspektive (weiterführend: Erster Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/6240). Das konkrete Zusammenleben zwischen den Antragstellerinnen und dem Zeugen stellt sich jedenfalls so dar, dass auch Synergie-Effekte eines partnerschaftlichen Haushalts (insbesondere bei der Zubereitung von Mahlzeiten) genutzt werden. Soweit der Zeuge angibt, dass er seine Wäsche alleine wasche, spricht auch dies nicht gegen ein gemeinsames Wirtschaften, da nach eigenen Angaben sogar die 14 jährige Antragstellerin zu 2) ihre Wäsche alleine wäscht, es sich hierbei also um ein besonderes Merkmal der Wirtschaftsführung in diesem Haushalt zu handeln scheint.
Das Zusammenleben über inzwischen mehr als vier Jahre führt dazu, dass der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II vermutet wird. Jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vermochten die Antragstellerinnen auch nach Anhörung und Zeugenvernehmung diese gesetzliche Vermutung nicht zu widerlegen. Neben den bereits vorstehend erörterten Umständen des tatsächlichen Zusammenlebens wie in einer Ehe, die in ihrer Gesamtheit gerade den umgekehrten Schluss auf eine eheähnliche Gemeinschaft begründen, spricht auch die gemeinsame Umgestaltung der Wohnung nach dem Auszug der Tochter des Zeugen und die Mietpreisgestaltung im Rahmen der Untermiete, die nämlich trotz Veränderung der Wohnräume und Anzahl der Haushaltsmitglieder nach Auszug der Tochter des Zeugen nicht angepasst wurde, für eine Einstandsgemeinschaft. Schließlich spricht auch das Verhalten des Zeugen im Zusammenhang mit der Vorlage seiner Unterlagen über die Einkommensverhältnisse für das Bestehen einer ausgeprägten Verantwortungsgemeinschaft mit der Antragstellerin zu 1). Obwohl er – wie glaubhaft in der Zeugenvernehmung bekundet – selbst keinen Antrag auf Leistungen zur Grundsicherung stellen will und wird, weil ihm seine finanzielle Unabhängigkeit auch gegenüber einem Jobcenter ein persönlich besonders hohes Gut ist, hat er seine Einkommensunterlagen im Rahmen des Aussetzungsverfahrens vorgelegt, damit die Antragstellerin zu 1) in ihrem Gerichtsverfahren keinen Schaden aus seinem persönlichen Verhalten trägt.
Nach alledem stehen der Antragstellerin zu 1) auf der Grundlage der bekannt gewordenen Einkommensverhältnisse des Zeugen und unter Berücksichtigung seiner Krankenversicherungs- und Unterhaltspflicht nur Leistungen in Höhe von 407,80 EUR zu (zu den Einzelheiten vgl. Berechnung des Antragsgegners vom 14. Januar 2015).
Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) hat die Beschwerde keinen Erfolg. Bezogen auf die Konstellation eines nicht gemeinsamen minderjährigen Kindes in eheähnlichen Gemeinschaften ist auch durch das Bundessozialgericht hervorgehoben worden, dass bei einer möglichen Gefährdung des Existenzminimums des Kindes insbesondere bei besonderen wirtschaftlich erdrückenden finanziellen Beeinträchtigungen des Einkommensbeziehers eine Ausnahmeregelung von der fiktiven Einkommensanrechnung zu prüfen ist (vgl. grundlegend zur Stiefkindproblematik BSG, Urteil vom 23. Mai 2013 – B 4 AS 67/11 R –, juris Rn. 24 ff.). Da der Zeuge angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse selbst hilfebedürftig wäre, wenn er als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft einen Antrag nach dem SGB II stellen würde, liegt es auf der Hand, dass nach den Hilfserwägungen in der Rechtsprechung zur so genannten Stiefkindproblematik (Selbstbehalt des Einkommensbeziehers in Höhe des doppelten Sozialhilfesatzes oder Eigenbedarf nach der Düsseldorfer Tabelle, vgl. BSG a.a.O. Rn. 26, 27) dem Zeugen durch die Einkommensanrechnung bezogen auf die Antragstellerin zu 2) nicht mehr als das eigene Existenzminimum verbleibt. Wegen der Gefährdung des Existenzminimums der Antragstellerin zu 2) ist daher im vorliegenden vorläufigen Verfahren keine fiktive Einkommensanrechnung vorzunehmen. Bei folgerichtiger Betrachtung der Anrechnungsvorschriften zum Einkommen müsste der nicht auf die Antragstellerin zu 2) entfallende Betrag auf den Bedarf der Antragstellerin zu 1) und – fiktiv – auch auf den Bedarf des Zeugen angerechnet werden. Allerdings ist das Einkommen des Zeugen ohnehin geschätzt, so dass insoweit eine genauere Berechnung dem Verwaltungs– und ggfs. Hauptsacheverfahren vorbehalten ist.
Die einheitliche Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Sie berücksichtigt einerseits, dass erst im Beschwerdeverfahren die notwendigen Unterlagen vorgelegt und vorläufige Leistungen nur unter Anrechnung des Einkommens von Herrn H der Antragstellerin zu 1) zuerkannt werden und andererseits, dass der Antragsgegner trotz der vorgelegten Unterlagen auch keinen teilweisen vorläufigen Anspruch anerkannt hat.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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