L 11 KR 2980/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 2440/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2980/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.06.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Kostenübernahme für eine durchgeführte ambulante Liposuktion bei der Klägerin.

Die Klägerin ist 1986 geboren und bei der Beklagten krankenversichert. Am 20.09.2012 (Blatt 13 Verwaltungsakte) beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine ambulante Liposuktion. Beigefügt waren verschiedene ärztliche Atteste. Der Internist Dr. M. beschrieb in einem Arztbrief vom 25.11.2009 ein Lipödem-Syndrom mit Turner-Mosaik-Syndrom. Die Hautfachärztin und Phlebologin Dr. W., R. Klinik D. beschrieb in einem Attest vom 21.08.2012 ein schmerzhaftes Lipödem (Grad II) der unteren und oberen Extremitäten bei ausgeprägter Fettverteilungsstörung. Eine Liposuktion in Tumeszenz-Lokalanästhesie in drei geplanten Sitzungen sei medizinisch indiziert. Hinweise für ein Lymphödem bestünden nicht. Manuelle Lymphdrainagen und Kompressionstherapie seien ohne wesentliche anhaltende Verbesserung des Befundes konsequent durchgeführt worden. Eine Gewichtsreduktion durch Diät wirke sich nur unwesentlich auf die betroffenen Areale und die Dysproportionierung aus. Das bestehende Lipödem entwickle sich in zunehmendem Ausmaß. Die betroffenen Körperregionen seien auf Druck und spontan schmerzhaft. Es bestehe eine ausgeprägte Neigung zu Hämatomen und Schwellungen, die im Tagesverlauf deutlich zunehmen würden. Des Weiteren waren beigefügt Kostenvoranschläge des Dr. C., Dü. über die Spezifizierung der ärztlichen Leistungen der Operation an den Beinen außen, den Beinen innen und den Armen.

Die begehrte Liposuktion wurde in drei Behandlungsmaßnahmen durchgeführt, ohne dies der Beklagten zur Kenntnis zu geben, am 24.09.2012, am 14.11.2012 und am 25.04.2013 (vgl Rechnungen Blatt 75 ff SG-Akte). Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 15.583,78 EUR.

Auf Veranlassung der Beklagten nahm der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) im sozialmedizinischen Gutachten vom 17.10.2012 (Dr. R.) Stellung. Es handle sich um eine Behandlungsmethode, die weder in den EBM, noch in den GOÄ-Katalog aufgenommen worden sei. Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses liege nicht vor. Die Voraussetzungen einer Leistungspflicht der GKV seien nicht erfüllt. Bei der Liposuktion (Fettabsaugung) handele es sich um ein in der kosmetisch-ästhetischen Chirurgie etabliertes Behandlungsverfahren, das hauptsächlich bei Fettverteilungsstörungen im kosmetischen Bereich angewandt werde. Es bestünden erhebliche Risiken.

Mit Bescheid vom 19.10.2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Liposuktion könne nicht als Sachleistung zur Verfügung gestellt werden bzw könnten die Kosten hierfür nicht übernommen werden. Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) liege nicht vor. Außerdem stünden alternative Behandlungsmöglichkeiten wie die Lipomexstirpation zur Verfügung.

Hiergegen erhob die Klägerin am 29.10.2012 Widerspruch. Die Liposuktion habe sich in den letzten zehn Jahren etabliert und gelte als sichere und effektive Therapie. Der GBA müsse tätig werden.

Auf Veranlassung der Beklagten nahm der MDK (Dr. U.) erneut Stellung. Im sozialmedizinischen Gutachten vom 12.11.2012 (Blatt 28 Verwaltungsakte) wurde erneut ausgeführt, dass die Liposuktion eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode sei. Es liege keine Empfehlung des GBA vor. Bei der Klägerin liege auch weder eine lebensbedrohliche Erkrankung noch eine notstandsähnliche Situation vor. Als Therapien stünden zur Verfügung: regelmäßige sportliche Betätigung und Bewegung, Kompressionsbehandlung/Tragen von Kompressionsstrümpfen, Lymphdrainage. Für die beantragte Methode liege ein Wirksamkeitsnachweis anhand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken nicht vor. Es würden insb keine Langzeituntersuchungen vorliegen, die belegten, dass die Liposuktion eine eigenständige und nachhaltige Therapie sei. Es sei unklar, ob bei erfolgreicher Reduktion der Fettgewebsvermehrung nicht zusätzliche absehbare Korrekturen am Hautmantel erforderlich werden könnten ebenso wie unklar sei, ob es nicht erneut wieder zu einer Fettgewebsvermehrung komme. Außerdem bestünden erhebliche Risiken. Eine Kostenübernahme könne nicht empfohlen werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und nahm auf die Gutachten des MDK Bezug.

Hiergegen hat die Klägerin am 11.07.2013 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie leide seit Jahren an einem Lymphödem, welches sich symmetrisch an den Armen und Beinen auspräge. Die Verformungen seien weder alimentär noch diätetisch korrigierbar. Sie sei durch diese Erkrankung in ihrem täglichen Leben deutlich eingeschränkt. Es sei ihr nicht zumutbar, eine massive weitere Verschlechterung abzuwarten. Entscheidend sei vorliegend, dass die Erkrankung bereits im jungen Alter entstanden sei und sich massiv ausgeweitet habe, so dass es darauf ankomme, rechtzeitig eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vorzunehmen. Deswegen sei auch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von einer Lebensbedrohung auszugehen, die durch die massive Einschränkung der Beweglichkeit verursacht werde.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheid Bezug genommen.

Mit Urteil vom 04.06.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und würden die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe nicht, da auch ein Anspruch auf Durchführung der Liposuktion als Krankenbehandlung nach dem SGB V durch die GKV nicht bestanden habe. Jedenfalls für die erste operative Maßnahme scheide eine Kostenerstattung bereits deshalb aus, weil die Klägerin sich die Leistung selbst verschafft habe, ohne zuvor rechtzeitig den Leistungsträger einzuschalten und die Entscheidung abzuwarten.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 17.06.2014 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat die Klägerin am 16.07.2014 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen. Eine ambulante Liposuktion sei aufgrund des Krankheitsbildes medizinisch indiziert. Die Beklagte sei bei dem vorliegenden Krankheitsbild verpflichtet, die notwendigen Kosten zu tragen. Das SG sei gehalten gewesen, ein Sachverständigengutachten einzuholen zur Frage der neuen Behandlungsmethode und deren Anwendung auch ohne die Anerkennung durch den GBA. Die Frage, ob nach dem wissenschaftlichen Stand eine Behandlungsmethode als kostenerstattungspflichtig anzusehen sei, auch wenn keine positive Empfehlung des GBA vorliege, könne nur durch ein Sachverständigengutachten geklärt werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.06.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 19.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.06.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für die durchgeführten ambulanten Liposuktionsmaßnahmen in Höhe von insgesamt 15.583,78 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und die Ausführungen des SG Bezug.

In einem Erörterungstermin am 10.12.2014 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten eingehend erörtert. Der Berichterstatter hat im Erörterungstermin die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter zurückzuweisen, da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet erachte und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 20.01.2015 gegeben.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 20.01.2015 die Auffassung vertreten, es liege ein Fall des Systemversagens vor. Der Gemeinsame Bundesausschuss empfehle die neue Behandlungsmethode objektiv willkürlich nicht für die vertragsärztliche Versorgung. Außerdem sei der Senat gehalten, dem Beweisangebot "Sachverständigengutachten" nachzugehen. Die entsprechenden wissenschaftlichen Voraussetzungen, die Methode als erstattungsfähig anzusehen, würden vorliegen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 02.02.2015 vorgetragen, dass ein Systemmangel nicht vorliege. Ein Mangel des gesetzlichen Leistungssystems sei nicht ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.06.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die durchgeführten Maßnahmen der ambulanten Liposuktion in Höhe von 15.583,78 EUR.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden. Der Vortrag der Klägerin im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 20.01.2015, sie könne von der Beklagten wegen eines Systemversagens Kostenfreistellung verlangen und eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sei nicht gerechtfertigt, erfordert nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Die Klägerin macht damit nur deutlich, weshalb aus ihrer Sicht die Klage bzw Berufung Erfolg haben muss.

Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs kommt allein § 13 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB V in Betracht. Nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse dem Versicherten Kosten einer selbstbeschafften Leistung zu erstatten, die dadurch entstanden sind, dass sie eine unaufschiebbare Leistung entweder nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alt) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war (2. Alt). Mit dieser Regelung wird der Grundsatz des Sach- und Dienstleistungsanspruchs nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V für die Fälle ergänzt, in denen die Krankenkasse eine geschuldete Leistung nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stellen kann (Bundessozialgericht [BSG] 02.11.2007, B 1 KR 14/07 R, BSGE 99, 180, SozR 4-2500 § 13 Nr 15). Der Naturalleistungsanspruch des Versicherten wandelt sich um in einen Kostenerstattungsanspruch bzw soweit die Kosten tatsächlich noch nicht beglichen sind, in einen Anspruch des Versicherten auf Freistellung von den Kosten.

Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechen-der Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung des BSG 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 8; BSG 27.03.2007, B 1 KR 17/06 R, juris).

Die streitgegenständliche ambulante Liposuktion gehört nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu erbringenden Leistungen.

Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr 5 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung ua auch die Krankenhausbehandlung. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs 2 SGB V). Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung unterliegt nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er erfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.

Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V (ambulante Versorgung) nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nämlich nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkasse erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistung verbindlich festgelegt (BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190, SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Die ambulante Liposuktion ist eine neue Behandlungsmethode, weil sie nicht als abrechenbare Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßmaßstab enthalten ist. Die Methode der Liposuktion zur Therapie des Lipödems ist derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion und es sind weitere randomisierte Studien erforderlich, um sie zu einer den Kriterien der evidenzbasierten Medizin entsprechenden Behandlungsmethode qualifizieren zu können (Senatsurteil vom 30.09.2014, L 11 KR 689/13; ebenso LSG Baden-Württemberg 27.04.2012, L 4 KR 595/11, LSG Nordrhein-Westfalen 16.01.2014, L 16 KR 558/13 [juris]). Eine positive Empfehlung des GBA liegt nicht vor, weshalb ein Anspruch auf diese Leistung nicht besteht (st Rechtsprechung des Senats, vgl Urteile vom 20.01.2015 – L 11 KR 4405/14;30.09.2014, L 11 KR 689/13). Dabei ist es unerheblich, worauf die Erkrankung im Einzelfall zurückzuführen ist.

Eine davon abweichende Betrachtung gebietet der konkrete Fall der Klägerin nicht. Trotz bislang nicht hinreichend erwiesener Wirksamkeit der Liposuktion zur Behandlung von Lipödemen ist der Klägerin eine Behandlung mittels Liposuktion nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zu gewähren. Der Senat stützt sich hierbei auf die Gutachten Dr. R.s und Dr. U.s vom MDK vom 17.10.2012 und vom 12.11.2012. Die Gutachter haben einerseits auf erhebliche Risiken (Blutergüsse, anaphylaktische Reaktionen auf das Lokalanästhetikum, kardiale Nebenwirkungen durch die toxische Wirkung des Lokalanästhetikums, Auftreten von Schwellungen, Infektionen und Konturunregelmäßigkeiten der Haut) und in der Literatur genannte mögliche Komplikationen (ischämische Optikusneuropathie, nekrotisierende Faszitis, Schocksyndrom, Lundenödem, Fettembolie, postoperatives Lymphödem der Beine) der Behandlung hingewiesen. Sie haben überdies dargelegt, dass im Falle der Klägerin eine konservative Behandlung (regelmäßige sportliche Betätigung und Bewegung, Kompressionsbehandlung/Tragen von Kompressionsstrümpfen, Lymphdrainage) möglich gewesen wäre. Der Senat stützt sich auf diese schlüssigen und plausiblen Gutachten und hält weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht für erforderlich.

Ein Leistungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels (so für die Liposuktion Senatsurteile vom 20.01.2015, L 11 KR 4405/14; 30.09.2014, L 11 KR 689/13 und vom 24.03.2009, L 11 KR 4438/06; ebenso LSG Baden-Württemberg 01.03.2013, L 4 KR 3517/11 sowie LSG Nordrhein-Westfalen 16.01.2014, L 16 KR 558/13; LSG Rheinland-Pfalz 07.02.2013, L 5 KR 9/12; Thüringer LSG 29.08.2012, L 6 KR 49/12 B; Hessisches LSG 25.08.2011, L 1 KR 250/10). Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R - in juris). Auf Antrag der Patientenvertretung vom März 2014 hat der GBA mit Beschluss vom Mai 2014 das Bewertungsverfahren begonnen. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass dieses Bewertungsverfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt wird.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 2 Abs 1a SGB V, eingefügt durch Art 1 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 2983), mit Wirkung vom 01.01.2012, berufen. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98 aaO) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (zB BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R - alle in juris) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen GBA bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung voraus (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R; 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, aaO).

Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist. Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen ua nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Einen solchen Schweregrad erreicht die Erkrankung der Klägerin nicht, wie sich aus im Antragsverfahren vorgelegte Attesten ergibt und wie Dr. R. und Dr. U. vom MDK in den Gutachten vom 17.10.2012 und vom 12.11.2012 überzeugend dargelegt haben. Auch nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine wertungsmäßig einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbare Krankheit bei schmerzhaften Lipödemen regelmäßig nicht vor (BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R aaO; ebenso Thüringer LSG 06.08.2014, L 6 KR 645/14 B, juris). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob konservative Therapien für die Klägerin als allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen erfolgsversprechend zur Verfügung gestanden haben und stehen.

Offenbleiben kann bei dieser Sachlage, ob die Klägerin die Beklagte rechtzeitig vor dem Beginn der Behandlung mit ihrem Anliegen befasst hat. § 13 Abs 3 S 1 SGB V normiert strenge Anforderungen an den Kausalzusammenhang zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand und dem Nachteil (Kostenlast) des Versicherten (vgl BSG 15.04.1997, 1 BK 31/96, SozR 3-2500 § 13 Nr 15; 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26, SozR 4-2500 § 13 Nr 12). Im Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung sind dem Versicherten Kosten einer selbstbeschafften Leistung - abgesehen von Notfällen - nur zu erstatten, wenn er die konkrete Leistung rechtzeitig vor der Beschaffung bei der Krankenkasse beantragt und deren Entscheidung abgewartet hat (vgl BSG 15.04.1997, 1 BK 31/96, SozR 3-2500 § 13 Nr 15; 20.05.2003, B 1 KR 9/03 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 1). Vorliegend hat die Klägerin lediglich vier Tage nach der Antragstellung der Beklagten mit der Durchführung der Liposuktion begonnen, sodass jedenfalls die Behandlung am 24.09.2012 nicht nach § 13 Abs 3 SGB V erstattungsfähig ist. Was die weiteren Behandlungsschritte angeht, kann offenbleiben, ob der Ablehnungsbescheid vom 19.10.2012 insoweit eine Zäsur bildet und die Operation vom 24.09.2012 und die weiteren Operationen am 14.11.2012 und 25.04.2013 als einheitlicher Behandlungsvorgang anzusehen sind (vgl Helbig in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 13 Rn 59 mwN).

Die Ausführungen im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 20.01.2015, dass der Senat gehalten sei, dem Beweisangebot "Sachverständigengutachten" nachzugehen, wertet der Senat zwar als Beweisantrag, lehnt diesen aber ab, weil er unzulässig ist. Es kommt rechtlich nicht darauf an, ob ein Sachverständiger der Ansicht ist, dass eine bislang nicht anerkannte Behandlungsmethode anzuerkennen wäre. Darüber hat der Gemeinsame Bundesausschuss in einem konkret geregelten Verfahren zu entscheiden. Ob dieser seiner Verpflichtung nachgekommen ist oder ob ein Fall des sog Systemversagens vorliegt, ist in erster Linie eine Rechtsfrage. Auch im Urteil vom 07.05.2013 (B 1 KR 44/12 R), auf das sich der Kläger bezieht, hat das BSG bemängelt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss Erkenntnisse, die er in einem Verfahren nach § 137c SGB V gewonnen hat, nicht sektorenübergreifend auf den ambulanten Bereich übertragen hat. In rechtlicher Hinsicht ist es unerheblich, worauf die Erkrankung im Einzelfall zurückzuführen ist. Daher braucht auch diesem Gesichtspunkt nicht durch Einholung eines Gutachtens nachgegangen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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