Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 1785/12
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 988/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf den Antrag des Klägers wird die im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 7. Mai 2013 getroffene Entscheidung, dass der Kläger Verfahrenskosten in Höhe von 150,00 EUR an die Staatskasse zu zahlen hat, aufgehoben.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten war in der Hauptsache streitig, ob die Beklagte weitere Kosten für ein Hörgerät zu erstatten hat.
Der 1939 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Rentner pflichtversichert. Im September 2010 beantragte er die Übernahme der vollständigen Kosten für ein Hörgerät. Am 18. Dezember 2010 gingen die Verordnung des Vertragsarztes Dr. W. vom 7. September 2010 über eine Hörhilfe links sowie eine "Kostenaufstellung der Versorgung" der Hörgeräte GmbH & Co. KG vom 2. Dezember 2010 bei der Beklagten ein. Am 23. Dezember 2010 teilte diese der Hörgeräte GmbH & Co. KG mit, sie übernehme Kosten in Höhe von 636,56 EUR für das Hörgerät.
Am 18. Januar 2011 erreichten die Beklagte weitere Unterlagen: Die Rechnung der Hörgeräte GmbH & Co. KG vom 15. November 2010 über 2.355,44 EUR, Anpassberichte des Hörgerä-teakustikers vom 15. November 2010 und eine schriftliche Erklärung des Klägers vom 10. November 2010, dass er sich für eine Versorgung mit Eigenanteil entschieden habe und ein anderes Angebot nicht wünsche. Im Februar 2011 übersandte die Hörgeräte GmbH & Co. KG einen Anpassbericht des Hörgeräteakustikers vom 24. Januar 2011 bezüglich des Hörgerätes und weiterer Hörgeräte. Nach dem Gutachten des (MDK) e.V. vom 8. Februar 2011 handelt es sich bei dem Hörgerät um ein 10-kanaliges volldigitales Hörgerät mit einer Verstärkung von 63 dB bei 1,6 kHz. Das Gerät verfügt neben einem Rückkopplungsmanager über eine Spracherkennungsfunktion, aber auch weitere Features, die im Falle des Versicherten bei nur einohriger Versorgung kaum von Nutzen sein dürften (z.B. Raumklang 2.0, binaurale Signalverarbeitung). Eine abschließende Entscheidung sei aufgrund der Unzulänglichkeiten in den übersandten Unterlagen nicht möglich.
Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2011 erhob der Kläger gegen einen Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2010 wegen nicht vollständiger Übernahme der Kosten für die Hörhilfe Widerspruch. Nach Einholung eines weiteren Gutachtens des MDK vom 4. April 2011 teilte die Beklagte ihm mit, neben dem von ihm begehrten Hörgerät sei auch das vergleichbare Hörgerät 3,6 angepasst worden. Sie übernehme die festbetragsüberschreitenden Kosten in Höhe von 1.515,44 EUR. Hiergegen erhob der Kläger am 23. Mai 2011 Widerspruch wegen der nicht vollen Übernahme der Kosten für das von ihm beschaffte Hörgerät. Er überreichte eine Ratenzahlungsvereinbarung mit der GmbH & Co. KG vom 10. November 2010. Nach Einholung weiterer Gutachten des MDK wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2012 zurück. Sie habe ihm mit Bescheid vom 3. Mai 2011 mitgeteilt, dass keine Kosten über den Festbetrag übernommen werden können. Die Sachverständigen des MDK hätten festgestellt, dass eine Hörgeräteversorgung medizinisch indiziert sei und diese im Rahmen der Hörgeräteversorgung zum Festbetrag sichergestellt werden könne. Ein erheblicher Gebrauchsvorteil des von ihm begehrten Hörgerätes sei aus gutachterlicher Sicht nicht feststellbar. Eine festbetragsüberschreitende Hörgeräteversorgung sei medizinisch nicht notwendig.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) dem Kläger mit Verfügung vom 2. April 2013 mitgeteilt, dass es beabsichtige den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Klage erscheine nach derzeitigem Sachstand aussichtslos. Er habe die Hörgeräte selbst beschafft zu einem Zeitpunkt, bevor die Krankenkasse über ihre Leistungspflicht entschieden habe. Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V bestehe nicht, weil der notwendige Beschaffungsweg nicht eingehalten wurde. Auf medizinische Sachfragen komme es nicht an. Es werde dringend angeregt, die Klage zurückzunehmen. Bei Fortsetzung des Rechtsstreites trotz dieser Hinweise würden Kosten gemäß § 192 SGG verhängt. Es werde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 19. April 2013 eingeräumt. Mit Schriftsatz vom 16. April 2013 hat der Kläger vorgetragen, er sei erst nachträglich, am 12. Januar 2011 mit dem Hörgerät versorgt worden. Rein vorsorglich bitte er um Fristverlängerung zur Stellungnahme. Mit Verfügung vom 18. April 2013 hat das SG Fristverlängerung um eine Woche gewährt und ausgeführt, es sei mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass hier streitgegenständlich der Ablehnungsbescheid bzw. Teilablehnungsbescheid vom 3. Mai 2010 sei. Bei Blatt 4 der Verwaltungsakte handele es sich um ein Schreiben an den Hörgeräteakustiker. Nach § 13 Abs. 3 Fall 2 SGB V sei vor Beschaffung der Leistung der Bescheid der Krankenkasse abzuwarten. Sollte der Kläger den Rechtsstreit trotz dieser Hinweise fortsetzen, würden Kosten in Höhe von 800 EUR gemäß § 192 SGG verhängt. Am 15. Mai 2013 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13. Mai 2013 vorgetragen, der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten habe während der Hörgeräteanpassung vor der Versorgungsentscheidung ständig mit der zuständigen Hörgeräteakustikerin Kontakt gestanden und die Anpassberichte besprochen. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 3. Mai 2011 eine Kostenübernahme in Höhe von 1.515,44 EUR erklärt habe, werde nunmehr auch beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn diesen Betrag zu zahlen. Die Rechtsverfolgung sei nicht mutwillig.
Mit Gerichtsbescheid vom 7. Mai 2013, zugestellt am 21. Mai 2013, hat das SG die Klage abgewiesen und dem Kläger auferlegt, Verfahrenskosten in Höhe von 150 EUR an die Staatskasse zu zahlen. Die Anspruchsvoraussetzungen nach § 13 Abs. 3 Alternative 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) lägen offensichtlich nicht vor. Ausweislich der vorgelegten Rechnungen habe der Kläger die Hörgeräte bereits in Anspruch genommen, bevor die Beklagte über ihre Leistungspflicht entschieden habe. Der hier maßgebliche Bescheid datiere vom 3. Mai 2011. Der Kläger sei mehrfach darauf hingewiesen worden, dass er bereits deshalb keinen Kostenerstattungsanspruch habe, weil er den notwendigen Beschaffungsweg nicht eingehalten habe. Die Entscheidung über die Auferlegung von Gerichtskosten folge aus § 192 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Im Berufungsverfahren hat die Berichterstatterin des 6. Senats mit den Beteiligten am 9. Januar 2015 einen Erörterungstermin durchgeführt. Die Beklagte hat sich bereit erklärt, dem Kläger den im Bescheid vom 3. Mai 2011 ausgewiesenen Betrag in Höhe von 1.515,44 EUR auszuzahlen. Der Kläger hat daraufhin die Klage und die Berufung zurückgenommen und beantragt, die Kostenentscheidung im Gerichtsbescheid vom 7. Mai 2013 bezüglich der Auferlegung von Verfahrenskosten in Höhe von 150 EUR aufzuheben. Die Beklagte hat hierzu keinen Antrag gestellt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung war.
II.
Der Antrag auf Aufhebung der Verschuldenskosten ist zulässig, weil der Kläger die Klage im Erörterungstermin am 9. Januar 2015 zurückgenommen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2008 - L 6 R 165/06).
Er konnte diese prozessuale Erklärung wirksam abgeben, weil der Gerichtsbescheid des SG vom 7. Mai 2013 wegen des von dem Kläger eingelegten Rechtsmittels noch keine Rechtskraft erlangt hatte (§ 102 Abs. 1 Satz 1 SGG). Durch die Klagerücknahme hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Der Gerichtsbescheid des SG vom 7. Mai 2013 ist durch die Klagerücknahme, mit Ausnahme der Auferlegung von Verschuldenskosten, wirkungslos geworden.
Nach § 192 Abs. 1 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass (1) durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist oder (2) der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigter. Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG für die jeweilige Instanz. Nach § 192 Abs. 3 SGG wird die Entscheidung nach Absatz 1 in ihrem Bestand durch die Rücknahme der Klage nicht berührt. Sie kann nur durch eine zu begründende Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden.
Der Antrag des Klägers ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die Auferlegung von Verschuldenskosten nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG waren nicht erfüllt.
Eine Fallgestaltung in der dem Kläger Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung vorgeworfen werden kann, weil er entgegen den Hinweisen der Vorsitzenden an seinem Klagebegehren festgehalten hat, lag hier nicht vor. Rechtsmissbräuchlichkeit in diesem Sinne liegt z.B. dann vor, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und die Erhebung oder Fortführung der Klage von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden müsste (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 192 Rn. 10 m.w.N.). Davon konnte das SG hier bereits deshalb nicht ausgehen, weil es den zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht aufgeklärt bzw. rechtlich falsch gewertet hat. Streitgegenstand des Klageverfahrens war die volle Übernahme der Kosten für das selbst beschaffte Hörgerät. Bezüglich dieses Klagebegehrens hat der Kläger im Verwaltungsverfahren zunächst Widerspruch gegen einen Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2010 eingelegt. Aus der Verwaltungsakte der Beklagten ist ersichtlich, dass sie am 23. Dezember 2010 gegenüber der Hörgeräte GmbH & Co. KG erklärte, 636,56 EUR (Festbetrag) für die Versorgung des Klägers mit einem Hörgerät zu übernehmen. Ob ein entsprechender schriftlicher Bescheid gegenüber dem Kläger ergangen ist bzw. die Entscheidung der Beklagten, (nur) den Festbetrag für die Hörgeräteversorgung zu übernehmen, als Bescheid gegenüber dem Kläger zu bewerten ist, hat das SG nicht geklärt. Indem es dem Kläger mit seiner Verfügung vom 17. April 2013 mitgeteilt hat, Streitgegenstand sei der Bescheid vom 3. Mai 2011, hat es den ersten Teil des Vorverfahrens ignoriert. Das SG hat nicht aufgeklärt, wann sich der Kläger das ausgewählte Hörgerät tatsächlich selbst beschafft hat. Anspruchshindernd ist insoweit ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen dem Versicherten und dem Leistungserbringer (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 24. Januar 2013 - Az.: B 3 KR 5/12 R, nach juris). Im Gerichtsbescheid vom 7. Mai 2013 ist das SG davon ausgegangen, der Kläger habe sich das Hörgerät (erst) am 12. Januar 2011 selbst beschafft hat. Entspräche dies den Tatsachen, hätte er sich das Hörgerät erst nach der Entscheidung der Beklagten vom 23. Dezember 2010 beschafft. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V wäre also nicht offensichtlich wegen der fehlenden Kausalität zwischen der Entscheidung der Beklagten und den dem Kläger entstandenen Kosten abzulehnen gewesen.
Den nach der Einlegung des Widerspruchs ergangenen Bescheid vom 3. Mai 2011 konnte der Kläger nur dahingehend verstehen, dass seinem Widerspruch teilweise stattgegeben wurde, weil die Beklagte erklärte, sie werde die festbetragsüberschreitenden Kosten in Höhe von 1.515,44 EUR übernehmen. Sein hiergegen eingelegter Widerspruch vom 23. Mai 2011 war dahingehend auszulegen, dass er nur insoweit Widerspruch erhebt, als weiterhin nicht die vollen Kosten in Höhe von 2.355,44 EUR übernommen wurden. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2012 hat die Beklagte dann entgegen dem Bescheid vom 3. Mai 2011 entschieden, dass er keinen Anspruch auf Übernahme von Kosten hat, die den Festbetrag überschreiten. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte "Verböserung" im Widerspruchsverfahren, die nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Eine der Voraussetzungen ist eine Anhörung des Klägers vor Erlass des Widerspruchsbescheides (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 85 Rn. 5 m.w.N.). Rechtliche Ausführungen hierzu finden sich in den Verfügungen der Vorsitzenden des SG vom 2. und 17. April 2013 nicht. Schließlich hat das SG auch den Schriftsatz des Klägers vom 15. Mai 2013, der vor Absendung des Gerichtsbescheides am 16. Mai 2013 beim SG eingegangen ist, in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt und bezüglich der geänderten Klage auf Zahlung von 1.515,44 EUR keinen Hinweis nach § 192 SGG erteilt. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass die gerichtlichen Verfügungen dem Kläger Veranlassung geben mussten, seine Klage zurückzunehmen, oder dass das Festhalten am Klagebegehren den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs rechtfertigen könnte.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten war in der Hauptsache streitig, ob die Beklagte weitere Kosten für ein Hörgerät zu erstatten hat.
Der 1939 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Rentner pflichtversichert. Im September 2010 beantragte er die Übernahme der vollständigen Kosten für ein Hörgerät. Am 18. Dezember 2010 gingen die Verordnung des Vertragsarztes Dr. W. vom 7. September 2010 über eine Hörhilfe links sowie eine "Kostenaufstellung der Versorgung" der Hörgeräte GmbH & Co. KG vom 2. Dezember 2010 bei der Beklagten ein. Am 23. Dezember 2010 teilte diese der Hörgeräte GmbH & Co. KG mit, sie übernehme Kosten in Höhe von 636,56 EUR für das Hörgerät.
Am 18. Januar 2011 erreichten die Beklagte weitere Unterlagen: Die Rechnung der Hörgeräte GmbH & Co. KG vom 15. November 2010 über 2.355,44 EUR, Anpassberichte des Hörgerä-teakustikers vom 15. November 2010 und eine schriftliche Erklärung des Klägers vom 10. November 2010, dass er sich für eine Versorgung mit Eigenanteil entschieden habe und ein anderes Angebot nicht wünsche. Im Februar 2011 übersandte die Hörgeräte GmbH & Co. KG einen Anpassbericht des Hörgeräteakustikers vom 24. Januar 2011 bezüglich des Hörgerätes und weiterer Hörgeräte. Nach dem Gutachten des (MDK) e.V. vom 8. Februar 2011 handelt es sich bei dem Hörgerät um ein 10-kanaliges volldigitales Hörgerät mit einer Verstärkung von 63 dB bei 1,6 kHz. Das Gerät verfügt neben einem Rückkopplungsmanager über eine Spracherkennungsfunktion, aber auch weitere Features, die im Falle des Versicherten bei nur einohriger Versorgung kaum von Nutzen sein dürften (z.B. Raumklang 2.0, binaurale Signalverarbeitung). Eine abschließende Entscheidung sei aufgrund der Unzulänglichkeiten in den übersandten Unterlagen nicht möglich.
Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2011 erhob der Kläger gegen einen Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2010 wegen nicht vollständiger Übernahme der Kosten für die Hörhilfe Widerspruch. Nach Einholung eines weiteren Gutachtens des MDK vom 4. April 2011 teilte die Beklagte ihm mit, neben dem von ihm begehrten Hörgerät sei auch das vergleichbare Hörgerät 3,6 angepasst worden. Sie übernehme die festbetragsüberschreitenden Kosten in Höhe von 1.515,44 EUR. Hiergegen erhob der Kläger am 23. Mai 2011 Widerspruch wegen der nicht vollen Übernahme der Kosten für das von ihm beschaffte Hörgerät. Er überreichte eine Ratenzahlungsvereinbarung mit der GmbH & Co. KG vom 10. November 2010. Nach Einholung weiterer Gutachten des MDK wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2012 zurück. Sie habe ihm mit Bescheid vom 3. Mai 2011 mitgeteilt, dass keine Kosten über den Festbetrag übernommen werden können. Die Sachverständigen des MDK hätten festgestellt, dass eine Hörgeräteversorgung medizinisch indiziert sei und diese im Rahmen der Hörgeräteversorgung zum Festbetrag sichergestellt werden könne. Ein erheblicher Gebrauchsvorteil des von ihm begehrten Hörgerätes sei aus gutachterlicher Sicht nicht feststellbar. Eine festbetragsüberschreitende Hörgeräteversorgung sei medizinisch nicht notwendig.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) dem Kläger mit Verfügung vom 2. April 2013 mitgeteilt, dass es beabsichtige den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Klage erscheine nach derzeitigem Sachstand aussichtslos. Er habe die Hörgeräte selbst beschafft zu einem Zeitpunkt, bevor die Krankenkasse über ihre Leistungspflicht entschieden habe. Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V bestehe nicht, weil der notwendige Beschaffungsweg nicht eingehalten wurde. Auf medizinische Sachfragen komme es nicht an. Es werde dringend angeregt, die Klage zurückzunehmen. Bei Fortsetzung des Rechtsstreites trotz dieser Hinweise würden Kosten gemäß § 192 SGG verhängt. Es werde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 19. April 2013 eingeräumt. Mit Schriftsatz vom 16. April 2013 hat der Kläger vorgetragen, er sei erst nachträglich, am 12. Januar 2011 mit dem Hörgerät versorgt worden. Rein vorsorglich bitte er um Fristverlängerung zur Stellungnahme. Mit Verfügung vom 18. April 2013 hat das SG Fristverlängerung um eine Woche gewährt und ausgeführt, es sei mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass hier streitgegenständlich der Ablehnungsbescheid bzw. Teilablehnungsbescheid vom 3. Mai 2010 sei. Bei Blatt 4 der Verwaltungsakte handele es sich um ein Schreiben an den Hörgeräteakustiker. Nach § 13 Abs. 3 Fall 2 SGB V sei vor Beschaffung der Leistung der Bescheid der Krankenkasse abzuwarten. Sollte der Kläger den Rechtsstreit trotz dieser Hinweise fortsetzen, würden Kosten in Höhe von 800 EUR gemäß § 192 SGG verhängt. Am 15. Mai 2013 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13. Mai 2013 vorgetragen, der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten habe während der Hörgeräteanpassung vor der Versorgungsentscheidung ständig mit der zuständigen Hörgeräteakustikerin Kontakt gestanden und die Anpassberichte besprochen. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 3. Mai 2011 eine Kostenübernahme in Höhe von 1.515,44 EUR erklärt habe, werde nunmehr auch beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn diesen Betrag zu zahlen. Die Rechtsverfolgung sei nicht mutwillig.
Mit Gerichtsbescheid vom 7. Mai 2013, zugestellt am 21. Mai 2013, hat das SG die Klage abgewiesen und dem Kläger auferlegt, Verfahrenskosten in Höhe von 150 EUR an die Staatskasse zu zahlen. Die Anspruchsvoraussetzungen nach § 13 Abs. 3 Alternative 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) lägen offensichtlich nicht vor. Ausweislich der vorgelegten Rechnungen habe der Kläger die Hörgeräte bereits in Anspruch genommen, bevor die Beklagte über ihre Leistungspflicht entschieden habe. Der hier maßgebliche Bescheid datiere vom 3. Mai 2011. Der Kläger sei mehrfach darauf hingewiesen worden, dass er bereits deshalb keinen Kostenerstattungsanspruch habe, weil er den notwendigen Beschaffungsweg nicht eingehalten habe. Die Entscheidung über die Auferlegung von Gerichtskosten folge aus § 192 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Im Berufungsverfahren hat die Berichterstatterin des 6. Senats mit den Beteiligten am 9. Januar 2015 einen Erörterungstermin durchgeführt. Die Beklagte hat sich bereit erklärt, dem Kläger den im Bescheid vom 3. Mai 2011 ausgewiesenen Betrag in Höhe von 1.515,44 EUR auszuzahlen. Der Kläger hat daraufhin die Klage und die Berufung zurückgenommen und beantragt, die Kostenentscheidung im Gerichtsbescheid vom 7. Mai 2013 bezüglich der Auferlegung von Verfahrenskosten in Höhe von 150 EUR aufzuheben. Die Beklagte hat hierzu keinen Antrag gestellt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung war.
II.
Der Antrag auf Aufhebung der Verschuldenskosten ist zulässig, weil der Kläger die Klage im Erörterungstermin am 9. Januar 2015 zurückgenommen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2008 - L 6 R 165/06).
Er konnte diese prozessuale Erklärung wirksam abgeben, weil der Gerichtsbescheid des SG vom 7. Mai 2013 wegen des von dem Kläger eingelegten Rechtsmittels noch keine Rechtskraft erlangt hatte (§ 102 Abs. 1 Satz 1 SGG). Durch die Klagerücknahme hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Der Gerichtsbescheid des SG vom 7. Mai 2013 ist durch die Klagerücknahme, mit Ausnahme der Auferlegung von Verschuldenskosten, wirkungslos geworden.
Nach § 192 Abs. 1 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass (1) durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist oder (2) der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigter. Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG für die jeweilige Instanz. Nach § 192 Abs. 3 SGG wird die Entscheidung nach Absatz 1 in ihrem Bestand durch die Rücknahme der Klage nicht berührt. Sie kann nur durch eine zu begründende Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden.
Der Antrag des Klägers ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die Auferlegung von Verschuldenskosten nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG waren nicht erfüllt.
Eine Fallgestaltung in der dem Kläger Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung vorgeworfen werden kann, weil er entgegen den Hinweisen der Vorsitzenden an seinem Klagebegehren festgehalten hat, lag hier nicht vor. Rechtsmissbräuchlichkeit in diesem Sinne liegt z.B. dann vor, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und die Erhebung oder Fortführung der Klage von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden müsste (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 192 Rn. 10 m.w.N.). Davon konnte das SG hier bereits deshalb nicht ausgehen, weil es den zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht aufgeklärt bzw. rechtlich falsch gewertet hat. Streitgegenstand des Klageverfahrens war die volle Übernahme der Kosten für das selbst beschaffte Hörgerät. Bezüglich dieses Klagebegehrens hat der Kläger im Verwaltungsverfahren zunächst Widerspruch gegen einen Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2010 eingelegt. Aus der Verwaltungsakte der Beklagten ist ersichtlich, dass sie am 23. Dezember 2010 gegenüber der Hörgeräte GmbH & Co. KG erklärte, 636,56 EUR (Festbetrag) für die Versorgung des Klägers mit einem Hörgerät zu übernehmen. Ob ein entsprechender schriftlicher Bescheid gegenüber dem Kläger ergangen ist bzw. die Entscheidung der Beklagten, (nur) den Festbetrag für die Hörgeräteversorgung zu übernehmen, als Bescheid gegenüber dem Kläger zu bewerten ist, hat das SG nicht geklärt. Indem es dem Kläger mit seiner Verfügung vom 17. April 2013 mitgeteilt hat, Streitgegenstand sei der Bescheid vom 3. Mai 2011, hat es den ersten Teil des Vorverfahrens ignoriert. Das SG hat nicht aufgeklärt, wann sich der Kläger das ausgewählte Hörgerät tatsächlich selbst beschafft hat. Anspruchshindernd ist insoweit ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen dem Versicherten und dem Leistungserbringer (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 24. Januar 2013 - Az.: B 3 KR 5/12 R, nach juris). Im Gerichtsbescheid vom 7. Mai 2013 ist das SG davon ausgegangen, der Kläger habe sich das Hörgerät (erst) am 12. Januar 2011 selbst beschafft hat. Entspräche dies den Tatsachen, hätte er sich das Hörgerät erst nach der Entscheidung der Beklagten vom 23. Dezember 2010 beschafft. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V wäre also nicht offensichtlich wegen der fehlenden Kausalität zwischen der Entscheidung der Beklagten und den dem Kläger entstandenen Kosten abzulehnen gewesen.
Den nach der Einlegung des Widerspruchs ergangenen Bescheid vom 3. Mai 2011 konnte der Kläger nur dahingehend verstehen, dass seinem Widerspruch teilweise stattgegeben wurde, weil die Beklagte erklärte, sie werde die festbetragsüberschreitenden Kosten in Höhe von 1.515,44 EUR übernehmen. Sein hiergegen eingelegter Widerspruch vom 23. Mai 2011 war dahingehend auszulegen, dass er nur insoweit Widerspruch erhebt, als weiterhin nicht die vollen Kosten in Höhe von 2.355,44 EUR übernommen wurden. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2012 hat die Beklagte dann entgegen dem Bescheid vom 3. Mai 2011 entschieden, dass er keinen Anspruch auf Übernahme von Kosten hat, die den Festbetrag überschreiten. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte "Verböserung" im Widerspruchsverfahren, die nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Eine der Voraussetzungen ist eine Anhörung des Klägers vor Erlass des Widerspruchsbescheides (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 85 Rn. 5 m.w.N.). Rechtliche Ausführungen hierzu finden sich in den Verfügungen der Vorsitzenden des SG vom 2. und 17. April 2013 nicht. Schließlich hat das SG auch den Schriftsatz des Klägers vom 15. Mai 2013, der vor Absendung des Gerichtsbescheides am 16. Mai 2013 beim SG eingegangen ist, in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt und bezüglich der geänderten Klage auf Zahlung von 1.515,44 EUR keinen Hinweis nach § 192 SGG erteilt. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass die gerichtlichen Verfügungen dem Kläger Veranlassung geben mussten, seine Klage zurückzunehmen, oder dass das Festhalten am Klagebegehren den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs rechtfertigen könnte.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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