Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 15 KR 335/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 2/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 22. Dezember 2014 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellerinnen auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Der Antrag der Antragstellerinnen auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 22. Dezember 2014 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, Leistungen nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu gewähren.
Der Antrag der Antragstellerinnen ist als solcher auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig. Danach kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen. Das Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG ist vorliegend nicht einschlägig, weil die Antragstellerinnen ihr Rechtsschutzziel nicht durch die vorläufige Beendigung der Wirkungen eines Verwaltungsaktes erreichen können, sondern gerade die, ausweislich einer Gesprächsnotiz vom 29. Oktober 2014 (mündlich) abgelehnte, Feststellung eines Versicherungsverhältnisses begehren. Insoweit hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschlüsse vom 7. Januar 2008 - Az.: L 1 B 336/07 KR ER – und vom 10. April 2013 – L 1 KR 1/13 B ER -, zitiert jeweils nach juris) fest, dass im Wege der einstweiligen Anordnung auch die Feststellung des Bestehens eines Versicherungsverhältnisses oder die Verpflichtung der Krankenkasse zur Erbringung der gesetzlichen Leistungen dem Grunde nach erfolgen kann. Ob die Voraussetzungen einer solch weitgehenden Regelungsanordnung vorliegen, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Ein Anspruch auf Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist nur gegeben, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu muss der Antragsteller gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft machen.
Vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist auszugehen, wenn nach (summarischer) Prüfung die Hauptsache Erfolgsaussicht hat. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem Antragsteller unter Abwägung seiner sowie der Interessen Dritter und des öffentlichen Interesses nicht zumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Ein Anordnungsanspruch liegt vor. Nach gegenwärtigem Sachstand ist die Versicherungspflicht der Antragstellerin zu 1), die ausweislich ihrer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 27. Januar 2015 über keine Einnahmen verfügt, insbesondere auch keine Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bezieht, nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V überwiegend wahrscheinlich. Danach sind versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren. Die Antragstellerin zu 1) war zuletzt, bis zum 31. März 2008, gesetzlich krankenversichert. Ein Versicherungsschutz aus einer privaten Krankenversicherung bestand in der Folgezeit nicht. Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 10. April 2013 (a. a. O.) zum Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes in der Parallelnorm des § 5 Abs. 5a Satz 1 SGB V entschieden, dass im Rahmen der Prüfung des Bestehens eines privaten Krankenversicherungsvertrages eine rückwirkende Beendigung durch Anfechtung nach § 142 Abs. 1 BGB jedenfalls dann zu berücksichtigen ist, wenn aus dem Vertrag faktisch kein Versicherungsschutz in Anspruch genommen wurde. Ausgangspunkt der Bewertung ist insoweit nach Auffassung des Senats die Einheit der Rechtsordnung, die es gebietet die zivilrechtliche Wertentscheidung einer rückwirkenden Nichtigkeit des Krankenversicherungsvertrages auch im Sozialversicherungsrecht zu beachten. Soweit hiergegen angeführt wird, dass das krankenversicherungsrechtliche Verhältnis nicht von zukünftigen ungewissen Ereignissen wie einer Anfechtung abhängen kann (Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2012 – Az.: L 5 KR 258/12 B ER), mag dies eine abweichende Wertung für den Fall bis zum Zugang der Anfechtungserklärung tatsächlich vollzogener Versicherungsverhältnisse zulassen. Letztlich setzt die Gegenauffassung eine Auslegung des Begriffs "privat krankenversichert" voraus, der nicht mit dem des wirksamen Bestehens eines privaten Krankenversicherungsvertrages übereinstimmt. Angesichts der gesetzlichen Systematik kann es bei einem solchen Verständnis dann aber nur auf ein tatsächlich vollzogenes Versicherungsverhältnis, d.h. die Gewährung von faktischem Versicherungsschutz ankommen. Da sich private Versicherungsunternehmen im Fall der Inanspruchnahme regelmäßig auch mit der Vertragsanfechtung verteidigen, wäre es inkonsequent bei einer solchen von der zivilrechtlichen Rechtslage gelösten Betrachtung die Anfechtbarkeit außer Acht zu lassen. Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalens vom 25. September 2014 – L 16 KR 735/13 – (zitiert nach juris) keine Veranlassung im Rahmen dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Da die Antragstellerin zu 1) nach Aktenlage und auf ausdrückliche Nachfrage des Senats vorgetragen hat, keine Leistungen aus der privaten Krankenversicherung in Anspruch genommen zu haben, ist das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes einer privaten Versicherung nicht überwiegend wahrscheinlich. Die am 3. November 2014 geborene Antragstellerin zu 2) ist damit als Tochter der Antragstellerin zu 1) nach § 10 Abs. 1 SGB V im Rahmen der Familienversicherung Mitglied der Antragsgegnerin. Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Insoweit sind nach Auffassung des Senats bei fehlenden Krankenversicherungsschutz und Vorliegen eines Anordnungsanspruchs keine hohen Anforderungen zu stellen, zumal die Antragstellerin zu 2) erst im vierten Lebensmonat ist und schon deshalb für Mutter und Kind ein Leistungsbedarf nach dem SGB V besteht. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Der Antrag der Antragstellerinnen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt H wird abgelehnt, weil die Antragstellerinnen im Hinblick auf die unanfechtbare Kostenentscheidung nicht bedürftig sind.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 22. Dezember 2014 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, Leistungen nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu gewähren.
Der Antrag der Antragstellerinnen ist als solcher auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig. Danach kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen. Das Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG ist vorliegend nicht einschlägig, weil die Antragstellerinnen ihr Rechtsschutzziel nicht durch die vorläufige Beendigung der Wirkungen eines Verwaltungsaktes erreichen können, sondern gerade die, ausweislich einer Gesprächsnotiz vom 29. Oktober 2014 (mündlich) abgelehnte, Feststellung eines Versicherungsverhältnisses begehren. Insoweit hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschlüsse vom 7. Januar 2008 - Az.: L 1 B 336/07 KR ER – und vom 10. April 2013 – L 1 KR 1/13 B ER -, zitiert jeweils nach juris) fest, dass im Wege der einstweiligen Anordnung auch die Feststellung des Bestehens eines Versicherungsverhältnisses oder die Verpflichtung der Krankenkasse zur Erbringung der gesetzlichen Leistungen dem Grunde nach erfolgen kann. Ob die Voraussetzungen einer solch weitgehenden Regelungsanordnung vorliegen, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Ein Anspruch auf Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist nur gegeben, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu muss der Antragsteller gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft machen.
Vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist auszugehen, wenn nach (summarischer) Prüfung die Hauptsache Erfolgsaussicht hat. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem Antragsteller unter Abwägung seiner sowie der Interessen Dritter und des öffentlichen Interesses nicht zumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Ein Anordnungsanspruch liegt vor. Nach gegenwärtigem Sachstand ist die Versicherungspflicht der Antragstellerin zu 1), die ausweislich ihrer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 27. Januar 2015 über keine Einnahmen verfügt, insbesondere auch keine Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bezieht, nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V überwiegend wahrscheinlich. Danach sind versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren. Die Antragstellerin zu 1) war zuletzt, bis zum 31. März 2008, gesetzlich krankenversichert. Ein Versicherungsschutz aus einer privaten Krankenversicherung bestand in der Folgezeit nicht. Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 10. April 2013 (a. a. O.) zum Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes in der Parallelnorm des § 5 Abs. 5a Satz 1 SGB V entschieden, dass im Rahmen der Prüfung des Bestehens eines privaten Krankenversicherungsvertrages eine rückwirkende Beendigung durch Anfechtung nach § 142 Abs. 1 BGB jedenfalls dann zu berücksichtigen ist, wenn aus dem Vertrag faktisch kein Versicherungsschutz in Anspruch genommen wurde. Ausgangspunkt der Bewertung ist insoweit nach Auffassung des Senats die Einheit der Rechtsordnung, die es gebietet die zivilrechtliche Wertentscheidung einer rückwirkenden Nichtigkeit des Krankenversicherungsvertrages auch im Sozialversicherungsrecht zu beachten. Soweit hiergegen angeführt wird, dass das krankenversicherungsrechtliche Verhältnis nicht von zukünftigen ungewissen Ereignissen wie einer Anfechtung abhängen kann (Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2012 – Az.: L 5 KR 258/12 B ER), mag dies eine abweichende Wertung für den Fall bis zum Zugang der Anfechtungserklärung tatsächlich vollzogener Versicherungsverhältnisse zulassen. Letztlich setzt die Gegenauffassung eine Auslegung des Begriffs "privat krankenversichert" voraus, der nicht mit dem des wirksamen Bestehens eines privaten Krankenversicherungsvertrages übereinstimmt. Angesichts der gesetzlichen Systematik kann es bei einem solchen Verständnis dann aber nur auf ein tatsächlich vollzogenes Versicherungsverhältnis, d.h. die Gewährung von faktischem Versicherungsschutz ankommen. Da sich private Versicherungsunternehmen im Fall der Inanspruchnahme regelmäßig auch mit der Vertragsanfechtung verteidigen, wäre es inkonsequent bei einer solchen von der zivilrechtlichen Rechtslage gelösten Betrachtung die Anfechtbarkeit außer Acht zu lassen. Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalens vom 25. September 2014 – L 16 KR 735/13 – (zitiert nach juris) keine Veranlassung im Rahmen dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Da die Antragstellerin zu 1) nach Aktenlage und auf ausdrückliche Nachfrage des Senats vorgetragen hat, keine Leistungen aus der privaten Krankenversicherung in Anspruch genommen zu haben, ist das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes einer privaten Versicherung nicht überwiegend wahrscheinlich. Die am 3. November 2014 geborene Antragstellerin zu 2) ist damit als Tochter der Antragstellerin zu 1) nach § 10 Abs. 1 SGB V im Rahmen der Familienversicherung Mitglied der Antragsgegnerin. Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Insoweit sind nach Auffassung des Senats bei fehlenden Krankenversicherungsschutz und Vorliegen eines Anordnungsanspruchs keine hohen Anforderungen zu stellen, zumal die Antragstellerin zu 2) erst im vierten Lebensmonat ist und schon deshalb für Mutter und Kind ein Leistungsbedarf nach dem SGB V besteht. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Der Antrag der Antragstellerinnen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt H wird abgelehnt, weil die Antragstellerinnen im Hinblick auf die unanfechtbare Kostenentscheidung nicht bedürftig sind.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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