L 2 R 148/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 97 R 198/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 R 148/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Zulässigkeit der Klage steht die mangelnde Angabe einer Anschrift nicht entgegen, wenn der Postverkehr im Ausland mangels Anschrift über Postfächer abgewickelt wird.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. September 2012 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist eine von der Beklagten durchgeführte Verrechnung der Altersrente mit Krankenversicherungsbeiträgen des Klägers.

Der im Jahr 1934 geborene Kläger bezieht seit dem 1. Mai 2008 eine ihm mit Bescheid vom 24. Juni 2008 zuerkannte Regelaltersrente mit einem monatlichen Zahlbetrag von 676,06 Euro.

Er teilte der Beklagten mit Schreiben vom 20. Mai 2008 mit, dass er am 26. Juni 2008 seinen Wohnsitz in Deutschland aufgeben und nach Mombasa/Kenia auswandern werde. Im Folgenden übersandte er die Kopie eines Tickets für einen Hinflug am 4. Juli 2008 von Düsseldorf nach Mombasa.

Mit Bescheid vom 1. Juli 2008 erkannte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Rente mit einem monatlichen Zahlbetrag von 676,07 Euro für die Dauer des gewöhnlichen Auslandsaufenthaltes an.

In seiner nachfolgenden Korrespondenz mit der Beklagten benannte der Kläger keine postalische Anschrift in Kenia, sondern eine kenianische Postfachadresse.

Mit Schreiben vom 5. Mai 2010 stellte die AOK bei der Beklagten ein Verrechnungsersuchen nach §§ 51 Abs. 2, 52 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) in Höhe von insgesamt 1.435,49 Euro. Der Kläger schulde ihr noch für den Zeitraum vom 3. Januar 2008 bis 28. Februar 2008 Gesamtsozialversicherungsbeiträge inklusive Umlagebeiträge über 1.222,54 Euro für einen bei ihm beschäftigt gewesenen Arbeitnehmer. Weiterhin fielen Säumniszuschläge bis 28. Mai 2008 über 90,00 Euro sowie Kosten und Gebühren über 122,95 Euro an. Die Forderung sei fällig, vollstreckbar und nicht verjährt.

Zu dieser Verrechnungsermächtigung hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 26. Mai 2010 an. Sie beabsichtige, für die Verrechnung von der laufenden Rente des Klägers monatlich 250 Euro einzubehalten.

Der Kläger teilte daraufhin mit am 30. Juli 2010 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben mit, er sei völlig mittellos und hilfebedürftig. Auf den beabsichtigten Einbehalt von seiner Rente in Höhe von 250 Euro könne er nicht verzichten.

Mit Bescheid vom 24. August 2010 nahm die Beklagte die Verrechnung der durch den Kläger gegenüber der AOK geschuldeten Beiträge von 1.435,49 Euro ab dem 1. Dezember 2010 in Höhe von monatlich 150 Euro vor. Durch die Aufrechnung trete bei dem Kläger keine Hilfebedürftigkeit nach den Vorschriften des Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XII) oder Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II) ein. Nach eingehender Prüfung werde die Verrechnung für angemessen erachtet. Die Einwände des Klägers könnten nur zum Teil im Sinne einer Verringerung des zur Verrechnung gestellten Betrages berücksichtigt werden. Der Eintritt von Hilfebedürftigkeit sei durch ihn im Anhörungsverfahren nicht nachgewiesen worden.

Hiergegen legte der Kläger mit am 3. November 2010 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben Widerspruch ein. Aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes könne er nicht einmal 20 Euro monatlich aufbringen. Er müsse ständig Medikamente bezahlen und sei daher finanziell stark belastet. Eidesstattlich versichere er, keinerlei Vermögenswerte zu besitzen.

Ein zwischenzeitlicher Versuch der AOK ihre Forderung aus der Versteigerung einer in Deutschland belegenen Eigentumswohnung des Klägers zu befriedigen, blieb erfolglos.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 11. November 2011 zurück. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er durch die Verrechnung sozialhilfebedürftig würde.

Hiergegen erhob der Kläger am 12. Januar 2012 unter Angabe einer kenianischen Postfachadresse Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Er sei völlig mittellos und – auch für den Kauf dringend benötigter Medikamente - auf seine Rente angewiesen.

Mit Eingangsverfügung vom 16. Januar 2012 forderte das Sozialgericht Berlin den Kläger auf, binnen drei Wochen eine vollständige ladungsfähige Adresse zu benennen. Mit Schreiben vom 25. Januar 2012 erweiterte es diese Aufforderung dahingehend, einen Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland zu benennen und wiederholte mit Schreiben vom 13. Juni 2012 und 26. Juni 2012 seine Aufforderung zur Benennung einer ladungsfähigen Anschrift.

Der Kläger teilte mit am 15. und 21. August 2012 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Schreiben mit, es gebe in Kenia keine Straßen und Hausnummern, der Postweg belaufe sich teilweise auf zwei Monate und es ginge auch Post verloren.

Mit Gerichtsbescheid vom 6. September 2012 wies das Sozialgericht Berlin die Klage als unzulässig ab. Trotz vielfacher Aufforderung durch das Gericht habe der Kläger seinen tatsächlichen Wohnsitz bzw. Aufenthalt nicht mitgeteilt. Allein die Angabe eines Postfachs und damit die postalische Erreichbarkeit genügten nicht. In der dem Gerichtsbescheid beigefügten Rechtsmittelbelehrung heißt es unter anderem:

"Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides ( ...) einzulegen. ( ...) Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist ( ...) eingehen."

Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger aufgrund richterlicher Verfügung vom 18. September 2012 am 20. September 2012 mit einfachem Brief an das von ihm benannte Postfach in Kenia übersandt.

Mit auf den 14. Dezember 2012 datiertem Schreiben, beim Sozialgericht Berlin eingegangen am 7. Januar 2013, teilte der Kläger mit, das Schreiben vom 18. September 2012 - mithin den unter dem 6. September 2012 erlassenen Gerichtsbescheid - am 12. Dezember 2012 erhalten zu haben. In Kenia hätten die Straßen oftmals weder Namen, noch Hausnummern. Er bitte, Kontakt zur kenianischen Botschaft in Berlin aufzunehmen.

Mit am 1. März 2013 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen und auf den 28. Januar 2013 datierten Schreiben legte der Kläger gegen den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid Berufung ein. Ihm seien nur 71.180,60 Kenianische Schilling, mithin rund 711 Euro, überwiesen worden. Seine Rente betrage indes 794,16 Euro. Zum Nachweis der von ihm behaupteten Hilfebedürftigkeit reichte er diverse in Kenia ausgestellte Arztrechnungen, Arztrezepte und Behandlungsunterlagen ein.

Der Kläger beantragt nach seinem erkennbaren Berufungsinteresse,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. September 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. August 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend und bezieht sich im Übrigen auf ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren.

Mit Schreiben vom 22. Juli 2013 teilte die Beklagte mit, dass von Februar bis April 2013 jeweils 150 Euro einbehalten worden seien, bezüglich der Restforderung über 986,48 Euro derzeit wegen der aufschiebenden Wirkung der Berufung jedoch keine Verrechnung mehr stattfinde. Im Zeitraum der Verrechnung betrug der monatliche ungekürzte Zahlbetrag der Rente des Klägers 770,13 Euro.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ermittelte durch eine schriftliche Nachfrage vom 6. Mai 2013 bei dem Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Mombasa zu den Möglichkeiten postalischer Erreichbarkeit in Mombasa. Diese wurde durch den Honorarkonsul mit Schreiben vom 23. August 2013 dahingehend beantwortet, dass nicht alle Wohngebiete in Mombasa Straßennamen und Hausnummern hätten und Postverkehr in Kenia am häufigsten über Postfächer abgewickelt würde.

Das Gericht forderte den Kläger mit Schreiben vom 10. Oktober 2013 erneut auf, gemäß § 63 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einen Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland zu benennen und bezeichnete in seinem Schreiben die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen für den Fall einer Nichtbenennung.

Mit am 23. Januar 2014 bei Gericht eingegangenem Schreiben bestätigte der Kläger den Zugang des Schreibens vom 10. Oktober 2013. Einen Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland könne er nicht benennen.

Ihr jeweiliges Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erteilten die Beklagte mit Schriftsatz vom 3. März 2014, der Kläger mit Schriftsatz vom 26. Juni 2014 (wohl irrtümliche Angabe: 26. Juni 1914).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese lagen bei der Entscheidung vor.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie wurde zum einen fristgerecht erhoben.

Die Rechtsmittelfrist richtet sich vorliegend nach § 151 SGG i. V. m. §§ 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG, wonach eine Berufung bei einer Bekanntgabe im Ausland nur binnen drei Monaten nach Bekanntgabe der Entscheidung zulässig ist. Hiervon ausgehend begann die Berufungsfrist bezüglich des dem Kläger nach seinen eigenen Angaben am 12. Dezember 2012 zugegangenen Gerichtsbescheids gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 13. Dezember 2012. Sie endete gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG mit Ablauf desjenigen Tages, welcher seiner Zahl nach dem Tag entspricht, in den das Ereignis fällt, mithin am Mittwoch, den 13. März 2013. Damit ist die am 1. März 2013 beim Sozialgericht Berlin eingegangene Berufungsfrist unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG, wonach die Berufungsfrist auch dann gewahrt ist, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht schriftlich eingelegt wird, eingehalten.

Überdies wäre vorliegend - ohne dass es hier darauf ankäme - die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG maßgeblich, weil die Rechtsmittelbelehrung unzutreffend für die Berufung die 1-Monatsfrist des § 151 SGG bezeichnete und nicht die hier einschlägige, für Bekanntgaben im Ausland geltende 3-Monatsfrist der §§ 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG.

Zum anderen wurde die Berufung auch formgerecht eingelegt. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger in seiner Berufungsschrift wie auch bereits im erstinstanzlichen Klageverfahren lediglich die Adresse seines kenianischen Postfachs angegeben hat.

Nach §§ 153 Abs. 1, 90 SGG ist eine Berufung schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim zuständigen Gericht zu erheben. Die Berufung "soll" gemäß §§ 153 Abs. 1, 92 Satz 1 und 2 SGG u. a. die Beteiligten bezeichnen und von dem Kläger mit Orts- und Tagesangabe unterzeichnet sein. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt im Regelfall mindestens voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden genannt wird. Der Angabe des Wohnsitzes des Rechtsuchenden bedarf es bereits, um die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach § 57 SGG feststellen zu können und damit ein Tätigwerden des zuständigen gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) zu gewährleisten. In gleicher Weise ist das Erfordernis der Angabe einer Anschrift unumgänglich, um die rechtswirksame Zustellung gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen bewirken zu können. Dass auf das verfahrensrechtliche Mittel einer öffentlichen Zustellung wegen unbekannten Aufenthalts des Betroffenen zurückgegriffen werden könnte, steht dem nicht entgegen. Diese Zustellungsart kommt nach ihren strengen Voraussetzungen wegen der Gefahr der möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur in atypischen Ausnahmefällen in Betracht. Gleichermaßen erfordert der Schutz des Rechtsuchenden die Offenlegung der Anschrift zu seiner einwandfreien Identifizierung und zum Zwecke auch für den Prozessgegner transparenter Kommunikationsmöglichkeiten (BSG, Urteil vom 18. November 2003 - B 1 KR 1/02 S -, zitiert nach Juris, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 11. Aufl. 2014, § 92 Rdnr. 4, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Ausnahmen von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, können nach den Umständen des Einzelfalls jedoch wegen des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz anerkannt werden, wenn dem Betroffenen deren Erfüllung aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar ist bzw. besondere dem Gericht mitgeteilte Gründe die Nichtangabe rechtfertigen, etwa Obdachlosigkeit oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse (BSG, a. a. O., Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., m. w. N.).

Solche Gründe hat der Kläger hier vorgetragen: er hat angegeben, sein Wohnort in Mombasa verfüge - wie viele andere Orte in Kenia - nicht über eine postalische Adresse mit Hausnummer. Diese Angaben wurden durch die Auskunft des Honorarkonsuls der Bundesrepublik Deutschlandin Mombasa mit Schreiben vom 23. August 2013 bestätigt, Darin heißt es unter anderem, nicht alle Wohngebiete in Mombasa verfügten über Straßennamen und Hausnummern. Postverkehr in Kenia würde am häufigsten über Postfächer abgewickelt.

Selbst der deutsche Honorarkonsul in Kenia konnte im Übrigen nur über eine Postfachadresse erreicht werden. Eine Anschrift seines Dienstsitzes in Mombasa mit Straße und Hausnummer wird in seinem Antwortschreiben nicht bezeichnet. Vielmehr ist dort die Lage seines Dienstsitzes nur in Bezug auf eine öffentliche Einrichtung, den M H C angegeben, und zwar dergestalt, dass sich der Dienstsitz also "gegenüber" dem Gerichtssitz von Mombasa befinde.

Im Übrigen konnte der Kläger sowohl im Klage-, als auch im Berufungsverfahren - bei freilich langen Postlaufzeiten - über seine Postfachadresse relativ zuverlässig erreicht werden. Er reagierte auf eine Vielzahl dorthin gesandter gerichtlicher Schreiben und auch auf Schriftsätze der Beklagten, hat diese also nachweislich über sein Postfach erhalten.

Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Rechtsschutzgarantie bzw. der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes gebieten es vor diesem Hintergrund, eine Ausnahme zu dem Erfordernis der Angabe einer postalischen Wohnanschrift anzunehmen. Anderenfalls wäre der Kläger, der von seinem Recht auf weltweite Freizügigkeit Gebrauch macht und alle seine persönlichen Verbindungen in die Bundesrepublik Deutschland gekappt hat, in seinen Rechtsschutzmöglichkeiten unzumutbar eingeschränkt.

Durch den Umstand, dass die AOK nicht zum Verfahren beigeladen wurde, ist der Senat nicht an einer Entscheidung gehindert. Der Senat hat andere Sozialversicherungsträger nicht nach § 75 Abs. 2 Halbsatz 1 SGG notwendig zum Verfahren beiladen müssen. Die AOK als Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag oder die Sozialversicherungsträger, die die Versicherung, aus der die Beitragsforderungen entstanden sind, durchgeführt haben, sind an dem im vorliegenden Verfahren streitigen Rechtsverhältnis nicht in der Weise beteiligt, dass die Entscheidung auch diesen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs. 2 Halbsatz 2 SGG liegen nicht vor (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. April 2009 – L 3 R 379/07 -, siehe auch: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 4. Februar 2010 - L 10 R 5934/09 ER-B -, beide zitiert nach Juris).

Eine unterbliebene Beiladung der Einzugsstelle gemäß § 28h Viertes Sozialgesetzbuch (SGB IV) steht jedenfalls dann einer Sachentscheidung nicht entgegen, wenn die zu treffende Entscheidung den Beizuladenden nicht benachteiligen kann (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 - B 13 R 13/12 R -, m. w. N., zitiert nach Juris). Dies ist hier zum einen vor dem Hintergrund der Fall, dass - bestünde ein Anspruch des Klägers auf Erlass der Erstattungsforderung und Auszahlung der bereits teilweise durch Verrechnung) getilgten Beträge - Schuldner dieser Forderung ausschließlich die Beklagte wäre (vgl. BSG, Beschluss vom 13. Juli 1999 – B 7 AL 166/98 B – zitiert nach Juris). Zum anderen würden - auch insoweit wie die Forderungen der nicht getilgt sind - deren Interessen durch die hier zu treffende Entscheidung nicht berührt. Denn der Berufung des Klägers bleibt - wie im Folgenden auszuführen sein wird - der Erfolg versagt.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. September 2012 ist im Ergebnis - bei, wie oben ausgeführt, freilich unzutreffender Annahme der Unzulässigkeit der Klage - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die durch die Beklagte mit Bescheid vom 24. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2011 vorgenommene Verrechnung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Nach § 51 Abs. 2 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Beitragsansprüchen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII oder derjenigen des SGB II wird.

Dabei ist die Verrechnung nach § 52 SGB I eine Sonderform der Aufrechnung nach § 51 SGB I in dem Sinne, dass es bei der Verrechnung an der Gegenseitigkeit der Forderung fehlt, weil die noch offenen Beiträge vorliegend der und nicht der Beklagten zustehen. Beiträge zur Gesamtsozialversicherung sind solche im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I, mit denen nach § 52 SGB I eine Verrechnung durchgeführt werden kann. Die sich gegenüberstehenden Forderungen – die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der Anspruch auf Altersrente – sind weiterhin Geldleistungsansprüche nach § 51 SGB I und mithin gleichartig. Der Kläger hat auch nicht nachgewiesen, dass sich durch die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung bei ihm Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bzw. SGB XII ergibt. Der von § 51 Abs. 2 SGB I geforderte Nachweis der Hilfebedürftigkeit ist durch den Leistungsberechtigten zu erbringen. Die schlichte Erklärung des Leistungsberechtigten über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist dabei für die Beweisführung grundsätzlich nicht ausreichend (Hessisches LSG, Urteil vom 27. Januar 2012 - L 5 R 40/11 -, zitiert nach Juris). Beweislosigkeit geht zu Lasten des Klägers (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Dezember 2013 - L 22 R 228/11 -, zitiert nach Juris). Wird durch den Kläger keine entsprechende Bedarfsbescheinigung des örtlich zuständigen Leistungsträgers vorgelegt - was ihm wegen seines Wohnsitzes in Kenia nicht möglich ist - , hat er jedoch das Gericht durch Vorlage sämtlicher zur Ermittlung von Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bzw. des SGB XII notwendigen Angaben über seine Lebensumstände in die Lage zu versetzen, seine Hilfebedürftigkeit festzustellen. Soweit die zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum ermittelten Angaben lückenhaft bzw. unvollständig bleiben und durch naheliegende ergänzende Ermittlungen des Gerichts nicht vervollständigt werden können, geht dies zu Lasten des nachweispflichtigen Klägers (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 8. April 2014 - L 2 R 526/11 -, zitiert nach Juris). Die Vorschriften über die Auf- und Verrechnung in §§ 51, 52 SGB finden auch auf Leistungsempfänger im Ausland Anwendung. Bei Leistungsberechtigten mit Wohnsitz im Ausland richtet sich die Frage der Hilfebedürftigkeit nach den am Wohnort geltenden Sozialhilfevorschriften (BSG, Urteil vom 12. April 1995 - 5 RJ 12/94 -, zitiert nach Juris), was sich im Übrigen auch in § 24 Abs. 3 SGB XII niederschlägt. Allerdings erhalten Deutsche - wie der Kläger -, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII grundsätzlich keine Leistungen der Sozialhilfe. Hiervon kann im Einzelfall nach § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nur abgewichen werden, soweit dies wegen einer außergewöhnlichen Notlage unabweisbar ist und zugleich nachgewiesen wird, dass eine Rückkehr in das Inland aus folgenden Gründen nicht möglich ist: 1. Pflege und Erziehung eines Kindes, das aus rechtlichen Gründen im Ausland bleiben muss, 2. längerfristige stationäre Betreuung in einer Einrichtung oder Schwere der Pflegebedürftigkeit oder 3. hoheitliche Gewalt. Eine solche Notlage hat der Kläger weder vorgetragen noch sind entsprechende Anhaltspunkte für den Senat erkennbar. Letztlich kann jedoch dahingestellt bleiben, ob der Leistungsausschluss nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auf den Kläger anwendbar war und ob dies bereits den Eintritt von Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I von vornherein ausschließt. Denn der Kläger hat nicht nachgewiesen, durch die von der Beklagten durchgeführte Verrechnung hilfebedürftig im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I geworden zu sein. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist Personen Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zu leisten, die die Altersgrenze erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Der Kläger hat unabhängig von seinem monatlichen Bedarf für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht nachvollziehbar angegeben, seinen Lebensunterhalt in Kenia mit seiner Rente von zum Zeitpunkt der Verrechnung 770,13 Euro abzüglich des Verrechnungsbetrags von 150 Euro nach den in Kenia geltenden Maßstäben nicht bestreiten zu können. Zwar hat er diverse Arztrechnungen, Arztrezepte und Behandlungsunterlagen einer Privatklinik in Mombasa eingereicht, nicht jedoch nachvollziehbar und im Zusammenhang dargelegt, welche Mittel er insgesamt für seinen Lebensunterhalt in Kenia aufwenden muss. Die ihm obliegenden gesteigerten Mitwirkungs- bzw. Nachweispflichten treffen ihn in der Konsequenz seiner freien Entscheidung, Kenia zu seinem Lebensmittelpunkt zu machen, umso mehr, als dass Kenia ein gänzlich anderes Preisgefüge aufweist als Deutschland und in diesem Staat dem Begriff der Hilfebedürftigkeit eine gänzlich abweichende Bedeutung immanent ist. Das Fehlen dieser Angaben macht es dem Gericht unmöglich, für den streitgegenständlichen Zeitraum eine Hilfebedürftigkeit des Klägers als nachgewiesen anzusehen. Der Senat fühlt sich auch nicht gedrängt, weitere Ermittlungen zum Vorliegen einer Hilfebedürftigkeit des Klägers durchzuführen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein monatliches Nettoeinkommen von über 600 Euro in Kenia, das im Jahr 2013 ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 1.016 US-Dollar aufwies (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste der L%C3%A4nder nach Bruttoinlandsprodukt pro Kopf), jedenfalls ein Vielfaches des Durchschnittseinkommens darstellt und einen entsprechenden Lebensstandard ermöglicht. Weiterhin liegt auch kein Ermessensfehler der Beklagten vor. Im Anhörungsverfahren sind durch den Kläger keinerlei Gesichtspunkte vorgetragen worden, die einer Verrechnung entgegenstehen könnten und die die Beklagte bei den anzustellenden Ermessenserwägungen nicht berücksichtig hätte. Vielmehr hat die Beklagte den Vortrag des Klägers im Anhörungsverfahren zum Anlass genommen, den monatlichen Verrechnungsbetrag von 250 Euro auf 150 Euro zu reduzieren. Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 24. August 2010 mitgeteilt, die Verrechnung nach eingehender Prüfung für angemessen zu erachten und somit in zutreffender Weise das Interesse des Klägers an der Zahlung der ungekürzten Leistung hinter dem öffentlichen Interesse an der Verrechnung zurückstehen lassen. Da sich aus dem Vortrag des Klägers keine weiterführenden, substantiierten und vollständigen Erkenntnisse zu seinen persönlichen Lebensverhältnissen haben gewinnen lassen, durch die seine Hilfebedürftigkeit nachgewiesen worden wäre, konnte die Beklagte in diesem Zusammenhang auf vorrangige Interessen der Versichertengemeinschaft an der Abführung geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge abstellen. Die Vorschriften zur Auf- und Verrechnung der §§ 51 Abs. 2 , 52 SGB I stellen besondere Regelungen dar, die einen Zugriff auf das grundsätzlich unpfändbare Vermögen des Betroffenen für die Fälle erlaubt, wenn Beiträge nicht entrichtet oder zu Unrecht Sozialleistungen gewährt worden und der Betroffene dadurch nicht hilfebedürftig wird. Diese Privilegierung der Sozialleistungsträger gegenüber anderen Gläubigern, die die Vorschrift des § 394 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu beachten haben, ist vom Gesetzgeber aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Gründen so gewollt. Das Interesse an der vollständigen und rechtzeitigen Realisierung der Einnahmen zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Systems der sozialen Sicherung nach Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) überwiegt als Interesse der Versichertengemeinschaft das Interesse des Klägers an einer ungekürzten Auszahlung seines Altersrentenanspruchs (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 18. Juli 2011 - L 6 R 95/11 B ER -, LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Juni 2012 - L 3 R 314/11 -, Bayerisches LSG, Urteil vom 23. April 2013 - L 20 R 819/09 -, alle zitiert nach Juris). Eine Aufrechnung kann schließlich auch in Form eines Verwaltungsaktes durchgeführt werden, wie zwischenzeitlich der Große Senat des BSG die bis dahin offene Streitfrage geklärt hat (Beschluss des Großen Senats des BSG vom 31. August 2011 - GS 2/10 –, zitiert nach Juris), so dass auch insoweit das Vorgehen der Beklagten, die vorliegend durch Verwaltungsakt entschieden hat, nicht zu beanstanden ist.

Nach alledem hatte die Berufung des Klägers im Ergebnis keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
Saved