L 31 AS 3100/14 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 159 AS 25387/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 3100/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.) Nach der Entscheidung des EuGH vom 11. November 2014 in der Rechtssache C 333/13 dort insbesondere Rn 65, ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren davon auszugehen, dass der Leistungsausschluss für arbeitsuchende EU-Ausländer rechtmäßig ist.
2.) Ein monatlicher Verdienst von etwa 140,-- Euro vermittelt noch keinen Arbeitnehmerstatus.
Bemerkung
Die am 3. Dezember 2014 erhobene Beschwerde gegen den die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. November 2014 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die Antragsteller, die polnische Staatsangehörige sind, haben keinen Anordnungsanspruch im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.

Ob eine positive Entscheidung des erkennenden Senates hinsichtlich der Monate Oktober und November 2014 wegen der entgegenstehenden Rechtskraft des Beschlusses des 18. Senates des Landessozialgerichts vom 26. Juni 2014 (Az. L 18 AS 1567/14 B ER) unzulässig wäre, kann dahinstehen, da eine solche jedenfalls aus den unten dargelegten Gründen aus Sicht des Senates ebenso wie für die Zeit ab dem 01. Dezember 2014 zu verneinen wäre.

Ein Anordnungsanspruch aus den §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 SGB II scheitert daran, dass die Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterliegen. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von Leistungen ausgenommen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Als Unionsbürger dürfen sich die erwerbsfähige Antragstellerin zu 1) und ihr minderjähriges Kind, der Antragsteller zu 2) gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 bzw. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten. Ein anderes Aufenthaltsrecht ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich und von den Antragstellern auch nicht geltend gemacht worden. Es ist auch nicht anzunehmen, dass sich die Antragsteller unberechtigt im Bundesgebiet aufhalten, weil sie ohne ein Freizügigkeitsrecht nach dem FreizügG/EU eingereist wären, um lediglich Sozialleistungen zu beziehen.

Der Senat ist nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 11. November 2014 in der Rechtssache C 333/13 auch davon überzeugt, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform ist.

Der Bundesgesetzgeber hat § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf die europarechtliche Regelung des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158 S. 77, 112), gestützt (BT-Drucksache 16/688, S. 13). Nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des über diesen Zeitraum hinausgehenden längeren Zeitraums der Arbeitssuche nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens zu gewähren (a.a.O. RN 65). Damit dürfen die Mitgliedstaaten einem Unionsbürger die Sozialhilfe versagen, wenn er zum Zwecke der Arbeitsuche eingereist ist. Dies bestätigt die durch den EuGH in seinem Urteil vom 11. November 2014 (a. a. O. RN 76) vorgenommene Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38, da diese Regelung nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern soll, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zunehmen. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist damit vom Europarecht gedeckt.

Der Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist auch nicht wegen des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 11. Dezember 1953 (BGBl. II 1956, S. 564) unanwendbar (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Beschluss vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 9/13 R; Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R). Polen gehört nämlich schon nicht zu den Vertragsstaaten dieses Abkommens (vgl. www.conventions.coe.int).

Der Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin zu 1) vorträgt Arbeitnehmerin zu sein. Für die Zeit ab dem 1. Dezember 2014 gilt dies schon deshalb, weil die Antragstellerin zu 1) ihre Tätigkeit nach ihren eigenen Angaben im Schreiben vom 28. Januar 2015 zu diesem Zeitpunkt schon wieder beendet hatte und zuvor nicht wenigstens ein Jahr beschäftigt gewesen war. Denn diese Umstände führen gerade nicht dazu, dass die Antragstellerin zu 1) im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in der Bundesrepublik Arbeitnehmer bzw. aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt geworden wäre. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU bleibt das Aufenthaltsrecht für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige erst dann unberührt, wenn nach mehr als einem Jahr Tätigkeit eine unfreiwillige durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit besteht. Auch der 6-monatige Schutz der Arbeitnehmereigenschaft nach weniger als einem Jahr Beschäftigung kommt mangels zuvor bestehendem ausreichendem echten Arbeitsverhältnis nicht in Betracht.

Auch in der Zeit vom 01. Oktober 2014 bis zum 30. November 2014 wäre die Antragstellerin zu 1) zur Überzeugung des Senates nicht als Arbeitnehmerin anzusehen. In Bezug auf ihre bis 30. November 2014 ausgeübte Tätigkeit hat sie eine Bescheinigung über den Erhalt eines Aushilfslohns in Höhe von 46,47 EUR netto für den Monat Juli 2014, also einen nicht streitgegenständlichen Monat, sowie eine weitere Bescheinigung für den Monat Oktober 2014, in der als "Eintrittsdatum" in die Beschäftigung der "01.09.2014" eingetragen ist, eingereicht. Nach dieser zuletzt genannten Bescheinigung hat die Antragstellerin zu 1) in den Monaten September und Oktober 2014 monatlich 139,42 EUR netto erhalten. Weiter trägt sie vor, das Arbeitsverhältnis habe zum 30. November 2014 geendet. Eine Abrechnung für den Monat November 2014 habe sie noch nicht erhalten.

Zur Überzeugung des Senate begründet diese Tätigkeit keine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU.

Glaubhaft gemacht hat die Antragstellerin zu 1) eine Tätigkeit für eine Stunde täglich an fünf Tagen pro Woche zu einem monatlichen Verdienst von 150,00 EUR brutto. Diese Verpflichtung zur Leistung nur weniger Arbeitsstunden und der geringe Lohn von 150,00 EUR brutto bzw. 139,42 EUR netto, der auch lediglich für die Monate September und Oktober 2014 nachgewiesen ist, sind zunächst Indizien dafür, dass es sich bei der Tätigkeit nicht um eine tatsächliche und echte, sondern um eine völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit gehandelt hat.

Den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) lässt sich zwar keine bestimmte Grenze in Bezug auf Einkommen und Arbeitszeit entnehmen, unterhalb derer die Arbeitnehmereigenschaft verneint werden muss. Der EuGH hat vielmehr immer deutlich gemacht, dass eine vorzunehmende Würdigung der Gesamtumstände letztlich den Gerichten der Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010 – Rs. C-14/09). Er selbst hat die unionsrechtlich autonom zu definierende Arbeitnehmereigenschaft eines Musiklehrers mit zwölf Wochenstunden Unterricht (Urteil vom 3. Juni 1986 – Rs. C-139/85) und einem monatlichen Einkommen von 985 HFL (dies entspricht knapp 500,00 EUR) sowie die einer Studienreferendarin mit bis zu 11 Wochenstunden (Urteil vom 3. Juli 1986 - Rs. C-66/85) bejaht. In weiteren Verfahren ging es um eine wöchentliche Arbeitszeit, die zwischen 10 und 25 Stunden lag (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 24. Januar 2008 - Rs. C-294/06; Urteil vom 14. Dezember 1995 - Rs. C-444/93).

Auch in der nationalen Rechtsprechung finden sich einzelne Entscheidungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine unionsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft begründet wird. So wurden beispielsweise eine Tätigkeit von 5,5 Wochenstunden und später 36 Monatsstunden, sowie ein Entgelt von 154,00 EUR und danach 252,00 EUR (OVG Bremen, Urteil vom 28. September 2010 – 1 A 116/09), eine Wochenarbeitszeit von 7,5 Stunden und ein Lohn von 650,00 DM in 1997 (VG München, Urteil vom 2. Februar 1999 – M 21 K 98.750) bzw. eine Wochenarbeitszeit von 7,5 Stunden und ein Lohn von 100,00 EUR (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R) sowie eine Wochenarbeitszeit von 5,5 Stunden und ein Lohn von 175,00 EUR (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. März 2011 – OVG 12 B 15.10) als (gerade noch) ausreichend angesehen. Dagegen wurde eine Arbeitszeit von drei bis vier Stunden an einem Arbeitstag pro Woche "zu einem völlig belanglosen Entgelt" (VG München, Urteil vom 2. Februar 1999 – M 21 K 98.750) und ein monatliches Entgelt von 300,00 EUR und eine Wochenarbeitszeit von 10 bis 12 Stunden (VG Darmstadt, Urteil vom 22. Februar 2008, InfAuslR 2008, 344 f.) als völlig unwesentlich angesehen.

Weder den Entscheidungen des EuGH, des BSG oder der anderen nationalen Gerichte lässt sich folglich eine bestimmte Grenze in Bezug auf Einkommen oder Arbeitszeit entnehmen, oberhalb derer die Arbeitnehmereigenschaft bejaht bzw. unterhalb derer die Arbeitnehmereigenschaft verneint werden muss. Feststellen lässt sich lediglich, dass die bisher entschiedenen Verfahren alle eine wöchentliche Arbeitszeit betreffen, die – wenn auch teilweise nur sehr knapp - über derjenigen der Antragstellerin zu 1) liegt.

Betrachtet man das erzielte Einkommen und die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit, so lässt sich die Tätigkeit lediglich als völlig untergeordnet und unwesentlich charakterisieren. So belief sich das Einkommen in den beiden nachgewiesenen Monaten auf 139,42 EUR, d.h. auf lediglich 12 % des Bedarfes der Antragsteller nach dem SGB II, den die Antragsteller selbst mit 1160,76 EUR beziffert haben. Die wöchentliche Arbeitszeit ist mit 8 % der Arbeitszeit eines voll Erwerbstätigen (40 Wochenstunden) ausgesprochen gering. Beides ist nicht ausreichend, um der Antragstellerin die Arbeitnehmereigenschaft zu vermitteln.

Auch aufgrund einer Gesamtbewertung kann die Tätigkeit trotz der geringen Arbeitszeit nicht ausnahmsweise als tatsächlich und echt angesehen werden. Die Antragstellerin hat nach den bisher eingereichten Unterlagen im September und Oktober 2014 fünfmal wöchentlich jeweils eine Stunde als Reinigungskraft in der Pizzeria des Herrn I M gearbeitet, bei dem sie bis zum 31. Juli 2014 auch gewohnt hat. Es lässt sich nicht feststellen, dass diese tägliche Arbeitsleistung der Antragstellerin von einer Stunde für ihren Arbeitgeber von mehr als unwesentlichem wirtschaftlichem Wert war – zumal das Arbeitsverhältnis auch schon wieder beendet ist.

Nach alledem sind die Beschwerden zurückzuweisen.

Ein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren besteht nicht, weil es in Anbetracht der oben dargelegten Gründe an einer hinreichenden Erfolgsaussicht des dem Prozesskostenhilfeverfahren zugrunde liegenden Antrags gefehlt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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