L 15 SF 162/12 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 36 SF 356/12 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 162/12 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bindende Festlegungen im Hauptsacheverfahren
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 13. Juli 2012 wird zurückgewiesen.



Gründe:


I.

Streitig ist eine Gerichtskostenfeststellung in einem krankenversicherungsrechtlichen Rechtsstreit.

Im Verfahren S 2 KN 233/02 KR vor dem Sozialgericht München (SG) war ein Entgeltanspruch des jetzigen Beschwerdegegners, eines Krankenhausträgers, für Krankenhausleistungen in Höhe von 756,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von 138,40 EUR gegenüber der Bundesknappschaft Bochum streitig. Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 12.02.2004 zum Ruhen gebracht und nach sechs Monaten am 24.08.2004 als erledigt verfügt. Eine Verfügung zu § 197 a SGG oder zum Streitwert hatte der Hauptsacherichter zu keinem Zeitpunkt getroffen.

Mit Gerichtskostenfeststellung vom 29.03.2012 erhob der Urkundsbeamte, ausgehend von einem Streitwert in Höhe von 756,34 EUR, beim Beschwerdegegner Gerichtskosten in Höhe von 45,- EUR.

Dagegen hat der Beschwerdegegner mit Schreiben vom 26.04.2012 Erinnerung gemäß § 66 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) eingelegt und diese damit begründet, dass am 12.02.2004 das Ruhen verfügt und der Rechtsstreit seitdem nicht mehr betrieben worden sei. Eine nachträgliche Erhebung von Gerichtskosten nach nunmehr acht Jahren sei nicht mehr zulässig.

Mit Beschluss vom 13.07.2012 hat das SG die Gerichtskostenfeststellung vom 29.03.2012 aufgehoben und dies damit begründet, dass gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG Ansprüche auf Zahlung von Gerichtskosten innerhalb von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs verjähren würden, in dem das Verfahren durch rechtskräftige Entscheidung über die Kosten, durch Vergleich oder in sonstiger Weise beendet worden sei. Von einer Beendigung in sonstiger Weise sei auch auszugehen, wenn wie hier nach sechsmonatigem Ruhen das Weglegen der Akten verfügt worden sei.

Dagegen hat der Bezirksrevisor (im Folgenden: Beschwerdeführer) mit Schreiben vom 25.07.2012 Beschwerde eingelegt. Er geht davon aus, dass das Weglegen nach Ruhen keinen Fall einer Beendigung des Verfahrens (der Hauptsache) in sonstiger Weise darstellt. Er weist darauf hin, dass ein ruhendes Verfahren jederzeit auch von Amts wegen aufgerufen werden könne und daher von einer Verjährung nicht zu sprechen sei.

Der Beschwerdegegner weist demgegenüber darauf hin, dass es der Staatskasse im Jahr 2004 freigestanden wäre, die entstandenen Gerichtskosten zu erheben.

II.

Die Beschwerde gegen die Erinnerung ist gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG zulässig, da das SG die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat. Sie ist aber nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zutreffend die Gerichtskostenfeststellung vom 29.03.2012 aufgehoben.

1. Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren

Im Rahmen der Beschwerdeentscheidung sind vom Beschwerdegericht alle für den Kostenansatz maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie der Beschwerdeführer aufgegriffen hat oder nicht. Das Beschwerdegericht ist eine neue Tatsacheninstanz, die in vollem Umfang anstelle des Erstgerichts zu entscheiden hat (ständige Rspr. des Senats - zum Rechtsbereich des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz: vgl. Beschluss des Senats vom 14.01.2015, Az.: L 15 SF 239/12 B; zur Übernahme von Kosten gemäß § 109 SGG: vgl. Beschluss des Senats vom 19.12.2012, Az.: L 15 SB 123/12 B).

2. Begründetheit der Erinnerung des Beschwerdegegners

Der mit der Erinnerung angegriffene Kostenansatz vom 29.03.2012 ist schon deshalb aufzuheben, weil der Hauptsacherichter nicht verfügt hat, dass das Verfahren der Hauptsache ein Verfahren nach § 197 a SGG darstellt. Die Frage der Verjährung einer Gerichtskostenforderung stellt sich daher überhaupt nicht.

2.1. Prüfungsrahmen der Erinnerung - Allgemeines

Die Erinnerung gemäß § 66 Abs. 1 GKG kann nur auf eine Verletzung des Kostenrechts gestützt werden (vgl. Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 13.02.1992, Az.: V ZR 112/90, und vom 20.09.2007, Az.: IX ZB 35/07; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.06.2006, Az.: VI E 2/06; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 01.08.2014, Az.: L 15 SF 90/14 E; Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl. 2014, § 66 GKG, Rdnr. 18; Meyer, GKG/FamGKG, 13. Aufl. 2012, § 66, Rdnr. 13), nicht aber auf die (vermeintliche oder tatsächliche) Unrichtigkeit einer im Hauptsacheverfahren getroffenen Entscheidung. Die im Hauptsacheverfahren getroffenen Entscheidungen sind daher einer Überprüfung im Kostenansatzverfahren entzogen (ständige Rpsr., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 18.12.2014, Az.: L 15 SF 322/14 E - m.w.N.). Gleiches gilt grundsätzlich für die dort getroffenen Verfügungen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 07.10.2014, Az.: L 15 SF 61/14 E, und vom 05.12.2014, Az.: L 15 SF 202/14 E). Im Erinnerungsverfahren zum Kostenansatz kann daher lediglich geprüft werden, ob die im Hauptsacheverfahren erfolgten Festlegungen kostenrechtlich richtig umgesetzt worden sind.

2.2. Erinnerung des Beschwerdegegners

Das SG hat im angefochtenen Beschluss im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die Erinnerung begründet ist.

Die Begründetheit der Erinnerung ergibt sich jedoch schon daraus, dass der Kostenbeamte überhaupt keine Gerichtskosten festsetzen hätte dürfen.

Der Hauptsacherichter hat zu keinem Zeitpunkt eine Verfügung dahingehend getroffen, dass das Hauptsacheverfahren mit dem Aktenzeichen S 2 KN 233/02 KR ein Verfahren nach § 197 a SGG darstellt. Weder im Rahmen der Eingangsverfügungen vom 02.01.2003 und 03.01.2003 noch aus der Abschlussverfügung vom 24.08.2004 ist zu entnehmen, dass der Hauptsacherichter von einem Verfahren gemäß § 197 a SGG ausgegangen wäre. Obwohl in den jeweiligen Formularen jeweils Verfügungen zu § 197 a SGG möglich gewesen wären, hat er diese nicht getroffen. Auch aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2004 ist eine Verfügung zu § 197 a SGG nicht zu entnehmen. Eine Verfügung oder ein Beschluss zum (vorläufigem) Streitwert im Hauptsacheverfahren, der ein Beleg für ein Verfahren gemäß § 197 a SGG wäre, ist nicht ergangen.

Es gibt daher nichts, was als Verfügung des Hauptsacherichters zu § 197 a SGG gedeutet werden könnte.

Für das Kostenansatzverfahren kann daher wegen der fehlenden Verfügung des Hauptsacherichters nicht von einem Verfahren gemäß § 197 a SGG ausgegangen werden, auch wenn es ohne jeden Zweifel richtig gewesen wäre, das Hauptsacheverfahren als Verfahren gemäß § 197 a SGG zu führen. Im Kostenansatzverfahren ist jedoch eine Korrektur von Entscheidungen oder (Nicht-)Verfügungen des Hauptsacherichters nicht möglich. Dies gilt selbst dann, wenn die (Nicht-)Entscheidung des Hauptsacherichters zu § 197 a SGG - wie hier - offenkundig unrichtig ist.

In einer vergleichbaren Konstellation hat dies der Senat mit Beschluss vom 27.11.2013, Az.: L 15 SF 154/12 B, wie folgt formuliert:

"Auch wenn eine im Hauptsacheverfahren getroffene Festlegung zu § 197 a SGG falsch sein könnte oder sogar - wie hier - offenkundig unrichtig ist, darf sich das Gericht der Kostensache im Rahmen der Entscheidung über die Erinnerung nicht über die im Hauptsacheverfahren erfolgte bindende Festlegung zur Anwendung des § 197 a SGG hinwegsetzen und diese durch eine eigene Bewertung korrigieren. Es sind also durchaus Fälle denkbar, in denen der Kostenrichter sehenden Auges eine falsche Entscheidung im Hauptsacheverfahren zugrunde legen muss. Einer Korrektur im Rahmen der Erinnerung sind diese Fälle aufgrund der Rechtssystematik nicht zugänglich."

Es ist daher für das Kostenansatzverfahren bindend davon auszugehen, dass das Hauptsacheverfahren kein Verfahren gemäß § 197 a SGG darstellt. Eine Erhebung von Gerichtskosten scheidet daher aus.

Darauf, ob einer Gerichtskostenfeststellung auch eine Verjährung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG entgegen gestanden hätte, kommt es daher nicht an. Der Senat merkt lediglich der Vollständigkeit halber an, dass die Annahme des SG, mit der Verfügung zum Weglegen der Akten nach sechsmonatigem Ruhen habe die vierjährige Frist zur Geltendmachung von Gerichtskosten gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG zu laufen begonnen, wovon beispielsweise auch Teile der Kommentarliteratur ausgehen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl. 2014, § 5 GKG, Rdnr. 2), jedenfalls auf den ersten Blick nicht zwingend erscheint. Warum mit einem durch eine verwaltungsmäßige Aktenweglegung bestimmten Zeitpunkt ein fiktiver Parteiwille dahingehend, dass das Verfahren damit endgültig beendet sein solle - nichts anderes bedeuten die Ausführungen in der vorgenannten Kommentarliteratur -, begründet werden sollte, erschließt sich für den Senat nicht. Zudem berücksichtigt Hartmann nicht, dass das Ruhen jederzeit von Amts wegen beendet werden kann (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 114, Rdnr. 4), auch wenn dies keiner der Beteiligten beantragt, und das Ruhen auch bei statistischer Erledigung lediglich eine (vorübergehende) Unterbrechung darstellt (vgl. Bayer. Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 08.12.2014, Az.: 15 M 14.2529). Auch das BSG geht davon aus, dass durch ein Weglegen der Akten nach sechsmonatigem Ruhen der Rechtsstreit nur statistisch-verwaltungsmäßig, nicht aber prozessrechtlich als erledigt zu behandeln ist (vgl. BSG, Beschluss vom 08.09.1976, Az.: 11 RK 10/76). Schließlich erscheint die Ansicht von Hartmann auch deshalb fragwürdig, weil sie dazu führen würde, dass zwar einerseits einer Gerichtskostenforderung die Verjährung entgegen stehen würde, andererseits aber eben diese Gerichtskostenforderung nach Fortführung des Verfahrens unzweifelhaft geltend gemacht werden könnte. Eine derartige Rechtskonstruktion - Aufhebung der Verjährung durch ein späteres Ereignis - wäre der Rechtsordnung fremd.

Die Beschwerde ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Das Bayer. LSG hat über die Beschwerde gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6 Satz 1 GKG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Er ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 66 Abs. 8 GKG).
Rechtskraft
Aus
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