L 9 KR 5/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 789/97
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 5/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. September 1998 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt wurde, der Klägerin Leistungen der Behandlungspflege ab dem 06. Januar 1998 zu gewähren. Die Klage wird insoweit abgewiesen. Die Beklagte hat den Rechtsnachfolgern der Klägerin 1/13 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten nach der Berufungsrücknahme der Beklagten im Übrigen noch darüber, ob diese in der Zeit vom 06. Januar 1998 bis 29. Dezember 1998 verpflichtet war, der verstorbenen Klägerin Behandlungspflege in der Form der Hilfe beim An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen zu gewähren und daher die Kosten für die selbstbeschaffte Pflegekraft erstatten muss. Nach dem Tode der Klägerin hat ihr Sohn das Verfahren fortgeführt.

Die1913 geborene Klägerin war bei der Beklagten versichert; sie litt u.a. an schwersten deformierenden arthrotischen Veränderungen beider Hände und venöser Insuffizienz, die rezividierend zu Ulcera curis führte.

Aufgrund ärztlicher Verordnungen des Dr. C., Arzt für Innere Medizin, vom 26. Mai, 06. Juni, 25. Juni und 21. Juli 1997, in denen die Hilfe beim An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe für notwendig gehalten wurde, gewährte die Beklagte der Klägerin vom 26. Mai 1997 bis 07. September 1997 entsprechende Leistungen der häuslichen Krankenpflege als Behandlungspflege (zweimal täglich; zweimal wöchentlich).

Nachdem in der der ärztlichen Verordnung vom 18. August 1997, mit der häusliche Krankenpflege in der Zeit vom 08. September bis zum 08. Oktober 1997 für notwendig gehalten wurde, beigefügten Pflegedokumentation vom 20. August 1997 von nässenden offenen Stellen nicht mehr die Rede war, holte die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 25. August 1997 ein, in der Dr. W. die Auffassung vertrat, dass eine medizinische Indikation für das Anlegen der Kompressionsstrümpfe nicht mehr bestünde und dieses nunmehr der Grund - und nicht der Behandlungspflege zuzuordnen sei. Mit Bescheid vom 27. August 1997 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen der Behandlungspflege über den 07. September 1997 hinaus ab.

Dem Widerspruch, den die Klägerin mit der Vorlage von Attesten des Dr. C. vom 01. September 1997 und des Dr. Cz. vom 08. Oktober 1997 begründete, blieb nach Einholung einer Stellungnahme des Dr. D.-F. vom 09. September 1997 der Erfolg mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 1997 versagt.

Mit der hiergegen am 13. November 1997 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass ihr entgegen der Auffassung der Beklagten ein Anspruch auf Leistungen der Behandlungspflege über den 07. September 1997 hinaus zustehe, da das Tragen der Kompressionsstrümpfe auch nach Abheilung der Unterschenkelgeschwüre medizinisch notwendig sei, um die Verschlimmerung der chronischen venösen Insuffizienz zu verhindern.

Vom 21. Oktober bis zum 01. Dezember 1997 befand die Klägerin sich in stationärer Behandlung im Krankenhaus W., welches ab 21. November 1997 häusliche Krankenpflege zur Abkürzung der stationären Behandlung verordnete, die von der Beklagten nicht bewilligt wurde.

Dr. Cz. verordnete häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 04. Dezember 1997 bis zum 04. Januar 1998 und vom 29. Dezember 1997 bis zum 29. Januar 1998.

Nach Einholung von medizinischen Stellungnahmen des Dr. D.-F. vom 08. Dezember 1997 und des Dr. W. vom 23. Dezember 1997 bewilligte die Beklagte der Klägerin Hilfe beim An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe in einem Umfang von zweimal täglich und siebenmal wöchentlich in der Zeit vom 04. Dezember bis zum 28. Dezember 1997 und in einem Umfang von siebenmal wöchentlich und einmal täglich in der Zeit vom 29. Dezember 1997 bis zum 25. Januar 1998 (Bescheide vom 10. und 30. Dezember 1997).

Für die Zeit vom 26. Januar 1998 bis 26. Februar 1998 verordnete Dr. Cz. erneut häusliche Krankenpflege.

Mit Widerspruch vom 26. Januar 1998 wandte sich die Klägerin dagegen, dass die vollständige Kostenübernahme seitens der Beklagten lediglich bis einschließlich 05. Januar 1998 erfolgt sei.

Mit Bescheid vom 27. Januar 1998 bewilligte die Beklagte häusliche Krankenpflege in der Zeit vom 26. Januar 1998 bis 22. Februar 1998 in einem Umfang von siebenmal wöchentlich und einmal täglich.

Auf die erneute Verordnung häuslicher Krankenpflege für den Zeitraum vom 23. Februar 1998 bis 22. März 1998 durch Dr. Cz. teilte die Beklagte der Klägerin aufgrund einer Stellungnahme des Dr. D.-F. vom 30. Januar 1998 mit Bescheid vom 13. Februar 1998 mit, dass Kosten für die häusliche Krankenpflege über den 22. Februar 1998 hinaus nicht übernommen werden könnten, da weitere Pflegemaßnahmen nicht mehr das therapeutische Ziel der Heilung bzw. Besserung eines akuten Krankheitszustandes unterstützen könnten.

Mit dem Einverständnis der Klägerin ließ die Beklagte das Widerspruchsverfahren aufgrund des Widerspruches vom 26. Januar 1998 im Hinblick auf das Sozialgerichtsverfahren ruhen; das Sozialgericht erhielt von den ergangenen Bescheiden keine Kenntnis.

Mit Urteil vom 28. September 1998 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 27. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen der Behandlungspflege für die Zeit vom 07. September 1997 bis 21. Oktober 1997 und ab 06. Januar 1998 zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das Tragen der Kompressionsstrümpfe auch dann als Teil der ärztlichen Behandlung anzusehen und erforderlich sei, wenn kein akutes Unterschenkelgeschwür vorliege. Zu den anerkannten Zielen einer ärztlichen Behandlung gehöre auch die Verhütung der Verschlimmerung einer Krankheit. Die Klägerin sei nicht schon immer dann gesund und nicht behandlungsbedürftig, wenn zur Zeit gerade kein akutes Geschwür vorliege. Das Tragen von Kompressionsstrümpfen begründe bei der Klägerin einen Hilfebedarf von zweimal täglich und siebenmal wöchentlich, da sie wegen ihrer Arthritis nicht in der Lage sei, sich die Strümpfe selbstständig anzuziehen. Soweit die Klägerin in der Vergangenheit die Hilfe des Pflegedienstes beim Anziehen der Strümpfe selbst bezahlt habe, sei die Beklagte nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) verpflichtet, der Klägerin die entstandenen Kosten zu erstatten.

Gegen das ihr am 04. Januar 1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. Januar 1999 Berufung eingelegt.

Sie macht geltend, dass das Tragen der Kompressionsstrümpfe lediglich aus prophylaktischen Gründen erfolgt und daher dem Bereich der Grundpflege zuzuordnen sei. Im Übrigen seien lediglich bis zum 22. März 1998 Verordnungen häuslicher Krankenpflege vorgelegt worden, so dass eine Kostenübernahme über diesen Zeitpunkt hinaus schon mangels Verordnung nicht möglich sei.

Im Erörterungstermin vom 07. Oktober 1999 hat die Beklagte die Berufung zurückgenommen soweit sie die Verurteilung zur Leistung in der Zeit vom 07. September 1997 bis zum 21. Oktober 1997 betraf.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. September 1998 aufzuheben, soweit sie verpflichtet worden ist, der Klägerin Leistungen der Behandlungspflege ab 06. Januar 1998 zu gewähren, und insoweit die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Rechtsausführungen und der Sachdarstellung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Diese haben im Termin vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist auch im Hinblick auf § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, da die Klägerin zu erstattende Kosten von 2.152,00 DM geltend gemacht hat. Sie ist in dem Umfang, in dem über sie noch zu entscheiden war, begründet, da das Sozialgericht die Beklagte zu Unrecht verpflichtet hat, der Klägerin Leistungen der Behandlungspflege ab dem 06. Januar 1998 zu gewähren.

Der Rechtsstreit konnte trotz des Ausbleibens des Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs. 2 Satz 2 SGG) in der mündlichen Verhandlung entschieden werden, da in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Der Senat war an einer Entscheidung auch nicht dadurch gehindert, dass die Klägerin während des Verfahrens verstorben ist, da der Tod eines durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten nach § 202 SGG i.V.m. § 246 Zivilprozessordnung (-ZPO-) nicht zur Unterbrechung des Verfahrens führt. Dies gilt auch, wenn Sonderrechtsnachfolge nach § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch / Erstes Buch (SGB I) eingetreten sein sollte (BSG SozR 1750 § 246 Nr. 1).

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits waren nach § 95 SGG allein die mit dem ursprünglichen Bescheid vom 27. August 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1997 abgelehnten Ansprüche auf Behandlungspflege, die entsprechend der ärztlichen Verordnung des Dr. C. vom 18. August 1997 (nur) den Zeitraum vom 08. September bis zum 08. Oktober 1997 betrafen. Diese Ansprüche sind durch die Berufungsrücknahme erledigt.

Einen weitergehenden Regelungsgehalt sollte der angefochtene Bescheid auch aus der Sicht der Beklagten nicht haben, da sie auf die neu eingereichten Verordnungen häuslicher Krankenpflege des Dr. Cz. vom 02. Dezember 1997 und 16. Dezember 1997 sowie 13. Januar 1998 nach Klageerhebung neue Bescheide erlassen hat (Bescheide vom 10. Dezember 1997, 30. Dezember 1997 und 27. Januar 1998) und nicht etwa den Standpunkt vertreten hat, dass diese Zeiträume von der Ablehnung des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege mit Bescheid vom 27. August 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1997 erfasst waren.

Soweit das Sozialgericht auf die gegen den Bescheid vom 27. August 1997 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1997 gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage auch über die Ansprüche ab dem 06. Januar 1998 entschieden hat, ist dies unzulässig, da diese Ansprüche nicht Gegenstand des sozialgerichtlichen Rechtsstreits, sondern Gegenstand des noch bei der Beklagten anhängigen Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 30. Dezember 1997 sind.

Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass die Klägerin sich für die Zeiträume, für die die Beklagte die Gewährung von häuslicher Krankenpflege abgelehnt hat, die Pflegekraft selbst beschafft hat und nun den entsprechenden Kostenerstattungsanspruch geltend macht. § 13 SGB V stellt eine materiell-rechtliche Rechtsgrundlage für die Geltendmachung eines ansonsten nicht vorgesehenen Kostenerstattungsanspruchs in den Fällen dar, in denen die Krankenkasse den Sachleistungsanspruch des Versicherten aus Gründen des sogenannten Systemversagens nicht erfüllt hat. Sie beinhaltet nicht die Möglichkeit, den prozessualen Streitgegenstand eines Klageverfahrens zu erweitern.

Die Bescheide vom 10. Dezember, 30. Dezember 1997 und 27. Januar 1998 sind auch nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Nach dieser Vorschrift wird ein nach Klageerhebung erlassener Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er den ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt ersetzt oder abändert. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der angefochtene Verwaltungsakt vom 27. August 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1997 regelte die Ablehnung des Sachleistungsanspruchs auf Behandlungspflege in der Zeit vom 08. September bis 08. Oktober 1997, der sich in einen Kostenerstattungsanspruch umgewandelt hat (§§ 13 Abs. 1,3; 2 Abs. 2 SGB V). Die Bescheide vom 10. Dezember, 30. Dezember 1997 und 27. Januar 1998 betreffen dagegen Ansprüche ab dem 04. Dezember 1997.

Zwar ist die Vorschrift des § 96 SGG aus Gründen der Prozessökonomie weit auszulegen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 96, Rdnr. 4). Die Prozessökonomie spricht jedoch im vorliegenden Fall gerade gegen die Einbeziehung dieser Bescheide. Es entspricht der Natur der Sache bei einer sich rezidivierend verschlimmernden Erkrankung, dass verschiedenen Bewilligungszeiträumen auch verschiedene medizinische Sachverhalte zugrunde liegen, die der Aufklärung bedürfen. Dies ist bisher auch durch die Beklagte nicht ausreichend geschehen, was aus ihrer Sicht auch nachvollziehbar ist, da das Widerspruchsverfahren gegen den (Teil-) Ablehnungsbescheid vom 30. Dezember 1997 ruhend gestellt wurde. Nun sprechen Gründe der Prozessökonomie im Berufungsverfahren nicht dafür, dass das Berufungsgericht die zunächst der Beklagten obliegenden Sachverhaltsfeststellungen vornimmt und somit der Klägerin Rechtsschutzmöglichkeiten abschneidet, obwohl der Rechtsstreit gegen die ursprünglich angefochtenen Bescheide erledigt ist. So ist weder den Verwaltungsakten noch den vom Sozialgericht eingeholten medizinischen Unterlagen zu entnehmen, ob und gegebenenfalls in welchen Zeiträumen ab Januar 1998 bei der am 29. Dezember 1998 verstorbenen Klägerin wieder offene Unterschenkelgeschwüre vorlagen, also Zeiträume vorliegen könnten, für die die Beklagte ihre Leistungspflicht dem Grunde nach ohnehin anerkennt.

Dieselben Gründe sprächen gegen eine sachdienliche Klageerweiterung (§ 99 Abs. 1 SGG).

Im Übrigen hat die Beklagte auch zu Recht darauf hingewiesen, dass ärztliche Verordnungen häuslicher Krankenpflege nur bis zum 22. März 1998 vorliegen. Die ärztliche Verordnung häuslicher Krankenpflege (vgl. § 73 Abs. 2 Nr. 8 SGB V) und damit die Feststellung ihrer Notwendigkeit bleibt auch im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruches notwendige Anspruchsvoraussetzung. Lediglich auf die Ausstellung eines Kassenrezeptes kann insoweit verzichtet werden, wenn sich die Notwendigkeit einer entsprechenden Maßnahme unzweifelhaft feststellen lässt (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 13).

Da das Sozialgericht die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit daher zu Unrecht verurteilt hat, Leistungen der Behandlungspflege über den 06. Januar 1998 hinaus zu gewähren, war das Urteil insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenerstattung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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