L 9 KR 74/00

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 290/98-72
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 74/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Oktober 1999 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers nach Beendigung seines juristischen Studiums.

Der im Jahre 1972 geborene Kläger bestand am 10. Juli 1997 die erste juristische Staatsprüfung. Von Januar 1995 bis zum 30. September 1997 war er bei der Beigeladenen zu 4 als studentische Hilfskraft mit einem Monatsgehalt von 803,59 DM beschäftigt. Er blieb auch über den 30. September 1997 hinaus bei der Beigeladenen zu 4 weiterhin immatrikuliert, weil er - nach Meldung am 2. Oktober 1997 - im Rahmen einer so genannten Freiversuchsregelung das Examen erneut ablegte, um eine Notenverbesserung zu erreichen.

Mit Bescheid vom 4. Mai 1998 stellte die Beklagte gegenüber der Beigeladenen zu 4 und dem Kläger fest, dass dieser nach Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung in der Zeit vom 11. Juli bis zum 30. September 1997 nicht mehr als ordentlicher Studierender anzusehen und deshalb zur Sozialversicherung versicherungspflichtig und zur Bundesanstalt für Arbeit beitragspflichtig gewesen sei. Die Beigeladene zu 4 führte daraufhin Beiträge zu den Zweigen der Sozialversicherung sowie zur Bundesanstalt für Arbeit ab, wandte sich an den Kläger und forderte ihn auf, der Beigeladenen zu 4 die Arbeitnehmeranteile, die sie nicht einbehalten hatte, zu erstatten. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach. Die daraufhin von der Beigeladenen zu 4 gegen den Kläger vor dem Arbeitsgericht Berlin erhobene Klage wird derzeit von der Beigeladenen zu 4 im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht betrieben.

Am 14. Mai 1998 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Berlin mit dem Ziel der Feststellung erhoben, dass er im streitbefangenen Zeitraum nicht versicherungs- bzw. beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei. Die Beklagte fasste diese Klage als Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Mai 1998 auf und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 1998 zurück. Mit Urteil vom 22. Oktober 1999 hat das Sozialgericht die Klage, die es als gegen die vorgenannten Bescheide sowie auf Feststellung gerichtet ansah, mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe zu Recht festgestellt, dass der Kläger der Versicherungs- und Beitragspflicht im streitbefangenen Zeitraum unterlegen habe.

Gegen dieses Urteil, das ihm zunächst nicht zugestellt worden war, hat der Kläger am 11. Juli 2000 Berufung zum Landessozialgericht Berlin eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, er habe im streitbefangenen Zeitraum weder der Versicherungspflicht noch der Beitragspflicht unterlegen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Oktober 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1998 aufzuheben und festzustellen, dass er in der Zeit vom 11. Juli bis zum 30. September 1997 bei der Beigeladenen zu 4 nicht versicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nicht beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit beschäftigt gewesen ist.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 4 beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Die Klage ist zulässig. Zwar können Bedenken sowohl hinsichtlich der Klagebefugnis nach § 54 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als auch hinsichtlich des Feststellungsinteresses nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG bestehen. Aus Rechtsgründen ist zweifelhaft, ob der Kläger tatsächlich durch die angefochtenen Verwaltungsakte beschwert ist bzw. ob ihm ein rechtlicher Nachteil aufgrund der Feststellung seiner Versicherungs- und Beitragspflicht erwachsen könnte. Der vom Kläger geltend gemachte Nachteil soll darin bestehen, dass er mit einer Beitragsnachforderung durch die Beklagte konfrontiert ist. Jedoch ist hierbei zu bedenken, dass nach § 28 e Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV) allein der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen hat. Nach § 28 g Satz 1 SGB IV hat zwar der Arbeitgeber gegen den Beschäftigten einen Anspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, doch kann nach Satz 2 der Vorschrift dieser Anspruch im Grundsatz nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt und nach Satz 3 der Vorschrift auch nur innerhalb enger zeitlicher Grenzen geltend gemacht werden, die vorliegend nicht eingehalten sind. Eine Abweichung von diesen Regeln - das heißt eine Nachforderung des Beitragsanteils außerhalb der zeitlichen Grenzen und außerhalb eines Abzugs vom Arbeitsentgelt - ist nach Satz 4 der Vorschrift nur bei einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Arbeitnehmers möglich. Ob eine solche im vorliegenden Fall gegeben ist, ist offen. Sie könnte allenfalls darin liegen, dass es der Kläger möglicherweise versäumt hat, der Beigeladenen zu 4 rechtzeitig von einer Änderung seiner tatsächlichen Verhältnisse - dem erfolgreichen Bestehen des ersten juristischen Staatsexamens - Mitteilung zu machen.

Dies kann jedoch vorliegend offen bleiben, denn die für die Klagebefugnis und das Feststellungsinteresse ausreichende tatsächliche Möglichkeit einer Beschwer ist jedenfalls gegeben. Wie sich aus dem bereits durch die Beigeladene zu 4 gegen den Kläger angestrengten arbeitsgerichtlichen Verfahren ergibt, besteht für den Kläger jedenfalls faktisch die Gefahr, durch eine Beitragsnachforderung der Beigeladenen zu 4 belastet zu werden. Jedenfalls aufgrund dieses faktischen Gesichtspunktes ist vorliegend eine Klagebefugnis und ein Feststellungsinteresse des Klägers zu bejahen.

Die Klage ist jedoch unbegründet, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, denn im streitbefangenen Zeitraum war er versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit.

Rechtsgrundlage für die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung ist § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V), denn der Kläger war im streitbefangenen Zeitraum als Angestellter gegen Arbeitsentgelt beschäftigt. Er war auch nicht versicherungsfrei gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V. Nach dieser Vorschrift sind Personen versicherungsfrei, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen deswegen nicht vor, weil der Kläger im hier streitbefangenen Zeitraum nicht mehr als ordentlicher Studierender einer Hochschule anzusehen ist. Hierbei lässt der Senat ausdrücklich offen, ob Examenskandidaten im juristischen Studium, die nach Abschluss des ersten Staatsexamens im Rahmen einer so genannten Freiversuchsregelung einen zweiten Examensversuch unternehmen, während dieser Zeit noch als ordentliche Studierende im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V anzusehen sind. Denn der Kläger befand sich im hier streitbefangenen Zeitraum nach objektiven Gesichtspunkten nicht in einem Wiederholungsversuch im Rahmen der Freiversuchsregelung. Er hatte vielmehr sein Examen am 10. Juli 1997 erfolgreich abgelegt und hierdurch zunächst sein Studium abgeschlossen. Eine objektive Manifestation seines Willens, an einer Wiederholungsprüfung im Rahmen eines Freiversuchs teilzunehmen, erfolgte erst am 2. Oktober 1997, weil sich der Kläger erst an diesem Tag zur Wiederholungsprüfung meldete. Vor dem 2. Oktober 1997 und damit im gesamten hier streitbefangenen Zeitraum vom 11. Juli bis zum 30. September 1997 fehlt jeder objektive Hinweis darauf, dass der Kläger sich auf eine Wiederholungsprüfung vorbereitete bzw. an dieser teilnehmen wollte. Zwar mag der Kläger innerlich bereits ab dem 11. Juli 1997 entschlossen gewesen sein, an einer Wiederholungsprüfung teilzunehmen, doch kann eine solche rein innere Willensbildung nicht geeignet sein, die an objektiven Kriterien anknüpfende Versicherungspflicht zu beseitigen.

An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger vorgetragen hat, er habe sich nicht vor dem 2. Oktober 1997 zur Wiederholungsprüfung melden können. Denn auch wenn nach den Verfahrensregelungen des Justizprüfungsamtes eine vorherige Anmeldung nicht bearbeitet worden wäre, so hätte dies den Kläger jedenfalls nicht faktisch daran gehindert, eine Meldung zur Wiederholungsprüfung wirksam zu einem vorherigen Zeitpunkt abzugeben. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner rechtlichen Klärung, ob die Frage von Anmeldungsfristen, welche nach Landesrecht geregelt sind, Auswirkungen auf die Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit nach Bestimmungen des Bundesrechts besitzen können.

Die Versicherungspflicht des Klägers in der sozialen Pflegeversicherung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Elftes Buch, denn der Kläger war als Angestellter beschäftigt und aufgrund dessen versicherungspflichtiges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung beruht auf § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch, denn der Kläger war im streitbefangenen Zeitraum gegen Arbeitsentgelt beschäftigt. Die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit für Studenten in einem Beschäftigungsverhältnis nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI liegen schon deswegen nicht vor, weil der Kläger - wie bereits ausgeführt - im hier streitbefangenen Zeitraum nicht als ordentlicher Studierender einer Hochschule anzusehen ist. Die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit beruht auf § 168 Arbeitsförderungsgesetz.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst. Auch zu Gunsten der Beigeladenen zu 4 kommt eine Kostenerstattung gemäß § 193 Abs. 4 SGG nicht in Betracht.

Die Revision war nicht zuzulassen, denn Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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