S 8 AS 195/15 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 195/15 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Leistungsausschluss für rumänische Staatsangehörige bejaht.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.



Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Die 1989 und 1985 geborenen Antragsteller (Ast) zu 1. und 2., rumänische Staatsangehörige und nicht verheiratet, beantragten im Dezember 2014 beim Antragsgegner (Ag) für die Ast zu 1. und ihre beiden 2011 und 2014 geborenen Kinder Leistungen nach dem SGB II, weil der Ast zu 2. voraussichtlich im Januar 2015 wegen Körperverletzung für 18 Monate inhaftiert werde und dann seine selbstständige Tätigkeit aufgeben müsse. Die Ast zu 1. habe in Deutschland nicht gearbeitet.

Nach der Meldeauskunft war der Ast zu 2. seit 6. Januar 2011 in A-Stadt gemeldet.

Der Ag lehnte mit Bescheid vom 10. Dezember 2014 den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ab. Die Ast seien als Ausländer von Leistungen ausgeschlossen, weil sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Nach Inhaftierung des Ast zu 2. könne die Ast. zu 1. für sich und die Kinder vom Ast zu 2. keinen Leistungsanspruch mehr ableiten. Zudem fehlten Nachweise über die selbstständige Tätigkeit des Ast zu 2. Auch müsse der Ast zu 2. eine selbstständige Tätigkeit nicht unverschuldet aufgeben.

Am 24. Februar 2015 haben die Ast durch ihren Prozessbevollmächtigten beim Sozialgericht Augsburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten beantragt. Die Ast seien bereits am 16. August 2010 nach Deutschland gekommen und der Ast zu 2. habe seitdem als Selbstständiger gearbeitet. Den Ast stünden wegen der bevorstehenden Aufgabe dieser Tätigkeit infolge der anstehenden Inhaftierung keinerlei Mittel mehr zur Verfügung. Die Ablehnung von Leistungen sei rechtswidrig, weil kein Leistungsausschluss greife. Denn dieser Ausschluss sei nicht vereinbar mit vorrangigem europäischem Recht, vor allem der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und dem Europäischen Fürsorgeabkommen. Hilfsweise komme außerdem ein Anspruch auf Sozialhilfe infrage.
Ergänzend ist noch mitgeteilt worden, dass der Haftantritt nunmehr am 6. (9.?) März 2015 erfolgen werde.

Für die Antragsteller wird beantragt (sinngemäß):

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,
den Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bewilligen.
2. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozess-bevollmächtigten bewilligt.

Für den Antragsgegner wird beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren aller Ast auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II für die Zeit ab Antragstellung bei Gericht. Bei interessengerechter Auslegung ist anzunehmen, dass für die Ast kein unzulässiger Eilantrag gestellt werden sollte. Auch erstreckt sich der Eilantrag anders als der im Dezember 2014 gestellte Leistungsantrag beim Ag auch auf den Ast zu 2. Da die Ast fachanwaltlich vertreten sind und kein ausdrücklicher Antrag auf Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
- Sozialhilfe - (SGB XII) gestellt wurde, verbietet sich für das Gericht jedoch eine entsprechende Auslegung des eindeutig auf Leistungen nach dem SGB II formulierten Antrags.

Mit diesem Inhalt ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Obschon dies in den übersandten Akten nicht enthalten ist, wird zugunsten der Ast ein Überprüfungsantrag bezüglich des Bescheids vom 10. Dezember 2014 bzw. ein Erstantrag des Ast zu 2. angenommen, so dass der streitgegenständliche Zeitraum einer einstweiligen Regelung zugänglich ist.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf eine streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Anspruchs, den sogenannten Anordnungsanspruch, sowie die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist somit, dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage ist. Eine solche Eilbedürftigkeit liegt nur dann vor, wenn dem Antragsteller ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und wenn ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei summarischer Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, sondern es besteht zwischen ihnen eine Wechselbeziehung in dem Sinne, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit und Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) verringern und umgekehrt. Denn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. HessLSG, Beschluss vom 27. März 2009, L 3 U 271/08 B ER).

Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Eine Glaubhaftmachung liegt in entsprechender Anwendung von § 23 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) dann vor, wenn das Bestehen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nach dem glaubwürdigen Vortrag des Antragstellers und nach den im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens möglichen Ermittlungen überwiegend wahrscheinlich ist.

Nach diesen Maßstäben ist kein Anordnungsanspruch gegeben.

Ein Anspruch der Ast auf Leistungen nach dem SGB II scheidet wegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aus. Die Ast zu 1. und 2. sind zwar dem Grunde nach leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, insbesondere bestehen keine Zweifel an ihrer Erwerbsfähigkeit. Allerdings unterfallen sie als Ausländer - genauso wie die Ast zu 3. und 4. - dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, weil sich ihr Aufenthaltsrecht jedenfalls gegenwärtig allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ableiten lässt. So fehlen dem Gericht bereits jegliche Nachweise zu einer noch andauernden selbstständigen Tätigkeit des Ast zu 2., so dass diese nicht glaubhaft ist. Ein Aufenthaltsrecht außer zum Zweck der Arbeitssuche ist daher zumindest für den hier streitgegenständlichen Zeitraum ab Antragstellung bei Gericht nicht nachgewiesen. Im Hinblick auf die anstehende Inhaftierung des Ast zu 2. Ist von einem Verlust des möglicherweise früher bestehenden Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) auszugehen, § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU. Ein anderes Aufenthaltsrecht als aufgrund des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a FreizügG/EU kommt damit nicht in Betracht. Bezüglich der Ast. zu 1. ist eine Erwerbstätigkeit nicht einmal nach dem Vortrag der Ast anzunehmen, so dass aktuell ebenfalls nur nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitssuche vorliegen kann. Das gilt auch für frühere Zeiträume, da die Ast zu 1. keine Familienangehörige des Ast zu 2. ist und daher keine Freizügigkeitsberechtigung nach § 3 FreizügG/EU haben konnte und kann. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU kann selbst nach dem Vortrag der Ast mangels fünfjährigen Aufenthalts nicht erworben worden sein; ohnedies ist ein durchgehender Aufenthalt zweifelhaft, da einmal als Beginn des Aufenthalts der 16. August 2010, dann November 2013 angegeben wird und eine Wohnsitzanmeldung erst seit 6. Januar 2011 für den Ast. zu 2. vorliegt.

Die Ast. zu 3. und 4. können lediglich ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach § 3 FreizügG/EU als Familienangehörige haben.

Das Gericht hält die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch für anwendbar, weil es keinen Verstoß gegen höherrangiges Recht annimmt (Urteil dieser Kammer vom 30. Januar 2015, S 8 AS 370/13). Insbesondere ist keine Kollision mit der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (RL 2004/38/EG) erkennbar. Soweit etwa das Bayer. Landessozialgericht (Urteil vom 19. Juni 2013, L 16 AS 847/12) geurteilt hat, der Leistungsausschluss verstoße gegen Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG, kann das Gericht dem nicht folgen. Vielmehr sind auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als "Sozialhilfe"-Leistungen bzw. als Fürsorgeleistungen im Sinn der RL 2004/38/EG zu qualifizieren. Die betroffenen Leistungen des SGB II verfolgen nicht primär den Zweck, den Zugang zum inländischen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Sie sollen maßgeblich das menschenwürdige Existenzminimum sichern. Auch hat der Gerichtshof der Europäischen Union (Urteil vom 11. November 2014, Rs. C 333/13) inzwischen dahin entschieden, dass die RL 2004/38/EG nationalen Regelung der Mitgliedstaaten nicht entgegensteht, nach denen Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten im Gegensatz zu Inländern von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen ausgeschlossen sind. Die genannte Rechtsauffassung des Bayer. Landessozialgerichts dürfte damit nicht länger Bestand haben können. Soweit das Europäische Fürsorgeabkommen als Grundlage für eine Gleichbehandlung herangezogen wird, ist insofern ein Vorbehalt erklärt worden, dessen Wirksamkeit für das Gericht nicht ernsthaft infrage gestellt ist.

Ohne dass dies noch streitgegenständlich ist, scheidet auch ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII aus. Ungeachtet der Frage des Bekanntwerdens nach § 18 SGB XII greift insofern der Leistungsausschluss nach § 5 Abs. 2 SGB II bzw. § 21 SGB XII bezüglich eines Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Ast sind zwar, wie oben dargelegt, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, dem Grunde nach aber nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II leistungsberechtigt nach dem SGB II. Diese Regelung wird auch nicht von § 23 SGB XII verdrängt, weil diese Norm nach der Systematik des SGB XII nur für Ausländer gelten kann, die sich zwar tatsächlich im Inland aufhalten, aber keinen gewöhnlichen Aufenthalt hier haben, wie es bei den Ast schon aufgrund ihres eigenen Vortrags der Fall ist, so dass sie nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II sein können. Ein Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung kommt ohnedies nicht in Betracht.

Nachdem somit auch keine Leistungen nach dem SGB XII infrage kommen, war eine Beiladung des zuständigen örtlichen Sozialhilfeträgers nach § 75 SGG entbehrlich.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist somit abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §§ 183, 193 SGG.

Aus den oben genannten Gründen ist gemäß § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen.
Rechtskraft
Aus
Saved